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Die Kirche vor der Friedensfrage
von Wilhelm Thomas

LeerDie Welt sucht aufzutauchen aus dem Taumel über dreißigjähriger Kriegswirren - und die christliche Kirche fragt sich, ob sie in dieser Stunde ein besonderes Wort zu sagen hat, sie, die von Anbeginn an unter dem Wort steht: „Selig sind die Friedebringer, denn sie werden Gottes Kinder heißen.”

LeerHat die Kirche den Dämonien des Hasses und der Zwietracht, der Herrschsucht und der Blutgier zu wenig widerstanden? Die Friedensfrage erhebt sich als eine brennende Frage vor uns allen. Wie antwortet die Kirche Christi? Welche Antwort hat sie je und je gegeben?

LeerIn der ersten Christenheit gab es viele, die glaubten den Geistern des Krieges und der Gewalt damit den entscheidenden Widerstand zu leisten, daß sie jede Teilnahme am Kriegsdienst verweigerten; daß sie freiwillig das Kriegshandwerk nicht wählten; daß sie da, wo Zwang drohte, auswichen. Und es waren gewiß immer wieder ernste und große Augenblicke, wenn diese Antwort einer rücksichtslosen Weigerung aufs Neue gegeben wurde. „Lieber wandern wir aus oder gehen in die Gefängnisse, ehe wir Christi Friedensmission unglaubwürdig machen mit der Gewalt der Waffen.”

Leer„Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen” hatte der Herr gesagt - war das nicht Weisung genug? Mennoniten und Quäker haben solche Friedenstreue bis in unsre Tage wahr gemacht, und etwas davon spürt man auch in der Weigerung der großen Kirchen, die Träger geistlicher Ämter hineinzustellen in das Blutvergießen der Heere und Flotten. Eine letzte Unverträglichkeit der Gewaltreiche der Erde mit dem Friedensreich Christi leuchtet auf in diesem „Wir tun nicht mit!”

LeerAber der Schutz der natürlichen Güter hat immer wieder zu den Waffen gerufen, und so hat die christliche Kirche noch andere Wege gehen müssen, um die Dämonien des Krieges, wenn sie schon nicht auszurotten sind, doch zu bändigen durch strenge Regeln und Ordnungen einer Gewaltanwendung, die sich heiliger, unverbrüchlicher Grenzen bewußt bleibt. Wo Christen gegen Christen standen, mußte es da nicht möglich sein, in das rohe Handwerk des Krieges Mäßigung und Barmherzigkeit einfließen zu lassen? Es gehört zu den Großtaten christlichen Geistes, daß in Zeiten blutgieriger Rachsucht und Fehdesucht ein Gottesfriede möglich wurde eine treuga dei, die einem von täglicher Gewaltanwendung aufgewühlten Lande den Frieden wiedergab.

LeerIm südlichsten Frankreich war es um das Jahr 1000, wo die Kirche zuerst den heiligen Auferstehungstag des Herrn, den Sonntag, dann die heilige Zeit vom Abendmahlstage, dem Donnerstag bis zum Sonntag, schließlich alle Festzeiten des Jahres gänzlich bei Strafe des Bannes ausnahm von jeder Eröffnung blutiger Fehden. Und die ritterlichen Herren des Landes, die sich keiner Obrigkeit gebeugt die das Leben für untragbar gehalten hatten ohne das Recht täglicher Fehde, - sie beugten sich der Hoheit Christi und lernten Landfrieden wahren und ihre kriegerischen Kräfte sparen für größere Werke.

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LeerDem Gottesfrieden der heiligen Tage vergleiche ich die Genfer Konvention vom Roten Kreuz. Es geht nicht um den Landfrieden, sondern um die Kriegsführung von Volk zu Volk. Nicht eine zeitliche Grenze setzt man dem Blutvergießen, aber andere Schranken werden errichtet. Der nicht mitkämpft im Heere, und der nicht mehr mitkämpfen kann, weil er verwundet oder krank ist, - sie sollen Schonung erfahren. Nur zwischen Heer und Heer ist Krieg. Nach gerechten Regeln soll der Sieg entschieden werden.

LeerEin Jahrhundert fast wirkt der heilige Schwur, lindert das Leid, rettet Tausenden das Leben. Die biblische Gestalt des barmherzigen Reisenden aus Samaria - sie ist Wirklichkeit geworden im Toben der Schlachten.

LeerSchwerer ists, da bändigend einzugreifen, wo Christen gegen Ungläubige zu Felde liegen - in den Kolonisationskriegen des Mittelalters, in der Abwehr der Mauren und Türken. Aber auch da gelingen große Dinge. Der Streiter Christi trägt das Kreuz - Bereitschaft zu Leiden und Opfer heißt die innerste Kraft seines Kämpfens und Ringens. Auch der Ritter steht im christlichen Orden, im Gehorsam, der Maß und Ziel des Ringens setzt und wahrt. Der Geist der Buße und des Gebets richten heilige Schranken auf, Ritterlichkeit wird die Kraft, in allem Kampf und Streit dienstbar zu bleiben einem ewigen Friedenswillen.

LeerAber ob wir von Ritterlichkeit und Gottesfrieden reden, ob von Samaritergeist oder Völkerrecht - ist das nicht alles eine versinkende, vielleicht schon versunkene Welt? Friedensinseln in Raum und Zeit, Bändigung der Furien des Krieges zugunsten der Nichtkämpfer - wo kann es das noch geben im „Zeitalter der Atombombe”? Hat sich nicht der ganze Weg einer christlichen Überformung des naturhaften Lebens als Irrweg erwiesen? Neu und unbeantwortet erhebt sich vor uns die Friedensfrage. Was sagt Christus den Seinen? Was künden die „prophetischen und apostolischen Schriften”?

LeerDa ist die Bergpredigt Christi. Sie preist die Friedensbringer, sie fordert „nicht zu widerstehen dem Übel”. Hier ist mehr als nur Kriegsdienstverweigerung, hier ist das Ende des „Auge um Auge, Zahn um Zahn” überhaupt. Das Böse soll nicht mehr in unendlicher Kette Böses gebären. „So dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar.” Das ist das neue Heldentum: nicht Gewalt abwehren, sondern Gewalt leiden.

LeerSo verschärft sich die Friedensfrage. Man darf die Frage des Krieges von Volk zu Volk nicht für sich betrachten. Ist das Evangelium gegen die Gewalt, dann nicht zugunsten der bestehenden Grenzen und so, daß die Gewalt im Staate verharmlost würde. Die Bibel denkt radikal. So heißt es auch hier, zu Ende zu denken, nicht stecken zu bleiben auf halbem Wege. Alle Gewalt meiden - hieße das nicht Christus in den Arm fallen, wenn er die Geißel schwingt über den Krämern, hieße es nicht Paulus verwehren, daß er sich als römischer Bürger in Staatsschutz begibt?

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LeerWir dürfen es nicht wagen, aus den Weisungen der Bergpredigt ein Gesetz der Wehrlosigkeit zu machen, das nicht nur den Kriegen, sondern auch den Staaten ein Ende brächte. Im Grunde kann auch die Kriegsdienstverweigerung nur ein Symptom des Gewaltgeistes treffen: den Krieg in Waffen von Volk zu Volk. Alles christliche Bemühen um Frieden auf Erden ist nur der Versuch, an irgend einem Ende die bösen Geister zu bändigen, irgend welche Schranken aufzurichten, die Friedenssehnsucht auf Erden wach zu erhalten, Inseln des Friedens zu schaffen in einem Meer von Blut und Tränen, das sein Ende erst findet mit dem jüngsten Tage.

LeerWer aber weiß um die Abgründe, an denen wir immerdar entlangwandeln, der kann es nicht lassen, trotz aller Ohnmacht und trotz aller Bereitschaft zum Leiden, täglich neu auszuschauen nach Wegen des Friedens mitten hindurch durch das Land des Krieges. Gottesfriedenszeiten, Ritterlichkeit im Kampfe, Schonung der Schwachen - wenn eine Form des Friedenszeugnisses dahinsinkt, muß eine neue gefunden werden. Brennend ist die Frage nach der Zukunft des Roten Kreuzes. Ist Wille zur Menschlichkeit genug lebendig, um den Genfer Schwur zu erneuern? Von selbst - hat er keinen Bestand.

LeerAber vergeblich ist auch alles Ringen um Menschlichkeit von Volk zu Volk, wenn die Staaten im Innern nicht mehr von heilig und streng gebändigter Gewalt geleitet werden; wenn der Kampf mit dem Verbrechen, der Kampf mit dem politischen Gegner Folter und Grausamkeit verlangt. Können wir Staaten bilden, in denen die Gewalten durch Recht und Gesetz gebunden sind, oder ist schon im Innern der Staaten Krieg in Permanenz? Das sind praktische Fragen, die das Weltleben uns stellt. Wir dürfen ihnen nicht ausweichen.

LeerWirkliche Wege werden wir nicht finden, wenn unser Blick nur starr auf die dämonischen Gewalten gerichtet ist, vor denen uns graut. Überwindung des Krieges und aller Gewalt gibt es nur im Aufblick zu den Mächten des Friedens. Alle Sehnsucht, herauszukommen aus Blut und Tränen, alle Kraft, den andern Weg zu gehen - sie werden nur geschenkt, wo ein Herz jene andere Wirklichkeit geschaut hat, deren Urbild verloren gegangen ist mit dem Paradies. Friede kann auf Erden nicht wirklich werden, es sei denn, es erschließe sich ihm als einer von jenseits kommenden Macht - mitten unter Blut und Tränen - ein menschliches Herz. Von da kann er ausstrahlen in die Welt, kann Frieden stiften auch in andern Herzen, kann Friedensinseln bilden, Gemeinschaften des Friedens, Werke des Friedens, Bändigung aller Gewalten und Dämonien - das alles gibt es; aber nicht ohne daß zuerst ein Herz da ist, auf dessen Grund die Himmelsleiter steht, die Himmel und Erde verbindet.

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LeerDer Friede auf Erden wächst nicht aus dem Großen ins Kleine - daß zuerst die Völker Frieden schließen, dann könnten auch die Einzelnen Frieden haben; sondern von innen nach außen. Alles Waffenwegwerfen, alles Sichvertragen ist vergeblich, solange das unreine Feuer noch loht, aus dem immer wieder Feuerbrände über den Erdkreis gehen: das unreine Feuer ungezügelter, unreiner Leidenschaft, des Machthungers und der Selbstsucht im Herzen derer, die doch nach Frieden schreien, und ihn selbst unmöglich machen. Der Bruch mit Gott ist der Anfang des Krieges. Adam und Eva, Kain und Abel. Der Friede des Herzens ist der Anfang des Weltfriedens. Jedenfalls ist er der Punkt, an dem  w i r  eingeschaltet sind in die Zukunft der Welt.

LeerFriede des Herzens - das ist keine poetische Angelegenheit fern der nüchternen Wirklichkeit. Das ist die Stunde der Versöhnung mit Gott. Ob Du und Dein Bruder sich zanken, oder Deutschland und Frankreich - Ursache ist immer ein Herz, das mit Gott hadert. Da ist das Einfallstor des Friedens, wo Menschen Christi Botschaft ernst nehmen.

LeerDie Kirche vor der Friedensfrage? -O wie glücklich dürfen wir sein. Christus legt uns den Schlüssel zum Paradies in die Hand. Vielleicht müssen wir furchtbarer als irgend ein andrer sehen, wie unheimlich die Dämonen der Gewalt umgehen. Dennoch - ihr Medusenhaupt darf uns nicht in Bann schlagen. Vor uns steht Christus und bietet Frieden. „Meinen Frieden gebe Ich euch. Nicht gebe Ich euch, wie die Welt gibt.” Nun muß das Licht Christi leuchten in der Finsternis. Wir sind verflochten in die Werke der Gewalt, und sind doch frei davon „im Namen Christi”.

LeerWir werden auch in dieser Zeit einen Weg finden, der mitten im Lärm der Gewalt Zeugnis gibt von dem Frieden, der höher ist denn alle Vernunft. Wir werden ihn nicht gehen können ohne die Bereitschaft zum Leiden und zum Opfer, aber auch zum Dienst in der Welt, wie sie ist und bleibt bis ans Ende der Tage. Daß wir uns von dem Auferstandenen grüßen lassen mit dem Gruß des Friedens in der Gemeinschaft des Altares, daß wir diesen Gruß weitergeben von Bruder zu Bruder, das ist alles. Am Tisch des Herrn entspringt aller wahre Friede. „So entspringt er abseits des Lebens?” Nenn es abseits des Lebens. Wenn Du nur mithilfst, daß er sich ergieße in dies, was wir unser Leben nennen, und seine dürren Auen erquicke mit ewiger Freude!

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 25-28

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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