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von Otto Haendler |
1. Es ist von großem grundsätzlichem Gewicht, daß eine beträchtliche Zahl geistig und literarisch führender Männer sich deutlich und nachdrücklich in gemeinsamem und zugleich bei jedem durchaus persönlichem Bekenntnis zum Christentum stellt. Dies um so mehr, als die Zahl der Beteiligten nur eine Auswahl ist, und als andererseits die literarisch Wirkenden den tiefgreifendsten Einfluß auf die Gestaltung der Volksseele ausüben. Allein die Tatsache, daß dies Buch da ist, korrigiert gründlich die immer noch weit verbreitete Meinung, als ob die „Gebildeten” und die „freien Geister” überwiegend dem Christentum kühl oder ablehnend gegenüberstünden. Dieser Zustand bestand einmal. Aber er hat sich gründlichst gewandelt. Und das ist tiefgreifender, als wenn er nie gewesen wäre. Unter dem Oberflächenstrom einer scheinbar breiten Ablehnung des Christentums geht heute ein tiefer, breiter Strom leidenschaftlicher Bejahung seiner Wahrheit und seiner Kraft, ein Wissen um seinen Segen aus ergründender Schau des eigentlichen Geschehens. 2. Diese ergründende Schau stellt sich dar als ein leuchtendes Zeugnis von der unlöslichen Verbindung germanischen und christlichen Wesens in der deutschen Geschichte. Sie ist gesehen von denen, die den Herzschlag der Seele zu erlauschen vermögen. Und sie lehrt, die schweigenden Zeugen sehen. Das ist der Sinn der Hinweise auf die Dorfkirche als Mitte des Dorfes, auf die Sprache der nordischen Stabkirchen, auf die Macht des Ulmer Münsters. Die Gestalten Luthers, Leibnitz' und Spees (gest. 1635) rufen beispielhaft die den meisten Deutschen in ihrer Tragweite unbekannte Tatsache ins Licht, daß vom Anfang deutscher Geschichte bis zur Gegenwart die überwältigende Mehrzahl der großen formenden Führer und Gestalter Deutschlands bewußt überzeugte und fromme Christen gewesen sind. Es ist nicht übertrieben, erst recht nicht „im Interesse” etwa „der Kirche” (die in dem Buch kaum in Erscheinung tritt), sondern entspringt echter Erkenntnis und echter Sorge, wenn die Überzeugung zum Ausdruck kommt, daß „jeder Versuch, christlichen Geist auszutreiben aus deutscher Art, sich mit Entartung bezahlt”, daß „das Deutschtum nicht im Gegensatz zum Christentum, sondern durch sein Christentum im deutschen Menschen lebt, daß das Christentum das Deutschtum nicht verfälscht, sondern verwirklicht”. 3. Das Buch ist im besonderen Maße dadurch zeitgemäß, daß es vom Christentum aus die konkreten Probleme des Lebens zu bewältigen unternimmt. Auch das beispielhaft. An der Spitze steht hier der bohrend tiefe, unerbittlich realistische Aufsatz von Martin Beheim-Schwarzbach, „Vom leibhaftigen Schmerz”. Er faßt das Problem an, das die Qual des Krieges und der Nachkriegszeit uns allen dringend gemacht hat. Er zerschlägt die immer noch weit verbreitete, als idealistische Verpflichtung empfundene Meinung, als ob der seelische Schmerz tiefer und dämonischer sei, als der leibliche. Dieser erst ist für uns die Vollendung der Qual, denn er quält die Seele mit, während seelische Qual den Leib frei läßt. Es wäre Entscheidendes gewonnen, wenn wir auf allen Gebieten in gleicher Art den echten christlichen Realismus herausstellen und damit die echte christliche Anthropologie in den Kampf der Gegenwarf hineinstellen wollten. 4. Im bemerkenswerten und bedeutsamen Gegensatz zu allem, was wir von theologischer und ausgesprochen „kirchlicher” Seite her zu erwarten und, off auch im nicht erfreulichen Sinne, zu erfahren gewohnt sind, erweckt dieses Buch nicht den Eindruck einer Einheit, (nicht einmal Einheitlichkeit), im Sinne einer „Lehre”, und es ist völlig unbekümmert um die „Korrektheit” seiner Aussagen im Sinne einer dogmatischen Norm. Und doch ist das zur normierten kirchlichen Aussage kein feindlicher Gegensatz, sondern eine sehr lebendige Ergänzung. Es geht durchaus so weit, daß Sätze darin stehen, die sehr viel eher allgemeine „Religion”, als Christentum zum Ausdruck bringen. Aber sie liegen alle auf der Linie zum Christentum, wenn nicht auf der Linie zum Christus. Gerade hier ist das Buch lebendiges Zeugnis, und wiegt nicht nach der Zahl der Stimmen, sondern als Ausdruck des Empfindens einer äußerst großen Zahl Deutscher, die in tiefem Ernst zu Christus stehen. Und die Kirche kann nicht dringend genug aus das Problem hingewiesen werden, ob nicht gerade diese Menschen ein sehr gewichtiger und unentbehrlicher Teil der Kirche im tiefsten und zugleich im konkretesten Sinne sind. Zumal verständliche Sorgen mindestens in dem einen Punkte durch das Buch behoben werden, daß die Verpflichtung und Forderung des Glaubens bei den „freieren” Geistern nicht im mindesten kleiner genommen wird, als in der Mitte der Kirche. 5. Von der Kirche spricht das Buch kaum. Dennoch ist es nicht nur ein Wort an diese, sondern es festigt die Erkenntnis, daß eben diese „Kirche”, die irgendwie erfaßbar ist, lebt von den Kräften, die in lebendigen Strömen gleichsam „unter” der Kirche hingleiten, oft, sehr oft, als der Strom, der sie trägt. Wenn dieses Zeugnis echt ist - und daran kann gar kein Zweifel sein -, dann ruft es die Kirche auf zu einer ganz großen und freudigen Weite. Dann gibt es der Auseinandersetzung der „Richtungen” und „Gruppen”, sie innerlich in den Hintergrund drängend, einen größeren Maßstab: daß maßgeblich zu trennen und zu verbinden ist nach der Echtheit und Tiefe des Ringens um Christus. Ja, daß wir überhaupt nicht trennen oder verbinden, sondern daß der große Gang der Geschichte, den Gott gibt, wichtigere, gnädigere und weisere Scheidungen und Einungen vollzieht, als menschliche Enge und Not der Frontlage es tut und kann. Aber daß Gott seine Kirche schafft in deutschen Landen, daß ein neues Brudersein da ist und gelebt werden soll, oft von solchen, die sich nicht kannten oder glaubten nicht kennen zu dürfen, - diese freudige Gewißheit wird durch das Buch erneut gefestigt und vergrößert, und das sollen wir ihm nicht nur danken, sondern das Einssein um Christus leben und beglückt erfahren, wo immer wir können. Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 148-150 |
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