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Die Bedeutung des Abendmahls für die Gemeinde,
vom Missionsfeld her gesehen

von Walter Freytag

1. Kor. 10, 14 - 21

LeerDas sind Worte aus einer längst verklungenen Zeit, ein altersdunkles Dokument aus der Geschichte der ersten Christenheit. Es ist für uns kaum verständlich. Wir sind ja weit hinaus über die Auseinandersetzungen mit jüdischem und heidnischem Gottesdienst, die damals die Gemüter bewegten. Ja, wir wissen kaum etwas von Gestalt und Sinn dieser Kulte, und es erscheint uns als eine gekünstelte, reichlich erzwungene Sache, wenn wir versuchen wollten, diese alten Dinge in eine Beziehung zu den wahrhaft dringenden Fragen unseres gegenwärtigen Christenlebens zu bringen. Aber dabei bedenken wir zweierlei nicht. Erstens handelt es sich in unserm Text um das Abendmahl. Das ganze Geheimnis des Sakraments leuchtet daraus hervor. Viele von uns stehen diesem Geheimnis verständnislos gegenüber. Die erste Christenheit hat in und aus diesem Geheimnis gelebt. Aber uns ist es fremd geworden. Es könnte sein, daß wir gerade deswegen so wenig vom Abend- mahl begreifen, weil uns die lebendige Auseinandersetzung mit dem Heidentum fehlt, und daß wir jetzt, wo wir einer neuen Auseinandersetzung mit dem Heidentum entgegengehen, in diesem Kampfe deshalb nicht bestehen, weil wir entwöhnt sind, bewußt aus der Kraft des Sakraments zu leben und zu kämpfen. Wenn das zutrifft, dann ist unser Text alles andere als eine antiquarische Angelegenheit. Zweitens übersehen wir, daß es heute nicht nur noch, sondern in wachsendem Maße Christenheit gibt, die in lebendigem Kampf mit dem Heidentum steht und aus der Kraft des Abendmahls lebt, die Christenheit auf dem Missionsfelde. Bei ihr wird unser Text auch heute noch unmittelbar verstanden. Es könnte sein, daß ihr Kampf und ihre Erfahrung eine Hilfe für uns wäre zum Verständnis dieses Textes, daß uns das Geheimnis des Abendmahls neu aufleuchtet, wenn wir es mit den Augen der jungen Christen sehen. Von diesem Blickpunkt aus wollen wir über die Bedeutung des Sakraments für die Gemeinde uns besinnen.

LeerDabei ergeben sich 4 Tatsachen über das Abendmahl.

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Leer1. Das ist die erste: Es ist ein  w i r k l i c h e s  G e s c h e h e n . Man meint immer, die primitiven Menschen - und zu ihnen gehören ja nicht nur die Afrikaner und Papua, sondern auch die breiten Massen des asiatischen Kontinents - könnten die tiefsten Wahrheiten der evangelischen Botschaft nicht verstehen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie haben ihre eigene Nähe zur Verkündigung der Bibel und verstehen sie in manchen Stücken besser als wir. Wir kennen alle die Geschichte vom Sündenfall. Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, daß es das Essen ist, an dem sich da alles, Leben und Tod, entscheidet? Nicht, was das Weib dachte, nicht daß Adam die Frucht nahm, sondern daß sie aßen, bedeutete ihren Fall. Ist es uns nicht aufgefallen, daß Jesus in der letzten Nacht, als er denen, die bei ihm beharrt haben in der Anfechtung, das Reich Gottes verheißt, merkwürdigerweise von Essen und Trinken spricht? „Ich will euch das Reich bescheiden, ..., daß ihr essen und trinken sollt an meinem Tische in meinem Reich ...” Das ist doch sicher nicht als Verheißung sinnlicher Genüsse gedacht, sondern unterstreicht die Wirklichkeit dessen, was geschehen soll. Den Jüngern in Emmaus wurde das Leben des Auferstandenen, obwohl sie ihn sahen und mit ihm sprachen, erst gewiß, als er „nahm und aß vor ihnen”, wie Lukas berichtet. So ist für die Bibel das Essen nicht nur ein Gleichnis, sondern das, was die Wirklichkeit des Geschehens erst ausmacht. Die Bibel sagt nicht: „Wer lebt, der ißt auch”, sondern: „Wer ißt, der lebt”.

LeerGenau so denken die Inder, Afrikaner und Chinesen. Tausende von nicht- christlichen Indern sagen heute, daß vor Gott alle Menschen und alle Religionen gleich seien. Aber keiner von ihnen wird mit einem Menschen anderer Kaste zusammen essen. Worte sind billig, Wirklichkeit wird für sie die Lehre erst durch das Essen. Und das tun sie nicht. Ein ostafrikanischer Christ, der seine Sünden bekennt, sagt das mit den Worten: „Ich habe Sünde gegessen.” Er meint damit nicht, daß er durch Essen gesündigt habe, sondern daß er so tatsächlich, so wirklich Sünde begangen habe, als ob er gegessen hätte. Ein Chinese, der die Botschaft des Missionars annehmen will, sagt nicht: „Missionar, du hast recht, was du sagst, ist wahr, ich bin überzeugt”, sondern er sagt: „Missionar, ich esse deinen Reis.” D. h. so wirklich, wie ich esse und dadurch lebe, will ich das Gehörte essen und davon leben.

LeerJetzt verstehen wir, welche ernste Sache es um das Essen ist für die Schrift und für diese Menschen. Es ist nicht nur ein Gleichnis, nicht nur Ausdruck für etwas, sondern der Wirklichkeit schaffende, Leben oder Tod begründende Akt selbst. Es ist nicht der Halm, der aus dem Samen wächst, sondern der Same, ohne den kein Halm wachsen kann. Jesus ruft uns zum Abendmahl, nicht weil wir ihn haben, sondern weil wir ihn brauchen. Er speist uns und tränkt uns, nicht weil wir im neuen Leben wandeln, sondern damit wir im neuen Leben wandeln. Es ist ein wirkliches Geschehen. Aber was geschieht wirklich?

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Leer2. Das ist das zweite: Dieses Geschehen,  d i e s e s  E s s e n  b e g r ü n d e t  w i r k l i c h e  G e m e i n s c h a f t . Vers 17: „Denn ein Brot ist's, so sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig sind”. Das Wort ist an eine Großstadtgemeinde gerichtet, die in einer Hafenstadt, einem Welt- Handelsplatz lebt wie wir. Da sitzt der Freie neben dem Sklaven, Männer und Frauen, Griechen, Syrier und Palästinenser. Und aus diesem Völker- und Klassengemisch wird ein Leib. Das geschieht noch heute. Gemeinsames Essen begründet Gemeinschaft. Das verstehen alle Völker, ich brauche das gar nicht erst zu belegen. Selbst der primitivste Papua, der das erste Mal in seinem Leben einen Weißen steht, versteht das. Der Weiße kann ihm seine Freundschaft beteuern, soviel er will, er wird es nicht ernst nehmen, bis der Weiße sich nicht überwunden hat, von der angebotenen Speise zu essen.

LeerWeil sie es alle verstehen, deshalb entsteht auch aus dem Abendmahl tatsächlich Gemeinschaft. Da knien in Neuguinea nicht nur Menschen verschiedener Stämme am Altar, sondern der Mann von Laë neben dem von Labo, Glieder von zwei Stämmen, die bis vor vier Jahrzehnten kein anderes Verhältnis zueinander kannten, als daß sie sich gegenseitig auffraßen. Am stärksten empfindet man das Wunder dieser geschenkten Gemeinschaft in Indien. Menschen verschiedener Kaste, die durch Jahrtausende sich so stark geschieden hatten, daß sie meinten, schon der Schatten des einen verunreinige den andern, stehen nebeneinander, Brahmane und Abfuhrmann, Landherr und Handwerker, und wenn nach den Männern die Frauen zum Altar treten, dann bedeutet das mehr, als daß sie auch die Botschaft hören und am gemeinsamen Gebet sich beteiligen dürfen, denn sind sie wirklich aufgenommen als Schwestern und nicht nur als Frauen, die ihren Wert nur daher haben, daß sie Mutter sind oder Arbeit leisten können.

LeerWas ist das für eine Gemeinschaft? Sie ist nicht von der Welt und deshalb auch nicht, wie die Welt sie sich denkt. Man wirft dem Christentum gern vor, es predige die Gleichheit. Ich habe in Indien einmal eine Abendmahlsfeier mitgefeiert, die Christen aus den verschiedensten Völkern zusammen begingen, Japaner und Chinesen, Inder und Ägypter, Afrikaner und Philippinos und Christen ans allen evangelischen Teilen des Abendlandes. Als am Schluß dieser Feier „Nun danket alle Gott” gesungen wurde, erklang der deutsche Choral in vielen Sprachen. Jeder sang ihn in seiner Muttersprache. Waren sie nun keine Einheit? Das ist ja gerade das Wesen dieser Gemeinschaft, daß sie Verschiedenes eint, nicht indem sie vergewaltigt oder ausmerzt, sondern zusammenschließt zur Gliedschaft an einem Leibe.

LeerMan sieht draußen in der jungen Christenheit, besonders in den Ländern der Hochkultur, wie dieses Einswerden in einem Leibe lebensnotwendig ist für jeden einzelnen Christen. Ohne das Abendmahl würde der christliche Brahmane oder der gebildete Chinese auf halbem Wege stehen bleiben. Er kennt von seinen Vätern her Religion nur als Sache des einzelnen. Sie ist eine Philosophie, ein Gedankenweg, in dem der einzelne sich über die Masse erhebt und sich einsam auf den Weg macht zum Ziel der Erlösung oder des Heiligenideals. Ihm bliebe das Christentum nichts anderes als persönliche Frömmigkeitspflege, wenn er nicht im Abendmahl herausgerissen würde aus der Vereinzelung und hineingestellt würde in die Bruderschaft. Und der indische Asket oder der Mohammedaner, der Christ wird, würde nie begreifen, daß das Evangelium das Ende aller Selbstgerechtigkeit ist, wenn er nicht im Abendmahl hineingestellt würde in die Schar der Sünder, die von einem Brote essen. Auch wir werden nie in unserm Leben den Weg Jesu zu Ende gehen können, wenn wir uns nicht immer wieder zu dieser Gemeinschaft rufen lassen, in der all unser Individualismus, unser Ästhetentum, unser moralisches und religiöses Selbstbewußtsein zerbrochen wird und wir eingesetzt werden in die Bruderschaft derer, die nichts sind als begnadigte Sünder.

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Leer3. Aber damit haben wir noch nicht vom Größten geredet, was das Abendmahl in sich birgt:  D i e s e s  E s s e n  g i b t  u n s  w i r k l i c h  t e i l  a n  J e s u s  C h r i s t u s  s e l b s t . „Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Sehet an das Israel nach dem Fleisch! Welche das Opfer essen, sind die nicht in der Gemeinschaft des Altars? Was soll ich denn nun sagen? Soll ich sagen, daß der Götze etwas sei, oder daß das Götzenopfer etwas sei? Aber ich sage: Was die Heiden opfern, das opfern sie den Dämonen und nicht Gott.” Es ist merkwürdig, wie Paulus hier zugleich eine Parallele und einen tiefen Trennungsstrich zieht.

LeerEr stellt das Sakrament hinein in die Welt der Religionen. Es hat teil am tiefsten Geheimnis aller Religion. Alles kultische Essen wirkt Gemeinschaft mit außermenschlichen Mächten. Das Judentum vor Christus gab denen, die das Opferfleisch aßen, Gemeinschaft mit dem Gott, an den sie glaubten. Und das Heidentum hat durch das Opferfleisch Gemeinschaft mit seinen Göttern. Hierauf beruht es, daß in der nichtchristlichen Welt nichts an der Botschaft des Christentums so bald verstanden wird wie die Sakramente. In den meisten Religionen haben wir Parallelen dafür. Wenn eine afrikanische Sippe das Ahnenopfer feiert und in einem langstieligen Kelch, den die Hände aller beteiligten Männer umschließen, den Trunk darbietet und das dargereichte Opferfleisch von allen Sippengenossen gegessen wird, dann fühlen sie sich in einer Gemeinschaft mit den Ahnen verbunden. Wenn bei den Dajak in Borneo die Teilnehmenden mit Opferblut bestrichen werden und Opferfleisch gespeist wird, dann haben sie teil an der erhöhten Macht des Gottes oder Geistes, dem sie opfern. Selbst bei dem Volke, das man vor 10 Jahren erst in Zentral-Neuguinea entdeckt hat, fand man als den Sinn der Opfermahlzeit, in der Hunderte von Schweinen geschlachtet werden, den, daß man, um weiter leben zu können, teilhaben will am Leben des Ahnengottes, dem man das Opfer bringt. So versteht man es unmittelbar, daß die Christen gespeist werden aus der Kraft ihres Herrn. Und die Christen selbst verstehen es und nehmen es ohne Zweifel, daß im Sakrament der Herr Christus selbst sich zur Lebensspeise gibt.

LeerAber zugleich, sozusagen im selben Atemzug hebt Paulus die Gemeinschaft des Sakraments mit den Kulthandlungen anderer Religionen wieder auf. „Soll ich sagen, daß der Götze etwas sei? Aber: Was die Heiden opfern, das opfern sie den Dämonen und nicht Gott.” Das ist das Unheimliche an der heidnischen Religion, daß sie Gemeinschaft schafft und den Menschen bindet an eine Macht, die von Gott trennt, gleichgültig ob die Gottesvorstellung eine Wirklichkeit hinter sich hat oder nur eine Lüge ist. Es gibt heidnische Religion, deren Gott bewußte Lüge ist. Das stärkste Bollwerk des neuguineischen Heidentums ist der Geheimkult, der den Männern vorbehalten ist. Jeder Heide wußte auch schon zur heidnischen Zeit, daß der Balom, wie man den Geist nannte, nur ein Fantasiegebilde war, mit dem man die Frauen schreckte, damit sie ein reichliches Opfermahl bereiteten, das die Männer allein verzehrten. Ein Lügengebilde, ein Nichts und doch ein jahrzehntelang unüberwindliches Hindernis für Gottes Botschaft. Aber auch, wo die heidnische Religion sich wirklichen Mächten zuwendet, der Blutsverbundenheit in der Ahnenreligion, dem Boden in den Landschaftskulten, dem Himmel oder was es sei, gibt sie den Geschöpfen Ehre, wo sie Gott allein ehren sollte, opfert sie den Dämonen und nicht Gott.

LeerUnd mitten hindurch durch Gleichartigkeit und Unterscheidung leuchtet nun die Gabe Gottes im Abendmahl auf, Gemeinschaft des Blutes, Gemeinschaft des Leibes Christi. Für euch gegeben zur Vergebung der Sünden. Da ist der gedeckte Tisch des Herrn, die Gabe der Versöhnung. Bei allen kultischen Mahlen der Religionen, von denen Paulus gesprochen hat, deckt der Mensch den Tisch, er opfert, er leistet etwas. Hier deckt der Herr Christus den Tisch, und wir dürfen nehmen. Man kann draußen bei jungen Christengemeinden beobachten, wie nach dem Abendmahl die Gruppen aus den verschiedenen Dörfern mit fröhlichem Gesang heimziehen, als Menschen, denen eine Last vom Herzen genommen und ein neuer Anfang geschenkt ist. Würde man sie fragen, woher sie so fröhlich sind, dann würden viele von ihnen mit jener jungen Inderin, der man die Frage stellte, antworten: „Mir sind meine Sünden vergeben.” Wir spüren aus dieser Antwort heraus, wie es ihr ohne allen Zweifel sieghaft und überwältigend gewiß ist: Dieses Essen gibt uns wirklich teil an unserm Herrn Jesus Christus.

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Leer4. Und nun ist noch ein Viertes und Letztes zu sagen. Weil dieses Essen ein wirkliches Geschehen ist, weil es wirkliche Gemeinschaft schafft und wirklich teilgibt am Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi, deshalb hat es in sich eine  w i r k l i c h e  E n t s c h e i d u n g . „Ihr könnt nicht zugleich trinken den Kelch des Herrn und den Becher der Dämonen. Ihr könnt nicht zugleich am Tische des Herrn und am Tische der Dämonen Gäste sein”, sagt Paulus.

LeerEntscheidung heißt zunächst Scheidung. Es gibt kein wirkliches Ja ohne Nein. Das verstehen auch die Heiden vom Sakrament. Ein afrikanischer Häuptling hat gar nichts dagegen, wenn seine Frauen zum Gottesdienst auf die Missionsstation gehen und wenn sie das Wort Gottes hören oder sogar im Taufunterricht lernen, aber sobald sie das Sakrament der Taufe und das Abendmahl empfangen, dann wird es ernst, dann geschieht es, wie es vor einigen Jahren in Kamerun vorgekommen ist, daß der Häuptling seine Leute schickt und die Frauen unter Prügeln mitten in der Feier vom Taufstein wegzerren läßt, oder daß er, wenn sie schon das Sakrament genossen haben, sie wegwirft und zu Nebenfrauen irgendeines Lüstlings unter seinen Dienern macht. Eine indische Kaste kann von ihrem Kastengenossen viel vertragen. Er mag christliche Gottesdienste mitmachen und das Neue Testament lesen, ja er mag sich als glühender Jesusverehrer bekennen, das alles bricht die Gemeinschaft nicht, aber wenn er sich taufen läßt oder gar mit der Gemeinde das Herrenmahl genießt, dann ist es aus mit aller Gemeinschaft, dann wird er ausgestoßen, entrechtet und enterbt oder es werden gar die Totenzeremonien über ihm gehalten zum Zeichen, daß er nicht mehr da ist für seine Blutsverwandten. So klar ist es den Heiden, daß mit dem Sakrament ihr früherer Genosse einem andern Herrn gehört und aus einer andern Kraft zu leben beginnt, als es die Kraft der Götter, Geister und Ahnen ist. Und auch in der jungen Christenheit ist das bewußt. Sollte da in einem christlichen Hause noch ein Fetisch sein, ein Zauber oder Amulett, wie es manchmal von heidnischen Verwandten oder Freunden eingeschleppt wird, dann wird der Christ nicht wagen, zum Abendmahl zu gehen, ohne sich von dem allen getrennt zu haben. Denn er weiß, wer sich zu Christus wendet, darf keinen andern Herrn und keine andere Hilfe haben außer ihm. Hier im Sakrament ist Entscheidung wirklich Scheidung.

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LeerAber sie ist noch mehr: Sie ist  G e r i c h t . Schon der Heide weiß, daß es ein gefährliches Ding ist, unwürdig zu essen. Viele primitive Stämme glauben, daß ein Mensch, der mit heimlicher Feindschaft an einem Friedensmahl teilnimmt, sich an dieser Speise Krankheit oder den Tod anißt, weil er sie im Widerspruch des Herzens genießt. Es kann vorkommen, daß, wenn ein Missionar zu einer entlegenen Außenstation kommt, um dort das Abendmahl auszuteilen, Heiden ihm entgegengehen, um ihm zu berichten, wer in der christlichen Gemeinde um eines Vergehens willen ausgeschlossen werden müßte. Das braucht nicht Schadenfreude über den gefallenen Christen oder an der Enttäuschung des Missionars zu sein, sondern kann ehrliche Sorge für den sein, der sich etwa verleiten lassen würde, unwürdig zu essen und zu trinken und dann unweigerlich Schaden nähme. Jetzt verstehen wir, warum in der jungen Christenheit die Vorbereitung für das Abendmahl so ernst genommen wird. Es gibt nicht nur Gemeinden, die drei bis sechs Vorbereitungsgottesdienste haben, sondern vielfach wird in dieser Zeit mit ehrlicher Bemühung alles zurechtgebracht, was in Unordnung gekommen ist. Da wird Friede geschlossen unter Verfeindeten, unrecht Gut zurückgegeben, heimliche Sünde gebeichtet und auch das böse Begehren bekannt. Bei den Papua in Neuguineas ist es keine Übertreibung, wenn sie sagen, sie könnten in den letzten Wochen vor dem Abendmahl nicht recht essen und nicht recht schlafen, denn ihr Gewissen sei wach und suche mit fieberhaftem Ernste alles, was bei ihnen nicht nach Jesu Willen sei. Worin besteht die Würdigkeit? In einem Herzen, das sich von aller seiner Sünde geschieden hat und sie unter das Gericht gibt und nichts verlangt als Vergebung. So kommen sie zum Herrenmahl, und es ist immer wieder beschämend zu sehen, wie diese einfachen Menschen, oft am ganzen Leibe zitternd, Brot und Wein nehmen, zitternd, weil sie wissen, hier ist Entscheidung, hier ist Gericht.

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LeerAber nicht nur Gericht, sondern  V e r l e i b l i c h u n g  des neuen Lebens aus Christus. Die Folge des Abendmahles ist das gereinigte Leben, die Erneuerung der Gemeinde. In der jungen Christenheit, in der das Abendmahl meistens nicht die Feier eines kleinen Kreises ist, sondern die Feier der Gemeinde, an der sich ausnahmslos alle, die nicht in Kirchenzucht sind, beteiligen, sieht man diese Frucht der Entscheidung am deutlichsten. Es ist ihr ein neuer Geist geschenkt, nicht nur ein Erlebnis geistiger Art, sondern eine Kraft zu neuem Leben. Zwistigkeiten sind überwunden, und in den Häusern ist Friede eingekehrt. Halbheiten und Trägheiten sind überwunden, und ein neuer Geist des Zeugnisses, der Klarheit und Bekenntniskraft ist eingekehrt. Und aus dem mit offeneren Ohren und ganzer Bereitwilligkeit gehörten Wort gestaltet sich die Nachbarschaft, das Verhältnis von Eltern und Kindern, die Ehe und auch das tägliche Leben des einzelnen neu. Das kann so greifbar sein, daß Nichtchristen, die nur zu vorübergehender Rast in eine solche, ihnen sonst fremde Gemeinde kommen, von diesem Geiste, dieser Verleiblichung des Lebens aus Christus so gepackt werden, daß sie eine unüberwindliche Sehnsucht nach dem Frieden der Gemeinde Jesu mitfortnehmen. Wir haben Zeugnisse dafür aus verschiedenen Ländern.

LeerNun stellen wir diesem Abendmahlsverständnis in der jungen Christenheit, die weiß, daß es Entscheidung, d. h. Scheidung, Gericht und Verleiblichung ist, unsere Abendmahlsnot gegenüber. Ist unser ganzes Nichtverstehen dieses Sakraments vielleicht gar nicht in unserm Denken begründet, sondern in unserm Wollen? Bleibt uns das Abendmahl vielleicht nicht deshalb leer, weil wir uns nicht hineingeben wollen in diese Scheidung, die nichts kennt, als den einen Herrn, in dieses Gericht, das uns von aller Sünde trennt, in diese Verleiblichung, die wirklich ein anderes, ein neues Leben mit sich bringt? Das sei jedenfalls aus der Erfahrung der Mission bezeugt: Gemeinde lebt aus dem Herrenmahl, und eine Kirche, die das Sakrament verliert, stirbt.

LeerWas bedeutet das Sakrament für die Gemeinde? In Neuguinea hat man einmal das Abendmahl im Walde gefeiert. Es war ein Gemeindetag. Die Menschen, die da zusammenströmen, faßt keine der vorhandenen Kirchen. Da macht man einen Festplatz im Walde. Den ganzen Tag hatte man unter Gottes Wort gestanden. Nun brach der Abend herein, und man sammelte sich zum heiligen Mahle. Drohend stiegen die Schatten der Baumriesen gegen den Himmel. Aber die Gemeinde war, da man kein anderes Licht hatte, umgeben von einem dichten Ring von Jungen, die mit lodernden Palmfackeln leuchteten. In die tiefe Stille hinein spricht der Missionar seine Abendmahlsrede. „Jesus” - so sagt er - „hat das Mahl eingesetzt in der Nacht, da er verraten ward. Ihr empfangt das Mahl des Herrn, wie schon so oft, in der Nacht. Und in derselben Nacht seid ihr genau wie die Jünger fähig, euren Meister zu verlassen, aus Unglaube, Gleichgültigkeit und Liebe zur Sünde. Und doch gibt er sich euch.” Und nun wurde das Abendmahl ausgeteilt unter dem ununterbrochenen leisen Singen der Gemeinde. Als die letzten Töne verklungen und der Segen gesprochen war, erhob sich niemand, um wegzugehen. Alle blieben sitzen. Eine lange Stille herrschte. Schließlich trat der Missionar noch einmal hervor und fragte: „Will jemand noch etwas sagen?” Nach einer Weile kam eine Antwort: „Gott ist so gut, und wir sind so schlecht, daß wir nicht wissen, was wir sagen sollen.” Kann man über die Bedeutung des Abendmahles Tieferes sagen als dieser Papua mit unbeholfenen Worten sagt? In staunender Dankbarkeit sucht er die Größe der Gabe Gottes zu messen und findet nur einen Maßstab: die Abgrundtiefe menschlicher Gottferne. Aber dieser Maßstab ist zu klein. Gott ist größer als unser Herz. Er beugt sich herab: Nehmet, esset. Es ist mein Leib. Es ist das ewige Leben.

Anmerkung:
Diese Ausführungen geben einen Vortrag wieder, den Missionsdirektor Dr. Freytag auf einem Gemeindetage hamburgischer Gemeinden hielt. Wir sind dem Vortragenden zu besonderem Dank verpflichtet, daß er uns den Vortrag für die Evangelischen Jahresbriefe überließ, spricht er darin doch vieles aus, das wir mit Freude als eine Bestätigung unseres Bemühens erkennen, der evangelischen Kirche den Sakramentsgottesdienst wiederzugewinnen. Daß wir den Vortrag gerade in den Weihnachtsbrief hineinnehmen, hat seinen Grund darin, daß er ganz besonders hilft zu verstehen, was es um die Fleischwerdung des Wortes ist. Es sei auch auf die Ausführungen des Verfassers über die Bedeutung des Sakraments, besonders der Taufe, auf dem Missionsfelde in der Ev. Missionszeitschrift 1940, Heft 1 u. 2, und auf sein Buch: Junge Christenheit im Umbruch des Ostens, Furcheverlag, Berlin 1939, verwiesen.

Ev. Jahresbriefe 1941, S. 11-19

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-17
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