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Das Martyrium der heiligen Perpetua
von Rose Matz

LeerAus aller Verworrenheit geht unser Verlangen zum reinen Ursprung der Kirche zurück. Die ersten Äußerungen ihres zarten Lebens, das doch so kraftvoll zum Licht drängt, erfüllen unsre Herzen mit Hoffnung.

LeerAn einem 7. März um das Jahr 200 nach Christi Geburt erlitten Perpetua, Felicitas und ihre Gefährten in Karthago den Märtyrertod. Perpetua schrieb die Erlebnisse der letzten Zeit vor ihrem Tode eigenhändig nieder. Die Aufzeichnungen beschreiben den Weg einer immer lichter werdenden Verklärung. Dieser Weg ist ihr eigentliches Martyrium, denn unter Schmerzen löst sie sich von allen irdischen Bindungen.

LeerAm heftigsten versucht ihr Vater, sie in dieser Welt zurückzuhalten. Wie klammern sich die Hände des alten Mannes um ihre Hände. Sie umschließen nicht väterlich schützend: sie wollen herrschen und besitzen, was ihnen als sicheres Recht gegolten hat ein Leben lang. Erbarmen mit der unseligen Hilflosigkeit des Greises erfüllt Perpetuas Herz. Wie kann sie ihm ihren unabänderlichen Entschluß, sich taufen zu lassen, jemals erklären? „Mein Vater, siehst du dort das Wasserkrüglein auf dem Boden liegen oder nicht?” Er antwortet: „Ich sehe es”! „Darf ein Ding mit einem anderen Namen bezeichnet werden als mit dem, der sein Wesen bezeichnet?” fragt sie dagegen. „Nein”, erwidert der Vater. „So gibt es auch für mich nur den einen Namen: Christin.” Diese Worte überfluten den Vater mit einem unbändigen Zorn. Gibt es eine Liebe, die Haß und Zerstörung gebiert, Trennung und Tod? In blinder Wut packt er die Tochter an den Schultern. „Er schüttelte mich aber nur”, schreibt Perpetua, „dann ging er weg und war unterlegen im Kampfe mit den Versuchungen des Teufels.”

LeerWenn sie Gefängnis und Tod bedrohen, so bedeutet das Abschied von ihrem acht Monate alten Knaben.

LeerWie war es in jener Nacht der Geburt gewesen, als sie in den Schöpferarmen Gottes ruhte? Als Licht und Finsternis sich seltsam umschlungen hielten in ihrer Seele? Als sie eingebettet lag in einen Strom kosmischer Kräfte und Zwiesprache hielt mit Sibyllen und Propheten? Sie war jenseits der irdischen Welt gewesen, in jenem Reich der Mütter, da sich Leben und Tod begegnen, da Vergangenes und Zukünftiges eins wird, da die Zeit ausgelöscht ist, die Gestorbenen zurückkehren und die noch nicht Geborenen lebendig sind. Und als Offenbarung jener geheimnisvollen Hintergründe hielt sie dann das Knäblein im Arm, an dessen zarter Hand sie erst wieder zurückfand in diese Welt. Diese Hand loszulassen, konnte Gott nicht von ihr fordern. Sie umklammert die gebrechlichen Fingerlein, sie umschließt mit liebendem Blick die rührende kleine Gestalt, deren Hilflosigkeit sie in tiefste Erregung bringt. Nein, diese Händchen wird sie niemals lassen.

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LeerNoch ist sie nicht getauft. Nicht zufällig traf bei der Unterredung mit dem Vater ihr Auge das Wasserkrüglein, das zum Symbol ihres Wesens wird: Gefäß zu sein, das die Gnade Gottes durch das Sakrament empfängt. Als sie durch die reinigende Flut hindurchgeht vom Tode zum Leben, gibt ihr der heilige Geist ein, vom Sakrament des Wassers nichts anderes zu erbitten, als im Fleische leiden zu dürfen. Ihr Flehen wird rasch erfüllt. Wenige Tage nach der Taufe bringt man sie in den Kerker.

LeerDumpf und stickig schlägt ihr die Luft des engen Gelasses entgegen. Die schier undurchdringliche Finsternis ist erfüllt vom Gewirr vieler Stimmen. Aus den dicken Mauern steigt der Dunst der Abgeschlossenheit. Perpetuas lichtgewohntes Auge schmerzt in dem heißen Dunkel. Ihre Brust ringt nach Atem. Zagend schlingt sie den Arm um die Schultern der Felicitas. Aber was will denn ihr Schicksal besagen gegen das dieser jungen Sklavin, die ihrer schweren Stunde entgegensieht mitten im Gefängnis? Und steht sie nicht trotzdem da in der ruhigen Geborgenheit gesegneter Frauen?

LeerAls Perpetua ihrem Kinde die Brust reichen darf, wird ihr der Kerker licht und eine zweite Heimat. Ihr standhaft getragenes Leiden strahlt Hoheit und Würde aus. „Herrin Schwester”, nennt sie ihr Bruder. Ganz anders neigen sich Mutter und Bruder der gefangenen Perpetua zu als der fordernde Vater. In ihnen ist eine Liebe aufgegangen, die den andern nicht halten will, die ihn schützt und trägt, die aufbaut und bewahrt, die sich ganz hingibt im reinen Vertrauen in des anderen reines Wesen. Noch hofft der Bruder, es könne ihr die Freiheit geschenkt werden. Um Gewißheit zu erlangen über ihr zukünftiges Geschick, bittet er sie, von Gott eine Vision zu erflehen. „Da ich wußte, daß Gott mein Vertrauter war”, schreibt Perpetua in der stolzen Sicherheit der Kinder Gottes, „gab ich meinem Bruder in gläubiger Zuversicht zur Antwort: Morgen wirst du es erfahren.”

LeerUnd in der Nacht löst sich ihre Seele zum ersten Mal aus den irdischen Bereichen.

LeerSie steht am Rande der Welt. Zu ihren Füßen lastet das Dunkel. Um sie ist die Unendlichkeit, still und groß. Aber von oben herab schießt wie der Strahl einer gewaltigen Sonne eine goldene Treppe. Geblendet erkennt sie nur schattenhaft die Umrisse von scharfen Waffen, die wie ein Geländer ihre Ränder säumen. Wer klimmt mühsam die Stufen empor, die sich steil und schmal übereinander bauen? Sie schaut und schaut, da hört sie die Stimme ihres Gefährten Satur, der den Gipfel erreicht hat: „Komm, Perpetua, ich helfe dir.” Und belebt durch den tröstlichen Zuspruch eilt sie zur Treppe. Den Drachen an ihrem Fuße überwindet sie durch den Namen Jesu Christi. Kaum hat sie die unterste Stufe berührt, da wird sie emporgehoben wie von rauschenden Flügeln; aufwärts gewandt ist ihr verklärter Blick, die unendliche Weite um sie her verdichtet sich zu einem unermeßlichen Garten, den sie selig betritt.

LeerGehört sie nun zu der weißgekleideten Schar, die dort andächtig versammelt ist? In ihrer Mitte sorgt ein silberhaariger Hirt liebevoll für seine Herde, die sich um ihn drängt. Sein Auge ruht auf Perpetua: „Es ist gut, daß du gekommen bist, mein Kind.” Diese Worte rufen sie zu ihm hin. Nicht kann sie den Blick von seinem Antlitz wenden, nicht kann sie die gefalteten Hände von ihrem pochenden Herzen lösen. Sie steht vor ihm in heiliger Beklommenheit und empfängt von ihm göttliche Speise. Ein tausendstimmiges Amen dringt an ihr Ohr.

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LeerWie sie zurückgekehrt ist aus der lichten Weite in die finstere Begrenztheit ihres Kerkers, sie weiß es nicht. Auf ihrer Zunge liegt noch der liebliche Geschmack der genossenen Speise, in ihrem Herzen hallt tausendfach das Amen der himmlischen Heerscharen.

LeerDer Bruder begreift in freudiger Ergebenheit, daß seiner Schwester der Märtyrertod beschieden ist. Und in der Versunkenheit des Gebetes wendet sich ihre Seele zum zweiten Male ganz von der Erde ab.

LeerNicht mehr ist es ihr eigenes Schicksal, das sie fortführt aus der irdischen Not; nicht sind es die Menschen ihrer Nähe, die sie zu dieser neuen Schau bewegen.

LeerEin Hauch weht sie an aus einer schattenhaften Welt. Was für Gestalten lösen sich aus jenem finsteren Raume? Wer ist das Kind, das sich ihr naht? Sie will ihr Antlitz abwenden in stillem Grauen. Aber magisch wird sie angezogen von jenen Mienen, die die Krankheit zerstörten, ehe sie ihre Vollendung erreichten. „Dinokrates”, flüstert sie. Neigt ihr kleiner Bruder, der siebenjährig eines bitteren Todes starb, das bleiche Antlitz zur Seite, bewegt von Schmerz? Da weiß sie, daß sie kniet am Grunde alles Leides. Und mit ihr knien alle Mütter, auch die kinderlosen.

LeerÜber dem Knaben schwebt eine Schale, gefüllt mit Wasser. Wer neigt ihren Rand, daß das kühle Naß die vom Fieber gesprungenen Lippen netzen könnte? Ohne Laut ist dies Leiden, unheimlich still winden sich die Schatten unter der Qual ihrer Schmerzen.

LeerSeit dieser Schau liegt Perpetua Tag und Nacht auf den Knien im Gebet um die Erlösung ihres Bruders. Und jedes Gebet, das ihrem reinen Herzen entsteigt, neigt die Schale tiefer herab zu den verschmachtenden Lippen des Knaben. Das Licht, das aus ihrer Seele leuchtet, dringt in die Finsternis seiner Höllenpein. Tränen und Seufzen sind wie lindernder Balsam auf seine Wunden.

LeerSie schaut ihn noch einmal, umflossen von Licht, strahlend von Schönheit. Nur eine feine Narbe verrät die früheren Wunden. Aus einer Schale, deren Inhalt nie versiegt, trinkt er vom Wasser des Lebens. Das Becken hat sich gesenkt, und fröhlich beginnt er, wie Kinder zu tun pflegen, mit dem Wasser zu spielen. Da weiß Perpetua, daß alle Strafe von ihrem Bruder genommen ist.

LeerZugleich ist sie irdischer Liebe und irdischem Haß vollkommen entrückt. Es gelten für sie nur noch die unerbittlichen göttlichen Maßstäbe. Selbst von dem Sohn, um den sie tags zuvor noch bangte, wendet sie sich schmerzlos ab.

LeerSie ist bereit für ihre letzte Vision. Sie schaut, wie sie in der Arena im Grunde nicht mit wilden Tieren, sondern mit dem Teufel selber kämpfen muß. Sie überwindet ihn vollkommen und wirft ihn kraftvoll zu Boden. Ein Wächter überreicht ihr den Siegespreis, einen Zweig mit goldenen Äpfeln, küßt sie und spricht: „Meine Tochter, Friede sei mit dir.”

LeerAm Tage vor dem Kampfe schreibt Perpetua ihren Bericht nieder. „Den Kampf selber aber möge ein anderer aufschreiben, wenn er will”, sind die letzten Worte.

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Leer„Wenn er will”. Denn eine Notwendigkeit liegt nicht mehr vor, den äußeren Kampf zu beschreiben, nachdem der innere vollendet. Eingehüllt in den Frieden Gottes, gewiß, daß sie essen darf vom Baume des Lebens, betritt sie singend die Arena „wie den Himmel”! Eine wütende Kuh wird auf sie und ihre Gefährtin Felicitas losgelassen. Ein gewaltiger Stoß wirft sie zu Boden. Sie richtet sich auf, streicht mit rührender Gebärde das wirre Haar zurück, ordnet ihr Gewand, denn nicht will sie scheinen wie eine Klagende. Sie hilft ihrer Gefährtin vom Boden auf und dann fragt sie, als erwache sie aus einem Traum, wann endlich der Kampf beginne. „Was schaute sie”, ruft bewegt der heilige Augustin, „als sie das nicht sah, was alle anderen sahen? Was empfand sie, um einen so heftigen Schmerz nicht zu empfinden? Durch welche Liebe, durch welchen Anblick, durch welchen Trank war sie so entzückt worden und wie göttlich trunken in sterblichem Leibe?”

LeerSie wird durch das Schwert getötet. Sie fällt einem ungeübten Fechter in die Hände. Er trifft sie in die Seite und sie jammert auf: ein Widerhall von Christi Schrei am Kreuz. Dann führt sie selbst die Hand des Henkers und richtet das Schwert auf ihre Kehle. So stirbt sie.

LeerEs ist, wie ihre Vision es ihr vorausgesagt: sie hat kaum die erste Stufe jener goldenen Treppe betreten, da ist sie schon versetzt in die himmlischen Räume.

LeerIhre wunderbare Verwandlung beginnt mit ihrem Bekenntnis. Sie wendet ihr Antlitz langsam ab von den Ihren: „Wer sind meine Brüder, wer sind meine Schwestern?” Der Glanz des geöffneten Himmels trifft ihre Züge und heilsame Kraft strömt ihr zu aus göttlicher Speise. Ihre Liebe durchbricht die Grenzen dieser Welt. Die Macht ihres Gebetes erreicht die gequälten Seelen derer, die nicht mehr sind. Licht strahlt aus von ihrer Verklärung und erhellt die Finsternis der Verlassenen. Der Apfel, der die Menschheit verdarb, wird für sie zur goldenen Frucht der Verheißung. Ihr ganz und gar geheiligtes Wesen spürt das Böse nicht mehr, das gegen sie anstürmt. Nicht ihr Leiden macht sie zur Heiligen, sondern der helle Schein, den Gott in ihr Herz gegeben, und dem sie so willig und demütig Raum läßt, daß sie nur noch von dem Licht aus der Höhe erfüllt ist.

LeerNichts anderes sollte ihr freudiger Tod damals erweisen, als die strahlende Kraft jenes Lichtes. Diese Kraft mußte den Menschen bezeugt werden, denn aus ihr baute Gott Seine Kirche. Uns aber liegt es heute ob, Sein Licht hineinzutragen in die Welt. Christus allein durchdringt himmlische und irdische Räume zugleich.

Evangelische Jahresbriefe 1938, S. 95-99

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-05
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