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von Wilhelm Stählin |
Vor allem anderen muß ich mir eine Sorge vom Herzen reden, die mich je länger desto mehr beunruhigt. Es geht heute in aller Welt darum, daß das Christentum aus der „Säkularisierung” gerettet wird, in die es in den letzten Jahrhunderten verstrickt wurde. Die christliche Kirche kann ihre göttliche Sendung in der Welt nur erfüllen, wenn sie sich ganz auf sich selbst, auf ihren Daseinsgrund und wahren Auftrag besinnt. Sie kann den Angriff der göttlichen Liebe auf die Welt nicht bezeugen, wenn sie mit dieser Welt, wie sie ist, in Frieden leben will und den Ehrgeiz hat, vor diesem innerweltlichen Urteil zu bestehen. Dieser Kampf um die Selbständigkeit der Kirche ist zum Teil ein Kampf um die äußere Ordnung in der Kirche, um eine von kirchenfremden Einflüssen möglichst unabhängige Leitung der Kirche. Auch dieser Kampf muß durchgekämpft werden; er ist vor allem dadurch erschwert, daß wir, die wir in diesem Willen einig sind, über die Wege die heute begangen werden müssen, verschiedene Meinungen haben, und darum auch in schwerwiegenden Dingen verschiedene praktische Entscheidungen treffen müssen. Aber dieser Kampf ist nur die eine Seite. Was hülfe es uns, wenn wir eine von staatlichen Machten völlig unabhängig Kirche erringen könnten, wenn die Wort-Führer dieser Kirche selbst, ohne es zu merken, in ihrem Denken und Handeln kirchenfremden Machten erlegen wären. Diese Gefahr wird in einem Punkte sehr deutlich. Überall in der Welt ballen sich heute große Machtgruppen zusammen, die sich in unversöhnlichen Fronten gegenübertreten. Die ganze Welt gleicht immer mehr jener Stadt, in der zwei zäh in einander verbissene Gegner jedes Haus, ja jeden Kellerraum zur Festung und zum Kampfplatz machen. Die Welt folgt dem Gesetz der Politik, in der es - nach Karl Schmitt - Freund und Feind und kein Drittes gibt. Diesem inneren Gesetz folgt auch das Denken. Die Toleranz, die es gern erträgt, daß der andere eben - der Andere ist, ist versunken. Der Liberalismus, der sich bemühte, auch dem Gegner gerecht zu werden, ist zu einem Schimpfwort geworden. Unzählige Menschen können nur noch in radikalen Gegensätzen denken, als ob sie auch geistig fortwährend im Schützengraben lägen. Dieses Gesetz unserer Zeit bedeutet für die Kirche eine große Versuchung. Sie weiß, daß die Geschichte Gottes in der Welt, wie sie uns die Bibel erzählt, anhebt mit der Scheidung zwischen Licht und Finsternis und hinzielt auf die Scheidung im letzten Gericht. „Wer nicht mit Mir ist, der ist wider Mich.” Aber nur allzuleicht und allzu oft hat die Kirche auf ihrem Weg durch die Geschichte vergessen, daß dieses letzte Urteil Gottes Urteil ist und daß der Herr Christus seinen Jüngern den Versuch, selbst diese Scheidung zu vollziehen, ausdrücklich verweist (Matth. 13, 24-30). Das Reich Christi und das Reich des Widersachers sind auch in der Kirche immer beieinander. Heute aber fällen unzählige ernsthafte, opferbereite Männer, denen es um die Reinheit und Selbständigkeit der Kirche geht, Urteile mit einer Sicherheit und einer Schärfe, als ob Gott sie zu Protokollführern im jüngsten Gericht bestellt hätte. Bei vielen dieser Männer habe ich immer wieder den Eindruck, daß sie dem Geist der Welt und der Zeit, den sie aus der Kirche fernhalten wollen, selbst verfallen sind. Diese Neigung zu radikalen und extremen Urteilen, in denen ebenso die Wahrheit wie die Liebe verletzt wird, ist eine Krankheit unserer Zeit; sie ist selbst eine Form der Säkularisierung, in der das politische Denken dieser Weltstunde das christliche Denken verfälscht. Weil es uns wirklich um die Unabhängigkeit und Überlegenheit des christlichen Amtes in dieser Zeit geht, darum erfüllt uns diese Krankheit, von der in Sonderheit viele Theologen heute befallen sind, mit Trauer und Sorge. Wir alle tragen schwer an dieser Verantwortung und empfinden diese Not als eine Wunde am Leibe unseres Volkes. Wir wissen mit Sorge und Schmerz, daß es unserem Volke nicht zum Heil gereichen kann, wenn jungen Menschen das, was ihren Eltern heilige und verpflichtende Wahrheit ist, verächtlich gemacht wird. Und wir sind zutiefst erschüttert, von welcher Unkenntnis und Oberflächlichkeit jene Urteile zumeist zeugen, die dort über das Christentum gefällt werden. Aber wir haben nicht die Macht, Dämme zu bauen gegen diese Flut des Hasses, die schon an unsere Kinder heranbrandet, und wir haben keine Möglichkeit, ihnen diese Konflikte zu ersparen. Vielleicht ist es gut so. Wenn junge Menschen von vornherein wissen, daß es nicht bequem, sondern gefährlich ist, in dieser Welt Christus zu bekennen - hat die Bibel jemals etwas anderes gesagt? -, so wird hier ein neues Geschlecht für eine in Wahrheit bekennende Kirche bereitet. Wir selbst können unseren Kindern und anderen jungen Menschen nur damit helfen, daß wir selbst mit unserem Christentum ernst machen. Vor Jahrzehnten hat eine damals führende Schicht das Wort geprägt, „dem Volke müsse die Religion erhalten werden”, - ohne sich selbst zu diesem Volke zu rechnen; vielleicht haben gerade deswegen so viele ihren Glauben verloren. Wir können unseren Kindern durch Belehrung, durch rechte christliche Unterweisung, durch Widerlegung mancher törichter Redensarten wohl etwas helfen. Ebenso wichtig ist, daß wir nicht nur als die Angegriffenen Verteidigung und Abwehr üben, sondern das starke Recht einer Kritik an dem herkömmlichen, oft so scheinbaren Christentum freimütig anerkennen und alles Gute und Wertvolle, das an die jungen Menschen herangetragen wird, sehen und würdigen. Das Entscheidende aber ist, daß wir ihnen selbst ein christliches Leben vorleben, für sie und mit ihnen beten und, so viel an uns liegt, ihnen die Kirche Jesu Christi in ihrem Glauben und Bekennen, in ihrem Beten und Singen, in ihren Festen und Sakramenten als eine lebendige Wirklichkeit zeigen. Ist nicht das immer wieder unsere letzte und eigentliche Not, daß wir so wenig glaubwürdige Gestalt der Christus bekennenden Gemeinde unter uns haben? Wie erschütternd und beschämend, wenn mir ein alter Mann, ein Pfarrer, erzählt hat, erst durch die Gruppenbewegung habe er verstehen gelernt, daß es der einfache Sinn alles Glaubens und aller Gottesdienste sei, daß wir uns Christus zu eigen geben! Daraus erwächst dann - das ist das zweite - der entschlossene Mut, begangenes Unrecht zu bekennen und, soviel an uns ist, was in Unordnung gewesen ist, in Ordnung zu bringen. Die Bereitschaft, bei kleinen Dingen des täglichen Lebens, in dem Verhältnis zum Ehegatten, zu den Weggenossen der Arbeit ernsthaft zu beginnen, ist die Probe auf die Echtheit solcher Buße; und die Menschen erfahren, wie sehr wirklich das Leben befreit wird, wenn das Hemmnis nicht eingestandener und nicht vergebener Schuld aus dem Wege geräumt ist. Und drittens: Da ist eine oft erstaunliche Leichtigkeit und Fröhlichkeit, eine Kindlichkeit der Gottes- und Bruderliebe, die so ganz anders ist als die auf Stelzen gehende Gescheitigkeit, als die schwierigen und komplizierten Gedanken, mit denen wir uns und anderen den Weg zum Himmelreich versperren. Wir wollen nun nicht sofort unser Gesicht in theologische Sorgenfalten legen und nach den Ketzernamen suchen, die in diesem Fall vielleicht anzuwenden wären, sondern.... Aber es wäre verkehrt, wenn wir nur dies freie und ganz persönliche Gebet gelten lassen wollten. Wenn wir uns unter eine feste Ordnung des Gebets stellen und formulierte Gebete gebrauchen, die uns in einem Buche oder in der Gebetsordnung der Kirche dargeboten werden, so fügen wir uns ein in die Schar der betenden Kirche und sind, auch wenn wir ganz in der Einsamkeit solches Gebet sprechen, nicht mehr allein; wir spüren die unsichtbare Gegenwart aller derer, die mit uns beten, als eine lebendige Macht, die uns trägt und mit emporträgt zu dem Thron Gottes. Ja, es ist wohl so, daß heute unzählige Menschen nicht mehr beten können. Ihre Stimme versagt, wenn sie Worte des Gebetes formen soll, und ihr Herz kann wie ein flügellahmer Vogel nur ängstlich flattern, wenn es sich zu Gott aufschwingen will. Hier tut die Ordnung des Gebetes einen entscheidenden Dienst. Sie nimmt uns mit, wo wir nicht allein gehen können, sie macht uns frei von unseren persönlichen Empfindungen und Nöten, von dem Widerstreit unserer Gefühle und Gedanken. Sie richtet uns aus auf die Wahrheit und Gnade Gottes und senkt die großen Anliegen der Christenheit in unser Herz. Wir lassen uns wie Kinder an der Hand der Mutter Kirche führen, bis die Kraft in uns gewachsen ist, eigene Schritte zu tun. Und dann, wenn wir längst allein und ganz persönlich beten können, vor allem auch das priesterliche Amt der Fürbitte zu üben gelernt haben, dann kehren wir erst recht mit Freude immer wieder heim in das Haus der Mutter Kirche, um mit allen Heiligen Gottes zu beten und zu loben. *: Vergleiche die Anzeige des Büchleins „Vom rechten Schreiben” in diesem Heft. Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 67-72 |
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