Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1938
Jahrgänge
Autoren
Suchen

Das Kreuz auf dem Berge
von Bernhard Martin

Das Kreuz im Gebirge LeerVon den in Öl gemalten Bergbildern Caspar David Friedrichs ist das erste besonders bekannt geworden, das man „Das Kreuz im Gebirge” nennt. Man sieht auf steilem und kahlem Felsen einige Fichten emporklettern. Der Gipfel des Felsens wird aber von keinem Baume eingenommen, sondern auf ihm steht, höher als der höchste der umstehenden Bäume, ein schlankes, hohes Kruzifix. Dies alles vor einem rötlich-violett getönten Abendhimmel, dessen Wolken in schweren Streifen über der Landschaft lagern, der aber von den Goldstrahlen der hinter dem Berge stehenden Sonne durchlichtet wird.

LeerDamals, als das Bild bekannt wurde, fand es keineswegs eindeutig freundliche Aufnahme unter den Kunstverständigen. Später wurde es besonders beliebt. In der letzten Zeit häufen sich die Wiedergaben, aber kaum eine von ihnen gibt die Wesens-Echtheit und -Schlichtheit des Gemäldes selbst wieder, dessen Farben völlig frei sind von jener unbehaglichen Süßigkeit, die sich bei fast allen Wiedergaben nur schwer übersehen läßt.

LeerDaß dieses Bild so schwer Aufnahme fand, das hat, kurz gesagt, seinen Grund darinnen, daß es „etwas bedeutet”. Caspar David Friedrich hat gerade in dieses erste seiner großen Bergbilder Gedanken eingearbeitet, und man mußte erst lernen, im Landschaftsbild die Gedankensprache zu vernehmen. Die eingearbeiteten Gedanken aber sind zweifacher Art: erstlich solche, die er nicht im Bewußtsein trug, die „nur” durch seine Kunst Gestalt geworden sind. An dem Bilde vom Kreuz im Gebirge kann man besonders leicht erkennen, wie sehr die Meinung eines Künstlers hinter dem wahren und gewaltig wirkenden Wesen seiner Kunstschöpfung zurückbleiben kann, wie wenig er selber der erschöpfende Erläuterer seines Ideengehaltes ist. Caspar David Friedrich hat über dieses Bild Folgendes geäußert:

Leer„Jesus Christus an das Holz geheftet ist hier der sinkenden Sonne zugekehrt als dem Bilde des ewigen allbelebenden Vaters. Es starb mit Jesu Lehre eine alte Welt, die Zeit, wo Gott der Vater unmittelbar wandelte auf Erden. Diese Sonne sank, und die Erde vermochte nicht mehr zu fassen das scheidende Licht. Da leuchtet vom reinsten, edelsten Metall der Heiland am Kreuz im Golde des Abendrots, und wieder strahlt so im gemilderten Glanz (die Sonne) auf Erden. Auf einem Felsen steht aufgerichtet das Kreuz unerschütterlich fest wie unser Glaube an Jesum Christum. Immergrün, durch alle Zeiten während, stehen die Tannen um das Kreuz, wie die Hoffnung der Menschen auf ihn, den Gekreuzigten.”

Linie

LeerDiese Worte sind das ergreifende Zeugnis der Ergriffenheit des Künstlers selbst von -dem Anblick dessen, was er dann in seinem Bilde dargestellt oder wiedergegeben hat. Er hat dieses Kreuz irgendwo gesehen, in der freien Landschaft. Das Kreuz war von Metall, kann also garnicht das Kreuz auf Golgatha sein. Die grünen Bäume waren auch da. Der Anblick muß die Seele des damals noch jungen Künstlers im Innersten erschüttert haben. Er ging heim, malte das Bild und suchte in den angeführten Worten sich selber über sein Erlebnis Rechenschaft abzulegen, vielleicht auch Anderen den Weg zu dem Bilde zu weisen.

LeerAber so innig und echt seine Worte klingen, sie muten doch an, als blieben sie weit hinter dem Wesen des herrlichen Gemäldes zurück. Wollte man sie wörtlich und unmittelbar nehmen, so würde der Anschein entstehen, der Künstler habe ein christliches Lehrgut in Bild-Sprache wiedergeben wollen. „Auf einem Felsen steht ausgerichtet das Kreuz unerschütterlich fest wie unser Glaube an Jesum Christum.” In der Folgezeit sind ja viele Künstler gekommen, die in dieser Art Lehrgut in Bild-Form darzustellen versucht haben. Aber nie entsteht große Kunst, wo sich ihr Wesen so leicht und treffend in Worten ausdrücken läßt, wie es der Fall wäre, wenn Caspar David Friedrichs Worte den Gehalt seines Werkes erschöpften. Weil er Maler war, konnte er nur mit der Farbe, nur durch das Bild aussprechen und ans Licht bringen, was ihn erfüllte. Seine Worte können allenfalls Wegweiser zum Verständnis sein, keineswegs mehr. Oder kommt irgend jemand dem Wesen, dem Geheimnis des Bildes dadurch näher, daß er erfährt: „Immergrün, durch alle Zeiten während, stehen die Tannen um das Kreuz, wie die Hoffnung der Menschen auf ihn, den Gekreuzigten ?” Was Friedrich in der Landschaft beobachtet und dann gemalt hat, war unendlich viel tiefer und unmittelbarer als solche belehrenden Sätze, die zwischen Idee und Wirklichkeit nur eine äußere Beziehung herstellen, nicht jene zwingende, selbstverständliche, bei der jeder Zweifel von vornherein schweigt. . .

LeerDas Bild zwingt seinen Betrachter in eine starke Bewegung hinein, und zwar nicht bloß eine Bewegung des Gemütes, sondern eine Bewegung des Geschehens. Es ist von einem starken Auftrieb durchwaltet, führt von unten nach oben, aus der Niederung in die Höhe, aus dem Tale auf einen Gipfel. Scharf und deutlich prägt sich der Berg mit seiner Dreieckform ein. Von den beiden unteren Bildecken steigt er zur Mitte steil empor. Das Kruzifix sammelt die Aufmerksamkeit. Und zwar garnicht, weil das Kruzifix irgendetwas bedeutete, sondern durch die Bild-Anlage selber. Es würde auch so sein, wenn statt des Kruzifixes etwas Anderes im Mittel stünde. . . Die Aufwärtsbewegung des Bildes wird noch gesteigert durch die Fichten, die an dem Berge emporklettern. Sie sind so gemalt, daß man in ihrer Verteilung oben diese Strebung und Bewegung gewahrt; und die Aufwärtsbewegung wird noch einmal verstärkt, indem die Bäume nicht ganz bis zum Berggipfel vordringen, sondern hier den Raum für das von Menschenhand erbildete Kruzifix freilassen. Man kann das mit Worten so ausdrücken: Das Menschenwerk führt über das bloß Natur-Gegebene hinaus. Das weiß Jedermann. Ob es einem einfällt im Anblick dieses Bildes, ist auch nicht einmal so wichtig. Daß aber diese Tatsache im Anblick des Bildes wirkt, kann nicht zweifelhaft sein. Denn sie stellt sich zu dem Anderen, was hier gestaltet ist, organisch und sprechend hinzu.

Linie

LeerMan hat eben im Ganzen und Großen vier Dinge vor sich auf Caspar David Friedrichs Bild: erstens den kahlen und nur spärlich bewachsenen Felsen, zweitens die an ihm aufstrebenden Fichten, drittens das Kruzifix in der Bildmitte und viertens den Sonne-durchwalteten Himmel. Etwas vom Verhältnis „Himmel und Erde” ist in dem Bilde Gestalt geworden, wie auch der Berg und seine Bäume „Erde” dem „Himmel” entgegenzutragen scheinen. Wo aber geschieht dies entgegentragen? Wie kommt man dazu, der Natur solche Eigenschaften zuzusprechen, ihr solche Regungen zuzulegen?

LeerDas ist nur möglich, weil diese Eigenschaften und Regungen im Menschen selbst vorhanden sind und weil alles äußerlich Sichtbare, also auch Fels, Baum, Kruzifix und Himmel, Gleichnis des Innern des Menschen ist.

LeerDen harten, kahlen Felsen trägt man in sich. Er ist weder gut noch böse, kann aber mehr zum Einen und mehr zum Anderen werden. Er kann als Hartherzigkeit erscheinen und als starke oder starre Willenskraft. Er kann seelische Verödung verbildlichen oder auch die Macht, von der Christus sagte, daß auf ihr Kirche gebaut werden könne. Den Felsen-in-sich muß man spüren und spürt man auch, wenn man genügend lange das Bild betrachtet. Auf dem Festen leben wir, dem „Festen” in jedem Sinne des Wortes. Man kann also auch an die feste Erde denken, auch an unseren Knochenbau, an das, was in der Seele „fest” ist.

LeerJa, aber das Feste ist im Menschenleben nie allein. Es wird vom Leben erfüllt, das Starre wird in einen Werde-Strom gezogen. Immer ist es der Untergrund für Wachsen und Wandeln. Wie die Pflanzen aus der kahlen Erde sprießen, wie die Fichten am Berge hochklettern, so entfaltet sich in uns, im Leiblichen und im Seelischen, das Leben. Man wird auch das Leben-in-sich gewahr, wenn man lange genug das Bild beschaut. Darin besteht ja gerade das Geheimnis der Landschaftskunst Caspar David Friedrichs, daß er in der Landschaft als solcher Menschliches ausspricht, daß er den Menschen gewissermaßen als Landschaft darstellt: Das Menschliche verbreitet sich über die Wett...: „Die Fichten klettern am Berge empor”...

LeerAber sie kommen nicht bis zum Gipfel. Oben steht ein Anderes, das Kruzifix. Dieses kann nun gewiß nur im Anschluß an das Kreuz auf Golgatha verstanden werden. Aber im Anschluß an dieses Kreuz ist es auch auf so vielen Gipfeln errichtet worden; und wo man es auch trifft: immer spricht es die gleiche Sprache. Diese Sprache ist keineswegs in erster Hinsicht eine Sprache des Lehrgutes oder des Bekenntnisses. Ja, was in dieser eigenartigen Sitte der Kreuz-Errichtung auf den Gipfeln sich ausspricht, das kann gerade aus dem Bilde vom Kreuz im Gebirge besonders leicht entnommen werden: Die Natur, das bloß Lebendige auch, stellt noch nicht den „Gipfel” des Menschlichen dar. Über ihnen waltet Seele, walten Schmerzen, Schicksale, Opfer, Entbehrungen, Prüfungen, Leiden.

Linie

LeerSo oder so besehen oder benannt, ist das menschliche Erdenleben eine Tragik. Nur der Flachling lebt über diese Tatsache hinweg. Es gibt im Leben, so oder so besehen und benannt, „Kreuz” zu tragen. Man kann das selbstverständlich auch anders nennen. Aber es ist dann trotzdem dieselbe Sache: Gerade das Große, das Gute, das Herrlichste kann nur gegen Widerstände und nur im Leiden hier auf Erden erscheinen. So ist es dem Größten ergangen, Jesus Christus. So geht es jedem seiner Nachfolger, aber auch denen, die nicht wissen, daß auch sie ja seine Nachfolger sind, einfach weil sie die von ihm geprägte, geheiligte, große Bahn nicht meiden können. Man kann sie anders deuten, aber nicht meiden . . . Das „Kreuz” steht auf dem Fichten-bestandenen Berge. Oder will nicht jeder Edle sich opfern, Leid auf sich nehmen, sich verströmen?

LeerAber nun gibt es hinter dem Kreuze, hinter dem Berge noch den Himmel und die Sonne. Caspar David Friedrich hat sie als Abendsonne erlebt und mit dem väterlichen Gotte in Beziehung gesehen. Das ist Deutung, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Weit wichtiger ist dies, daß der Künstler hinter das Kreuz, hinter den Berggipfel die Sonne überhaupt gesetzt hat, daß er von ihr den ganzen Himmel erleuchtet sein und die goldnen Strahlen ausgehen läßt. Man stelle sich doch einmal das Bild ohne die Strahlen der Sonne vor! Dann würde ihm das Beste, der Sinn-Zusammenschluß, die wahrhaft menschliche Sprache fehlen. Dann wäre auch das Kreuz auf dem Berg ohne zündende Sprachkraft. Demi mit dem „Kreuze” ist ja das Leben und erst recht seine Auffassung, seine Führung, seine Erfüllung keineswegs zu Ende. Gerade die Menschen, die viel von dem „Kreuz” wissen - womit hier zunächst nichts Anderes gemeint ist als das Leiden und das Opfer - gerade sie kennen auch das Licht, das Leiden und Opfer durchglüht und mit Ewigkeitsgehalt durchsetzt.

LeerDieses Licht aber ist nun einmal nicht in der Ebene, nicht in satten und dumpfen Niederungen zu finden. Auch findet es derjenige noch nicht, der es sozusagen nur bis zu den kletternden Fichten bringt. Man muß schon etwas auch das Kruzifix kennen, schicksalhaft kennen, vielleicht garnicht so sehr nach Lehre und Absicht, aber kennen, und dann erstrahlt jenes Licht, für das es zutreffende Worte weiter nicht gibt. Was über das Verhältnis von „Kreuz” und Sonne hier gemeint ist, hat Schiller im Wallenstein mit den Worten gesagt: „Nacht muß es sein, wann Friedlands Sterne strahlen!” Man kann denselben Sachverhalt außerordentlich verschieden ausdrücken.

Leer Die Aufwärtsbewegung aber, die dem Bilde vom Kreuz im Gebirge eingeprägt ist, führt den Menschen von der Ahnung seiner irdischen, festen Natur über die Ahnung seines Lebendigseins, über die Ahnung seines Schicksals in Leid und Opfer zu der Ahnung des Lichtes, von dem alle Großen sonderlich erfüllt waren, ohne das aber doch nicht ein einziges Menschenleben würdig und sinnvoll verläuft.

LeerMan hat also in dem Landschaftsbild zugleich ein Menschenbild vor sich, das tief und immer tiefer zu sprechen und zu wecken vermag. Von den Worten aber, die Caspar David Friedrich selbst über sein Bild ausgesagt hat, kommen seinem Wesen am nächsten diese: „Wieder strahlt so im gemilderten Glanz die Sonne auf Erden.”

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 52-56

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-05
Haftungsausschluss
TOP