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Das Wagnis des Glaubens
von Elisabeth Kirschner

LeerNicht nur an den seltenen großen Wendepunkten unseres Lebens, sondern immer wieder unter den verschiedensten Erscheinungsformen stellt uns Gott vor die Forderung, etwas scheinbar Unmögliches im Glauben zu wagen. Sei es nun, daß wir eine Aufgabe übernehmen sollen, der wir uns nicht gewachsen fühlen, sei es eine Hilfeleistung für andere, die unsere Kraft übersteigt, sei es das unbeirrbare Vertrauen auf Gottes Beistand in einer großen Not, die uns bedrängt etwa in Krankheit oder Lebensgefahr oder Mangel des Nötigsten, sei es das geduldige Ausharren in schweren, fast unerträglichen Lebensverhältnissen, sei es ein Opfer wertvollsten Besitzes oder die Trennung von geliebten Menschen, sei es auch nur das Loslassen von liebgewordenen Gewohnheiten, das Herausgerissenwerden aus vertrauter Umgebung, oder sei es das letzte Wagnis der Preisgabe unseres Lebens nach Gottes Willen. So verschieden die Anlässe auch sein mögen, es handelt sich doch immer wieder um die gleiche Notwendigkeit, etwas zu tun, was unmöglich erscheint, was wir vielleicht wollen, aber nicht oder noch nicht vollbringen können.

LeerVersagen wir uns in derartigen Augenblicken der Forderung Gottes, die uns der Heilige Geist in der Stimme des Gewissens deutlich macht, so senkt sich ein Schatten über unser Leben. Innere und äußere Hemmungen, Unsicherheit bis in die kleinsten Entscheidungen, Lebensangst und Traurigkeit belasten uns, und alles scheint in Unordnung zu kommen. Wir können nicht mehr richtig beten, die Gedanken gleiten ab und sind nicht mehr fähig, sich in andächtiger Versenkung zu sammeln. Die Gottesliebe in uns glimmt nur noch wie ein verlöschender Docht, und wir werden gleichgültig gegen den Nächsten. Das sind die schrecklichen Zeiten des Mißlingens und der Unfähigkeit, in denen der Zustrom der Liebe und der Kraft unterbrochen ist. Wir haben Gott enttäuscht, und er verhüllt vor uns sein Gesicht.

LeerFinden wir aber den Mut, das anscheinend Unmögliche zu wagen, so machen wir eine wunderbare Erfahrung. Wie der Adler seine Schwingen ausbreitet und zur Höhe fliegt in der herrlichen Sicherheit der tragenden Kraft seiner Flügel, so trägt uns unser Glaube in solchem Wagnis über den Abgrund aller Nöte und Gefahren, aller Leiden und Entbehrungen. Es ist nicht eine hervorragende Leistung, die wir da vollbringen, sondern es ist der schlichte Gehorsam eines Christenmenschen, der seinem Gott vertraut auch gegen allen Augenschein, der Gehorsam, der nicht auf die Hindernisse schaut, sondern auf Christus und in seiner Kraft das vollbringt, was der Mensch aus sich heraus nicht schaffen kann.

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Leer D a n n  strahlt uns Gottes Angesicht, und sein Segen senkt sich sichtbar auf uns nieder, wie die Sonnenstrahlen uns erquickend und erwärmend nach dem Dunkel der Nacht zu einem neuen Tag wecken. Dann durchströmt uns als lebendige Glieder am Leibe Christi seine Kraft und seine Liebe wie ein starker Strom, der alle Widerstände unserer schwachen Natur bricht und unsere Unzulänglichkeiten überwindet. Die Verhältnisse ändern sich nicht, aber  w i r  stehen als Gewandelte, Gereinigte und Begnadete  n e u  in der alten Umgebung. Wir können wieder beten. Das Gotteslob jubelt in dem erlösten Herzen. Die Liebe, die uns geschenkt wird, sprengt das enge Gefäß unseres Wesens und öffnet uns wieder dem Nächsten, drängt uns, so zu lieben, wie wir geliebt werden.

LeerAnbetend knien wir nieder. Wir sind dem Ruf gefolgt und erleben nun das Wunder des Glaubens, der das schauen darf, was er Gott zugetraut hat. Da wird alles möglich und ausführbar. Da verliert alles Schwere sein Gewicht. Da ebnen sich die Wege und werden gangbar, die Verluste werden ersetzt durch unvergänglichen Besitz. Nun kommt wieder Ordnung in unser Leben. Ordnung, die zusammenklingt mit der großen Gottesordnung. Das Nagen und Zagen des Gewissens schweigt, und die stille Sicherheit des gehorsamen Handelns beruhigt das erschrockene Herz. Arbeitsfreudigkeit, Leistungsfähigkeit, Selbstzucht und Heiligung aller Lebensbezirke werden uns geschenkt. Gottesliebe und Nächstenliebe erhellen unser armseliges Wesen und spiegeln so den Glanz aller Gnadengeschenke wider. Durch und durch gesunden wir innerlich und äußerlich, wenn wir das wagen, was uns viel zu schwer und unausführbar zu sein dünkt, wenn wir gewiß sind, daß Christus der Herr über Leben und Sterben ist und wir in ihm als sein Eigentum die Werkzeuge göttlichen Willens. Geistliche Frucht, geheiligte Geistesschöpfung, jedes von Gott zeugende Kunstwerk entspringen und wachsen im Wagnis des Glaubens.

LeerChristus bricht in dem gehorsamen Gebet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe” die Macht des Todes und vollzieht die Erlösung im Gehorsam des Kreuzestodes. Maria empfängt in dem gläubigen, vertrauenden: „Mir geschehe, wie du gesagt hast” den Heiland der Welt und wird so zur Mutter alles Lebens in Gott. Alle Lebenden und Sterbenden überwinden die Gebundenheit menschlichen Wesens, wenn sie im Glaubensgehorsam das wagen, was jeweils Gottes heiliger Geist durch die Stimme des Gewissens von ihnen fordert. Es ist ein Geheimnis, daß Gott selbst es ist, der in uns schafft beides, das Wollen und das Vollbringen. So ist jedes Verdienst ausgeschlossen alles bleibt unaussprechliches Gnadengeschenk. Auch unser Versagen trennt uns nicht von der Gnade, es verhüllt sie und hält uns auf im Wachstum unseres geistlichen Lebens. Darum müssen wir täglich bitten um die Kraft der Macht des Glaubens. Dann wird uns nach dem Versagen neues Vollbringen geschenkt werden.

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 83-85

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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