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Das Sakrament der Heiligen Taufe
von Karl Bernhard Ritter

LeerDie christliche Kirche wird in unseren Tagen in eine Lage geführt, die in eigentümlicher Weise der Lage gleicht, in der sie sich in den ersten Jahrhunderten der Welt gegenüber befindet. Das ist nicht so gemeint, als ob damit ein Ort bezeichnet wäre, der nicht grundsätzlich und zu aller Zeit der Standort der Kirche Jesu Christi in der Welt wäre. Aber dieser Ort wird heute wieder in besonderer Weise erkennbar. Damit erhalten nicht nur die Aussagen des Neuen Testamentes, sondern auch die Lebensordnungen dieser ältesten Zeit für uns ein neues Gewicht, ihr Gehalt an Wirklichkeit wird von uns unmittelbar erfahren. Wir müssen einsehen, daß die Kirche sich in dieser Welt nicht behaupten kann als eine theoretische Gemeinschaft gleicher Gedankenbildung über Gott und Mensch, als eine Vereinigung gleicher ethischer Haltung und sittlicher Zielsetzung, als eine Organisation zur Ausrichtung einer Verkündigung - daß sie vielmehr wesentlich der Ort eines wirklichen Geschehens von Gott her ist, der Ort, wo Christus immer aufs Neue in die Menschheit eingeht, sie zu ergreifen und sich zuzubilden.

LeerDenn wir haben wieder eine unmittelbare Anschauung von dem, was im Sinn des Neuen Testamentes die „Welt” ist, nämlich Herrschaftsbereich der widergöttlichen Mächte, die Stätte der Dämonen. Wir müssen erkennen, daß der Kampf der Kirche etwas ganz anderes ist als ein Kampf um die Weltanschauung, daß in ihm Gott selbst mit dem Satan kämpft. Damit lernen wir auch neu verstehen, warum die Aufnahme in die Kirche notwendig durch das Sakrament geschieht, das ist durch eine Tat Gottes an uns, durch den Eingang Gottes in unser irdisches Dasein, durch unsere Aufnahme in den Zusammenhang göttlichen Lebens.

LeerTaufe ist Opferhandlung, Opfer und Verklärung, die aus dem Opfer hervorgeht. In der Taufe wird der Täufling einbezogen in das Ereignis, das, von Gott in Christus zu unserem Heil gesetzt, sich in Kreuzestod und Auferstehung Christi vollendet. Jesus ist der Anfänger und Vollender unseres Glaubens. Er selbst nennt seinen Tod und seine Auferstehung die Taufe, mit der er getauft wird und verheißt seinen Jüngern, daß sie mit der gleichen Taufe getauft werden sollen. Das wird von seinem Apostel aufgenommen, wenn er die Taufe als ein Begrabenwerden mit Christus und ein Auferstehen mit Ihm bezeichnet (Röm. 6, 3-6). Diese Deutung widerspricht der Tatsache nicht, daß die Taufe als Sakrament am Anfang des Heilswerkes Jesu Christi steht und dementsprechend am Anfang jedes Christenlebens.

LeerDas Werk Christi ist in seinem ganzen Verlaufe eine Entfaltung jener Taufe, die an ihm durch Johannes im Jordan geschieht. Ebenso ist das ganze Christenleben eine Entfaltung dessen, was dem Christen in der Taufe geschehen ist. Jesus läßt sich taufen, um „alle Gerechtigkeit zu erfüllen”. Das will in seiner ganzen Tiefe verstanden sein. Er gibt sich ganz und gar an Gott hin. Er übergibt sich Gott im Opfer seines Lebens. Daß dies Opfer angenommen wird und sich über ihn, als er ans der Wasserflut auftaucht, der Himmel auftut und der Geist Gottes über ihn kommt und ihn erfüllt, das macht seine Taufe zum ersten wahren Sakramente, das auf dieser Erde geschehen ist. Nur durch seine Taufe ist auch die Taufe der Kirche Sakrament. Wir werden in Ihm Gott dargebracht und in Ihm von Gott angenommen, so daß auch uns die Stimme gilt: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe”.

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LeerAllezeit ist in der Kirche daran festgehalten worden, daß zum Wesen des Taufsakraments nur diese zwei Dinge gehören, die Taufformel (forma) und das leibhaftige Handeln mit dem Wasser (materia). Es wird getauft im Namen des dreieinigen Gottes, der in der Taufe Jesu handelt und in ihr den Anfang einer neuen Menschheit setzt. Aber die Kirche hat auch den Sinn des Taufsakraments in einem reichen Ritus entfaltet. Er erstreckt sich im christlichen Altertum über einen längeren Zeitraum. Was sich heute, bei der Kindertaufe etwa der katholischen Kirchen, in eine einzige Handlung zusammendrängt, das geschah einst in einer längeren Zeit der Vorbereitung und Prüfung und vollendete sich in einer feierlichen Folge von bedeutsamen Handlungen, die meist in der Osternacht vorgenommen wurden zum deutlichen Hinweis darauf, daß die Taufe eben dies ist, Anteilnahme an Tod und Auferstehung des Herrn.

LeerDie Entwicklung, die zur Kindertaufe führt, hat die Handlung verkürzt, stellenweise auch verändert. Was ursprünglich der Taufe vorausging, Unterweisung, Bereitung, Reinigung und Prüfung, das folgt heute der Taufe in der kirchlichen Erziehung nach. Was der Täufling selbst zu tun und zu sagen hatte, das wurde, zum Teil, von den Paten übernommen. Die Reformation hat auf der einen Seite eine weitere Reduzierung eingeleitet, auf der anderen Seite eine Erweiterung hinsichtlich der biblischen Lesungen gebracht. Die Handlung wird zurückgedrängt zu Gunsten agendarischer oder freier Taufvermahnungen. Dazu tritt der evangelische Choral in Gestalt der Tauflieder.

LeerDie Aufgabe der Gegenwart ist es, zu einer Ordnung zu kommen, die die Taufe ihrer Bedeutung entsprechend wieder in das gottesdienstliche Leben der Gemeinde einordnet und sie aus dem Winkeldasein eines privaten Aktes (Haustaufe) befreit. Der Gang der Handlung ist durch eine Besinnung daraus festzustellen, was bei der Erwachsenentaufe eigentlich geschieht, denn die Erwachsenentaufe ist, was wir heute neu einsehen, der Normalfall und daher ist die Kindestaufe als Sonderfall und Grenzfall des Sakramentes zu verstehen. Ist in der auf die Reformation folgenden Entwicklung das liturgische Handeln zugunsten der „Taufpredigt” zurückgedrängt worden, so empfinden wir heute wie viel einprägsamer und gewichtiger das leibhaftige, bedeutsame Handeln in der Taufe ist gegenüber allem Reden über die Sache. Schließlich zwingt die Geschichte der Taufliturgie zu einer Nachprüfung der Überlieferung unter dem Gesichtspunkt der sachgemäßen Form, nachdem diese Geschichte zum Teil sehr zufällig überlieferte Stücke zusammengefügt, beibehalten und verworfen hat, und die Verschiedenheit von Erwachsenentaufe und Kindertaufe bei aller Einheit des Sakramentes in der liturgischen Durchgestaltung nicht entsprechend unterschiedlich behandelt hat.

Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 123-125

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-24
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