|
von Wilhelm Stählin |
Einer unserer Freunde hat in einem Vortrag über das Geheimnis des Sakramentes den unüberwundenen Gegensatz zwischen Luther und Zwingli in folgender Weise gedeutet: Luther fühlte sich als Hüter des Mysteriums; Zwingli wollte es dem Verstehen nahebringen, aber er gab darüber die reale Gegenwart des Auferstandenen preis und geriet auf das Geleise einer verstandesmäßigen Verflüchtigung; Luther opferte den Versuch zu verstehen und geriet auf das andere Geleise der bloßen Unterwerfung unter eine äußere Anordnung. Die Geschichte habe, so wurde in jenem Vortrag weiter ausgeführt, gezeigt, daß die österlich sakramentale Quellkraft nicht nur da verloren ging, wo das Mysterium dem rationalen Denken zum Opfer fiel, sondern auch da, wo man dies Mysterium entschieden bewahren wollte, aber nicht mehr den Versuch machte, es auch dem denkenden Bewußtsein nahezubringen. Es ist eine Lebensfrage, ob es uns heute gelingt, wenigstens die ersten Schritte auf einem Wege zu tun, auf dem die beiden damals auseinanderbrechenden Bedürfnisse wieder in einer inneren Einheit zusammen geschaut werden. Genau das gleiche gilt hinsichtlich der Ostergeschichten, wie sie uns das Evangelium erzählt und wie sie unzweifelhaft die Grundlage der gesamten christlichen Verkündigung bilden. Hier stehen einander gegenüber ein mehr oder minder naiver Autoritätsglaube, der sich damit begnügt, das völlig unbegreifliche Mirakel der leiblichen Auferstehung aus dem Grabe als solches anzunehmen, aber ohne das Bedürfnis, sich in denkender Klarheit darüber Rechenschaft zu geben, was damals eigentlich geschehen ist, und auf der andern Seite das ebenso entschiedene Bedürfnis, diese Berichte von unserem Weltbild und von unseren Denkgewohnheiten her zu beurteilen und nur das an ihnen gelten zu lassen, was sich unserer Welterkenntnis und darin den anerkannten Notwendigkeiten widerspruchslos einfügen läßt, - auch wenn dabei das Geheimnis der Auferstehung selbst preisgegeben werden muß. Der (theologische) Streit um bie Deutung und die Geltung dieser Auf- erstehungsberichte läuft dann in den meisten Fällen nur auf eine (nicht sehr belangreiche) interne Meinungsverschiedenheit darüber hinaus, wie viel von diesen Geschichten preisgegeben werden muß, um sie dem unzweifelhaften Herrschaftsanspruch unseres Weltbildes restlos zu unterwerfen. Die neutestamentlichen Berichte lassen keinen Zweifel darüber, daß sie, wo sie von Auferstehung reden, in erster Linie ein geschichtliches Ereignis meinen; und zwar ein höchst aufregendes Ereignis, das nicht mit naheliegenden Analogien in irgend eine bekannte und allgemein anerkannte Regel eingereiht werden kann. Es handelt sich nicht um die Wiederkehr der Lebenskraft im Kreislauf des Naturgeschehens; es handelt sich ebenso wenig um die Erkenntnis, daß der Geist unsterblich isz, und daß auch das Todesschicksal einen geistigen Wesenskern unangetastet läßt; es handelt sich also in keiner Weise um den Versuch, die Macht des Todes zu relativieren durch die Rückbesinnung auf eine der Todesmacht entzogene geistige Lebensmacht. Es ist vielmehr etwas geschehen, was den regulären Ablauf der Dinge sprengt. Dieses Ereignis vollzieht sich sozusagen in zwei Stufen. „Der Herr ist auferstanden.” Alle Berichte, ausnahmslos, sind sehr zurückhaltend in ihren Äußerungen über dieses Ereignis „Auferstehung” selbst. Es heißt nur, daß die Frauen oder die Jünger, die das Grab leer fanden, daraus keineswegs eine tröstliche Hoffnung geschöpft haben, sondern vielmehr von dem äußersten Schrecken befallen worden und entsetzt davongelaufen sind. Auch die Erscheinung des Engels erweckt (nach dem vermutlich ältesten Bericht Mark. 16) mehr Furcht als Freude. Die Auferstehungsbotschaft entzündet sich nicht an dem Eindruck des leeren Grabes und nicht an der Begegnung mit dem. Engel. - Nur das Matthäus-Evangelium tastet sich sozusagen etwas näher; an das Geheimnis der Auferstehung selbst heran und berichtet von einem „Erdbeben”: „Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein von der Tür und setzte sich darauf.” Es ist wichtig, daß auch hier nicht der Versuch gemacht wird, die Auferstehung selbst irgendwie zu beschreiben; und das Wort, daß der Engel des Herrn hinzutrat, besagt eben doch nur, daß hier ein Einbruch anderer Kräfte geschehen ist, als sie nach menschlichen, irdischen Kategorien gedeutet oder beschrieben werden können. Der „Engel” ist der Blick und die Stimme und der Finger Gottes. Damit wird die Auferstehung selbst in die Sphäre des gänzlich Unanschaubaren und Unbeschreibbaren gerückt. Diese Erscheinungen, in denen der auferstandene Christus gesehen worden ist, sind an eine bestimmte begrenzte Dauer gebunden. Sie finden nach einem Zeitraum von 40 Tagen in einer besonderen Schauung, die als ein Abschied verstanden werden soll und verstanden wird, ihren deutlichen Abschluß. Wenn der Apostel Paulus seine eigene Christuserscheinung vor Damaskus mit dem Sehen jener 40 Tage auf eine Linie rückt, so versteht er offenbar dieses sein Erlebnis als die letzte und abschließende unter den die Kirche begründenden Erscheinungen Christi; aber es tritt in den Berichten zugleich deutlich hervor, daß sich diese Erscheinung von Damaskus in ihrer Form von den anderen Erscheinungen des Auferstandenen vor seiner Himmelfahrt unterscheidet. Es handelt sich 1. Kor. 15 weniger um die Gleichartigkeit des Sehens als um die Gleichwertigkeit des apostolischen Zeugnisses, das sich auf dieses Sehen beruft. Die christliche Kirche hat zwar nie geleugnet, daß es auch später unter den verschiedensten äußeren Bedingungen Christus-Visionen gegeben hat, aber sie hat auch nie daran gezweifelt, daß sich der auferstandene Christus in jenen 6 Wochen in einer spezifisch anderen Weise manifestiert hat als jemals später, und daß er nach jenen geheimnisvollen 40 Tagen sich aus der Art, wie er damals seinen Jüngern nahe war, zurückgezogen und entfernt hat. (Es liegt nahe, sich dabei jenes in vielfachster Form ausgeprägten Glaubens zu erinnern, wonach der Verstorbene durch eine gewisse Zeit nach dem Tode, etwa „sechs Wochen”, noch in einer besonderen Nähe zu der Stätte seines irdischen Lebens und Wirkens weilt und sich erst dann endgültig aus dieser Sphäre entfernt.) Das alles heißt aber: Die Auferstehung ist in keiner Weise als eine Wiederbelebuug des physischen Leibes, als eine Rückkehr in die Form der Existenz, wie sie im Tod geendet hat, zu denken. Das Work „wieder”, wie es selbst unsere Glaubensbekenntnisse unbedenklich aufgenommen haben, ist im Grunde nicht statthaft. Die physisch faßbare Realität eines physischen Körpers ist in den biblischen Auferstehungsberichten nicht gemeint, sondern eine Seinsform ganz anderer Art, die sich den dazu berufenen und bereiteten Menschen auch leibhaft, sinnlich manifestieren kann. Noch in einem andern Sinn sind diese Erscheinungen des Auferstandenen nicht einfach eine Fortsetzung des durch den Tod nur scheinbar abgebrochenen Lebens, sondern sie bezeichnen den Eintritt in eine neue Sphäre. Die Jünger erfahren jetzt, was sie bisher nicht erfahren haben und nicht erfahren konnten. Der Auferstandene „öffnet ihnen die Schrift” (Luk. 24, 32); er gibt ihnen Auftrag, Weisung und Vollmacht, die entschieden hinausgehen über das, was Jesus zu seinen Lebzeiten ihnen anvertraut und übertragen hatte (Matth. 28, 18 ff.; Joh. 20, 21 ff.; Mark. 16, 14 ff.). Insbesondere hat die Kirche die Einsetzung zweier Sakramente, den Taufbefehl und die pneumatische Ausrüstung zum Sakrament der Buße, auf Handlungen und Weisungen des Auferstandenen zurückgeführt; und die große Nähe, in der nach dem Bericht der Apostelgeschichte das Leben der ersten Gemeinde mit der Osterbotschaft sich bewegt hat, läßt zum mindesten vermuten, daß diese erste Gemeinde bei ihrem „Brotbrechen” nicht nur an die Einsetzung des Heiligen Mahles am Gründonnerstag, sondern ebenso daran sich erinnert hat, wie sie mit dem Auferstandenen gegessen und getrunken hatten (Luk. 24, 30. 42 ff.; Joh. 20, 13). Der Herr fängt an, den Seinen all das zu erschließen, was er ihnen zu sagen hat, was sie aber nicht tragen konnten, solange er körperlich unter ihnen weilte. Das „Geheimnis der 40 Tage” ist der Anfang jener echten Tradition, in der der Herr seine Kirche „in alle Wahrheit leitet”. In jenem 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes ist Paulus vor allem bemüht, die Meinung abzuwehren, als ob das Leben in der Auferstehung nach Analogie unseres jetzigen irdischen Lebens und als dessen geradlinige Fortsetzung gedacht werden dürfte: totaliter aliter! Beide Lebensformen, die uns bekannte und die andere, der wir entgegengehen, unterscheiden sich nicht nur wie der ausgestreute Same von der daraus reifenden Frucht (man könnte hinzufügen, wie der Schmetterling von der Raupe, aus der er hervorgeht), sondern wie das Fleisch der verschiedenen Tiergattungen oder wie die Strahlung der verschiedenen Sterne. Der neue „Leib” ist nicht „verweslich”; er ist nicht in den Kreislauf vegetativer Prozesse ein- gefügt; schon dies hebt ihn über alle unsere, an die irdischen gebundenen Vorstellungen hinaus. Die Menschen in der Auferstehung werden „nicht freien oder sich freien lassen” (Matth. 22, 30); eine Gestalt des Menschen, die nicht mehr in der polaren Spannung des Geschlechtsunterschiedes lebt, liegt erst recht für uns jenseits aller vorstellbaren Möglichkeiten. Paulus betont so stark die völlige Verschiedenheit, den Radikalismus dieser Verwandlung, daß man ernsthaft fragen kann, was denn dann, nach seiner Meinung eigentlich die Konstante in dieser völligen Verwandlung sei. Die Kontinuität der Person (Voraussetzung ebenso des Gerichts wie der Seligkeit!) liegt nicht in irgend etwas, was zur Gestalt gehört; diese vergeht mit der Erscheinungsform der ganzen Welt, sondern in einem personalen Gestaltungsprinzip, einem personhaften Wesenszentrum, das aber hinübergetragen wird in eine völlig andere Gestalt aller seiner Erscheinungsformen! Die Nägelmale des Auferstandenen, die der „ungläubige” Thomas betasten darf, sind nicht ein Symptom physischer Realität, sondern nur das - für den armen schwachen Zweifler allein verständliche! - Zeichen, daß der Auferstandene, der ihm begegnet, wirklich kein anderer ist, als der, der sich in seiner Liebe am Kreuze geopfert hat. Die Auferstehungshoffnung des Neuen Testaments ist nirgends auf eine Wandlung der „Seele” beschränkt, sondern sie bezieht den Leib mit ein und ist gewiß, daß der ganze Mensch, in seiner leibseelischen Einheit und Ganzheit, an der großen Wandlung teilhaben wird (Phil. 3, 21 u. ä.). In welcher Weise der physische Leib seinen Formzerfall erleidet, ist dabei völlig gleichgültig; weder die Konservierung der toten Form noch ihre völlige Zerstörung im Feuer kann diese Wandlung in eine neue Gestalt fördern oder hindern. Darum hat die Urchristenheit auch kein primäres Interesse an der Frage, die uns heutigen Menschen Schwierigkeiten macht, was aus dem entseelten Leichnam Christi in der Auferstehung geworden sein mag. Sie würde, wenn sie diese Frage hätte beantworten sollen, wohl gesagt haben, daß der Leib Christi von dieser großen Wandlung völlig verzehrt worden sei; aber das Neue Testament hütet sich in strenger Zurückhaltung, mit Worten an dieses gänzlich unvorstellbare Geheimnis zu rühren. Das „leere Grab” ist also nur in einem sehr indirekten Sinn ein Symbol der Auferstehung. In der Wandlung wird das „Alte” verschlungen von dem „Neuen”. Und daß das „Neue” sichtbar geworden ist, ist unvergleichlich viel wichtiger, als daß in ihm das Alte, das vergangen ist, nun wirklich aufgehoben und „nicht mehr” ist. Mit einem tiefen Gefühl für das Wesentliche hat die christliche Kunst nicht das leere, sondern das gesprengte Grab zum Zeichen des österlichen Sieges gemacht; das Grab samt dem versiegelten Stein, stärkstes und unerbittliches Symbol des wirklichen und unwiderruflichen Endes, ist gesprengt, weil Gott ein Neues anfängt eben da, wo für unser Sehen und Denken alles zu Ende ist. Die Wandlungskraft des göttlichen Geistes macht nicht halt vor den erschreckendsten Zeichen des Vergehens: Leichnam und Grab. In der Frühe des Ostermorgens begrüßen wir einander mit dem Freudenruf: „Der Herr ist auferstanden; Er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja!” Dieses Wort „wahrhaftig” soll nicht nur bekräftigen, daß wir einander nicht Fabeln erzählen oder uns an Träumen begeistern, sondern von dem reden, was wirklich und gewiß geschehen ist; das Wort „wahrhaftig” drückt dabei aus, daß hier erfüllt und vollendet ist, was dieses Wort „auferstehen” bedeutet. Wir liegen, wenn wir müde sind, wenn Schwäche, Krankheit oder Ohnmacht uns hindert zu stehen. An jedem Morgen stehen wir auf, aus der Ruhe der Nacht und aus der Müdigkeit des Leibes. Wir stehen auf und werden dadurch bereit für Werk und Dienst des Tages. Wir danken Gott, daß wir aufstehen dürfen und wissen doch, daß nach wenigen Stunden die Müdigkeit uns wieder überwältigen und uns zwingen wird, uns niederzulegen, um in der Ruhe unsere Kraft zu erneuern; solange wir leben, sind wir dem Wechselspiel von Schwäche und Kraft, von Ohnmacht und Bereitschaft nicht entnommen. Christus ist wahrhaftig auferstanden: das heißt: hier vollzieht sich die nicht mehr vorläufige und bedingte, sondern endgültige Wandlung zur wirkenden Kraft, die von keiner Müdigkeit und keiner erzwungenen Ruhe mehr überwältigt werden kann. Jeder Morgen, an dem wir uns erheben, ist eine Verheißung jenes ewigen und endgültigen Morgens, an dem wir endlich „recht aufstehn”. Das gleiche kann gesagt werden in bezug auf das andere Bild: „Christus ist auferwecket von den Toten”. „Wahrhaftig auferwecket”. Kein irdischer Mensch kann dauernd wach sein; wir bedürfen des Schlafes, um einzutauchen in andere Räume; wir lassen uns passiv und wehrlos hinabsinken in einen großen Seelenraum, dessen wir nicht mächtig sind. Wenn wir erwachen und uns den Schlaf aus den Augen reiben, so erwacht in uns unser Ich, um seine Herrschaftsaufgabe wieder zu erfüllen; wir werden unserer selbst bewußt und wenden uns wach und bewußt der Welt und den Menschen zu; und wir bitten, daß wir auch wach sein möchten zum Gebet und zum Gehorsam. Aber wir werden wieder in den Schlaf und in die Ohnmacht sinken. Die Anferstehung ist das Gegenteil eines „ewigen Schlafes”, in dem all unser Bewußtsein ausgelöscht sein wird; es ist vielmehr das endgültige und unwiderrufliche Wachwerden, nicht die Aufhebung, sondern die Vollendung des menschlichen Ich, das ohne Unterlaß wach sein darf für Gott und darum auch wach für die Welt und für sich selbst. Christus ist wahrhaftig auferstanden, wahrhaftig auferwecket. Unser Aufstehen und unser Erwachen an der Schwelle von Nacht zum Tag ist das große Sinnbild dessen, was ans uns werden soll. Die Auferstehung ist die Erfüllung unserer Bestimmung. Was die Bibel mit „Auferstehung” meint, ist also der Hinübergang in eine andere, höhere Form des menschlichen Seins. Sie ist uns unvorstellbar, so wie die höhere Form des Seins immer für die niedere fremd, unbekannt und unbegreiflich ist. Wo diese höhere Ebene des Seins spürbar wird, da kann dieses unser physisches Leben in dieser „Welt” nicht mehr das Letzte und Endgültige sein, sondern es ist ganz und gar vorläufig und erfüllt seine eigene höchste Bestimmung nur, wenn es als Rohmaterial benutzt und als solches verwandelt wird. Wandlung ist das Urgeheimnis des Lebens. Die Erkenntnisse der heutigen Naturwissenschaft von den Verwandlungen der physischen Stoffe haben die Starrheit der stofflichen Gestalt gebrochen und deuten darauf hin, daß alle Lebenserscheinungen auf Wandlung beruhen und auf Wandlung zielen; aber sie dürfen doch nicht in allzu große Nähe zu dem Mysterium der Auferstehung gerückt werden und sie können vor allem nichts aussagen über die Richtung unserer Verwandlung. Wir aber „wissen, was wir sein werden”. „Wir wissen, daß wir Ihm gleich sein werden.” Ev. Jahresbriefe 1941, S. 36-44 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 12-09-17 Haftungsausschluss |