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von Karl Bernhard Ritter |
Die Krisis der Gegenwart ist eine Krisis des Menschen selbst. Von Henry Ford stammt das Wort: „Wird nicht einmal der Tag kommen, wo die Maschine allmächtig ist und der Mensch bedeutungslos?” Wir haben uns eine Kultur gebaut, in der der Mensch ersticken muß. Ich hatte kürzlich ein Gespräch mit einer klugen Russin. Sie meinte: „Der Kampf, den der Bolschewismus gegen die russische Seele führt, ist aussichtslos, denn wir haben den russischen Winter. Der zwingt den Menschen in die Stille”. Fehlt uns in Westeuropa nicht dieser Winter? Der Mensch ist nur zu retten, wenn ihm eine Tür aufgestoßen wird ins Freie. Diese Freiheit ist nur in Gott. Das wird heute immer klarer. Der Mensch ist nur zu retten durch den Gottmenschen. Das Christentum ist die Weisheit vom Gottmenschen, von dem Ebenbilde Gottes im Menschen und von seiner Wiederherstellung durch die Menschwerdung Gottes in Christus. Diese Wahrheit ist freilich, zumal in der protestantischen Ausprägung des Christentums, vorwiegend nach ihrer negativen Seite hin ausgeprägt und entfaltet worden als Verkündigung der Spannung zwischen Gott und dem seine Gottebenbildlichkeit verleugnenden Menschen. Für die göttliche Berufung des Menschen, für die Verheißung über den Menschen blieb kein Raum. Und doch ist der Glaube an diese Verheißung von entscheidender Bedeutung in einer Zeit, in der der Mensch eines ungeheuren Mutes bedarf, um sich als Mensch zu behaupten. Stattdessen erleben wir heute auf der einen Seite den Zusammenbruch des „Glaubens” an den Menschen, weil dieser Glaube im Humanismus der letzten Jahrhunderte sich losgelöst hatte vom Glauben an den Gottmenschen. Der Fortschrittsglaube ist umgeschlagen in tiefsten Pessimismus. Auf der anderen Seite wird Ersatz gesucht im Glauben an das Kollektiv in seinen verschiedenen Erscheinungsformen. Der Abfall vom Menschen vollzieht sich in der Form des Glaubens an die Organisation, an die politische Macht. Von hier aus wird die ungemeine Bedeutung des letzten Buches der Bibel, der Offenbarung des Johannes sichtbar. Sie schaut im Bilde des Endes den Sinn, die Wahrheit und Wirklichkeit des Menschen. Sie stellt den Gottmenschen in die Mitte der Weltgeschichte, ihres Kampfes und ihrer Leiden. Die Apokalypse ist das Buch von der endlichen Verwirklichung des Gottmenschen. Ihr erstes Kapitel ist darum der Vision des vollendeten Gottmenschen gewidmet, ihre letzten Kapitel beschreiben im Bilde der himmlischen Stabt die in Gott vollendete, verklärte Gemeinschaft: Gott in der Menschheit und die Menschheit in Gott. Sie beginnt mit dem Freudenruf: „Er hat uns zu Königen und Priestern gemacht!” (Kap. 1, 6). Sie schließt mit dem Gebetsruf inniger Erwartung :„Ja, komm Herr Jesu !” (Kap. 22, 20). Die Offenbarung wendet sich an die sieben Gemeinden. Die Sieben ist die Zahl der göttlichen Totalität. Die sieben Gemeinden repräsentieren die Ganzheit der Kirche, die Ganzheit der vom Gottmenschen ergriffenen Menschheit. Er, der Erhöhte und Vollendete selbst steht mitten unter seinen Gemeinden (den sieben Leuchtern). Er trägt das lange Gewand des Königtums und Priestertums, das dem Christen verliehen ist (V. 6!). Er trägt den goldenen Gürtel des Hohenpriesters. Königtum und Priestertum, sie sind aber nichts anderes als die Doppelheit christlichen Daseins, von dem Luther spricht: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan - ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan”. Königtum und Priestertum sprechen von dem doppelten Mysterium des wahren, des Gottmenschentums, von der Freiheit und von der Liebe. Der erhöhte Herr trägt die sieben Sterne in seiner Hand. Die sieben Sterne sind die Planeten, mit denen die sieben Sphären der Weltschöpfung, des himmlischen und irdischen Kosmos bezeichnet sind. Der Gottmensch ist Herr der Schöpfung. Er ist über die Engel erhöht (vgl. Hebr. 1, 3-14). Die Engel, die Schöpfungsmächte müssen ihm und dem Ziel seiner Vollendung dienen (Hebr. 1, 14) Das alte Wort aus der Schöpfungsgeschichte „Füllet die Erde und machet sie euch untertan” erhält hier seine umfassende und wahre Bedeutung. Am Ende wird die Spannung zwischen Natur und Geschichte, zwischen Drinnen und Draußen, zwischen Geist und Leib überwunden sein. Das Ziel der Schöpfung und das Ziel der Erlösung fallen zusammen. Zugleich bedeuten die sieben Sterne die Engel der sieben Gemeinden (Vers 20). Echte Symbole erschöpfen sich nicht mit einer Bedeutung. Die Engel der Gemeinden sind die Repräsentanten, die „Genien” der Gemeinden, gleichsam die Gemeinden in ihrer wahren Existenz vor Gott. Was die Gemeinden werden sollen, sie sind es schon in diesem Bild ihrer Vollendung. Auf alten Münzen des römischen Imperiums findet sich das Sinnbild der sieben Sterne. Es ist das Sinnbild der Weltherrschaft. So sagt uns dieses Bild: Christus ist der wahre Weltenherrscher, er beherrscht und regiert die Menschheit, „auf die es ankommt”, die Menschheit, „die bleibt”, in der sich der Sinn alles menschlichen Daseins erfüllt. Zugleich aber sind die Gemeinden noch nicht, was sie sein werden. Sie leben noch im „Martyrium”, im fruchtbaren Leiden, im Kampf, sie sind auf dem Wege der Vollendung, indem sie geopfert werden. Denn das Opfer ist der Weg zur Vollendung. Darum haben sie ihr Sinnbild an den Leuchtern, die das Opferfeuer, das Feuer des Altars, tragen. Das Bild des erhöhten Herrn ist das Bild des Menschen, das sich in uns allen verwirklichen soll. Wir werden Ihm gleich sein (1. Joh. 3,2). Christus ist gleichsam das innerste, göttliche Werdeprinzip des wahren Menschen, das Prinzip seiner Kristallisation. Sie geschieht im Feuer der Trübsal. Er selbst ist der wahre Märtyrer. Er ist ja das Lamm, das geschlachtet ist von Anbeginn. Die ganze Apokalypse ist eine einzige Entfaltung dieses Motivs. (Kap. 7, 14-17; 12, 10-11; 17, 14; 19, 6-7; 21, 7). So ist die Apokalypse die letzte, tiefste Deutung aller menschlichen Existenz und ihrer Geschichte von Gott her in der Schau des end-giltigen Geschehens. Sie ist damit Zusammenfassung aller Offenbarung Gottes im Laufe der Geschichte (22, 18-19). Sie ist gewaltige Mahnung, Weckruf, teilzunehmen an dem Christusgeschehen und sich nicht von der Krisis überwältigen zu lassen, die den endgiltig berauben muß, der den Weg verfehlte im Unglauben, der sich nicht an das Ziel wagte. (3, 3; 16, 15). Denn das Grundgesetz, das im Evangelium ausgesprochen ist (Matth. 13, 12) wirkt sich zuletzt im Leben der Menschheit mit erschütternder Folgerichtigkeit ans. Die Apokalypse ist das Buch der übergroßen Verheißungen, an denen sich ein Geschlecht aufrichten kann, das angesichts der Katastrophen des geschichtlichen Lebens an der Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz zu verzweifeln droht. Es ist das Buch für die Christenheit in unserer Zeit. Jahresbriefe des Berneuchener Kreises 1937, S. 6-9 |
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