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von Wilhelm Stählin |
Eph. 1, 1-23 Die biblische Besinnung, die wie schon im vorigen Jahrgang so auch weiterhin einem jeden unserer Jahresbriefe vorangehen soll, möchte dazu behilflich sein, in die großen Gedankenzusammenhänge der Heiligen Schrift einzuführen. Die Bibelarbeit dieses Jahres soll dem Verständnis des Epheserbriefes dienen. Es ist nicht unsere Absicht, eine fortlaufende Erklärung aller einzelnen Sätze zu bieten, sondern wir möchten vielmehr die Grundgedanken deutlich machen, um die sich das reiche Wortgefüge dieses Briefes bewegt wie ein vielstimmiges Tongebilde um einige wenige klare musikalische Themen. Wir machen den Versuch, diese Einführung statt in der Form einer Erläuterung in einer umschreibenden Briefform zu geben, die freilich weder eine freie Übersetzung darstellen noch sich genau an die biblische Reihenfolge der einzelnen Verse binden kann. Wir raten zunächst den angegebenen Bibelabschnitt ein paarmal laut zu lesen, darnach noch einmal, nun erst recht, den biblischen Wortlaut selbst auf sich wirken zu lassen.Wilhelm Stählin Ihr seid die Heiligen Gottes. Was bedeutet es, daß ich, den nicht eigener Wille, sondern unwiderstehliches Geheiß Gottes zum Apostel Jesu Christi gemacht hat, euch also anrede? An welchem Ort steht ihr, an Christus glaubende Menschen, in dieser Welt? Woher kommt ihr und wohin geht ihr? Was ist der verborgene Ursprung eures Christenstandes und was hat Gott mit euch vor? Was mit euch geschehen ist und geschehen soll, könnt ihr nicht begreifen, solange ihr in dem engen Umkreis eures eigenen Lebens gefangen bleibt. Durch euch hindurch geht der Strom göttlichen Handelns vom Urbeginn zum Ende aller Tage; der Weltenplan Gottes will sich an euch und durch euch verwirklichen. Dieser Weltenplan Gottes ist sein Geheimnis; das Geheimnis, das kein Verstand enträtseln und das nur der Ahnende erfassen kann, dem Gott selbst das innere Auge dafür aufgetan hat. Dies Geheimnis Gottes ist an einer Stelle hervorgebrochen wie aus verborgenen Tiefen eine urmächtige Quelle, die mit ihren Wassern nun alles Land überströmt Es gibt eine „Fülle der Zeiten”, einen erfüllten Augenblick, in dem die ganze Geschichte ihre lebenspendende Mitte hat. Da die Zeit erfüllet war, hat Gott das Verborgene offenbart und sichtbar gemacht. Was er, der Herr aller Zeiten und aller Welten, von Urbeginn meint und will, ist sichtbar geworden in der geschichtlichen Gestalt Jesus Christus. Auf diesen einen Punkt hin zielt alles, was Gott getan hat vom Anbeginn der Welt. Ja, ehe der Grund der Welt gelegt war, war in seinem Herzen gegenwärtig alles, was da geschehen sollte. Kein menschlicher Geist hat diesen Weltenplan ersonnen; er hat seinen Grund allein in dem freien Machtwillen Gottes. Unser menschlicher Geist kann nur den Spuren dieses ewigen Willens nach-denken und anbetend bekennen: Ja Herr, also hat es Dir wohl gefallen. Und keinerlei menschliche Leistung und Größe kann aufstehen und sagen: so mußte es geschehen, denn so gebührte es dem menschlichen Geschlecht Was da geschieht, hat keinen anderen Grund und keinen anderen Maßstab als das Herz Gottes und den Reichtum seiner allerbarmenden Liebe. Weil er, der Schöpfer, lieb hat das Lebendige, das von Ihm sein Dasein empfangen hat, und weil er, der Liebende, seine Menschenkinder zu ihrem Heil vollenden will, darum sann sein Herz von Urbeginn auf eben das, was dann, als die Zeit erfüllet war, erschienen ist in Jesus Christus. Gottes Gedanken sind Kraft und sein Tun ist der Sieg über alles, was ihm widerstrebt. Gott erkennen, heißt selbst in dem Machtbereich seines Willens stehen. Ihr wißt, wo der Brennpunkt des Kampfes zwischen Gott und den ihm widerstrebenden Todesmächten dieser Welt gewesen ist; ihr wißt darum auch, wo die Kraft Gottes ihren entscheidenden Sieg erfochten und sich am sichtbarsten bezeugt hat: Die Welt hat mit der Zusammenballung aller ihrer Möglichkeiten das Werk Gottes zu vereiteln gesucht; ihr Gotteshaß entzündet sich an der Erscheinung des Gott-Menschen zur letzten Raserei, und weil ihre Macht nichts anderes ist als die Macht zu töten, so mußte Christus sterben. Gott aber hat ihn auferweckt von den Toten und damit die Ohnmacht der Welt besiegelt. Gott hat den, der das Haupt der neuen Schöpfung sein sollte, auf den Herrscherthron in den übersinnlichen Räumen gesetzt und ihn damit zum heimlichen König und Richter der Menschheitsgeschichte gemacht. Die geistigen Kräfte, die in dieser Welt regieren, einerlei wie wir sie benennen, einerlei ob ihr von Göttern oder von Naturgesetzen oder von den Ordnungen oder ob ihr von Dämonen redet, sind unter die Füße dieses himmlischen Königs gelegt, wie ein Besiegter es dulden muß, daß der Sieger ihm den Fuß auf den Nacken setzt. Sie sind nicht vernichtet, und wer so tut, als wären sie nicht mehr vorhanden, der bekommt ihre Macht zum Unheil zu spüren; aber wer um das Mysterium Christi weiß, der ist gewiß, daß sie keine eigene Macht mehr haben, sondern auch wider Willen dem dienen müssen, den Gott zum Herrn und Haupt der Welt bestimmt hat. Auch keine künftigen Weltzeiten können an diesem Kräfteverhältnis etwas ändern, das durch die Geburt und die Auferstehung des Gott-Menschen gewonnen ist. Gott nimmt nicht zurück, was er getan hat, „da die Zeit erfüllet war”. Aber über die geschichtliche Erscheinung Jesu Christi und über das in seinem Leben und Sterben vollbrachte Erlösungswerk hinaus, oder vielmehr durch das alles hindurch, sieht unser Glaube den ewigen Ratschluß der göttlichen Liebe. In dem Weltenplan Gottes ist es begründet, daß dieses alles an uns, auch an uns!, geschehen sollte! Was soll geschehen? es ist Gottes Gnadenratschluß, daß wir seine Kinder sein sollen; nicht seine Kinder, wie es die Blumen und Sterne und Berge und Wolken und Tiere auch sind, sondern als seine Geschöpfe, die ihn erkennen und auf den Irrwegen der Welt heimfinden zu dem Herzen des Vaters. Die Kraft der göttlichen Liebe ist der vollgiltige und unerschöpfliche Inhalt aller echten Erkenntnis. Die Fülle der Erkenntnis, alle Schätze der Weisheit warten auf euch; und ihr sollt mit erleuchteten Augen schauen, was kein leibliches Auge, kein ungeheiligtes Herz schauen und erfassen kann. Das alles wartet auf euch. Noch seid ihr nicht am Ziel. Was euch, den Kindern des Vaters, zugedacht ist, gleicht dem Erbe, das dem Sohn des Hauses zu eigen ist, und das er doch nur von Stufe zu Stufe, mit wachsender Einsicht und Kraft, wahrhaft zu eigen gewinnen und mit dem eigenen Leben zu durchdringen vermag. Darum ist euer Erbe eine Hoffnung, die gewisse Hoffnung des Zukünftigen, und die Bewegung auf ein Ziel hin. Keine Träumerei ins Ungewisse; denn das Leben der zukünftigen Welt hat in euch seinen Anfang genommen. Weil ihr eingefügt seid in das Leben Christi, darum ist euer Leben getragen von dem Urstrom des göttlichen Handelns, und hoffend nehmt ihr schon jetzt vorweg das Ziel, zu dem Gott die Welt bestimmt hat. Zerbrecht nicht dieses Siegel! Gott will das, was ihm gehört, ganz und gar zu seinem Eigentum machen, befreit von aller feindseligen Macht. Ihr seid die Heiligen Gottes. In eurem Leben soll die Herrlichkeit Gottes sich spiegeln. Das ist Gottes ewiger Ratschluß, daß ihr etwas sein sollt zu Gottes Ehre, zum Lob seiner Herrlichkeit. Noch ist nicht das all sichtbar zusammengefaßt unter dem einen Haupt Jesus Christus. Aber eben dies ist der Beruf der Gemeinde, daß in ihr das anhebt und stellvertretend sich verwirklicht, was mit Christus ein für allemal geschehen ist. Sie ist in dieser Weltzeit der Leib Christi. Ihr zu nächst ist das Haupt des Alls, Jesus Christus, als das Haupt ihres Lebens gegeben. Sie ist der Ort in der Welt, wo die Gottesfülle ihre irdische Wohnung aufschlagen will; der enge und armselige Raum, der wie Stall und Krippe die Fülle aller Zeiten und Welten in sich birgt. So oft ich bete, seid ihr in meinem Gebet gegenwärtig. So oft ich euer in meinem Gebete gedenke, ist beides in mir lebendig, der überströmende Dank für das, was Gott an euch getan hat, und die Bitte, daß Gott an euch vollenden wolle, was an euch geschehen soll. Denn eben dies ist der Ort in der Welt, an den der Gottesruf euch gestellt hat: an euch soll erfüllt und vollendet werden, was Gottes Wille bedacht und gemeint hat vom Urbeginn der Welt. Die Zeit ist erfüllt. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1937, S. 2-6 |
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