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Marias Gestalt als Hilfe für die evangelische Frau
von Esther von Kirchbach

Leer”Siehe von nun an werden mich selig preisen Kind und Kindeskinder.” Niemals geht dieses prophetische Wort der Mutter Maria reicher in Erfüllung als in den Wochen vor Weihnachten. Da ist auch diesmal durch die ganze Christenheit das Lied erklungen von ihr, der reinen Magd, der Rose Jesaias, der schönsten Jungfrau, der holdseligen Mutter. und wenn man von dem etwas sagen will, was Maria auch uns evangelischen Frauen bedeutet, dann ist es, als sähe man vor sich die Bilder, in denen die alten Meister - vor allem die deutschen - das Geheimnis der heiligen Nacht dargestellt haben. Es scheint, als seien es drei Schichten, die in solchen Bildern miteinander verbunden sind und ineinander übergehen, so daß eine die andere zu bestimmen scheint.

LeerIm Vordergrund das Wunder der Heiligen Nacht selbst, Krippe und Kind und vor ihm kniend Maria und Josef. Dahinter - ist es dahinter oder ist es nicht nur gleichzeitig auf einer anderen Ebene? - die Menschen, die das Geburtswunder nicht mit erleben, aber denen die beseligende Gnade verkündet wird, dargestellt durch die Hirten auf dem Felde. Dann zerreißt der Himmel und in einem dritten Raum, oder vielmehr als drittes beide Räume zerbrechend, sieht hinter dem aufgespaltenen Sternenhimmel das Antlitz Gottvaters hervor. Aber die Engel, die ihn anbeten, als er den Sohn, das göttliche Wort, aus dem Schoße entläßt, die Engel, deren Flügel eine Brücke bilden bis hin zur Krippe, um die sie schützend knien, übersteigen alle drei Räume und wir können kaum mehr aussagen, wohin die einzelnen Geschehnisse gehören. So, nur so kann man von Maria sprechen, wie auf einer dreifachen Ebene. einmal wie sie über diese Erde gegangen ist und wie sie heute noch hindurchgeht durch die Schriften des Neuen Testaments als die Holdselige. Und dann das, was sie uns allen geworden ist, die wir nicht neben der Krippe knieten, als Symbol aller Mutterschaft, als Symbol der die Gnade Gottes aufnehmenden Seele. Und als drittes, beide durchkreuzend und erhöhend, das, was sie als Mutter-Kirche uns bedeutet, die in ihrem Schoße das Gotteskind, das fleischgewordene Wort, immer wieder aus sich gebären muß.

LeerSparsam ist alles, was die Heiligen Schriften von ihr erzählen, und auch die wenigen Worte, die über sie aussagen, bedeuten fast noch mehr durch das, was sie andeutend verschweigen. Die alte Kirche hat mit Sicherheit alle Legenden, die sich um Mutter und Kind schlangen, aus der wahrhaften Erzählung ausgelassen. Aber doch ist es genug, um ihrem Wesen nachzugehen. Man braucht ja nur zwei Züge herauszuholen, denen man immer wieder nachsinnen kann.

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LeerSie ist demütig ohne Minderwertigkeitsgefühle. Wir haben immer wieder die Pflicht, uns zu überlegen, warum die Welt uns haßt, und uns nicht mit dem Ärgernis, das das Kreuz geben muß, zu beruhigen. Daß die christliche Demut in Verruf gekommen ist, daran sind ganz gewiß die Christen selber schuld! Was haben wir für ein unnatürliches, verschwommenes, verzerrtes Gebilde aus der Demut gemacht! Diese falsche Demut, die sich immer um sich selbst und ihre eigene Bescheidenheit dreht, die sich mit nie versiegendem Interesse über ihre eigenen Charakterfehler aufhält, die wenigstens durch ihre Minderwertigkeitsgefühle die Beachtung erzwingen will, die sie durch ihre Tüchtigkeit nicht erzwingen kann, die ist ekelhafter als jeder Hochmut. „Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder”, das kann die sagen, für die Demut nicht eine Anstrengung des Willens bedeutet, sondern das Völlig-erfüllt-sein von Gottes Geheimnis, das in sie und die Welt eingeht. Nur wer so beschäftigt mit Gottes Ehre ist, daß ihm keine Zeit bleibt, über die eigene Ehre und Nichtehre nachzudenken, kann so demütig sein.

LeerUnd sie ist rein, aber nicht unwissend. Es ist eine große Hilfe, wenn man bei allen Besprechungen über die Fragen des Lebens weiß, daß es eine falsche Prüderie war, die die Reinheit mit der Unwissenheit gleichsetzte. „Wie soll das zugehen, sintemal ich von keinem Manne weiß?”, so antwortet die reine Jungfrau ohne Besinnen auf die Botschaft des Engels. Gerade die wirkliche Reinheit hat keine Prüderie nötig, gerade die echte Reinheit ist imstande, die Dinge, die nur durch Offenheit heil bleiben oder heil werden können, ruhig in die eigene Offenheit mit hineinzunehmen. Maria ist eine große Hilfe für die verheiratete und unverheiratete Frau zugleich, die Brücke zwischen beiden. Jede kann in einer besonderen Weise auf den Wegen ihres eigenen Lebens ihr nachgehen.

LeerSind es nicht sieben Wege, auf denen wir sie immer wieder sehen, wirkliche Wege, Wanderungen, die zurückgelegt werden? Der Gang zu Elisabeth und der von Nazareth nach Bethlehem! Ich kann mir nicht denken, wie man ein Kind durch neun Monate durchtragen kann, ohne nicht immer wieder diese Wege mitzugehen, ohne ihr Magnifikat auf den Lippen und ohne den Trost ihres letzten schweren Monats auf der Wanderung vor der Geburt. - Und dann der Weg nach Ägypten, die Flucht mit dem kleinen Kind in das Ungewisse hinein. Und der zum Tempel mit dem Zwölfjährigen, der den Abschied von der Kindheit bedeutet. Und dann den schwersten zum Kreuz, als fast alle Männer fehlen, die ihn damals umgaben, als sie zurücktrat. Und nach den Tagen des Schmerzes ohne Grenzen der Weg zum offenen Grab, den die alten Osterlieder feiern: „Wie wohl ist dir, mein Herz, wie wohl, ja freuden-, freuden-, freudenvoll.” und schließlich der Weg weg vom Berge der Himmelfahrt, fort von seiner Gegenwart auf Erden, zusammen mit der wartenden Gemeinde.

LeerSo ist sie auch das Beispiel der ersten christlichen Fürbitte geworden und die Geschichte dieser Fürbitte in der Hochzeit zu Kana zeigt alle Merkmale, die von da an die christliche Fürbitte durch die Jahrhunderte hindurch gehabt hat. Sie sieht die Not, noch ehe davon gesprochen wird, und sie sagt sie dem Herrn ohne Vorschläge, ohne in seine Entscheidung einzugreifen: „Sie haben keinen Wein.” Sie glaubt an die Erfüllung dieser Bitte, trotzdem sie zunächst schroff abgeschlagen wird, und sie bereitet alle irdischen Möglichkeiten vor für den Zeitpunkt, an dem diese Erfüllung, an die sie glaubt, sichtbar werden wird. Andere Wege hat keine der ungezählten Fürbitten, die nach dieser ersten zum .Herrn gegangen sind, einschlagen können.

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LeerMehr in ihr zu sehen, ist uns verwehrt. Wir glauben nicht, daß der Herr sich schon von ihrer Geburt an ein sündenloses Gefäß schaffen mußte, er kommt ja im Heiligen Abendmahl immer wieder auch in unsere sündigen Herzen leibhaftig. „Hast nicht verschmäht der Jungfrau Schoß ...” - bleibt das nicht wahr, gerade wenn dieser Schoß nicht von Geburt an ausgesondert war?

LeerNiemand zählt die Bilder, niemand weiß alle Lieder, mit denen sie nun in die Geschichte eingegangen ist. Den Menschen, die nicht in den unerhörten Jahren von 0 bis 30 ihr Leben führen durften, ist sie über die historische Darstellung hinaus zum Symbol der Mutter schlechthin geworden, diese Symbolgestalt ist sie sogar über den christlichen Raum hinaus. Die Mai-Altäre der katholischen Kirche werden besucht auch von Menschen, die mit dem eigentlichen Christentum nichts mehr anzufangen wissen. Wenn wir auch glauben, daß Gott viele Möglichkeiten hat, die Menschen zu treffen, und manche auch über eine ästhetische oder rührsame Teilnahme an den Maiandachten hinweg ins Zentrum hineingeholt hat, die Menschen, die die wirkliche Einheit über die Konfessionen hinweg in dem Mittelpunkt Christus beglückend empfinden und in ihrem Leben bezeugen, sind nicht gerade die, die im Mai als Nichtkatholiken die katholische Kirche füllen. Wir müssen uns abgrenzen gegen die reine Umdeutung der Madonna als die Verkörperung der Mutter mit dem Kind.

LeerAber nun ist sie doch für uns christliche Mütter auch das Vorbild unserer Mutterschaft schlechthin geworden und all unser Muttersein muß sich an ihrem ausrichten. Wir Mütter wissen sehr gut, daß die Liebe zu dem kleinen, in uns wachsenden Kinde kein Verdienst ist, daß sie schön ist, aber selbstverständlich, unnatürlich wo sie ausbleibt, daß sie triebhaft sich auswirkt wie bei jedem Muttertier. Und darum hat sie auch ihre Gefahren wie jeher Trieb. Sie muß durch die Geburt des Herrn für uns alle geheiligt und neu geboren werden, daß sie ähnlich wird der Liebe der Mutter Maria zu ihrem göttlichen Kinde. Wenn das Kind heranwächst, zeigt sich der Segen dieser Verbindung. Wie wir von Maria lernen können, wie man ein Kind erwartet mit dem Lobpreis Gottes auf den Lippen, wie man ein Kind hineinträgt in ruhiger Zuversicht auch in die Stunde der Angst, so lernen wir von ihr, wie man ein Kind hergibt. Ihre stille Frage an den zwölfjährigen Jesus, den sie mit Schmerzen gesucht hat, führt auch uns mit in das Schweigen, in dem die Kämpfe ihres Hergebens ausgefochten werden. Die schmerzhafte Mutter wird zum Zeichen dafür, wie die Kämpfe der Männer immer auf dem Herzen der Frau ausgefochten werden, und hilft uns auch dieses Schicksal zu tragen und lieb zu haben.

LeerAber über uns Mütter hinaus ist sie zum Zeichen geworden für die Seele schlechthin, die den lebendigen Herrn, das leibhaft gewordene Wort in sich aufnimmt. Im Hören des Wortes Gottes, im Empfang des Heiligen Abendmahls ist Maria Beispiel und Ausdruck für uns als Gefäß der Gnade. Nicht „ich will”, sondern „Mir geschehe”, so ist ihre und unsere Antwort auf die göttliche Verkündigung. Der Herr selbst hat uns auf diese Deutung hingewiesen, wenn er der Frau Antwort gibt, die ausruft: „Selig der Leib, der dich getragen, selig die Brüste, an denen du gesogen hast.” „Ja”, sagt er und stellt doch gleichzeitig neben sie alle, die das Wort aufnehmen und bewahren.

Isenheimer Altar - WeihnachtsbildAuf den alten Darstellungen der Geburt ist es, als zerrisse der Himmel, wenn die dritte Ebene dargestellt werden soll. Und jede malende Hand, jeder redende Mund hat das Ungeheure immer wieder empfunden. Wie soll man vom Raumlosen im Raum reden, wie soll man zeitloses Geschehen in der Zeit darstellen? Warum ist alles, was von dieser dritten Bedeutung der Mariengestalt gesagt werden kann, ein stammelnder Versuch, ein Ineinanderreihen von Bildern, die sich gegenseitig wieder zerbrechen und aufheben. Die Mutter-Kirche, die das göttliche Wort immer wieder aus sich gebären muß, - das Kirchenjahr versucht in seiner Wiederkehr dieses Zeitlose in der Zeit darzustellen und manchmal geschieht es, daß die Kinder dieses wirkliche Geschehen zu Weihnachten, den Zusammenhang mit den Wochen der Nachweihnachtszeit besser verstehen als wir. Niemand hat es stärker ausgedrückt als Luther in seinem Lied von der christlichen Kirche: „Sie trägt von Gold so rein ein' Kron . . .”

LeerGeheimnisvoll wiederholt sich das Leben Marias im Leben der Kirche. Dieses göttliche Wort, das keinen Raum in der Herberge findet, das im Stall zur Welt kommt, ist immer auf der Flucht. Sie, die Mutter, flieht mit ihm nach Ägypten, aber jedes Fliehen ist auch ein Weitertragen und alle Missionsarbeit von den ersten Christen an wird eben durch solche Flucht gefördert, buchstäblich wird das Wort in die anderen Länder getragen. Immer wieder klingt die Fürbitte der Mutter in den Himmel hinein. Mit aufgehobenen Händen steht die Kirche da, die Not der Menschen zum Himmel hebend: „Sie haben keinen Wein.” Unermüdlich glaubt sie an die Erfüllung dieser Bitte, auch wenn sie schroff abgewiesen wird, auch wenn das Wort „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?” immer wieder als Antwort in ihren Ohren klingt und ihre Bitten ohne Erhörung bleiben. Und so lange sich nun ihre Kinder auf Erden befehden, so lange der Leib Christi zerrissen ist, klingt ihre Klage, die Klage der Mutter, durch deren Seele das Schwert geht, durch die Welt: „Oh ihr alle, die ihr hier vorübergeht, sehet, ob ein Schmerz ist gleich meinem Schmerz.” Aber sie wartet, sie wartet mit allen ihren Gläubigen angespannt auf die Stunde, wo der Herr in Herrlichkeit wiederkommen wird, wo er sich zu ihr, der Mutter, bekennen und ihr die Krone aufs Haupt setzen wird. Kein Wort ist groß genug für diese Mutter, ihr gilt aller Lobpreis und in diesem Lobpreis fühlen wir uns eins mit den Christen aller Konfessionen. Ihr gilt unsere Liebe mit allen denen, die sie verehren.

LeerDie Gestalten auf diesem dreifachen Hintergrunde verfließen ineinander. Das göttliche Geheimnis ist kein Rechenexempel und es wird nie gelingen, diese Ebenen ganz sauber voneinander abzuscheiden. Eine geht in die andere über und gegenseitig erfüllen sich alle mit immer reicheren Bildern. So ist es kein Wunder, wenn einem in der Unzulänglichkeit der eigenen Worte die Verse einfallen, die Conrad Ferdinand Meyer von der Fontana trevi sagt und in denen es fast wie auf den alten Bildern gelungen ist, Unsagbares einzufangen:
Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
er voll der Marmorschale Rund
die, sich verschleiernd, überfließt
in einer zweiten Schale Grund;
die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut
und jede nimmt und gibt zugleich -
und strömt und ruht!
Evangelische Jahresbriefe 1939, S. 4-8

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-16
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