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Warum überhaupt Erlösung?
von Walter Uhsadel

Ein Briefwechsel

Leer... Vielleicht soll man überhaupt weniger fragen, weniger grübeln, mehr still sich öffnen und schweigend sich beugen und anbeten? Für mich allein könnte ich das vielleicht. Aber - da sind die anderen, die Angreifenden, Feindlichen, denen man gern Antwort gibt und zwar gute, und die Fragenden, Suchenden, Zweifelnden, die eigenen Kinder, für die man verantwortlich ist.

LeerDa ist die Christusfrage, die ganz schwere. Nicht die hohe, heilige, göttliche Persönlichkeit Christi, aber die Frage der Erlösung. Warum überhaupt Erlösung? Warum nicht einfach Vergebung? „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt . . .” Wir würden doch immer wieder unsern Kindern vergeben, und wenn sie, wer weiß was, täten.

LeerUnd inwiefern liegt in Christi Tod eine Erlösung für uns? Wohl meine ich ahnend das Geheimnis des Opfers, eines Einsatzes Gottes bis in unsere letzte Not, zu verstehen. Aber „ein Ausgleich unseres Schuldkontos”, etwa eine „Bezahlung” durch Blut, - das geht mir stark gegen den Strich, gegen meine Vorstellung von Gott. In unserer Bibellese stand am letzten Donnerstag: „Seit der Träger des ewigen Lebens sich ganz hingeopfert hat für das Leben der Welt, gibt es ewiges Leben”. Gab es vor Christus kein ewiges Leben, keine Vergebung, keine Erlösung? Wenn Christus nicht gekommen wäre, wäre die Welt verloren? Wenn ich es, ohne daß Sie erschrecken, mal ganz kraß und ketzerisch ausdrücken darf: manchmal denke ich „Welch ein ‚Apparat’ um uns sündige Menschenkinder! Warum können wir uns nicht einfach dem gnädigen, vergebenden Vater vor die Füße und in die Arme werfen, wie unzählige Fromme des alten Bundes?” So denke ich allerdings nur manchmal, die Persönlichkeit Christi faßt mich immer wieder, aber ich hätte so gern die „Erlösungswirklichkeit” auf eine klare Formel gebracht, die ich mir in Stunden des Zweifels selber sagen könnte und in gegebenem Fall anderen.

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LeerDarf ich dem, was ich auf Ihren Brief zu antworten suche, eins vorausschicken ? Sie sollen sich auch als Christ, auch heute noch „einfach” dem gnädigen, vergebenden Vater vor die Füße und in die Arme werfen! Das ist durch Christus doch gewiß nicht verwehrt! Zeigt sich uns nicht in ihm der Vater und öffnet seine Arme? Aber Ihre Frage, welche Bedeutung Jesus Christus - als geschichtlicher Gestalt - dabei zukommt, ist berechtigt; denn natürlich müssen wir denen, die von außen her fragen, Antwort geben können, warum wir Erlösung suchen und warum wir sie in Christus finden.

LeerIhre Frage „Warum überhaupt Erlösung?” trifft ohne Zweifel den Kern alles religiösen Suchens der Gegenwart. Wo auch immer ich mit ernsthaft suchenden Menschen ins Gespräch gekommen bin, tauchte diese Frage auf. Ja, es will mir scheinen, daß darin die Tragik des Gottsuchens unserer Tage liegt, daß die Menschen von vornherein trotzig ablehnen, wonach sie in Wirklichkeit gerade ein tiefes Verlangen haben! Denn was könnte religiöses Suchen meinen, wenn nicht Erlösung?

LeerEs überrascht mich daher, daß Sie fragen: „Warum nicht einfach Vergebung?” Nach meiner Erfahrung sind die heute religiös suchenden Menschen dem Begriff Vergebung gegenüber noch viel spröder. Es ist mir mehr als einmal begegnet, daß sie ihn lächelnd abwehrten. Gewiß gaben sie mancherlei Unzulänglichkeit zu, ja auch ernstliches Versagen und bedenkliche Fehlhandlungen. Aber sie meinten durchaus, mit ihnen „allein ins Reine kommen” zu können. Ist nicht dies die Haltung auch vieler, die sich noch Christen nennen ? Man zuckt die Achseln, man schüttelt die Erinnerung an jene Dinge so gut wie möglich ab, man wendet sich Aufgaben und Pflichten zu, deren Erfüllung das Selbstbewußtsein stärkt. Man braucht keine Vergebung. Man verabscheut sie geradezu, weil man eine moralistische Beanspruchung abwehrt, die darin zu liegen scheint. Alles Moralistische ist ja dem heutigen Menschen zuwider. So ist es immer in Zeiten, in denen das Handeln der Menschen in seiner Bedeutung für das Leben überschätzt wird: sie werden moralistisch. Der christliche Glauben aber ist niemals moralistisch gewesen. Der erhobene Zeigefinger, die gerunzelte Stirn, die Beargwöhnung des menschlichen Tuns ist ihm fremd.

LeerDarum meine ich, wir könnten mit dem Menschen unserer Zeit sehr viel besser über Erlösung reden. Denn er hat ein starkes Gefühl dafür, daß sein Leben von „Mächten” abhängt. Er bewertet sie freilich falsch. Er sieht sie nur positiv. Er hat eine ideale Vorstellung von ihnen. Vor allem aber: er lebt in einem geistig-seelischen Raum von großer Dürftigkeit. Lassen Sie mich versuchen, dies Letztere in einem Beispiel zu erläutern: Wenn solch ein junger Mensch - vielleicht solch ein Student der Nationalökonomie, wie er mich kürzlich mit seinen Fragen aufsuchte - einmal nach der Bibel greift, so möchte er ein Buch vorfinden, in dem alles so plausibel wie im Tagesbericht einer Zeitung ist. Er erschrickt, daß es so ganz anders ist - oder er freut sich und meint, nun mit Recht seinen Hohn über dies alte Buch ausschütten zu können. Sein Denken vermag nur noch auf Asphaltstraßen vorwärtszukommen. Es ist spannungslos wie eine Autobahn. Im weg- und steglosen Urwald - und die Bibel ist ein Urwald, ein Urwald aber eine herrliche geheimnisvolle Einheit - ist er hilflos. Er vermag die ungeheuren Spannungen, die die Bibel in sich birgt, nicht zu erfassen, noch zu ertragen: Die Welt Gottes herrliche Schöpfung und doch die widergöttliche, die der Christ nicht liebhaben kann, - der Mensch Geschöpf Gottes und doch voller Verderben, - die Erde voll Segen und Lobpreis auf ihren Herrn und doch voll Blut und Tränen, - das Gebot der Feindesliebe und doch die Faust Christi, die die Geißel gegen die Wechsler im Tempel schwingt.

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LeerSie werden diese Reihe selber noch viel weiterführen können - und noch stärkere Gegensätze finden: Die Härte so mancher Geschichten des Alten Testaments und die abgeklärte Milbe etwa der Johanneischen Briefe. Mit alldem wird der heutige Mensch nicht fertig. Plausibel ist ihm nur das Einseitige und Spannungslose. Er meint nur eins sein zu können und will nur eins sein und darstellen, natürlich das Gute und Lichte. Das Böse und Finstere projiziert er auf - „die anderen”, den „großen Unbekannten”. Darum will er auch die Lebensmächte, von denen er sich abhängig weiß, nur einseitig sehen. Ihre Zwiespältigkeit, die erschreckende Wirklichkeit des Lebens, meidet sein Blick.

LeerMeinen Sie aber nicht auch, daß das immer dringlicher werdende religiöse Fragen ein Zeichen dafür ist, daß die Wirklichkeit sich doch meldet? Ist nicht die religiöse Unruhe vieler junger Menschen ein Beweis für eine immer tiefer reichende Erschütterung ? Ich bin überzeugt, daß einer nach dem andern von einem großen Schrecken über sich selbst und die Wirklichkeit befallen werden wird. Dann werden sie fragen nach dem, was „erlösen” kann, und werden ahnen, daß die Mächte der irdischen Wirklichkeit keine erlösende Kraft haben; denn sie sind es ja, in die wir verstrickt sind.

LeerErlösen kann nur, was nicht „von dieser Welt her” ist! Und dies Erlösende offenbarte sich im Geschehen auf Golgatha. Wir können es nicht ändern, daß dieses erlösende Opfer nur einmal, damals und gerade dort geschah und daß wir ihm nichts an die Seite zu stellen haben. Seit es geschah, ist uns ein Leben erschlossen, das wie eine geheimnisvolle Unterströmung durch die Fluten der Weltwirklichkeit geht. und vom Kreuze Christi aus rückblickend in die Geschichte sehen wir alles in anderem Licht: Wir erkennen in dem Opfer Christi den Abschluß eines Prozesses, auf den die Welt angelegt war. Was wäre die Welt ohne jene geheimnistiefe Wirklichkeit des Opfers, die im Kreuze Christi „offenbar” wurde?

LeerWas der heutige Mensch sucht, ist ohne Frage ein geschichtliches Ereignis von erlösender Kraft, nicht eine Idee, nicht ein Mythos! Und wenn er erfährt, wie das spannungsvolle Zeichen des Kreuzes Christi ihm den Zugang zu einem von den Bedrängnissen der Wirklichkeit erlösten Leben öffnet, sollte er dann nicht auch in seine ganz persönliche Wirklichkeit schauen und merken, daß solche Erlösung für ihn - Vergebung heißt, „Ausgleich des Schuldkontos”? Und nun ist ja schließlich das Opfer Christi nicht nur geschichtliches Ereignis, das isoliert in der Vergangenheit stünde und uns immer ferner rückte. Es ist für alle Zeit gegenwärtig im Wort und Sakrament der Kirche. Darum haben Sie mit Ihrer ersten Frage sehr recht: „Vielleicht soll man überhaupt weniger fragen, weniger grübeln, mehr still sich öffnen und schweigend sich beugen und anbeten ?” Ja, das sollte man. Freilich kann niemand die Fragen und Zweifel verscheuchen, und wir müssen uns ihnen stellen. Wo aber uns ein kleiner Lichtschein sich auftut, sollen wir uns ihm still öffnen, und alles Fragen wird wenigstens für eine Weile vergessen sein, und vieles wird nicht wiederkehren, weil es im Schweigen und Schauen, im Hören und Empfangen Antwort fand.

Evangelische Jahresbriefe 1942, S. 65-67

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-14
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