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Der Brief
von Wilhelm Stählin

Ein Wort des Kurators an die Mitglieder und Freunde des Berneuchener Dienstes

LeerWie oft sind wir seit dem Zusammenbruch gefragt worden, ob der Berneuchener Dienst noch am Leben sei, oder ob er seine Arbeit wieder aufgenommen habe. Seit Jahren waren wir verstummt und konnten unsere Freunde weder zusammenrufen noch sonst anreden; persönliche Begegnungen, die uns hin und wieder geschenkt waren, hatten ein um so größeres Gewicht. Nun hat die Arbeit neu begonnen, und ein erstes Heft unserer „Evangelischen Jahresbriefe” möchte die alten und vielleicht etliche neue Freunde erreichen und sammeln.

LeerIndem wir unsere Hefte unter dem alten Namen wieder aussenden, widersprechen wir bewußt der Meinung, als gelte es heute etwas anderes zu sagen und zu tun, als was wir seit 20 Jahren gesagt, gefordert, gelehrt und nach bestem Vermögen getan haben. Wer sich geirrt und etwas Falsches unternommen hat, soll sich nicht scheuen, das zu bekennen und einen neuen Anfang zu machen; aber wer sich nicht geirrt hat, soll sich auch nicht scheuen, das Richtige immer wieder zu sagen. Der Schaden der Kirche, der unsere Arbeit auf den Plan gerufen hat, ist nur noch erschreckender offenbar geworden; wir sehen alles noch viel deutlicher, und müssen es noch eindringlicher sagen: die Not der Leiber und der Seelen schreit nur noch viel vernehmlicher nach einer Erneuerung der Kirche.

LeerDie christliche Verkündigung in der herkömmlichen Form erreicht nur noch einen kleinen Teil unseres Volkes und kommt an die meisten innerlich, an sehr viele auch rein äußerlich auf keine Weise mehr heran. Mit vermehrter geistlicher Rede, mit erbaulicher Literatur, mit evangelistischer Volksmission ist es nicht getan. Wir dürfen und wir wollen nicht den Leerlauf kirchlicher Betriebsamkeit vermehren.

LeerAber dreierlei tut not:

Leer1. Falsches Handeln kommt aus dem falschen Denken. Wir haben verlernt, Wahrheit und Wahn zu unterscheiden. Die Sprache, in der die Kirche von den Geheimnissen Gottes als dem Inhalt unseres Glaubens und dem tragenden Grund unseres Lebens redet, ist nicht nur für die Menschen, die am Rande oder „abseits der Kirche” stehen, sondern auch für viele von uns selbst unverständlich geworden. Darum bleibt eine rechte christliche Unterweisung, eine Anleitung, die Bibel mit wachem Geiste zu lesen und den Glauben der heiligen Kirche wirklich zu verstehen, eine Aufgabe, die nötiger ist als je. Wir brauchen in allen Ständen Männern und Frauen, die wissen, woran sie glauben, und die in der Lage und bereit sind, zwar niemanden zu überreden, wohl aber jedermann, der zu hören bereit ist, zu sagen, was christlicher Glaube ist. Oft haben wir im Laufe der Jahre ausgesprochen, daß der christliche Glaube zu einer Sache des bloßen frommen Gefühls zu entarten droht, wenn er nicht ausstrahlt in einem christlichen Weltbild, das heißt in einem christlichen Verständnis des Menschen, der Natur und der Geschichte.

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Leer2. Es scheint eine unausrottbare Meinung zu sein, daß wir Berneuchener eine liturgische Erneuerungsbewegung seien, geneigt, reiche und zum Teil komplizierte liturgische Ordnungen auszudenken und einzuführen. Dieser Meinung ist zu widersprechen. Die Aufgabe einer liturgischen Erneuerung hat für uns immer ganz im Zusammenhang mit einer Gesamterneuerung der Kirche, auch ihrer Lehre und Verkündigung und ihrer verfaßten Gestalt gestanden; aber wir meinen allerdings, aus dem Neuen Testament und aus der gesamten Geschichte der Kirche abzulesen, daß das Leben der Kirche in ihrem gottesdienstlichen Handeln seine Mitte hat, aus der es sich immer wieder erneuert, und daß darum die Reinigung und Erneuerung des gottesdienstlichen Lebens, die Heimkehr zum Altar, in das Gebet und in das Sakrament zu den dringlichsten Aufgaben gehört, für die wir den Beistand des Heiligen Geistes erbitten, und an die wir zugleich all unseren Fleiß und unsere Liebe wenden sollen.

Leer3. Es ist kein Gegensatz dazu, wenn wir sagen, daß heute das Schicksal der Kirche sich daran entscheidet, ob sie eine glaubwürdige Gestalt hat, und ob sie das rechte Verhältnis zu den großen Fragen unseres öffentlichen Lebens findet. Darum möchten wir an unserem Teil dazu helfen, daß Männer und Frauen mit wirklicher Einsicht und wirklicher Verantwortung als Christen in ihrem Beruf, welcher er auch sei, und in den großen öffentlichen Gemeinschaften stehen und sich bewähren. „Der Christ in der Politik” ist ein ebenso geistliches Thema wie der Christ in der persönlichen Frömmigkeit seines Herzens. Gerade dieser Aufgabe werden wir aber nur dann genügen, wenn der einzelne in eine geistliches Ordnung seines ganzen Lebens eingefügt ist und teil hat an dem recht geordneten Leben seiner Kirche. Die Kirche kann ihren Beruf in der Welt nur erfüllen, wenn sie selbst nicht nach weltlichen, sondern wahrhaft geistlichen Maßstäben gebaut und geordnet wird: Diese Erkenntnis aus den vergangenen Kampfjahren darf uns nicht wieder verloren gehen.

LeerWer wollte von uns verlangen, daß wir heute etwas unerhört Neues sagen, wenn eben dies, was wir seit Jahren unermüdlich gesagt haben, einfach und unbedingt richtig ist? Darum werden wir auch auf den gleichen drei Wegen, wie bisher - ich glaube nicht, daß es andere Wege gibt - versuchen, unseren Dienst in der Kirche zu tun. Wir werden in örtlichen Kreisen Menschen sammeln, die nach tieferer Erkenntnis, nach gottesdienstlicher Heimat, nach einer verpflichtenden Ordnung ihres Lebens verlangen. In diesen Kreisen soll man sich mühen um das rechte Verständnis der Heiligen Schrift, um die lebendige und aktive Teilnahme an dem Gottesdienst der Gemeinde, insbesondere an der Feier des Altarsakraments, um brüderliche Zucht und Gemeinschaft. Den Kern dieser Kreise werden solche bilden, die sich auf jene Ordnung des geistlichen Lebens verpflichten, deren Auslegung als eine „Regel des geistlichen Lebens” wir unseren Freunden in die Hand gegeben haben, und die bereit sind, sich für besondere kirchliche Dienste im Amt des Türhüters, des Lektors, des Katecheten oder was es sonst sein mag, zurüsten zu lassen und in solchem Amt wirklich zu dienen. Wir hoffen, daß in einiger Zeit eine zweite Auflage dieser „Regel des geistlichen Lebens” der völlig vergriffenen ersten Auflage folgen kann.

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LeerWir laden wieder ein zu Freizeiten oder Rüstzeiten, wie sie sich uns seit Jahren bewährt haben, zu Tagen der Besinnung, Einkehr und Sammlung, die ganz der Betrachtung, der Meditation, dem Gebet, aber auch dem brüderlichen Gespräch gewidmet sein sollen. Wir sind bemüht, wieder ein Schrifttum herauszubringen, das diese persönliche Arbeit unterstützt und auch den vielen in der Zerstreuung lebenden Mitgliedern und Freunden Anteil gibt an dem Leben unseres ganzen Kreises. Die „Evangelischen Jahresbriefe” werden laufend berichten über alle geplanten Freizeiten und über alle Druckschriften, die aus unserem Kreise hervorgehen. Ein erster solcher Bericht ist an anderer Stelle dieses Heftes zu finden. Alle Arbeit des Berneuchener Dienstes steht im engsten Zusammenhang mit dem Leben der Evangelischen Michaelsbruderschaft; ja, es ist der eigentliche Sinn des Berneuchener Dienstes, das Leben und die Erfahrungen unserer Bruderschaft für einen weiteren Kreis in unserer Kirche fruchtbar zu machen und all denen, die es wollen, Anteil zu geben an dem geistlichen Leben und Wirken unserer Bruderschaft. Wir hoffen insonderheit, daß das Ordenshaus in Assenheim bei Friedberg immer mehr ein wirklicher Mittelpunkt all dieser Arbeit, nicht nur der Michaelsbruderschaft, sondern auch des Berneuchener Dienstes, werden wird.

LeerDurch die Verbindung mit dem Leben der Evangelischen Michaelsbruderschaft soll und wird der Berneuchener Dienst Anteil haben an der ökumenischen Weite, in die unsere Arbeit je länger desto entschiedener geführt worden ist. Wer heute nichts anderes will, als die bisherigen Konfessionskirchen in ihrem überkommenen Stand und Zustand durch die Zeiten hindurch zu retten, der hat den Sinn dieser kirchengeschichtlichen Stunde nicht verstanden. Die ökumenische Einheit der christlichen Kirche hat sich durch die Erschütterung dieser Jahre in einer überraschenden und beglückenden Weise bewährt und befestigt, und in einer großen Zahl von ernsthaften Gesprächen bildet sich eine quer durch alle Teilkirchen hindurchgehende Front derer, die in dieser apokalyptischen Stunde die christliche Gemeinde rüsten wollen für den michaelischen Kampf, in den wir gerufen sind. Das Gebet, in dem wir seit vielen Jahren an jedem Donnerstagmittag um die Einheit der ganzen christlichen Kirche flehen, und die Fürbitte für alle unsere Brüder und Schwestern, die mit uns um die Erneuerung und für die Einheit der heiligen Kirche beten und kämpfen, ist uns ernster und dringlicher als je.

LeerDa mein Amt als Bischof der Evangelisch-lutherischen Kirche in Oldenburg meine ungeteilte Kraft fordert, habe ich mich von der unmittelbaren Leitung des Berneuchener Dienstes, den ich seit seinem Beginn betreut habe, gelöst und bin dankbar, die Leitung in die Hand von Pfarrer Walter Lotz in Pfieffe über Melsungen legen zu dürfen. Er wird dieses Amt in ständiger Verbindung mit mir als dem „Kurator” des Berneuchener Dienstes führen; und die Mitglieder und Freunde werden im Berneuchener Dienst auch mit mir und meiner Arbeit in Verbindung bleiben, wenngleich es mir nicht mehr möglich sein wird, im bisherigen Umfang einen Briefwechsel mit einzelnen Gliedern des Berneuchener Dienstes zu führen. So viel an mir liegt, soll auch künftighin „Der Brief” ein persönliches Wort des bisherigen Leiters an bekannte und unbekannte Freunde sein.

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 36-38

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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