Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1937
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Ein Briefwechsel über das Kreuztragen
von Nathanael Rösler und Walter Uhsadel

LeerLieber Freund, warum Du wohl gerade von mir ein Wort zu diesem Thema haben willst? Du hast mich am Ende in dem falschen Verdacht, ich sei einer jener bemitleidenswerten „Kreuzträger”. Du hast vernommen, mein Augenlicht sei vor längerer Zeit erloschen, und meinst, ich könnte nun ans eigener Erfahrung über das Kreuz reden. Aber laß Dir sagen: Das Blindsein ist an und für sich durchaus nicht das, was man im gewöhnlichen Leben ein Kreuz nennt, sondern allenfalls ein kleines Ungemach, oder am Ende auch eine Möglichkeit, ganz neue Wunder zu entdecken, an denen mancher Sehende achtlos vorübergeht. So daß es heißen könnte: „Das Unglück ist mein Glück, die Nacht mein Sonnenblick.”

LeerIch bin ja ein ausrangierter Missionar, und vielleicht zählst Du mich deshalb unter die Kreuzträger? Man glaubt ja oft, mit uns Missionaren Mitleid haben zu müssen, weil wir, wie man sagt, so viel entbehren müssen. O, wenn die, die so denken, eine Ahnung hätten von dem Glück und Reichtum eines Missionarslebens! Dann würden sie uns beneiden um unsern hohen Beruf.

LeerIch weiß ja wohl, daß man landauf-landab unter einem „Kreuzträger” einen Menschen versteht, dem es nicht nach Wunsch geht, der manches entbehren muß, was anderen zuteil wird, in dessen Haus ein Unfall den anderen ablöst. Und wenn er dann sein Leiden still trägt und sich fein sanft schickt in so manche Widerwärtigkeit, dann gehört er zu den hochgepriesenen Kreuzträgem, die sich das Himmelreich verdienen. Kreuz, Leiden, Angst und Pein stellen ja auch unsere Kirchenlieder gerne zusammen als gleichwertig, und sie sind ja in erster Linie schuld an dieser Entleerung und Entwertung des Wortes Kreuz. Da heißt es etwa: „Ein Christ kann ohne Kreuz nicht sein”, und der Dichter denkt dabei an die große Bedeutung, die die Trübsal im Leben des Menschen haben kann. Wir denken an das feine Bild Rudolf Schäfers: Ein altes graues, gottergebenes Mütterlein schreitet mit dem Kreuz auf ihrem Rücken still dahin. Das Bild ist umrahmt von Dornen und Rosen und darunter steht das Reimlein: „Des Christen Herz auf Rosen geht, wenn's mitten unterm Kreuze steht.”

LeerOder wir denken an Paul Gerhardts Worte: „Schickt er mir ein Kreuz zu tragen, dringt herein Angst und Pein; sollt ich drum verzagen? Der es schickt, der wird es wenden. Er weiß wohl, wie er soll all mein Unglück enden. Gott hat mich in guten Tagen oft ergötzt. Sollt ich jetzt nicht auch etwas tragen? Fromm ist Gott und schärft mit Maßen sein Gericht; kann mich nicht ganz und gar verlassen.” Und sein herrliches Sonnenlied schließt mit den Worten: „Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende...” Ja, wahrlich, wenn einer zu den frommen „Kreuzträgern” gehörte, dann war es Paul Gerhardt. Aber gerade darum weiß er, daß auch über ihn solches Kreuz nicht unverdient kommt. Immer handelt es sich, wenn in unseren Kirchenliedern vom Kreuz die Rede ist, um den wichtigen Gedanken, daß die Trübsal, die Gott uns schickt, oder die wir uns durch eigene Schuld zugezogen, uns zum Besten dienen soll.

Linie

LeerAber über eins müssen wir uns klar sein: An den drei Stellen des Neuen Testamentes, wo Jesus vom Kreuztragen redet, denkt er an etwas völlig anderes. Es war in der Zeit, da sein Opfertod am Kreuz als ganz großes, schweres Verhängnis, nein als unabänderlicher Wille seines himmlischen Vaters in seinen Gesichtskreis getreten war. Sich selbst sollte er verleugnen, sich selbst ausschalten mit all seinen etwaigen eigenen Wünschen und Bedürfnissen, nichts anderes tun, als für die Wahrheit zeugen, den Kampf für Gottes Ehre und gegen alle Gottlosigkeit der Menschen aufnehmen, die Sünder lieben, den Gotteshunger stillen, den Armen die frohe Botschaft sagen. Des Menschen Sohn muß - er spricht es selber aus - viel leiden und er muß im Gehorsam gegen den Vater den Verbrechertod am Kreuz aufsichnehmen. Diese so gewaltige Arbeit aber konnte er nicht allein bewältigen. Er brauchte Genossen seiner Arbeit, und zwar hierzu gerade die tüchtigsten, entschlossensten, leistungsfähigsten, opfer- und sterbefreudige Menschen. Dazu sucht er die Männer heranzubilden, die er auserwählt hatte zu seinen Jüngern.

LeerZu ihnen spricht er, als er sie in die Welt sendet: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist mein nicht wert” (Matth. 10, 37, 38). Und als er eines Tages zu seinem Schrecken merkt, daß große Scharen begeisterter Menschen sich ihm anzuschließen suchen, kühlt er sie ab mit den Worten: „So jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein. Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein” (Luk.26,27). Und als es nun wirklich an der Zeit ist, den Todesweg anzutreten, da ist es, als ob er es machen wollte, wie einst der Richter Gideon und die aussuchen, die gegen sich selbst am härtesten sind und ihr Leben in die Schanze zu schlagen bereit sind. Darum spricht er zu seinen Jüngern: „Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden” (Matth. 16, 24, 25). Da stellt es sich dann auch ganz schnell heraus, daß sie alle alles andere sind als Kreuzträger.

LeerUnd nun, wo sind unter uns die Kreuzträger, die bereit sind, sich selbst auszuschalten, ihr Leben zu hassen und sich ganz einzusetzen für Gottes Ehre und ihrer Nebenmenschen Heil? Nun merken wir auf einmal, daß Jesus alles andere eher brauchen kann, als wehleidige Menschen, die nur an sich denken und an ihr eignes Weh und Ach und an ihre teure Gesundheit und deren Erhaltung. Nun frage ich Dich, lieber Freund, der Du mir die Aufgabe gestellt hast, ein Wort über des Christen Kreuz zu schreiben, kann ein Blinder auch Kreuzträger sein im Sinne Jesu und wie Er es war? Ja, dann, wenn er sein Blindsein ganz vergißt und trotz demselben sich ganz hergibt, so viel er kann, sein Leben einzusetzen für die anderen und für seinen Herrn. Und ich frage, kann ein Missionar auch Kreuzträger sein? Ja, aber nur dann, wenn auch er bereit ist, jederzeit sein armes Leben in die Schanze zu schlagen. Es werden nicht viele sein, die dieses fertig brachten. Aber es hat solche gegeben. Denket nur etwa an einen Paulus aus Tarsus, der von sich sagen konnte: „Ich betäube meinen Leib und zähme ihn.” Oder denket an einen Hamilton in Uganda oder an einen Ludwig Nommensen. Willst Du, mein lieber Leser, ein Kreuzträger sein oder werden, dann mußt Du sein - ganz anders als ich. Du mußt gesinnet sein, „wie Jesus Christus auch war.” Wir wissen alle, wie es dort weiter heißt (Phil. 2, 5-8). Die das von sich sagen können, das sind die wahren Kreuzritter.

Nathanael Rösler

Linie

LeerMein verehrter, lieber Freund! Du fragst mich, warum ich gerade von Dir ein Wort über das Kreuz des Christen erbitte? Ich will es Dir sagen. Aber ich muß Dir zunächst gestehen, daß ich anfänglich nicht an Dich gedacht habe. Ich bat vielmehr einen scharfsinnigen jungen Theologen, mir einen recht klugen Aufsatz über dies Thema zu schreiben, und dachte mir, er würde uns mit zwingenden Gründen dartun, daß wir kein Recht haben, unser Kreuz und Ungemach mit dem Kreuze Christi zu vergleichen, vielleicht auch an das Wort Luthers zu erinnern, der solchen, die hier doch zu ihren Gunsten Vergleiche ziehen möchten, einmal sehr grob gesagt hat: Der Teufel leidet auch. Dies wollte ich gern einmal deutlich gesagt wissen, daß uns die Tatsache, daß wir zu leiden haben, noch keineswegs neben Christus stellt. Daneben war mir darum zu tun, daß der Mißbrauch vieler Gesangbücher mit dem Worte Kreuz, der es mit einem „und” neben das Wort Trost stellt, ins rechte Licht gesetzt würde. Denn das Kreuz ist für den Christen doch eben nicht das Zeichen des Leidens, sondern der Überwindung. Wo nur von Leid und Not als Schicksal die Rede ist, da ist Finsternis, wo sie aber als Kreuz, das Gott auferlegt und das in der Liebe zu ihm getragen werden will, verstanden werden, da ist Licht. Wir haben Kreuz und Schicksal miteinander verwechselt. Wieviele Christen sagen zwar, daß sie ihr Kreuz trügen, schleppen aber nur ein unfruchtbares Schicksal mit sich.

LeerVon dem jungen Theologen bekam ich eine Absage, weil er in seinem Leben noch nicht genug vom Kreuze erfahren habe, um ein Recht zu haben, darüber etwas zu sagen. Indem ich nun nach einem andern Umschau hielt, erinnerte mich einer unserer Freunde an Dich - und ich wunderte mich, daß ich erst dieser Erinnerung bedurft hatte. Wenn ich Dich nun bat, tat ich es nicht etwa deshalb, weil ich von dem wußte, was Dir besonders auferlegt ist - es ist ja auch manchem anderen Schweres aufgebürdet -, sondern weil wir wissen, daß für Dich das, was Du zu tragen hast, im Lichte Christi steht. Und ist es nicht für uns andere ein Gewinn, wenn über diese Dinge einer zu uns spricht, der mehr davon erfahren hat als wir? Und ist solch einem nicht auch von Gott ein besonderer Dienst ausgetragen, den anderen die Augen zu öffnen? So hat doch auch Paulus auf seinen leidenden Leib gewiesen und die Christen daran erkennen lassen, daß die „überschwengliche Kraft sei Gottes”.

LeerSo halte ich Dich denn doch für einen Kreuzträger? Ja gewiß, jedoch so, wie ich jeden Christen für einen Kreuzträger halten möchte. Denn wer dürfte warten, bis von ihm etwas Besonderes gefordert wird? Muß nicht ein jeder sein Leben auf die Weise in die Schanze schlagen, die ihm aufgetragen ist, der eine in ungewöhnlicher Führung, der andere im einfachen Alltag seines Erdendaseins? Wer brauchte wohl zu warten, ob er Gelegenheit findet, Christus nachzufolgen? Ist nicht ein jedes Menschenleben, wenn es im völligen Gehorsam Christi gelebt wird, eine Nachfolge Christi, Krenztragung? Ja, wenn! Nicht, was uns auferlegt ist, sondern wie wir es tragen, das ist es, was uns zu „Kreuzträgern” macht. Und das unterscheidet uns von Christus: daß er das Kreuz trug als der, der von keiner Sünde wußte, während wir es meinen als eine Strafe für unsere Schuld ansehen zu müssen, wenn Gott unsern Gehorsam fordert. Daß wir Gott gehorsam sein müssen bis zum Tode, ist keine Strafe, aber daß wir unter diesem Müssen wie unter einer Strafe leiden, das kommt von unserer Sünde.

LeerSo ist denn unser Kreuztragen eine fragwürdige Sache, wie Du uns so ernst und nachdrücklich deutlich machst, und wir können nichts Besseres tun, als ernstlich bemüht zu sein, darzutun, was wir schuldig sind, der eine mit Gold, weil ihm viel gegeben ist, der andere mit dem schlichten Kupfer seines gewöhnlichen Alltages.

LeerUnd wenn wir Dich nun sehen als einen, der mit Gold bezahlen muß - und darf, so wird es uns andern wohl leichter, unser Kupfer herzugeben....

Walter Uhsadel

Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 60-64

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
Haftungsausschluss
TOP