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Christum wir sollen loben schon
von Walter Tappolet

Christum wir sollen loben schon

LeerJahr für Jahr erklingen die innigen Krippenlieder. Und wenn wir einander zusingen:
„Singt und klingt,
Jesu, Gottes Kind
Und Marien Söhnelein!
Singt und klingt,
Unserm lieben Jesulein
Im Krippelein
Beim Öchslein und beim Eselein”
Leerdann stehn wir voll Freude vor der Krippe und lassen uns vom Lichterglanz des Weihnachtsbaumes durchwärmen. Die alte Kirche aber kannte noch nicht die lieblichen Lieder vom Kind in der Krippe. Anbetend beugte sie sich vor dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes und erhob sich über Raum und Zeit im Lobpreis des Schöpfers.

Leer„Christum wir sollen loben schon.” Durch Himmel und Erde soll dieser Ruf schallen, bis „an aller Welt Enden”. Die ganze Menschheit, aber auch der weite Kreis des Kosmos wird zu Danksagung und Lobpreis aufgefordert; denn das Mysterium der Heiligen Nacht ist das Geschehen der Gnade an allem, was da ist und lebet. Gott Vater, „der selig Schöpfer aller Ding”, wird Mensch, damit wir göttlich würden. In unserem Herrn Jesus Christus wird Er der Heiland, der durch Seine Erniedrigung als Mensch von unserem Fleisch uns arme, in Gottferne und Dunkelheit gefallene Wesen erlöse. In der Armseligkeit der Krippe nimmt Er unsere Schmach auf Sich, damit wir, Seine Geschöpfe, nicht ganz verdürben, sondern zur Freiheit der Gotteskindschaft zurückgeführt würden. Ob dieser unfaßbaren Barmherzigkeit des gnädigen Vaters jubeln die himmlischen Chöre und die Scharen der Engel lobpreisen den Herrn in unaufhörlichem Frohlocken. Die „armen Hirten”, deren Leben nichts ist als Lieben und Dienen, erfahren zuerst die frohe Botschaft. Durch ihren Glauben sind sie zum Schauen auserkoren:
„Denkt doch, was Demut ist!
Seht doch, was Einfalt kann!
Die Hirten schauen Gott
am allerersten an!”
Leer„Der Schöpfer aller Welt” kommt ja als Hirte zu uns armen, verlorenen Menschen! So wird der Kreis geschlossen: Christus, geboren von Maria, der reinen Magd, wird gelobt, samt Vater und heiligem Geist, „von nun an bis in Ewigkeit”; denn die Menschwerdung Gottes ist der Anbruch der neuen Zeit.

Linie

LeerEtwas seltsam Schwebendes kennzeichnet den Rhythmus der Weise. Es ist nicht das feste Schreiten, das sachte Gehen oder das muntere Tanzen der uns vertrauten Rhythmen; denn es ist ein Rhythmus, der nicht durch den Ablauf des musikalischen Taktes bestimmt ist. Zwar ist er ebenso wenig der Willkür preisgegeben. Aber er ist gewachsen aus einer ganz anderen Art organischer Gliederung und gesetzmäßiger Bewegung. Der Rhythmus dieser Weise ist verwandt demjenigen der geformten Sprache. Auch die melodische Linie mutet uns erst fremd an. Sie gleicht weder der nach außen gerichteten Fröhlichkeit des Dur, noch der in sich gekehrten Schwere des Moll. Die vorliegende Weise steht in einem alten Kirchenton, und zwar im phrygischen. Dieser hat mit dem Grundton e die Halbtonschritte von der 1. zur 2. (e-f) und von der 5. zur 6. (h-c) Stufe und als Gegenpol (Reperkussionston) zum Grundton die 6. Stufe (c), die hier auch die obere Grenze der melodischen Kurve bildet. Auffallend ist der Beginn der ersten und letzten Zeile mit der großen Untersekunde (d), was einen erst irreführt und glauben machen kann, es handle sich um den dorischen Kirchenton.

LeerWenn wir erst ganz leise summend uns in die Klangfolgen hineinzuhören versuchen und wenn so allmählich die Weise in ihrer Abgeklärtheit auf uns zukommt, dann werden wir alsbald von dem ausgeglichenen Hinauf- und Hinabschwingen und von dem leicht schwebenden Umkreisen der gleichen Töne gehoben und getragen. Es steht vor uns die Erhabenheit des Gregorianischen Chorals, dessen Gesänge aus einer andern, fernen Welt an uns heutige Menschen heranklingen. Wenn wir das Wesen dieser durch und durch kultischen Musik erfahren und ganz in uns aufnehmen wollen, müssen wir sie in meditativer Versenkung in uns eingehen lassen. Sie kann nie Ausdruck unseres rein menschlichen Empfindens sein. Sie ist die Musik der leidenschaftslosen, reinsten Anbetung und für uns eine Kunde des Unsagbaren und eine Verheißung der Seligkeit immerwährenden Gottschauens. Wenn wir uns der Botschaft dieser Musik öffnen und sie durch unsere Seele hindurchklingen lassen, so werden wir durchhellt und spüren den Flügelschlag der Engel...

LeerDie hier wiedergegebene Weise ist diejenige, die zu dem lateinischen Hymnus des Caelius Sedulius (5. Jahrhundert) gehört:
„A solis ortus cardine
Ad usque terrae limitem
Christum canamus principem
Natum Mariae virgine”
LeerWir finden sie auch als Cantus firmus in alten Orgelkompositionen, von denen das gewaltige Werk des Michael Praetorius am bekanntesten geworden ist. Schon im 14. Jahrhundert kamen Übertragungen des lateinischen Textes ins Deutsche auf; im 16. und 17. Jahrhundert, so berichtet Wilhelm Thomas, wurde überall, ungeachtet der Konfession, die obenstehende Umdichtung Dr. Martin Luthers gesungen. Dieser hat auch die Weise vereinfacht und sie dadurch in ähnlicher Weise zu einem deutschen Choral umgestaltet wie manch anderes altes Volkslied. Diese zusammengezogene und fest rhythmisierte Fassung der Melodie steht im Quempas-Heft. (1)

Linie

LeerEs gab eine Zeit, in der dieser älteste und erhabenste Weihnachtshymnus nicht mehr gesungen wurde. Die Worte empfand man als fremd, ja als unverständlich. Ein rationalistisches Begreifenwollen der Sprache strauchelte an der früher häufig vorkommenden Umbildung von „schön” in „schon”. Hier steht sie gewiß nicht nur des Reimes auf „Sohn” wegen, sondern zur eindringlichen Steigerung der Vokalharmonie des „o”, desjenigen Lautes nämlich, der ganz unmittelbar die Klangwerdung des anbetenden Lobpreises ist. Erst in unserer Zeit ersteht der uralte Weihnachtshymnus in Luthers gültiger Umdichtung und in der glücklichen Verminderung von den acht auf die vier wesentlichen Strophen zu neuem Leben. Und er hat bereits da und dort entscheidende Bedeutung gewonnen dafür, daß das laute Feiern eines sinnentleerten „Weihnachtsfestes” abgetan werde und wir wieder zum innersten Wesen der Christgeburt zurückfinden. Laßt uns nicht bei der Lieblichkeit und warmen Nähe der Krippen-Idylle stehen bleiben! Wir sollen in die Tiefe des Mysteriums geführt werden. Immer wieder müssen wir uns hineinnehmen lassen in die weite Spannung von Jubel und Bittruf: „Des freu sich alle Christenheit Und dank ihm des in Ewigkeit. Kyrieleis.”

LeerNur wenn wir aus Schuld und Not Herzen und Hände emporheben, kann sich an uns Gottes Heilsratschluß, die Gnade des Weihnachtswunders, erfüllen. Wenn wir die Tiefe des Mysteriums haben ahnen dürfen, dann werden auch die zarten, innigen Krippenlieder durchklingend für den letzten Sinn des Geschehens der Heiligen Nacht.

LeerMöchte doch dieser alte Lobgesang, in dem alle Welt Gottes, des Herrn Menschwerdung in Christus Jesus preist, uns dazu helfen, daß wir immer tiefer unsere Knie beugen in Ehrfurcht und Anbetung und unser Weihnachtsfeiern durchleuchten und heiligen lassen zur Ehre Gottes, des Vaters!

(1): Auslese deutscher Weihnachtslieder, BA 444, ... Bärenreiter-Verlag Kassel

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 13-17

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-16
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