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von Walter Blankenburg |
Deshalb wird heute die Betrachtung eines Liedes, das wie das vorstehende von dieser Welt singt - es ist nach der Ordnung der „Lieder für das Jahr der Kirche” das Lied für den Michaelistag - vor allem Hilfen bieten müssen, in dieser Welt nicht eine schöne Fabel, sondern eben ein Stück Lebenswirklichkeit zu erkennen. Sie kann das aber nur, wenn wir uns von vornherein von den Vorstellungen der Sinnenwelt lösen, die es etwa zu übertragen gäbe auf die doch immer unvorstellbare höhere Gotteswelt. Noch an einer anderen Stelle verrät sich der moderne Mensch, der sonst „an nichts glaubt”, wie man auf dem gesund denkenden Lande ihn zu kennzeichnen pflegt, daß er um eine geheimnisvolle Kraft weiß, dann nämlich, wenn er besonders vom „Glück” abhängig ist, z. B. beim Autofahren. Lange Zeit hat er es mit einem Talismann in Gestalt einer Puppe versucht, aber da dieser allzu häufig seine Hilfe versagt hat und die Zahl der Verkehrsunfälle nicht geringer geworden ist, hat er ihn wieder in Ungnaden entlassen. Aber er hat sich dabei entlarvt. Und wenn der moderne Mensch so gemeinhin von Glück und Unglück redet, so versucht er - bewußt oder unbewußt - damit nur einen auch bei ihm tatsächlich vorhandenen Glauben an eine unberechenbare Welt zu umschreiben. Wo und wann in uns selbst diese Welt noch Zweifel hervorruft, sollten wir uns auf solche Erfahrungen selbst zur Rede stellen und den gleichen Dienst freilich auch unseren Mitmenschen erweisen. Noch aber sind wir bei der Erinnerung an solche Lebenserfahrungen nicht beim Hauptinhalt unseres Liedes angelangt. Es ist ja so bezeichnend, daß dem undankbaren Menschen der Neuzeit im allgemeinen nur das Unglück zur Frage wird und nicht auch das Glück. Nun handelt aber unser Lied - gerade darin erweist sich sein ganz zentraler christlicher Charakter - von den Engeln der Liebe, von den Schutzengeln, an deren Spitze der Erzengel Michael steht und deren Schöpfer und Meister Christus ist. Wir alle sollen unseren Engel nach Christi Liebeswillen haben, der unser Leben nach allen Richtungen hin behütet, unser geistlich-seelisches ebenso wie das äußerlich-leibliche; denn der Teufel geht auf das Ganze. Nicht allein der Unglaube kommt von ihm, der Zweifel, die Ablehnung, der Streit und die Zersetzung, sondern auch das Leid, die Krankheit und der Unglücksfall. Mit seinem zerstörerischen Sinn rastet und „feiert er nicht”, er will den Menschen nicht zur Ruhe und Besinnung kommen lassen (Vers 5), denn eine Ruhepause könnte ja den Menschen den Satan auf seine wahre Absicht hin durchschauen lassen. Unmöglich für uns, unsere Zeit nicht immer wieder unter dem Schriftwort „der Teufel weiß, daß er wenig Zeit hat” (Offenbarung 12, Vers 13) zu bedenken! Wiederum bedeutet es vielleicht eine Hilfe, wenn wir unsere Frage besonders vom leiblichen Leben her betrachten. Wie oft wandeln wir am Abgrund und wissen es nicht; erst hinterher wird es uns bewußt, daß das Leben an einem seidenen Faden gehangen hat. War es Zufall oder Glück, daß wir davon gekommen sind? Christenmenschen wissen, daß es keinen Zufall auf Erden gibt und daß das Unglück vom Teufel kommt. „Wo ihm nicht wehrt der Engel Schar, unser Leib, Seel, Blut, Haut und Haar kein Stund blieb unverletzet.” Denn der Kampf, der im Himmel entschieden ist (Offenbarung 12, Vers 9 f.), findet auf Erden seinen Fortgang. Ja es gibt sogar Stunden, in denen der Teufel ungehindert von Gott hier herrschen darf zur Lehre und Mahnung für die Menschen, daß sie Gottes Liebe besser achten und verstehen lernen. Darum sagen wir auch, daß Gott es ist, der das Leid schickt. Aber das ist die Freude des Christen, daß diese Welt niemals völlig den satanischen Mächten preisgegeben sein wird, sondern daß auf ihr die unsichtbaren Gottesboten nicht aufhören zu wandeln, die, wie Nikolaus Herman von ihnen singt, die schönsten Kreaturen sind und zwar deshalb, weil sie ganz und gar Gottes Licht und Glanz widerstrahlen und weil sie das schönste Amt, das es gibt, innehaben, nämlich den ewigen Lobpreis vor Gott bringen zu dürfen (Vers 2 und 3 im Anschluß an Jesaja 6). Wir wollen uns davor hüten, in einem solchen Lebens- und Weltverständnis, wie es in unserem Lied seinen Niederschlag gefunden hat, ein etwas abseitiges Stück der christlichen Glaubenserkenntnis zu sehen. Nicht nur daß sich unser Lied völlig auf die Bibel gründet, darüber hinaus zeigt die Umrahmung durch den ersten und letzten Vers, daß das ganze Lied nichts anderes sein will und kann als ein christliches Lob- und Danklied; denn Christi Streiter sind die Engel, denen wir befohlen sind und die den Endkampf auf der Erde führen. Die Sendboten von Gottes Liebe sind sie, die sie auf geheimnisvolle Weise verwirklichen. Möchte das schöne und wahre Lied mit dazu beitragen, das „Fest von den lieben Engeln” unserer Kirche von einem schwachen Überbleibsel aus einer früheren Zeit zu einem wirklichen Fest zurückzuführen. Wie das im vorigen Heft besprochene Johannislied Nikolaus Hermans, dessen Ähnlichkeit mit unserm Liede in Bezug auf die äußere Anlage unübersehbar ist und das ebenfalls aus des Dichters „Die Sonntagsevangelien über das ganze Jahr in Gesänge verfasset für die Kinder und christliche Hausväter” (1560) stammt, trägt auch unser Lied, aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens, keine eigene Weise Hermans, sondern in diesem Falle eine ältere. Es ist eine schöne, feste und gesunde Dur-Melodie in der Art der Tenores, wie wir sie in vielen Liedsätzen des 16. Jahrhunderts finden. Ihre Wiedereinführung wird keine Schwierigkeiten bereiten. Evangelische Jahresbriefe 1937, S. 173-176 |
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