|
von Otto Heinrich v. d. Gablentz |
In der gegenwärtigen deutschen Situation hat die Frage, ob der Christ sich an der Parteipolitik beteiligen darf, ein doppeltes Gesicht. Neben der grundsätzlichen Frage steht die besondere, ob es zu vertreten und zu unterstützen ist, daß sich eine eigene Partei bildet, die sich ausdrücklich als christlich bezeichnet und in erster Linie Christen zu vereinigen versucht. K a n n e r e s t u n ? Oder gibt er damit gerade die besondere christliche Haltung auf, die Haltung der Liebe, die für alle gleichmäßig offen ist? Ist das Parteiergreifen und damit die Beteiligung an dem Machtkampf zwischen Teilkräften des sozialen Ganzen ein Widerspruch zur christlichen Botschaft und zum christlichen Leben? Die Antwort hängt davon ab, wie man die Stellung des Christen in der Welt überhaupt beurteilt. Wer grundsätzlich leugnet, daß Parteipolitik mit christlicher Lebensführung vereinbar ist, der leugnet die Möglichkeit eines christlichen Wirkens im öffentlichen Leben überhaupt. Entweder tut er das aus Furcht, in die gemeinsame Schuld verstrickt zu werden. Dann kann man ihm nur antworten, was ich vor Jahren in einer guten katholischen Predigt hörte: „Diese Auffassung von Christentum entartet zu einer Seelenheilsversicherung. Sie sucht sich selber und wird sich verlieren. Es kommt nicht auf das Heil der Seele an, sondern auf die Ehre Gottes und damit auf das Heil der Welt. Und wer dies sucht, dem wird „solches alles” zufallen, und dazu gehört auch das Heil der Seele.” Oder aber es steckt hinter dieser Haltung jene pessimistische Auffassung der Welt, wonach die Macht an sich böse sei, wie Jakob Burckhardt sagt. Wer so denkt, wer keine Hoffnung sieht, in der Gestaltung des menschlichen Gemeinschaftslebens etwas Gutes auch durchzusetzen, zeigt damit, daß er nicht an die Erlösung glaubt, daß er keine Zuversicht dazu hat, daß der Heilige Geist die Seinen auch im Leben des Alltags führen und behüten kann, daß auch die Schöpfung auf das Wirken des Heiligen Geistes hingeordnet und ihm und den Menschen guten Willens zugänglich ist. Das heißt aber, ihm fehlt eine entscheidende Erfahrung des christlichen Glaubens. Also: Der Christ k a n n sich an der Parteipolitik beteiligen, ohne deswegen sein Christentum zu verleugnen. Aber d a r f e r e s deswegen a u c h ? Es könnte doch sein, daß in der Parteipolitik ein derartiges Maß an Kampf, an Ablehnung der anderen Parteien verlangt wird, wie es mit der Liebe nicht mehr zu vereinbaren ist. Grundsätzlich gilt dabei die Antwort aus die erste Frage: Die Welt ist hingeordnet auf Gott, es ist möglich, in ihr das Gute nicht nur zu wollen, sondern mit Gottes Hilfe in gläubiger Hingabe auch zu tun und durchzusetzen. Die Frage kann aber sehr ernst werden, wenn man mit ihr an die Teilnahme der Christen in einzelnen Parteien herangeht. Es gibt Parteien, die sich im Haß gegen andere Parteien oder gegen bestimmte Bevölkerungsschichten zusammengeschlossen haben, oder sogar im Haß gegen das Christentum. Hier ist es eine durchaus offene Frage, ob die Beteiligung von Christen dazu helfen kann, die Grundhaltung dieser Parteien zu wandeln, oder ob nicht umgekehrt die Teilnahme von Christen nur dazu mißbraucht wird, die Einstellung dieser Parteien zu verschleiern. Für die nationalsozialistische Partei war die Frage eindeutig: Sie war aus dem Haß entstanden und lebte davon, und Christen hätten niemals in ihr mitarbeiten dürfen. Für die gegenwärtige kommunistische Partei ist die Frage sehr offen zu stellen. Jedenfalls dürfen Christen sich ihr nur anschließen, wenn sie vorher bei den maßgebenden Stellen ihres Wirkungskreises in der Partei offen ihre Sorgen angemeldet haben. Gibt es das nicht, haben wir eine vollständige Demokratie, daß der einzige Weg zum Einfluß auf das öffentliche Leben über die Parteien geht, dann gibt es allerdings auch für den Christen kaum eine Ausrede, sich vom Mitwirken an den Parteien auszuschließen. Nur für den Geistlichen selbst kann es - muß es aber nicht - gelten, daß er bewußt auf die Ausübung seiner politischen Rechte verzichtet, um allen Gliedern seiner Gemeinde als Seelsorger glaubhaft zu sein. Wenn zwei Bedingungen erfüllt sind, die in einem normalen Kirchenund Staatsleben erfüllt sein sollten, wenn nämlich an sich schon Vertrauen zur Kirche besteht, und wenn die Parteigegensätze sich von Gehässigkeit freihalten, besteht nicht einmal ein Anlaß, daß der Geistliche sich aus dem Parteileben ausschließt. K a n n e i n e P a r t e i c h r i s t l i c h s e i n ? Sie kann es niemals in dem vollen Sinne sein, daß alles, was sie tut, den Namen christlich verdient. Oldham, einer der weisesten Führer der ökumenischen Bewegung, sagt: „Die Kämpfe der Geschichte spielen sich auf dem politischen Plan ab, und auf diesem Plan ist keine Sache rein, keine ist frei von der Ansteckung. Ihr Anspruch auf die Menschen ist relativ, nicht absolut.” Also, eine christliche Partei im strengen Sinne kann es nicht geben. Wohl aber haben die Christen im politischen Leben eine ganz bestimmte Haltung durchzusetzen und bestimmte Forderungen zu vertreten. Sie müssen sich nur darüber klar sein, daß sie dann eben auch nur eine Partei neben anderen sind und selbst nicht die ganze Wahrheit und das ganze Recht in ihren Reihen verkörpern können. Wenn sie diese Einsicht haben und aussprechen, besteht kein Grund, weshalb sich nicht eine Partei von bewußten Christen bilden sollte. D a r f a b e r e i n e c h r i s t l i c h e P a r t e i g e b i l d e t w e r d e n ? Es erhebt sich doch sofort die Gefahr, daß die Kirche in den Kampf der Parteien hineingezogen wird. Den Gegnern wird es sehr willkommen sein, in dem unvermeidlichen Kampf gegen die christlichen Parteien die Kirche anzugreifen. Und den Christen selbst wird es schwer fallen, immer auseinander zu halten, wo sie als Partei und wo sie als Kirche auftreten. Damit erschweren sie der Kirche gerade jene Missionsarbeit an den Fragenden und Zweifelnden, die heute eine unserer wichtigsten Ausgaben ist. Sie machen sich und die Kirche selbst unglaubhaft für die Menschen, denen alle anderen Antworten auf den Sinn des Lebens zerbrochen sind, die vom Christentum eine endgültige, wirklich überlegene Antwort erwarten und es nun auch wieder relativiert in Verbindung mit Interessen und Teilerscheinungen, eben „Parteien”, finden. Da auch unter Christen über rein politische und wirtschaftliche Maßnahmen in den Grenzen der Liebe und der Sachlichkeit immer verschiedene Ansichten sein werden, ist es einfach normal, daß sich die Christen dann auf die verschiedenen Parteien verteilen. Es ist dann Sache einer freien Vereinigung christlicher Laien, daß die Mitglieder der verschiedenen Parteien, soweit sie bewußte Christen sind, sich zusammenfinden, um die sachlichen Fragen im Lichte der christlichen Verkündigung zu studieren und die christliche Haltung der Parteien im Umgang miteinander zu sichern. Wenn aber in einem Volk das Christentum als anerkannte Macht in der öffentlichen Meinung überhaupt ausgeschaltet war wie in Deutschland, wenn nicht mehrere Parteien ohne weiteres bereit sind, christliche Haltung und christliche Forderungen als selbstverständliche Voraussetzung ihres Wirkens anzuerkennen, dann kann es geboten sein, daß die bewußten Christen sich in einer eigenen Partei sammeln. Eine freie Vereinigung der im politischen Leben tätigen Christen wird übrigens dadurch nicht überflüssig gemacht. Im Gegenteil, sie erscheint dann besonders wichtig, um die Verbindung mit denjenigen Menschen aufrecht zu erhalten, die nun doch sich anderen Parteien anschließen oder die aus verständlicher Sorge vor den eben dargestellten Gefahren glauben, um ihrer persönlichen Aufgaben willen sich der Teilnahme am Parteileben enthalten zu müssen. Solche Vereinigungen können heute z. B. mit den „Evangelischen Akademien” verbunden werden. Die katholische Kirche hat dafür die freie Form der „Katholischen Aktion” herausgebildet, die keine kirchliche Einrichtung ist, sondern eine reine Laiensache, und auch keineswegs mit einer einzelnen Partei identifiziert werden darf. M ü s s e n d i e C h r i s t e n s i c h i n e i n e r e i n z e l n e n P a r t e i z u s a m m e n s c h l i e ß e n ? Diese Frage ist als erste von allen hier gestellten klar zu verneinen. Es wird immer Aufgaben geben, die den Einzelnen zwingen, sich um seines Dienstes willen von der Partei ganz unabhängig zu halten. Es wäre sogar verhängnisvoll für eine christliche Partei, wenn sie das Monopol an den Christen erlangte. Denn dann würde sie zwangsläufig auch ein Monopol für die Christen beanspruchen müssen, d. h. sie würde für alle nicht bewußt im kirchlichen Leben stehenden Menschen unglaubhaft. Im anderen Falle aber hat sie durchaus die Möglichkeit, auch solche Menschen als Anhänger zu werben, die mit ihren Grundsätzen und Zielen übereinstimmen, auch wenn sie dafür andere, rein humanistische Begründungen haben. Auf das Zusammenarbeiten mit solchen Menschen ist eine christliche Partei schon aus politischen Gründen angewiesen. 1) Er ist r e a l i s t i s c h . Er kennt die beiden Seiten der Wirklichkeit, die Materie und den Geist, denn er weiß, daß Gott alles Sichtbare und alles Unsichtbare geschaffen hat. Er weiß um die Gottebenbildlichkeit und um die Sündhaftigkeit des Menschen, aber auch um seine Erlösung. Er ist gleichmäßig gewappnet gegen Verbitterung und Skepsis des Materialisten wie gegen Illusionen des Idealisten. 2) Er ist z u v e r s i c h t l i c h , denn er weiß darum, daß Gott die Weltgeschichte fuhrt und daß kein gutes Denken, Wollen und Tun verloren ist. Er kann darum gelassen auch vorläufige Niederlagen mit in den Kauf nehmen und wird sich niemals dazu hergeben, um taktischer Erfolge willen lieblos und unsachlich zu werden. Denn es hülfe nicht nur dem Menschen nichts, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme dabei Schaden an seiner Seele, sondern auch die Welt geht daran zugrunde, wenn sie von Menschen beherrscht wird, die an ihrer Seele Schaden genommen haben. 3) Er ist f r e i v o n H a ß und R e s s e n t i m e n t . Er vermag in jedem Menschen den Bruder zu sehen und gewinnt dadurch auch für den Umgang mit anderen Menschen die überlegene Sachlichkeit. 4) Er ist a u s g l e i c h s b e r e i t , ohne deswegen in kurzsichtige und kurzfristige Kompromisse zu verfallen, denn er weiß, daß Gott jedem Menschen, jeder Gruppe und jedem Volke bestimmte Aufgaben zugewiesen und damit auch bestimmte Grenzen gesetzt hat. Und daß einer ruhigen Einsicht die Kenntnis solcher Grenzen nicht verborgen bleiben kann, daß die „Forderung der Dinge” erfüllbar ist. Es gibt Weltpolitik ohne Krieg, es gibt Innenpolitik ohne Haß, es gibt Sozialpolitik ohne Revolution. Damit hat der Christ die Möglichkeit, einen neuen Stil in das politische Leben einzuführen, und damit hat er die Verpflichtung, diese Möglichkeit auch auszunutzen und sich dem politischen Leben zu widmen, aktiv, soweit er die persönlichen Fähigkeiten dazu aufbringt, passiv als Anhänger, um diese Menschen in ihrem gefährlichen und undankbaren Wirken zu unterstützen. Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 17-21 |
© Joachim Januschek Letzte Änderung: 13-05-02 Haftungsausschluss |