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Die Familie in der Kirche
von Esther von Kirchbach

LeerWenn wir Mütter das Neugeborene in unsere Arme nehmen dürfen, dann danken wir Gott dem Schöpfer, daß er auf geheimnisvolle Weise Leben schuf und dieses Leben durch den schmalen, finsteren Gang am Tode vorbeiführte und das Licht des Tages sehen ließ. Wir denken  n i c h t  m e h r  an Schmerzen und Angst der vergangenen Stunden, und wir denken  n o c h  n i c h t  an Sorge und Leid, die uns auch dieses Kind im Leben neben aller Freude einmal zufügen wird, unser Herz ist geborgen im Frieden der Gegenwart Gottes, die das neue kleine Dasein uns vermittelt.

LeerWenn wir den Täufling nach dem Bad der heiligen Taufe in unsere Arme nehmen dürfen, dann wissen wir unser Kind eingepflanzt, eingewachsen in den Weinstock Christus. Wir denken  n i c h t  m e h r  an die Erbsünde, die wir durch unser Blut diesem kleinen Geschöpf mitgegeben haben, zugleich mit der Nahrung und Bereitung für das Leben, wir denken  n o c h  n i c h t  an die Zeit, wo die Taufgabe verschwendet werden, wo das weiße Taufkleid befleckt werden wird. Unser Herz ist geborgen in der Gegenwart des Sohnes Gottes in Seinem heiligen Sakrament, das dieses kleine Leben empfing und uns vermittelt.

LeerVon der Erinnerung an diese Stunden, in denen die Zeit der Ewigkeit begegnet, lebt das innere Leben unseres Hauses, und wir Mütter hüten diese Flamme, die den ganzen inneren Kreis der Familie erwärmt.

LeerZunächst, indem wir lernen, daß das alles nicht eine Angelegeneit der Mütter allein ist.

LeerEs sind nicht allzuviele unter uns, die bei der Eheschließung wußten, daß ihre Ehe unter der Forderung und Verheißung der Verbindung mit Christus und der Gemeinde stand - sodaß ihre kleine Gemeinsamkeit ein Abglanz der großen Gemeinschaft sein sollte und durfte. - Aber wir sind hineingewachsen. Die Gemeinde glaubte es für uns, und unsere junge und ungenügsame Liebe bahnte sich den Weg zum höchsten Lied, das je ehelicher Liebe gesungen wurde, in Epheser 5.

LeerAber eine Gemeinsamkeit auf solcher Grundlage schließt nun auch in sich, daß das Erlebnis der Muzzer an ihren Kindern auch dem Vater zugehört. Vielleicht hat Gott durch unseren anderen Weg, dadurch, daß auch unser Körper noch uns zu Erkenntnissen helfen darf, die Tür zum inneren Wissen um die Vorgänge von Geburt und Wiedergeburt in der Familie eher aufgetan. - Aber dann doch nur, um ihn mit hineinzuführen, um ihn immer wieder spüren zu lassen, auch im ersten Anfang, daß es heißt: Vater - Mutter - Kind, und nicht nur: Mutter - Kind.

LeerDenn sobald das Muttererlebnis isoliert genommen - eifersüchtig genossen wird, ist nicht nur die erste Gemeinsamkeit der jungen Familie, sondern auch der weitere Weg erschwert oder versperrt. - Dieses Geschehen - neues Leben aus unserem Schoß - neues Leben eingetaucht in das Wasser der Gnade, ist ja nicht einmalig für uns - auch wenn wir zuerst meinen, daß Zeit und Ewigkeit sich nur einmal so begegnen können - es wiederholt sich.

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LeerUnd nun ist ein Drittes da, das nicht ausgeschlossen werden darf, das erste Kind! Vater - Mutter - Bruder - Schwester, nicht Mutter - Kind, so heißt das neue Geschehen, so wird das neue Leben vom Kreis der Familie auf- und eingenommen! Und wenn unsere Kinderstube wächst, das eigene Herz weiter und weiter wird, auch wenn jedes seine eigene kleine Person bleibt und Antlitz und Schicksal geformt hat aus den Monaten, von denen wir allein wissen, - es ist  e i n e  Familie,  e i n  Ast mit einzelnen Zweigen an dem großen Baum.

LeerDieses „Wir” ist das erste, in das das Kind hineinwächst, das erste, in das es sich oft zu seinem Schmerz fügen muß und das oft seine Freude erhöht. Darum ist es ein großes Geschenk, wenn es gerade dieses „Wir”in der Verbindung zu Gott sagen lernt, wenn es Gott als denjenigen sieht, in dem auch in der Familie die Einzelfäden zum Wir zusammenlaufen.

LeerDas wird sichtbar im täglichen Gebet, morgens, mittags und abends. Ich weiß, daß ich als Kind einen scharfen Unterschied machte zwischen dem Abendgebet im Bett, das mir allein gehörte, und den Gebeten vor den Mahlzeiten und der Morgenandacht, die dem Ganzen gehörten. Aber auch das Abendgebet muß diesen Zusammenhang zum Wir behalten. Vielleicht zunächst nur in dem Wissen darum, daß auch die Großen beten, bei denen niemand am Bett mit sitzt. Es ist ja überhaupt sehr wichtig, daß schon das kleine Kind weiß, es ist schön, wenn Mutter und Vater mitbeten, aber es geht auch allein. Das erfahren sie am besten dadurch, daß man ihnen erzählt oder ihre Fragen darauf hinlenkt, daß Vater und Mutter, daß die Hilfen im Haus oder die großen Geschwister, daß Tanten und Onkel alle ihr eigenes Gebet abends brauchen. Vielleicht entdecken wir dabei, daß wir es uns selbst auch selten klar machen. Sagen wir uns wohl oft, daß der andere, über den wir uns am Tage geärgert oder gegrämt haben, vielleicht zu derselben Stunde wie wir in seinem Abenbgebet vor Gott steht? Wenn wir das täten, würden wir es ihm leichter machen, neu anzufangen, wir würden an die Möglichkeit eines neuen Anfanges glauben, wenn wir uns am anderen Morgen wiedersehen, und wir wissen ja von uns selbst, wie entsetzlich schwer es ist, der Umgebung, die sich an unsere Fehler wie an unsere Tugenden gewöhnt, einmal ein neues Gesicht zu zeigen. Die Kinder müssen auch wissen, daß die Großen sich die Sünden des Tages genau so vergeben lassen müssen wie die Kleinen. Es brauchte keine Vertrauenskrise bei heranwachsenden Kindern zu geben, wenn sie von vorn herein nicht ihre Eltern für vollkommen gehalten hätten. Es ist aber doch auch ein ganz heidnisches Verfahren, sich den Kleinen und Untergebenen gegenüber als vollkommen hinzustellen. Man meint, es ginge nicht anders wegen der Autorität. Aber das ist nun allerdings eine entscheidenbe Forderung der christlichen Familie, ihres in Gott gebundenen Wir, daß das Befehlen und Gehorchen nicht in der Über- oder Unterlegenheit der Personen verwurzelt wird, sondern in Gottes Auftrag und Befehl an die einzelnen Stände.

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LeerDenn so rüstet sich die Familie für ihre Aufgabe im großen Kreis. Wir hatten lernen müssen, daß das Muttererlebnis uns kein Recht gibt, das Kind und uns selbst abzuschließen. Wir müssen eben so lernen, daß die Geborgenheit in der Familie uns kein Recht gibt, diese Familie herauszulösen aus dem Umkreis der Gemeinde, von der ja in den alten Kirchengebeten selbst als Familie geredet wird. Wenn das Fleisch gewordene Wort im Sakrament des Altars uns begegnet, dann geht es als einzelner in den einzelnen ein, wir empfangen unser Du, und doch ist diese Begegnung ein gemeinsamen Mahl, und doch bitten wir von alters her, daß Gott uns dieses Mahl zum einswerden untereinander gedeihen lassen möge. So sehr ist im Christentum der einzelne mit der Gemeinde verknüpft, daß die persönliche Angelegenheit, das eigenste Geheimnis gleichzeitig zum Wahrzeichen der Gemeinschaft wird. Können wir uns dann verwundern, daß auch die Flamme unseres Hausaltars nur brennen darf, wenn ihr Feuer immer wieder in Verbindung gebracht wird mit dem Altar, wo die vielen Familien, die ganze große Gemeinde zusammenkommt?

LeerEs wird deutlich an der Feier des Sonntags. Wir haben nicht gewußt, daß wir den Kirchgang der Familie zerstörten, als wir die Kindergottesdienste einrichteten. Wir haben nicht für möglich gehalten, daß wir in weiterer Folge das Kirchegehen zu einer Sache der Kinder gemacht haben. Die Kinder gehen häufig und gern bis zur Konfirmation zur Kirche und hören dann eben so selbstverständlich auf, wie sie vorher kamen. Mir scheint immer, daß es nicht gar so schlimm ist, wenn sich ein Kind während einer langen Predigt, die es nicht versteht, in den Glanz der bunten Kirchenfenster flüchtet oder den Sonnenstrahl beobachtet, der von einem Engelsköpfchen zum anderen hinzieht. Und wo, wie bei uns in Sachsen, die Liturgie lang und schön und feierlich ist, hat man ja die Möglichkeit, mit den Kindern gemeinsam zur Kirche zu gehen, sie aus Mutters großem Gesangbuch die Liturgie mitsingen zu lassen und sie dann wieder nach Hause zu schicken. Gewiß, nicht immer, aber dieses „Nicht immer” eigentlich mehr noch aus Rücksicht auf die Mutter als aus Rücksicht auf die Kinder. Denn, wenn ich auch jedesmal eine Herzensfreude habe, wenn ich Mutter und sogar Vater mit 3, 4, 5 frischgekämmten Kinderköpfen in der Kirchenbank sitzen sehe, so weiß ich doch, wie sehr man der Mutter auch einmal einen Gottesdienst gönnt, an dem sie nicht vorher sorgen mußte, daß alle Stiefel geputzt werden, und an dem sie nicht währenddessen in Sorge sein muß , daß Minchen und Fritz mit den Beinen baumeln und dadurch die Nachbarn stören.

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LeerAber wenn auch nur einzelne Male im Jahr die Kinder im Gottesdienst den Eindruck gewinnen, daß die vielen einzelnen Familien der Gemeinde sich in ihm treffen und sich zur großen Familie Gottes vereinigen lassen, dann gibt es viel einzelne Geschehnisse zu Hause, die sie wieder daran erinnern. Da hat die Fürbitte in der gemeinsamen Andacht einen anderen Klang, da haben die Glocken, die den Sonntag einläuten, einen wirklichen Auftrag, da wird auch der Tod der Großmutter von Nachbars Lenchen und die Geburt des Brüderchens bei Nachbars Fritz anders erlebt.

LeerUnb nun scheint es wieder, als sprächen wir nur von Gemeinde, die es nirgends mehr gibt, von dem frommen Volk, das wir doch wohl nur träumen? Es ist doch so, daß unsere Kinder, wenn sie aus einem christlichen Haus stammen, sich in anderer Umgebung wie hineingeborgt vorkommen, ja, daß sie uns zu Hause laut oder leise zu verstehen geben, daß es nur bei ihnen zu Hause so christlich zugehe, daß nur bei ihnen zu Hause Andacht und Hausaltar, frommer Gesang und fromme Bilder ihren Platz haben.

LeerAber hier muf nun die wichtigste Frucht wachsen aus dem Wissen um die Gemeinschaft unserer Familie, um ihre Zugehörigkeit zur Gottesfamilie. so wie wir „zu Hause” die Familie sehen, ist sie „eigentlich”,  s o  ist die Familie gemeint. Das darf das ganz kleine Kind schon mitnehmen. Nicht wir sind die Ausnahme, sondern überall da, wo der Zusammenhang der christlichen Familie nicht sichtbar wird, da ist die Unordnung. und nur dann ist unsere Familie wirklich so angebunden an die Familie Gottes, nur dann ist sie ein Abbild der christlichen Gemeinde, wenn in allen Hausgenossen Sehnsucht und Wille sichtbar wird, nun zu sorgen, daß das Eigentliche sich durchsetzt. Nein, wir werden uns nie damit begnügen können, daß hier und dort einzelne vom Glauben erweckt werden, sondern wir wollen Gott bestürmen, daß unser Volk ein christliches Volk wird, daß nebeneinander die christlichen Familien wohnen, sich helfend und einander bestärkend, und daß Gott aus dieser seiner Familie dann seine Lieblinge zu den besonderen Aufgaben rufen kann, die er für sie bereit hält. Der Gott, der Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken wollte, wird es nicht für vermessen halten, daß unsere glaubenden Familien sich nicht begnügen können mit der Vereinzelung ihres Daseins, sondern der sakramentalen Kraft des Taufwassers Raum schaffen wollen, bis die Liebe Christi und seiner Gemeinde die Herzen der Männer und Frauen erfüllt und aus dieser Liebe das neue Leben zuwächst.

Evangelische Jahresbriefe 1936, S. 135-139

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-28
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