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Geistliche Übung (Meditation)

LeerDas Ziel aller geistlichen Übung ist das Offenwerden für Offenbarung. Die Offenbarung des göttlichen Geheimnisses geschieht von Gott her, geschieht in dem Ereignis, in dem uns der Heilige begegnet. Kein Mensch verfügt über diese Begegnung. Indessen der Mensch kann sich für dieselbe bereiten, er kann „hören”, horchen lernen, er kann sich aufschließen, locker werden, fruchtbarer Boden. Eine Hilfe für solche Lockerung ist die Meditation, die sinnende Betrachtung. Meditation ist im Unterschied zu dem uns gewohnten gliedernden Denken ein „umkreisendes” Denken, eine Anschauung von Gestalten, Bildern, Zeichen, deren Sinn wir immer enger umkreisen, in deren Sinn wir uns versenken, den wir vergegenwärtigen in lebendiger Wiederholung.

LeerEs gibt drei Stufen der Meditation. Der erste Schritt, welchen wir hier tun können, ist die Tiefenschau, der zweite die Bereitschaft, der dritte der Gehorsam. - Damit aber diese drei Schritte getan werden können, muß der Betrachtende eintreten in den Raum des Schweigens. Denn „das Wort liegt in der Seele verborgen, so daß man es nicht weiß und nicht hört, ihm werde dann Raum gemacht im Grunde des Hörens” (Meister Eckhart). Wir machen der Sinnkraft eines Wortes, eines Bildes, eines Zeichens Raum, in dem wir schweigen, alle Laute und Stimmen in uns auslöschen, damit wir hören lernen im Grunde der Seele. Denn hörfähig, locker, aufgeschlossen werden, was heißt das im Blick auf meine seelische Wirklichkeit? Es heißt, daß zunächst einmal Ich abgebaut werde, denn Ich - bin ja immer schon ein System von Meinungen, Willensrichtungen, Gefühlsweisen, die sich als Schichten in mir abgelagert haben, die in die Tiefe meines Unterbewußtseins eingewurzelt sind, sodaß ich mich selbst nicht verstehe in meinem Empfinden, sodaß ich über mich selbst nicht verfuge in meinem Wollen, sodaß ich mir selbst nicht durchsichtig bin in meinem Wissen.

LeerDer hart getretene Weg der Gewohnheit (meiner Denkgewohnheit, meiner Gefühls- und Willensgewöhnung) hat mich verschlossen, stumpf, unfruchtbar gemacht. Und selbst, wenn ich nun hören will auf das Wort des Lebens, ich kann es nicht mehr, weil die tieferen Schichten meines Wesens verhärtet sind zu Stein. Darum hat dann das gehörte und vielleicht sogar verstandene Wort keine Wuchskraft, weil es nicht Wurzel schlägt in der Tiefe meines Wesens. - Nun aber trete ich ein in den Raum des Schweigens. Das kann ein Tempel sein, der geweihte Raum einer Kirche, in welchem ich mit Andern gemeinsam schweige; es kann eine Landschaft sein, ein Wald, ein Berg oder das offene Meer; das kann auch die innere Einsamkeit sein, in der ich unter anderen Menschen allein bin, ein Schicksal, in das ich hineingezwungen bin, gleichviel - wenn dieser Lebensraum mir nur zum Raum des Schweigens wird, des hörenden Schweigens, des Schweigens vor Gott. Dann vermag ich den ersten Schritt zu tun: die Tiefenschau.

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LeerIn der Tiefenschau betrachte ich ein Zeichen, ein Bild, eine Gestalt, ein Wort, und vertiefe mich in seinen Sinn. Dadurch komme ich zur Besinnung. Besinnung ist die innere Bewegung, in der ich eine Gestalt umkreise, bis mir ihr ganzer Sinn, ihr Sinn für mich, aufgeht, ihr Reichtum und ihre Tiefe. Diese innere Bewegung muß ich üben, und zur Übung gehört zweierlei: die leibhafte Haltung und die Wiederholung.

LeerAls Urbild der Tiefenschau diene uns die Gestalt des geistlichen Ritters (Eph. 6, 14-18): „So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angezogen mit dem Panzer der Gerechtigkeit, und an den Füßen geschuht, zu treiben die Frohbotschaft des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösewichtes, und nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.”

LeerIch schaue diese Gestalt an und bilde sie in meiner leibhaften Haltung ab: ich stehe, stehe fest in soldatischer Haltung, in der zuchtvollen Haltung eines Menschen, welcher seine Lenden umgürtet hat, welcher wach ist und wachsam, welcher „in Form” ist, aber durchformt von innen her, vom Grunde her, von der Wahrheit. - Ich wiederhole diese Übung in meinem Alltag; ich umkreise ihren Sinn, ich vertiefe mich in das Wort Wahrheit, daß es sich mir ganz entfaltet: die Wahrheit, mit der ich mich umgürte, die mich durchformt, durchläutert, klar und wach macht, d. i. die innere Wahrhaftigkeit, welche in alle dunklen Orte meines Wesens hineinleuchtet und alle heimlichen Schleichwege meines Geistes aufdeckt; Wahrheit, die mich ernüchtert und wachsam macht, die meine Augen hell macht, d. i. die Kraft der Bewährung, die meine Handlungen, meine Reden und meine Stimmungen durchlichtet. Hier aber erkenne ich, was das bedeutet: im Kampf mit meiner eigenen Finsternis und im Kampf mit meiner Umwelt gepanzert sein mit Gerechtigkeit.

LeerGerechtigkeit, - ich schaue die Gestalt des ritterlichen Menschen an, dessen Brust umschlossen ist von dem Panzer der Gerechtigkeit. Und ich sinne dem Worte nach: gerecht sein, sachlich sein, einer Sache gerecht werden, einem Menschen gerecht werden, und ich lerne verstehen. Die Wurzel aller Gerechtigkeit ist die Kraft zur Wahrheit; die Frucht der Gerechtigkeit aber ist die Kraft zum Frieden, die Kraft zur Umfriedung meines Hauses, meines Lebenskreises, in den mein gewandeltes Wesen einstrahlt. Aber ich verstehe auch dies: solche ritterliche Tugend besitze ich nicht aus eigener Kraft: die Wahrheit zeigt mir ja gerade meine Unwahrheit, und die Gerechtigkeit den Mangel meiner Bewährung! Aber ich stehe, stehe im Kampf und leiste Widerstand an den bösen Tagen, in den bösen Stunden meiner Seele, denn ich verlasse mich nicht auf meine Tugend, sondern ergreife den Schild des Glaubens und lerne beten:
Du bist mein Schirm und Schild.
Ich hoffe auf dein Wort!
LeerUnd ich kämpfe den guten Kampf des Glaubens: Ich hasse die Flattergeister (den Zweifel, die Sorge, den Unmut, die Bitterkeit) und liebe dein Gesetz (Ps. 119, 114).

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LeerSo bringt mich die Tiefenschau, immer mehr zur Besinnung. Um mich aus der Zerstreuung meines Wesens zu sammeln, will ich ein sichtbares Bild zur Hilfe nehmen: die Gestalt des Ritters mit dem Schwert (vom Schleswiger Brüggemann-Altar, Photogr. von Elisabeth Paulsen, Schleswig). Ist es doch das Geheimnis der christlichen Kunst des Mittelalters, daß ihre Gestalten derart von innen her geformt sind, daß hier seelisches und geistliches Leben sichtbar und spürbar wird. Darum sind die Gestalten der gotischen Plastik eine Meditationshilfe. - Ich schaue an die Gestalt des Ritters: den Panzer, den Helm, das Schwert, und plötzlich sehe ich: das Wesentliche dieser Gestalt ist das Antlitz des Mannes: da ist ein wachsames Auge, ein Blick der Wahrheit, da ist ein fester Mund, ein Wille zur Gerechtigkeit und die ganze Haltung dieses ritterlichen Menschen sagt: ich wache über dem Frieden der Stadt.

LeerNun aber genügt solche Anschauung, solche Tiefenschau noch nicht, um mein Wesen zu wandeln. Ich kann das alles verstehen und doch der Alte bleiben. Ich muß nun den zweiten Schritt tun: den Schritt zur inneren Bereitschaft.

LeerIndem ich ihn tun will, merke ich, daß dieser Schritt viel, viel schwerer ist als der erste. Nun erst merke ich, wie Wort und Wesen in mir auseinanderklaffen. In die innere Bereitschaft, die Bereitschaft des Hörens, die Bereitschaft des Tuns muß ich mich immer wieder hineinbeten, indem ich täglich bitte: Herr, segne meine Willigkeit. Und ich muß mich durch alle Widerstände meines Wesens hindurchleiden, bis meine Seele endlich locker wird, aufgebrochener Acker für die Einsaat des Wortes.

LeerDas Urgleichnis solcher Bereitschaft ist das Gleichnis von Saat und Ernte. Es wurde gesprochen am Gestade des Sees, in der Weite der Landschaft, im Raum des Schweigens.

LeerDenen, die es hören, wird gesagt: Ihr müßt Euer geistliches Gehör nun üben, müßt in die Tiefe horchen, wenn das Saatgut des Wortes Wurzel schlagen und Frucht tragen soll. Da ist mancherlei Boden, da sind vielerlei Schichten in deinem Gemüt, in denen die Aussaat nicht gedeiht. Du mußt heruntergehen von dem harten, ausgetretenen Weg des Alltags, von dem Weg der Gewohnheit, damit nicht die Menschen deiner Umwelt und die Flattergeister deiner eigenen Gedanken kommen und das Wort zerreden. - Dann aber gehört zur Bereitschaft des Hörens die Versenkung. Du mußt sie tief in dich hineinsinken lassen, die Worte, die Bilder, die Zeichen und ihrem Wirken, ihrer Formkraft standhalten. Wo man nicht standhält, wo man den Sinn nur obenhin erfaßt, da kann das Wort nicht Wurzel schlagen und muß verdorren in dem Sandboden deiner Seele. - Oder es muß ersticken unter der aufschießenden Last und Sorge deines Daseins.

LeerAber - wie schwer ist das, den alltäglichen Sorgengeist und die alltägliche Gewohnheit meines Lebens zu bannen! Ich muß mich hineinbeten! Aber kann ich denn beten? so beten, daß ich mich wirklich sammle, daß ich mit Ernst zu sagen vermag:
Ich neige mein Herz,
zu tue nach deiner Weisung!
LeerIch neige mein Herz! Ich neige mein Haupt; ich beuge meine Kniee, ich schließe meine Hände, ich sammle mich mit meinem ganzen Leibe und bin dir bereit!

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LeerKann ich es, kann ich es wirklich? Ach nein, ich kann es nicht, es ist nur Phrase! Kann ich es denn nicht lernen, üben; gibt es eine Übung zur Bereitschaft? Ich sinne und horche und vernehme das Wort Christi im Kampf mit dem Dämon: „Diese Art kann nicht ausfahren, es sei denn durch Beten und durch Fasten!” -

LeerUnd durch Fasten ! Der Sinn des Fastens geht mir wieder auf: des Fastens als Askese, d. h. als Übung, als Zucht des Geistes; (und nicht nur negativ als „Entsagung” !) - Aber kann denn ein Mensch des heutigen Berufslebens fasten im eigentlichen Sinne dieses Wortes? Ich glaube, er kann es nicht; doch kann er ein Anderes: er kann (eine Zeitlang) auf eine ihm liebgeworbene Gewohnheit verzichten, freilich eben nicht, um zu verzichten, sondern um sich dadurch in Zucht zu nehmen, zu sammeln und zu bereiten für ein Anderes, Höheres, für die hohe Schule des Gebetes. Denn Fasten und Beten gehören zusammen! So sinnlos das Fasten wäre als ein „gutes Werk” der Entsagung, so sinnvoll ist es als geistliche Übung, als Hilfe zum Gebet, als Hilfe für die Bereitschaft des Hörens, in der ich das Urwort des Lebens „höre und behalte in einem feinen, guten Herzen.” - Wenn ich es tue, dann ist mir verheißen, fruchtbar zu werden und die empfangenen Worte weiterzusagen zum Segen für Andere.

LeerDiese Verheißung nehme ich nun in meinen Alltag hinein. Hier aber zeigt es sich, daß ich die geistliche Übung, soll sie wirklich fruchtbar werden, fortsetzen muß auf der dritten Stufe, der Stufe des Gehorsams.

LeerAuf der Stufe des Gehorsams ist das Handeln des Alltags getragen von der Bereitschaft des Hörens. Bleibe ich darin, dann wird mein alltägliches Tun geführt und ausgerichtet durch den ewigen Sinn in den empfangenen Zeichen, Bildern und Gestalten. Dazu aber gehört die Kraft der Vergegenwärtigung. Nun merke ich, was das bedeutet, praktisch bedeutet: umgürtet sein mit Wahrheit und angezogen mit Gerechtigkeit! Es bedeutet die Vergegenwärtigung des geschauten Bildes oder des gehörten Wortes in den Brennpunkten des alltäglichen Daseins. in den Augenblicken der Entscheidung, das ist die „fruchtbare” Meditation, welche nachklingt in dem Gebot der Stunde, welche sich eingräbt in die Lebensführung meines Alltags. So kann es sein, daß mein ganzer Tag gestaltet, daß ich mit Leib und Seele ausgerichtet werde, durch das Wort: „Dein Name werde geheiligt!” Daß Sein Name - in mir, in meinem stündlichen Tun und Reden geheiligt werde. - ich will es heute üben! Herr, segne meine Willigkeit! und dann kann es geschehen, daß in begnadeter Stunde die geistliche Übung zur geistlichen Erfahrung wird, daß in den Augenblicken der Versuchung (der Eitelkeit, der Gier, der Rache, des Neides) der Angriff des Widergeistes abgeschlagen wird.

LeerIn diesem Augenblicke aber wird aus dem Gehorsam die - Freiheit geboren, die Freiheit, die Klarheit, die Freude. - und wenn die Erfahrung ausbleibt? Wenn ich den Sinn nicht mehr verstehe, weil es ganz dunkel um mich wird? Dann will ich mich der geistlichen Führung anvertrauen, der Führung der Männer und Frauen, die mir in Vergangenheit und Gegenwart begegnen im Lebensraum der Kirche; der Männer und Frauen, welche das Urwort des Lebens hörten und hören, welche die Klarheit Gottes schauten und schauen im Angesichte Jesu Christi und diese Klarheit widerspiegeln in der Reife ihres Herzens, in dem Leuchten ihres Auges, damit durch sie entstünde die Erleuchtung, die auch meinen Weg hell macht.

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 56-59

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-05
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