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Die Auferstehung Christi nach Matthias Grünewald
von Bernhard Martin

LeerAlle vier Evangelienbücher, Matthäus, Markus, Lukas und Johannes erzählen ausführlich und anschaulich den Tod Jesu Christi an dem Kreuze auf Golgatha. Von dem Ereignis der Auferstehung schweigen sie und berichten nur die Erlebnisse, die einigen Menschen nach der Auferstehung zuteil geworden sind. Die Auferstehung selbst übergehen sie anscheinend nicht aus dem äußerlichen Grunde, daß kein Mensch ihr unmittelbarer Zeuge war, sondern aus dem inneren, daß für dieses Ereignis die Mittel der irdischen Schilderung versagen. Wenn es schon von dem Engel heißt „Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Kleid weiß wie Schnee”: Was müßte dann von Christus selbst ausgesagt werden? - Was sich auf dem Berge Tabor zugetragen hat, während die Jünger schliefen, oder im Garten Gethsemane, als ihre Augen „voll Schlafs waren”, darüber schweigen die Evangelienbücher nicht. Auch über Christi Auferstehung hätten sie gesprochen, wenn nicht offenbar hierüber ein heiliges Schweigen hätte gebreitet bleiben sollen.

LeerÄhnlich wie in den biblischen Berichten ist es auch in den Darstellungen, die diese Berichte in der bildenden Kunst gefunden haben. Unermeßlich ist die Zahl der Darstellungen aus der Passionsgeschichte, unermeßlich die Zahl derer aus dem Leben Jesu, nicht unbeträchtlich die Zahl solcher, die Begegnungen mit dem Auferstandenen behandeln. Die Auferstehung selbst ist verhältnismäßig wenig zum Gegenstand der Kunst geworden. Die Künstler haben in ihr offenbar ein zu gewaltiges, ein nicht mehr zu schilderndes Ereignis gesehen. Und sie sprengte ja auch den Raum des Irdischen und mußte wohl sozusagen abgemildert werden, ehe Begegnungen der Menschen mit dem in einen neuen Lebens-Zustand übergegangenen Welt-Erlöser stattfinden konnten.

LeerIsenheimer Altar - AuferstehungUnter den Bildern, die der Auferstehung Christi gewidmet sind, ist das vom Isenheimer Altar von Matthias Grünewald am bekanntesten geworden. Es ist auch wohl die kühnste, gewaltigste Darstellung des Geschehens, gemalt von einem etwa achtundzwanzigjährigen, mit unerhörten Visionen begnadeten Künstler, in seiner ersten, großen, aufstrebenden Zeit um das Jahr 1510 entstanden.

LeerDer Isenheimer Altar ist ein gotischer Flügelaltar. Indem er zweimal aufgeklappt werden konnte, vermochte er drei ganz verschiedene Bild-Folgen darzubieten. Die Auferstehung hat Matthias Grünewald als rechtes Bild der mittleren Bilder-Reihe gemalt: Links sieht man die Verkündigung, in der Mitte Maria mit dem Kinde und das sogenannte Engelkonzert, rechts die Auferstehung.

LeerDas Auferstehungsbild gibt seine Entstehungszeit kund durch die Trachten der Grabes-Wächter, von denen man zwei sehr genau sehen kann, vor allem aber durch den Falkenwurf des großen Lakens, das Christus, bereits emporschwebend, aus dem offenen Grabe mitgerissen hat. So hat um 1500 ein Zeitgenosse Luthers ein Bild der Auferstehung gesehen und gegeben:

LeerIm Vordergrunde liegen zwei der Grabeswächter, noch wahrend des Hinstürzens gemalt. Im Hintergrunde sieht man die beiden anderen niederfallen. Das Grab selbst steht auf ebener Erde, ist sarkophag-ähnlich und anscheinend auf braunem Kiesboden, während in der Nähe die Erde mit Gras bedeckt ist und vorn rechts sogar noch der Stumpf eines Baumes sichtbar wird. Von der Landschaft kann man nichts bemerken als einen merkwürdig ungestalten Felsblock und einige Wolkenzüge, die beide nicht so ganz zur irdisch-dinglichen Welt gehören, sondern einen Übergang zur unsichtbaren bedeuten. Über dem Grabe aber schwebt Christus, mit erhobenen Armen und flach gebreiteten Händen. Seine fünf Wundmale sind zu sehen, sein Antlitz dem Beschauer zugekehrt. seine Gestalt von mächtiger, farbenreicher Aura umgeben, er selbst eine hell leuchtende Lichtquelle für die ganze Umgebung, die mitten in dunkler Nacht bei schwarzem Himmel und Sternenschein gar nicht ohne ihn wahrzunehmen wäre. Es ist also nicht viel auf dem Bilde zu sehen.

LeerUmso eindrucksvoller ist der Gegensatz zwischen der hellen Christusgestalt und dem schwarzen, nächtlichen Himmel, dem schimmernden Farben-Licht-Ring und der dunklen Erde, dem aus eigner Kraft und Macht frei schwebenden Christus und den schwer am Boden haftenden Wächtern. Dies alles ist großartig, in seiner Art unübertrefflich, von einem Künstler gemalt, der durch dieses Bild allein sich als einen der Größten ausgewiesen hat.

LeerNun aber entsteht die Frage: ist dieses Bild der Wirklichkeit der Auferstehung Christi ganz angemessen? Hat Matthias Grunewald eine geschichtliche Wirklichkeit darstellen wollen oder eine übergeschichtliche? Was ist es eigentlich zutiefst, was uns. die Betrachter, an dem Bilde ergreift?

LeerDie Auferstehung selbst ist unsagbar, unmeßbar. unausdrückbar, noch ganz anders gewesen als sie selbst auf diesem gewaltigen Bilde dargestellt ist. Sollte Christus wirklich von einem so ebenmäßigen, man mochte sagen: friedlichen Lichtschein umgeben gewesen sein, und sollte er wirklich seine Hände so symmetrisch ausgebreitet haben, um einem unsichtbaren Zuschauer seine Wundmale zu zeigen?

LeerEs ist berechtigt und sinnvoll, anzunehmen, daß Matthias Grünewald dies selber wußte und daß er sein Bild nur als einen Abglanz der geschichtlichen Tatsache und der ihm persönlich zuteil gewordenen Vision gemeint hat. Ein Abglanz aber ist das Bild wirklich von dem wirklichen Ereignis und das ist viel. Die Wahrheit des Bildes jedoch liegt sicherlich erst hinter seiner Erscheinung. Nicht das Einzelne, sondern sein Ganzes bringt etwas - nicht alles - von der Auferstehung zum Ausdruck. Es ist deutlich zu bemerken, daß Matthias Grünewald sein Bild nicht äußerlich-geschichtlich gemeint hat. Auch um 1500 wußte man bereits, daß die römischen Soldaten zur Zeit des Erdenlebens Christi nicht so bekleidet und bewaffnet waren, wie sie auf seinem Bild bekleidet und bewaffnet erscheinen.

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LeerVor allem aber sagt das Evangelium eindeutig aus, daß das Grab, in das der Leib Christi gelegt wurde, in einen Felsen gehauen war und eine Tür besaß, vor die man einen Stein als Verschluß wälzen mußte. Matthias Grünewald hat kein Felsengrab gemalt, sondern ein rechteckiges, auf ebener Erde liegendes fein behauenes Marmorgrab, das eine Deckplatte verschloß. Die Auferstehung muß - nach Grünewalds Bild - so gedacht werden, daß der aus dem waagrechten Grab emporfahrende Christus die Grabes-Deckplatte gehoben, bei Seite geschoben und zur Erde geworfen hat, um sich den Weg in die Höhe zu bahnen. Das ist - wenigstens äußerlich - nicht in Übereinstimmung mit dem evangelischen Bericht.

LeerInnerlich ist es jedoch umso mehr mit ihm in Übereinstimmung. Der rechteckige Marmor-Sarkophag, den Grünewald - übrigens auch auf dem Bilde der Grablegung in der Predella des Isenheimer Altares - als Raum für den toten Christus gemalt hat, hat allerdings nicht so oder ähnlich im Garten des Joseph von Arimathia gestanden. Er ist aber ein Bild der festen, der anorganischen, der unbelebten, der sogenannten toten Erde. Man muß bei der Betrachtung des Bildes die Einzelheiten und ihr Zusammenspiel beachten. Der vierkantige, schwere Sarkophag ist nicht das Einzige seiner Art: Der Vierzahl begegnet man in der Zahl der Grabeswächter wieder. Vier Grabeswächter und das nach dem Gesetz der Vier behauene Steingrab gehören zusammen: Sie beide vertreten, verbildlichen, versinnbildlichen die Todeswelt, deren Überwindung die Auferstehung selbst und zuinnerst ist.

LeerIm Gegensatz zu dieser Welt der Vier, der Starre und des Todes steht der Lichtkreis um den aufsteigenden Christus. Der Lichtkreis als solcher steht in eindeutig und wahr sprechendem Gegensatz zu allem, was im Zeichen der Vier am Erdboden auf dem Bilde zu sehen ist. Der Kreis wird dem Viereck entgegengestellt als seine Überwindung, wie das aus Christus ausstrahlende Licht der irdischen und nächtlichen Dunkelheit. Matthias Grünewald hat die Wahrheit im Bilde dargestellt, obwohl und weil er nicht den Versuch gemacht hat, nur Geschichtliches zu gestalten.

LeerSo ist auch der Baumstumpf im rechten Bild-Vordergrunde von unerhört eindrucksvoller Sprachkraft. Da wird niemand denken: hat nun im Garten des Joseph von Arimathia ein solcher Baumstumpf gestanden oder nicht? Sondern wer diesen Baumstumpf wirklich bemerkt, wie er so einfach und scheinbar nur um eine Lücke im Bilde zu füllen da steht, dem kann sich seine Zusammengehörigkeit mit der Welt der wie tot da liegenden Wächter und des aus Stein gehauenen Grabes nicht entziehen. Diese scheinen dem Künstler - so kann man das Anschaubare in Worte übersetzen - wie abgehauene Baumstümpfe. Sie haben keine Wachstumskraft mehr. Aus einer erstorbenen Welt und für eine erstorbene Welt stieg Christus aus dem Grabe empor.

LeerUnd auf sie auch fällt durch ihn und seine Tat ein neues Licht. Was uns immer nur dunkel und tot erscheinen würde, das erhält durch die Auferstehung einen neuen Glanz. Auch das ist eine der in dem Bilde durch Formen und Farben ausgesprochenen Wahrheiten.

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LeerWer will den Versuch machen, das Ereignis der Auferstehung auf eine Tagesstunde festzulegen? Wer will mit Sicherheit sagen, warum Grünewald einen tief schwarzen Nachthimmel gemalt hat, auf dem sogar die Sterne erscheinen? Aber eine Tatsache ist auf diese Art durch das Bild ausgesprochen worden. Man kann sie so umschreiben: in eine durch und durch dunkle Welt ist durch die Auferstehung ein neues, verheißendes Licht gekommen. Nie ist Christus so als das Licht der Welt dargestellt worden wie auf diesem Bilde seiner Auferstehung.

LeerUnd so stehen die schlicht erhobenen Arme, friedeverheißend wie das sehr klare Antlitz im Gegensatz, zu den umpanzerten Armen der Soldaten, die lichten, freien Hände im Gegensatz zu den bewaffneten der unten Hingesunkenen, der farben-lichte Mantel im Gegensatz zu den schweren Rüstungen derer, die doch in Anbetracht der Auferstehung mit Rüstungen nichts mehr anzufangen vermögen.

LeerMatthias Grünewald hat nicht die geschichtliche Seite der Auferstehung Christi darstellen wollen, sondern ihre übergeschichtliche. Und demgemäß ist es auch die übergeschichtliche Wahrheit, die den Betrachter zuinnerst anspricht.

LeerAuf den Betrachter weht etwas herüber von der im Bilde ausgesprochenen Wahrheit. Marmor-Sarkophag, Wächter, Baumstumpf, Nachthimmel, Waffen, schwebende Christ-Gestalt, Licht-Kreis, Erleuchtung der Welt...: dies alles ist uns aus innerer Anschauung oder Ahnung bekannt. Und sicher ist, daß niemandem das Bild der Auferstehung etwas Wesentliches besagt, in dem nicht wenigstens etwas von ihrem Wesen wirksam geworden ist. Wer sich nur irgend bemüht, ein Christ zu sein, der hat auch, wenn vielleicht auch im allerersten Anfang, an dem Christus-Wege Anteil, und damit auch schon an der Auferstehung. Würde sie uns denn tröstlich, verheißend, verbürgend erscheinen, wenn wir nicht bereits etwas von dem in uns trügen, was sie tröstet, verheißt und verbürgt?

LeerDies alles gewinnt sich aus der reinen Anschauung des Bildes, wenn sie wach und mit dem nötigen Abstand durchgeführt wird. Seine Wahrheit läßt sich nur finden, wenn man seiner Geschichtlichkeit „gewahr” geworden ist. Wir könnten heute vielleicht mit demselben Recht die Auferstehung Christi mit stahlhelmbewehrten Soldaten malen. Besser gesagt: wenn wir Soldaten in heutiger Tracht auf einem Auferstehungsbild bemerken würden, so würde uns ohne weiteres deutlich, was auch bei der Betrachtung des Grünewaldschen Bildes deutlich werden muß: daß die Einzelheiten des Bildes nur Einkleidungen sind, durch die erst und hinter denen erst ein Teil der Welten-Wahrheit offenbar wird. Aber wirklich ein Teil der Welten-Wahrheit.

Leer„Aber am ersten Tage der Woche sehr früh kamen sie zum Grabe und trugen Spezerei, die sie bereitet hatten, und etliche mit ihnen. Sie fanden aber den Stein abgewälzt von dem Grabe und gingen hinein und fanden den Leib des Herrn Jesu nicht. Und da sie darum bekümmert waren, siehe, da traten zu ihnen zwei Männer mit glänzenden Kleidern. Und sie erschraken und schlugen ihre Angesichter nieder zur Erde. Da sprachen die zu ihnen: Was suchet ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier, er ist auferstanden.”

LeerJa, er ist auferstanden. -

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 91-95

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-05
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