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von Wilhelm Stählin |
Die Evangelische Michaelsbruderschaft hat in diesem Jahr zum ersten Mal den Versuch gemacht, statt einer Gesamttagung drei landschaftlich gegliederte Einzeltagungen zu halten in Neuendettelsau, Isenhagen und Marburg. Von der wahrhaft beglückenden Aufnahme, die wir in Neuendettelsau gefunden haben, habe ich schon im Michaelisbrief berichtet. Die Hauptvorträge hielten uns in Neuendettelsau Pfarrer Dr. Stökl über Wilhelm Löhe, in Isenhagen Landesbischof und Abt D. Marahrens über Gerhard Uhlhorn, in Marburg Pfarrer und Dozent Lic. Maurer über August Vilmar, also über drei Väter des deutschen Luthertums. Es war uns ein überraschendes Erlebnis, in diesen Vorträgen zu spüren, in welchem Maß bei diesen Männern Erkenntnisse über das Wesen der Kirche und Forderungen für ihre Gestaltung und ihren Dienst an der Welt lebendig waren, die heute von ganz anderer Seite her unsere Bruderschaft geformt haben. Die beiden Vorträge über Vilmar und Löhe werden in unserer Schriftenreihe erscheinen. Die Tagungen dieses Sommers haben uns das Bewußtsein gegeben, daß unsere Bruderschaft in ihrer Entwicklung jetzt einen gewissen Abschnitt erreicht hat. Jahre der tastenden Anfänge, der Versuche und ersten Erfahrungen liegen hinter uns. Die Bruderschaft hat in ihren Gottesdiensten und in der Ordnung ihres Lebens feste Formen gewonnen; Dinge, die wir als kühnes Wagnis begonnen hatten, sind uns selbstverständlich geworden. Es ist kein Zufall, daß gerade an diesem Punkt unserer Entwicklung zum ersten Mal auch einige Glieder unseres weiteren Kreises an unseren Feiern haben teilnehmen können. In mündlichen und brieflichen Äußerungen klingt die dankbare Freude darüber nach, daß diese Keimzelle eines wirklichen kirchlichen Neubaus da ist. In noch stärkerem Maß als bisher werden wir bemüht sein, allen denen, die nach wirklicher Beheimatung im Gebet und Sakrament der Kirche, nach geistlicher Bindung verlangen, mit der Erfahrung und der Lebensgemeinschaff unserer Bruderschaft zu dienen, das heißt praktisch: Es soll noch mehr als bisher sichtbar werden, daß die Treffen unseres Kreises durch das gemeinsame Werk von Brüdern getragen werden. Das neueste Heft vereint zwei Vorträge, die Friedrich Schauer und ich über „Geistliche Zucht” gehalten haben. Dies Heft geht insonderheit unseren ganzen Berneuchener Kreis an. Ob dieser unser Kreis rein literarisch verbunden, im Wesentlichen ein Kreis religiös interessierter Einzelner bleibt, oder ob hier lebendiges Wachstum kirchlicher Gemeinschaft, Anfänge einer neuen Gestalt der Kirche sichtbar werden, hängt wesentlich davon ab, ob die Glieder dieses Kreises in einer festen Ordnung des Gebetes und Sakraments stehen, und ob sie willens sind, geistliche Zucht an sich üben zu lassen und einander darin zu helfen. Ich bitte dringend darum, daß bei den Treffen an Hand dieser neuen Schrift, vor allem ihres Schlußteiles diese Fragen ernsthaft erwogen werden. Wichtiger freilich als solches Gespräch darüber ist, daß wir über alles unverbindliche Interesse und alle bloße Zustimmung hinauskommen und heilsame Erfahrung gewinnen auf dem Wege geistlicher Zucht, den unsere Kirche sehr zu ihrem Schaden verlassen und verloren hat. Unter den Mahnungen des Hebräerbriefes zu geduldigem Vertrauen steht auch die Mahnung: Laßt uns nicht verlassen unsere Versammlungen! Während wir mit heißer Sehnsucht und mit großer Hoffnung ausschauen nach der künftigen Gestalt des Christentums und seiner Kirche, deren Anfänge unter uns schon sichtbar werden, sollen wir zugleich unserer gegenwärtigen Kirche in ihrer Knechtsgestalt, ihrer Zerrissenheit und all ihren Mängeln die Treue halten. Wir sollen uns nicht so sehr abhängig machen von der Unzulänglichkeit vieler einzelner Erscheinungen, auch nicht davon, ob man uns mit Verständnis und Freundlichkeit begegnet oder nicht. Es gehört auch zu jener christlichen Freiheit und Gelassenheit, daß wir unverdrossen teilnehmen an dem Leben unserer Gemeinden und nach dem Dienst ausschauen, den wir, wir Einzelnen, an diesem unserm Ort leisten können. Laßt uns dabei nicht so viel von „Berneuchen” reden! Es geht nicht um unsere Ideen, unsere Ordnungen, um die Erhaltung und das Wachstum unseres Kreises, sondern um unseren Dienst an der Kirche. Und wo uns Ablehnung oder Widerstand begegnet, wollen wir uns ernstlich fragen, ob sich dieser Widerstand gegen das Werden echter Kirche richtet - auch das gibt es nämlich, auch in der Kirche! - oder gegen einen verkehrten Eifer, der ohne Weisheit, Geduld und Liebe ist. Nun scheint es mir umgekehrt sehr bedenklich solche Äußerungen als Argument in unseren Überlegungen über geistliche Übung zu verwenden. Schon unter uns wird das Wort „Meditation” in sehr verschiedenen Bedeutungen gebraucht; wir haben nie einen Zweifel darüber gelassen, daß wir damit etwas anderes, etwas sehr viel tiefer Greifendes verstehen, als jene vorbereitenden Predigtüberlegungen, die man herkömmlich als Meditationen bezeichnet. Vollends weiß jedermann, der sich damit in irgend einem Grade beschäftigt hat, wie schwer, wenn nicht unmöglich, es ist, die Begriffe der chinesischen Philosophie und Psychologie in eine unserer abendländischen Sprachen zu übertragen. Wer von uns weiß denn genau, was sachlich in den Äußerungen von Frau Tschiang Kai-schek da gemeint ist, wo in jenen deutschen Wiedergaben das Wort „Meditation” steht? Von echter Meditation kann nur ein aufgeklärter Abendländer, aber gewiß kein Mensch des Ostens so geringschätzig reden, wie es hier geschieht. Den Unterschied, auf den dort hingewiesen wird, kennen wir wahrhaftig auch und nehmen ihn sehr ernst; den Unterschied, ob wir mit der Wirklichkeit Gottes in Berührung kommen, von seiner Kraft ergriffen, geleitet und erfüllt werden, oder ob wir bei uns selber bleiben und im Grunde nur mit unserer eigenen Seele Zwiesprache halten. Aber kann uns das nicht gerade auch dann widerfahren, wenn wir zu beten versuchen? Ist die Form des Gebetes eine Sicherung gegen diese Gefahr, daß unsere Worte leer zu uns selber zurückkommen? Und umgekehrt, es ist nicht nur ein Wunschtraum, sondern eine sehr ernsthafte Erfahrung, daß wir „meditierend” uns eben wirklich der Sache selber hingeben und sie als eine unserer Willkür und unserer Meinungen entzogene Macht an uns verspüren. Wenn man also solche Worte heute bei uns in Deutschland verbreitet, um vor Meditation zu warnen, so entspringt das genau jener Selbsttäuschung, gegen die sich meine Äußerungen im Gottesjahr 1938 richten, und es kann vielleicht manche Menschen abhalten, eine ihnen angebotene Hilfe geistlichen Lebens und geistlicher Erfahrung zu gebrauchen. Ich denke mir die Sache so, daß sich zunächst die Einzelnen, denen es um ein eindringendes Verständnis der Heiligen Schrift zu tun ist, um diese Frage mühen. Es können und sollen sich aber auch ein paar zusammentun, um miteinander um Klarheit und Erkenntnis zu ringen. Manchem mag es auch Freude bereiten, den besonderen Zusammenhang aufzudecken, der diese Seligpreisungen mit Advent, Weihnachten und Epiphanias verbindet. Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 29-33 |
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