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Wilhelm Löhe über Amt und Kirche
von Heinz-Dietrich Wendland

LeerWir verehren Wilhelm Löhe als einen der Väter der lutherischen Kirche im 19. Jahrhundert. Es gehört zu den eigentümlichen kirchlichen Merkmalen unserer Zeit, daß aus jenem vielgestaltigen und für die Christenheit schicksalvoll verworrenen Jahrhundert immer größer und klarer die Gestalten einiger Männer hervortreten, die große Mahner und Rufer zur Kirche gewesen sind, ohne daß doch zu ihrer Lebenszeit und in ihrem Lebensraum ihr Ruf durchgedrungen wäre und ihr Kampf um die Kirche dieser eine neue Bahn hätte brechen können. Sie gingen der Kirche ihrer Zeit weit voraus, und ihr Lebenswerk blieb unerfüllt. Was man aber menschlich, allzu menschlich das „Tragische” eines solchen Lebens und Werkes zu nennen pflegt, das ist in der Geschichte der Kirche Christi in Wirklichkeit eines der wunderbaren Geheimnisse Gottes: solch' Werk ist Saat aus Hoffnung, und spätere Geschlechter der Christenheit hören den Ruf und folgen ihm, der längst verklungen schien. Es gibt in der Kirche ein geheimes Gesetz der Fruchtbarkeit, nach dem verlorene Saaten eine späte und unerwartete Frucht bringen. So, meinen wir, steht es auch um das Werk Wilhelm Löhes. Väter der Kirche sind solche Christen, deren Werk fortzeugend lebendig wirkt, als geistliche Wegweisung und Nahrung der Späteren, sind die, von deren christlicher Erkenntnis und geistlichem Schatze wir leben und zehren können. Ihr christliches Leben und Denken ist eingeschmolzen in das große Erbe, das die Kirche durch die Jahr- hunderte trägt, hat es aber auch mehren dürfen. Ein Schüler Löhes hat im Jahre 1872 nach dessen Tode über ihn geurteilt: „Was er der Kirche Gottes war, wird von zukünftigen Generationen besser erkannt werden als von der heutigen. Er ist seiner Zeit weit, weit vorausgeeilt”, und seine Gestalt gleicht ihm einem „Bischof aus der besten Zeit der alten Kirche”. Dies Wort beginnt sich heute zu erfüllen.

LeerDenn Löhe ist ja noch mehr als das Werk der Diakonie in Neuendettelsau und darüber hinaus, das zunächst die sichtbarste Fortwirkung seines kirchlichen Handelns blieb. Ein vor kurzem erschienenes Buch von Siegfried Hebart über „Wilhelm Löhes Lehre von der Kirche, ihrem Amt und Regiment” (1) führt uns in die Entwicklung und die inneren Zusammenhänge seiner Gedanken über die Kirche in sauberer Arbeit hinein. Das bedeutet freilich auch eine Begrenzung, da dieses Buch ein Beitrag zur „Geschichte der Theologie im 19. Jahrhundert” sein will. Obwohl es den reichen, unveröffentlichten Nachlaß Wilhelm Löhes ausschöpfen konnte, bleibt in ihm doch andererseits eine entscheidende Frage ungestellt, nämlich die Frage nach dem Zusammenhange der großen liturgischen Arbeit Löhes mit seinen Vorstellungen vom Amt und der Kirche. Es müßte ja wahrlich merkwürdig zugehen, wenn bei einem Manne, der so wie Löhe dem gottesdienstlichen, dem sakramentalen Leben der Kirche dienen will und dient, aus diesem Tun nicht die tiefsten Wirkungen auf die „Theologie” ausgeströmt wären!

LeerSo leidet auch diese neue Bemühung um Löhe, die viel Wertvolles aus Löhes Denken ans Licht gebracht hat, an einem alten protestantischen Erbfehler, die Theologie zu eng zu fassen, auf das Begriffliche zurückznschneiden, statt sie in dem lebendigen und fruchtbaren Zusammenhange mit dem gottesdienstlichen Handeln der Kirche und dem Dienste eines Christen und Amtsträgers der Kirche im Gottesdienste und an seiner Gestaltung zu sehen und sie gerade auch von hier ans zu entfalten und verständlich zu machen! Kann man überhaupt einen Begriff des Amtes der Kirche haben, des Amtes, das das Evangelium verkündigt, die Sakramente spendet und die Sündenvergebung zuspricht, ohne daß die gottesdienstliche Erfahrung, das Mitleben mit den Gottesdiensten der Kirche und nun gar die eigene liturgische Arbeit solchen Begriff von der Vollmacht des Amtes, von seiner Stellung im Ganzen der Kirche, seinem Verhältnis zur Gemeinde aufs tiefste bestimmt? Wenn wir diese Fragestellung für wesentlich und unumgänglich halten, so sind wir damit nicht genötigt, die Grenzen der Löheschen liturgischen Arbeit zu verkennen, die etwa Walther Stökl in seinem Vortrag über Wilhelm Löhe angedeutet hat. (2)

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LeerTrotz des angezeigten Mangels wird Löhe in Hebarts Buche deutlich als ein Wegbereiter für die Zukunft der Kirche, der sie über ererbte Schranken des gottesdienstlichen Lebens, der Ordnung und der Verfassung der Kirche hinausführen will. Er dient einer kommenden Gestalt der Kirche und weiß, daß die Treue zu den Bekenntnissen der lutherischen Kirche die Prüfung ihres Erbes und der Reformation selber nicht aufhalten noch hindern darf, daß wir uns wieder den ganzen Reichtum der Kirche Christi zu erwerben haben, auch wenn dieser zu wesentlichen Stücken in anderen Konfessionskirchen in die Erscheinung tritt als in der unseren. Wir müssen erfahren und gewinnen, was uns fehlt! - ruft Löhe uns zu, und die Hl. Schrift muß diese Arbeit der Sichtung und des Wiedererwerbens leiten.

LeerIst Löhe auch oft noch, gerade in seinen gedanklichen Ausdrucksformen an mangelhafte theologische Überlieferungen wie z. B. die Unterscheidung der „sichtbaren” und der „unsichtbaren” Kirche gebunden, so ist er doch wunderbar klar in seinem Hymnus zu Ehren der Kirche, die der Leib Christi und die Wohnung Gottes ist, in der Christus wirklich gegenwärtig ist in der Herrlichkeit und Fülle seiner Gnade. Sie ist das „Wunderwerk ihres einigen Herrn und Meisters”, sein wirklicher Leib, der darum auch in der Welt sichtbar in die Erscheinung treten muß. Nur in der sichtbaren Kirche kann die unsichtbare gesunden werden. Und sie ist die Gemeinschaft der Heiligen: „Alleine mit Christo kannst du nicht selig sein!” Das Herz ihres Lebens sind Gottes Wort und Sakrament. Er kämpft zeitlebens für ein „sakramentales Luthertum”, wahrhaftig nicht, um eine neue Sonderart von lutherischem Christentum in die Welt zu bringen, sondern weil er im Sakrament, in dem „die göttlichen Taten zum Heile der Menschheit gipfeln”, den Mittelpunkt und Lebensborn alles kirchlichen und christlichen Lebens sieht. Sammlung ums Sakrament ist seine Losung. Das ist die Gegenwehr gegen tiefe Schäden des uns überkommenen Kirchentums. „Ein konfessionelles Leben ohne sakramentliche Führung der Gemeinde endet in einem elenden Orthodoxismus und Konfessionalismus, der die Kirche zerstückt und zersplittert, das wahre Leben tötet und an seine Stelle den Streit der Schulmeinungen setzt, der keine Seele befriedigen kann...” Wer das Sakrament aber „ins Dunkel stellt, es nicht walten läßt, nicht König sein, der hindert das Leben und die Seligkeit der Gemeinde”. So strenge Löhe auf die lutherische Abendmahlslehre hält, das sakramentliche Leben und die Erfahrung vom Segen des Sakraments sind ihm die Hauptsache.

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LeerDie Schäden des Staats- und Massenkirchentums hat Löhe mit großer Schärfe erkannt wie wenige in seiner Zeit. Das rechte Verhältnis von Kirche und Welt ist in ihnen zerstört worden. Er sieht eine Zeit kommen, da die Bande der Vereinigung zwischen Staat und Kirche wieder gelöst werden. Das Kirchenregiment gehört der Kirche, ihren Bischöfen. Entscheidend und wegweifend ist hier, daß Löhe neutestamentliche Tatbestände gesehen hat, die erst heute langsam innerhalb der Theologie der Gegenwart wieder aufzutauchen beginnen! So hat er erkannt, daß die Kirchenordnung nicht von der Botschaft und dem Wesen der Kirche als Menschenwerk getrennt werden kann, sondern daß sie in diesen begründet ist und an ihnen und ihrem göttlichen Charakter Anteil hat, also z. B. das Amt der Kirche selber zur Heilsordnung gehört, wie es etwa Eph. 4 unwidersprechlich deutlich ist. Kirchenregiment und -verfassung müssen von Christus durchdrungen sein. In der Klarheit und Sicherheit solcher Erkenntnisse, die z. T. auch über reformatorische Lehren hinausführen, ist Löhe auch seinem heutigen Darsteller und Kritiker Hebart weit überlegen. Das Amt der Kirche ist eine selbständige Stiftung Christi und kann darum weder als eine bloße Ordnungsfunktion verstanden, noch auch von der Gemeinde hergeleitet werden. So gewiß es in der Kirche steht, die im ganzen das Volk des königlichen Priestertums ist, so gewiß ist es besondere Vollmacht durch den göttlichen Auftrag Christi. Ohne Apostelamt und Botenstimmen kann die Gnade Christi nicht zu uns kommen. Es ist das Amt des Hl. Geistes und in Wahrheit ein „notwendiges Gnadenmittel”, und eben hierdurch nie ein Amt der Herrschaft (der Vorwurf des Klerikalismus gegen Löhe ist lächerlich), sondern des priesterlichen Dienstes an den Gemeinden und an der Welt.

LeerLöhe hat aber auch die Isolierung des einen geistlichen Amtes als Prediger- und Pastorenamt als Gefahr für die Kirche erkannt. Die Fülle der neutestamentlichen Ämter ist ihm neu aufgegangen. Darum wollte er das Bischofsamt, das er mit Recht in dem neutestamentlichen Amt der Presbyter wiedererkannte, und das Diakonenamt erneuert wissen und hat selber durch sein Werk in Neuendettelsau der Diakonie in der Kirche die Bahn gebrochen.

LeerEndlich aber ist Löhe ein Wegbereiter unseres heutigen ökumenischen Ringens um die Einheit der Kirche. Ihm steht die Eine, Heilige, Allgemeine Kirche vor Augen, die in allen Zeiten, kraft dessen, was Ostern und Pfingsten geschah, eine ist, eine Kirche auch aller Völker und in allen Landen. Löhe lehrt uns beten um die Einheit der Kirche. Gegen die Unionen des 19. Jahrhunderts freilich, die nicht auf dem wahren Grund der Kirche standen, übte er die schärfste Kritik. Dieser wahre Grund kann allein das apostolische Wort des Neuen Testamentes sein.

LeerWir konnten nur weniges aus dem Reichtum der Kämpfe und Gedanken Löhes hervorheben. In allem war er ein Anwalt der Kirche, die aus dem Weihnachtswunder der Fleischwerdung des Wortes hervorgeht und darum aus der Ewigkeit kommt und der Ewigkeit entgegengeht, schon in der irdischen Zeit verbunden der himmlischen Gemeinde durch Christi Leib und Blut, den sie im Abendmahl empfängt. Seine Größe war letztlich die, daß er mehr als andere Christen litt unter der selbstverschuldeten, unechten Armut der Kirche in seiner Zeit, die in so vielem auch noch immer die Armut der unsrigen ist, aber niemals ließ von der Gewißheit, daß der Heilige Geist die Kirche vorwärts und weiter führt, ihrem göttlichen Ziele entgegen.

Anmerkungen:
(1) Neuendettelsau 1939, Freimund-Verlag, 330 S.
(2) In dem Heft W. Maurer und W. Stökl, August Vilmar und Wilhelm Löhe (Kirche im Aufbau 8) Kassel 1938, Joh. Stauda Verlag, S. 30.

Ev. Jahresbriefe 1941, S. 19-23

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-17
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