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Der Brief
von Wilhelm Stählin

LeerDieser Osterbrief wird, wie wir hoffen, schon vor dem Palmsonntag in Händen unserer Freunde sein. Die „stille” Woche, zu der der Palmsonntag die Pforte bildet, und das heilige Osterfest bilden eine unteilbare Einheit, und man kann das eine nicht ohne das andere recht begehen. Die alte Kirche hat das Wort Pascha, mit dem sie ihr Ostern bezeichnete (davon pâches = Ostern), gedeutet als „Übergang” oder „Durchgang” und sie wollte an diesem ihrem höchsten Fest eben den Durchgang durch das tiefste Leiden zur Herrlichkeit, durch den Tod zum Leben als das eigentliche Mysterium der Christenheit begehen. Es ist das tiefste und letzte Geheimnis, das im Evangelium auf uns wartet, daß das wahre und endgültige Leben nicht anders zu gewinnen ist als auf dem Weg eines bitteren Sterbens, und daß umgekehrt der schwere und dunkle Weg, auf den der liebende Gehorsam gedrängt wird, nicht in eine Nacht ohne Hoffnung hineinführt, sondern ein Durchgang ist, durch den man wirklich ins Helle und zur höchsten Lebenserfüllung gelangt. Unsere Passions-Andacht bleibt nur allzu leicht in einer unfruchtbaren Betrachtung des Leidens Christi, der Qual und der Schuld aller Menschheit stecken, statt hindurchzudringen zur Auferstehung und Wandlung. Die ältere Ordnung ist in einer sehr deutlichen Weise gewahrt in unseren Liedern: die Reformatoren haben uns kein einziges eigentliches „Passions”-Lied hinterlassen, sondern ihre Betrachtung des Passionsweges ist gänzlich eingebaut in das österliche Freuden- und Siegeslied. - Wir wünschten allen unseren Freunden, daß sie sich in der heiligen Woche an jedem Tag wenigstens eine Stunde freimachen könnten, um durch diese Tage wie durch einen ernsten Säulengang einzutreten in den lichtdurchfluteten Raum des Osterfestes. Die alte und vollständige Ordnung der kirchlichen Lesungen, wie sie in der Lesung für das Jahr der Kirche erneuert und dargeboten ist, ist eine große Hilfe, um diese Tage wirklich zu begehen als einen Weg, der zu einem Ziel führt.

LeerUnd wie kann der Jubel das Herz durchfluten, wenn wir dieses Fest des „Übergangs” wirklich durchleben als das große Urbild dessen, was an uns selber geschehen soll! Wie sehr möchten wir wünschen, daß all unsere Freunde einmal ganz eintauchen dürften in diesen hohen Freudenklang, wie wir voriges Jahr in der herrlichen Michaelskirche in Hall wieder gesungen haben und konnten kein Ende finden: Zu dieser österlichen Zeit laßt fahren alle Traurigkeit, ihr mühseligen Sünder; Gott hat getan groß Wunder. Sprecht im Glauben mit Freuden Ja! Ja! Ja! und singet Halleluja!

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LeerIn den Tagen, in denen ich dies schreibe, wird an einem Ort im Kreis unserer Freunde eine Reihe von Vorträgen über die Offenbarung des Johannes gehalten. Das „prophetische” Buch des Neuen Testaments wird heute von vielen Christen neu entdeckt und kann uns zum rechten Verständnis des ungeheuren Geschehens die größten Dienste tun; zumal wenn wir nicht versuchen, Einzelheiten willkürlich zu deuten, sondern in das Gesamtbild der Welt einzudringen, die sich hier vor uns auftut. Ich möchte empfehlen, daß alle unsere Freunde gerade jetzt sich in dieses Buch vertiefen, es vielleicht auch ihrer gemeinsamen Bibelarbeit zu grunde legen. Ich gebe die .Themen der 4 Vorträge an und füge jedesmal eine Frage bei, die das Verständnis des Themas und die eigene Beschäftigung damit erleichtern sollen, 1.) Der Seher und seine Visionen (welcher Art ist das „Sehen”, von dem hier berichtet wird?) 2.) Das Christusbild der Offenbarung (Wie unterscheidet sich dieses Christusbild von der Art, wie wir und die Gemeinden, zu denen wir gehören, Christus „sehen” und verstehen?). 3.) Das Bild der Gemeinde in der Offenbarung (Was ist die Wirklichkeit, das Schicksal und das Ziel der christlichen Gemeinde?). 4.) Die Offenbarung in der Verkündigung der Kirche (Inwiefern verändert sich die ganze Verkündigung der Kirche, wenn darin das, was dieser Seher „gesehen” hat, wirklich ernst genommen wird?). Denjenigen, die sich ernsthaft mit diesen Fragen befassen wollen, werden auch die Erläuterungen zur Apokalypse im vorigen Jahrgang der Evangelischen Jahresbriefe einen guten Dienst leisten.

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LeerIn der Zeitschrift „Wir und die Welt” (Heft 4/1940), in einem Aufsatz von Dr. Juri Semjonow über das ökumenische Staatsgefühl, lese ich die folgenden Sätze, mit denen dort die Notwendigkeit des Kolonialbesitzes begründet wird: „Wüsten, Steppen, Urwälder sind dem Menschen ebenso unentbehrlich wie den Pflanzen und Tieren. Neben dem Flecken Erde, den er bebaut, muß er irgendwo dicht dabei - oder auch weit weg ... - unkultiviertes, „totes” Land haben. Dies ist ihm ebenso unentbehrlich wie ein Stückchen freier Raum in seinem Hause. Wenn jeder Winkel besetzt und ausgenützt ist, dann wird das Leben des normalen Menschen unerträglich... Der Mensch braucht die Natur ebenso dringend wie die Kultur. Einem Kulturvolk ist die Naturlandschaft ebenso unentbehrlich wie die Kulturlandschaft. Notwendig ist der Garten, notwendig auch die Wüste.”

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LeerDie Stelle im vorigen „Brief”, wo ich eine Äußerung weitergegeben hatte, die im Luftschutzkeller geschrieben worden war, hat manche unserer Leser mit einem gewissen Neid, jedenfalls mit einem tiefen Schmerz über ihre eigene völlig andere Situation erfüllt. Wie gern wollte man, so schreibt mir jemand, die Mühsal dieser Nächte auf sich nehmen und dadurch an seinem Teil hineingezogen sein in das große Gesamtschicksal unseres Volkes, wenn man wenigstens an solchem Ort still sein und guten und hilfreichen Gedanken nachsinnen könnte; was aber sollte man machen, wenn man dort unweigerlich zusammengezwungen ist mit Menschen, die es nicht lassen können, laut zu lärmen, allerlei Unsinn treiben und sich dem Alkohol und seinen Wirkungen ergeben? Ich kann freilich auch kaum einen Rat geben, durch den man die Peinlichkeit einer solchen Lage zum Guten wenden könnte, wenn es schon auf keine Weise möglich ist, hier Abhilfe zu schaffen. Man ist, auch schon durch einen solchen Bericht unmittelbar erinnert daran, wie vollkommen verschieden sich die Menschen der Gefahr gegenüber verhalten, und wie viele in ihrer inneren Hilflosigkeit gar keine andere Möglichkeit haben, als ihre Angst mit Lärm und Leichtsinn zu betäuben. Wer das nicht kann - und wir können es nicht und dürfen es nicht „können” -, der hat es immer und überall schwerer, weil ja immer das Laute dem Leisen viel weher tut als umgekehrt. Doch hätten wir es sehr zu büßen, wenn wir auch nur den Versuch machen wollten, uns jener anderen Art anzupassen.

LeerDer Briefschreiber erinnert mit tiefem Recht an das Wort im Evangelium (Luk. 9, 55): „Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid?” Eine entscheidende Hilfe ist es zunächst, daß wir uns reinigen von aller Entrüstung über die „Rohheit” und Rücksichtslosigkeit der „Anderen”; auch wenn man es mit Fug so nennen mag, so steckt doch dahinter (wie meistens hinter den Formen menschlicher Bosheit) soviel innere Angst und Hilflosigkeit, daß wir mehr als alles andere Mitleid mit diesen armen Menschen empfinden sollten. In manchen Fällen kann man vielleicht versuchen - ich weiß nicht, ob das öfters geschieht - durch Erzählen von Geschichten die bösen Geister zu bannen; aber in sehr viel mehr Fällen werden wir uns in jener sehr hohen und sehr schweren Kunst üben müssen, uns gegen alles, was um uns her tobt, innerlich abzuschließen und in uns selbst eine Burg der Stille auszubauen, in der wir dann all hie tröstlichen Lichter anzünden und uns daran erfreuen können. Die Möglichkeiten der einzelnen Menschen in dieser Hinsicht sind sehr verschieden; aber ich bin immer wieder tief beschämt davon, was manche unserer Soldaten unter den schwierigsten und störendsten äußeren Umständen lesen, bedenken, beschweigen und beten!

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LeerAlle Mitglieder des Berneuchener Dienstes bitte ich noch einmal dringend, doch die Mitteilungen an dem kleinen Merkblatt, das mit den Schriften zu Weihnachten allen Mitgliedern zugegangen ist, sorgfältig zu beachten, insbesondere den Beitrag (RM 10.- einschließlich Evangelische Jahresbriefe) nur auf das Konto 87980 Köln, Pfarrer R. Harney, Düsseldorf einzubezahlen. Manche Freunde sind wahrhaft erfinderisch darin, ihre Zahlungen auf irgend einem anderen Weg, der ihnen bequemer erscheint, zu leisten und bedenken nicht, welche überflüssige Mehrarbeit sie uns damit zumuten.

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LeerZum Schluß ein gutes Wort von Blumhardt, das mir kürzlich ein Glied unseres Kreises geschickt hat.

Leer„Die Gemeinde Jesu Christi soll das Angesicht Gottes in der Welt leuchten lassen, die Liebe und die Güte und das Wohlwollen Gottes in aller Wahrheit und in aller Gerechtigkeit, in allem Ernst und in aller Freundlichkeit. Sie müßte das eigentliche Bild Gottes sein, über welchem man die andern Bilder vergißt...
Wie sollen wir denn den lieben Gott sehen? Wenn wir morgens beten: „Herr segne uns und lasse Dein Angesicht über uns leuchten!” und nachher ein grimmiges Gesicht machen und uns nicht grüßen und Übles voneinander denken, wo bleibt der Segen? Gott segnet die Schöpfung durch Menschen...
Gott will, daß wir Seine Ebenbilder seien, und daß sozusagen Sein Angesicht in der Menschen Angesicht sich spiegle.”

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LeerAus einem der Briefe, die ich hin und wieder schreiben muß: „Von irgend einem Unbekannten eine so dringliche Frage nach unserer Berneuchener Arbeit zu empfangen, ist allemal eine Freude. Meine Freude wäre freilich erst dann ganz ungetrübt, wenn ich feststellen könnte, wie Sie heißen und Ihnen also die erbetenen Auskünfte direkt senden könnte. Aber leider ist es weder mir noch irgend einem meiner Hausgenossen bisher gelungen, Ihren Namen mit hinlänglicher Sicherheit zu entziffern. Nun versuche ich, auf dem Umweg über unseren gemeinsamen Freund..., auf den Sie sich berufen, Sie zu erreichen. Mit Spannung erwarten wir die Aufklärung, welche unserer sehr weit auseinandergehenden Vermutungen der richtigen Deutung am nächsten gekommen ist.

Ev. Jahresbriefe 1941, S. 59-62

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-17
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