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Die Evangelische Michaelsbruderschaft
von Karl Bernhard Ritter

LeerSeitdem die Waffen schweigen, hat die Evangelische Michaelsbruderschaft, die auch während des Krieges, wenn auch in aller Stille und Verborgenheit die Gemeinschaft der Brüder über alle Grenzen hinweg aufrecht erhalten konnte, ihre Arbeit neu aufnehmen können. Endlich ist es ihr gelungen, für diese Arbeit einen Mittelpunkt zu schaffen in ihrem Ordenshaus Assenheim bei Frankfurt/Main, nachdem die Machthaber des Dritten Reiches alle Versuche, eine Heimstätte für das bruderschaftliche Leben zu bauen, zum Scheitern verurteilt hatten. Ein starkes Wachstum der Bruderschaft hat eingesetzt. Die erschütternden Erfahrungen dieser Jahre haben in nicht wenigen Männern unseres Ordens das Verlangen nach einer geistlichen Heimat wachgerufen und sie zugleich bereit und willens gemacht, den Kampf der Kirche um die Rettung des Menschen zum Kampf ihres eigenen Lebens zu machen. So ist der Wunsch verständlich, in diesen Blättern ein Wort über die Bruderschaft, ihren Ursprung, ihren Aufbau und ihre Aufgabe zu hören.

LeerDie Evangelische Michaelsbruderschaft erwächst aus dem Zusammenschluß von Männern, die das Fronterlebnis des ersten Weltkrieges geprägt hat. Sie erfahren den Zusammenbruch einer Welt, die nur scheinbar fest gefügt und gesichert war. In diesem Zusammenbruch wird offenbar, daß dies Abendland die Wurzeln seiner Gemeinschaft und seiner Kultur hat verdorren lassen. Die Überzeugung, daß Europa nur als christliches Europa eine Zukunft haben kann, verpflichtet sie zum Kampf um die Wiedergewinnung der christlichen Grundlagen des öffentlichen und privaten Lebens.

LeerIn diesem Kampf muß der Zustand der evangelischen Kirche zu den schwersten Besorgnissen Anlaß geben. Die Reformation des 16. Jahrhunderts ist nicht durchgedrungen. Sie hat nicht zu der erstrebten re-formatio der Kirche an Haupt und Gliedern geführt, sondern zur Kirchenspaltung, die sich je länger je mehr nicht nur verhängnisvoll für die so entstehenden Teilkirchen und ihr inneres Leben, sondern auch für die Weltgeltung des Christentums auswirken muß. Die Bekenntniskämpfe, die im Anschluß an die Spaltung der Kirche unvermeidlich waren, haben die einseitige Entwicklung zur Lehrkirche, zur Theologenkirche zur Folge.

LeerDas Zerbrechen der Kirche als eines leibhaftigen Organismus zwang die aus dem Versuch der Reformation hervorgehenden Teilkirchen zum Anschluß an die territorialen, politischen Mächte und brachte sie in eine Abhängigkeit, die sich bei der Bewältigung der sozialen und politischen Probleme der Neuzeit lähmend auswirkte. Die Behauptung der konfessionellen Sonderexistenz führte zu stärksten Einbußen an Breite und Fülle des überlieferten Glaubensgutes und der Gestaltung des frommen Lebens. Sie hemmte die Kirche in ihrer Einwirkung auf die geistesgeschichtliche Entwicklung des Abendlandes. Gespalten, durch innerkirchliche Auseinandersetzung festgehalten und beschäftigt, vermochte die Christenheit der zunehmenden Profanierung und Säkularisierung des Lebens nicht mit ausreichenden Kräften zu begegnen.

LeerSo steht die evangelische Kirche am Ausgang dieser Entwicklung in erschütternder Ohnmacht vor den Augen dieser Generation des ersten Weltkrieges. Ohne kraftvolle Einheit und Führung, in ihrer geistlichen Substanz gefährdet, in ihrer Auswirkung beschränkt auf eine verhältnismäßig schwache und im Ganzen des sozialen Lebens wenig bedeutende Schicht, hat sie die Möglichkeit verloren, einen überzeugenden Typus christlicher Persönlichkeit zu prägen und durch ihn wirksam in die Breite des geistigen und politischen Lebens hinein zu wirken. Der Versuch, durch programmatische Aufstellungen in dieser Lage förderlich auf das Ganze der evangelischen Kirche Einfluß zu nehmen, mußte sich sehr bald als untauglicher Weg herausstellen. Er ging unter in der stets regen theologischen und kirchenpolitischen Debatte.

LeerSo blieb der in allen Jahrhunderten der Geschichte der christlichen Kirche bedeutsame und fruchtbare Weg in den Orden, in den verpflichtenden und erziehenden Zusammenschluß der Männer, die sich zum Kampf um die Durchführung der Reformation und damit zum Kampf um die Überwindung der Spaltung der Christenheit berufen wissen. Sie sind nicht aus der Front entlassen, in die sie das zentrale Anliegen der Reformation hineinzwingt. Sie glauben vielmehr, daß den deutschen Kirchen der Reformation trotz allem von ihrem Ursprung her ein Beruf verliehen worden ist an der ganzen Christenheit.

LeerWohl aber erscheint es ihnen unmöglich und sinnlos, die Debatte des 16. Jahrhunderts einfach fortzusetzen. Ist doch seitdem auf der Gegenseite eine von der Reformation selbst nicht unbeeinflußte, tiefgreifende Wandlung vor sich gegangen. Vor allem aber ist ihnen nur zu deutlich geworden, wie notwendig heute der Durchbruch durch die protestantischen ‚traditiones humanae’, durch einen erstarrten Protestantismus zu dem Vollgehalt der Heiligen Schrift und dem aus ihm erwachsenden geistlich-sakramentalen Leben ist.

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LeerDie furchtbaren erschütternden Erfahrungen, die seit jenen Jahren nach dem ersten Weltkriege nicht nur Deutschland und Europa, sondern die ganze Menschheit gemacht hat, haben die Schau der Bruderschaft von den der Christenheit drohenden Gefahren, aber auch von dem ihr befohlenen Kampf gegen die Mächte der Zerstörung bestätigt und vertieft. In allen Völkern machen sich die Anzeichen der Erkenntnis bemerkbar, daß die Menschheit in einer letzten Entscheidung über Tod und Leben steht. Führende Staatsmänner sprechen es offen aus, daß die Frage, ob es für die Menschheit noch eine Zukunft gibt oder nicht, letzten Endes eine theologische Frage ist.

LeerGleichzeitig vollzieht sich ein Zusammenschluß zunächst der evangelischen Christenheit über alle nationalen und kontinentalen Grenzen hinweg zu gemeinsamer Frontbildung, wie er noch vor wenigen Jahren für undenkbar gehalten worden wäre. Durch unser Volk aber geht ein tiefgreifendes Verlangen nach Überwindung seiner konfessionellen Aufspaltung. In dieser Lage erscheint die Aufgabe der Bruderschaft geradezu als die zentrale Ausgabe der Stunde.

LeerAus ihrer, nun schon aus Jahrzehnten gemeinsamer Arbeit erwachsenen Erfahrung weiß sie aber, daß aller Kampf um geistliche Erneuerung nur dann fruchtbar und gesegnet ist, wenn er mit geistlichen Mitteln geführt wird. Wer der Kirche dienen will, der muß vor allen Dingen selbst Kirche sein. Darum ist und bleibt das erste Anliegen der Evangelischen Michaelsbruderschaft, ihre Brüder tief und fest zu verwurzeln in dem tragenden Grund des christlichen Lebens, sie durch fromme Übung und geistliche Schulung anzuschließen an das in der Kirche als dem Leibe Christi weiterzeugende Leben und ihnen durch vorbildliche Gestaltung der brüderlichen Gemeinschaft den inneren Rückhalt zu geben, dessen der Mensch bedarf, der sich rüstet, als ein treuer Zeuge und Kämpfer der Wahrheit vor seiner Umwelt, im Raume seiner Verantwortung zu bestehen.

LeerZugleich will die Bruderschaft jedem ihrer Brüder helfen, zu erkennen, wie er in seinem besonderen Beruf und Arbeitskreis dem Werden echter Gemeinschaft aus der Wahrheit und Liebe Christi dienen kann. So sammelt sie Männer aller Berufe und Stände um den Altar, um sie durch jede mögliche Hilfe zu ihrem geistlichen Wachstum fähig zu machen, sich beispielhaft zu bewähren. Sie hat darum neben Formen geordneter Seelsorge und einer das Leben des einzelnen Bruders und der Gemeinschaft ausrichtenden Regel insbesondere auch liturgische Lebensformen entwickelt, die sie in die ökumenische Gemeinschaft der ganzen Christenheit und ihres Gebetes hineinstellen.

LeerSchon sehr früh wurde die Bruderschaft mit ähnlichen Gemeinschaften des Auslandes, vor allem in den nordischen Ländern gemacht. Sie selbst breitete sich in stetem Wachstum aus und umfaßt heute Brüder des gesamten deutschen Sprachgebietes in fünf Ländern Europas. Sie gliedert sich in Konvente. Die Ältesten der Konvente bilden zusammen das Kapitel der Bruderschaft. An seiner Spitze steht der Älteste der Bruderschaft mit einem Rat. Da sich die Bruderschaft zum Dienst in der Kirche gerufen weiß, ist es ihr Anliegen, daß ihre Arbeit dem gesamtkirchlichen Aufbau auch dienstbar gemacht wird.

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LeerSie veranstaltet darum Geistliche Wochen, die der Besinnung und Vertiefung und der Eingliederung in das Gebet und die Lebensgemeinschaft der Kirche dienen. Die eigene Erfahrung vom Wert fester Bindungen und Ordnungen verpflichtet die Brüder dazu, überall, wo es ihnen möglich ist, Kreise von Männern und Frauen zu sammeln, die bereit sind, ihr Leben unter die Ordnung der Kirche und ihres Gebetes zu stellen und untereinander Gemeinschaft zu halten. Diese Kreise sind zusammengefaßt unter dem Namen des Berneuchener Dienstes.

LeerDabei empfinden es die Brüder, die zumeist selbst aus einer tiefgreifenden Krisis ihres Verhältnisses zur Kirche herkommen und durch die Bruderschaft in völlig neuer Weise Anteil haben am Leben der Kirche, als ihre besondere Verantwortung und Verpflichtung, Menschen, die aller christlichen Tradition ferngerückt sind, den Zugang zu dem Geheimnis des Glaubens und zu dem Leben der Kirche zu erschließen. So suchen und sammeln die Brüder in ihrem Umkreis die Menschen, die nach geistiger Bindung und Ordnung ihres Lebens verlangen, und sich aus tiefster sittlicher Verpflichtung und Überzeugung in eine Front einordnen möchten, die den Kampf um die wahren Grundlagen unseres Lebens aufnimmt. Die Brüder wissen, daß für die Erneuerung des christlichen Lebens und damit des tödlich bedrohten Abendlandes überhaupt nichts nötiger und wertvoller ist als die Bildung lebendiger Zellen geistigen Lebens, die Eingliederung des Einzelnen in solche Kreise gemeinsamen Gebetes, wechselseitigen Dienstes und brüderlicher Zucht, die Bildung solcher Stätten gemeinsamen Lebens, an denen leibhafte Kirche als eine tragende und verpflichtende Wirklichkeit erfahren wird.

LeerDer Evangelischen Michaelsbruderschaft ist eine Jungbruderschaft angegliedert. Sie sammelt junge Männer und schließt sie unter einer heilsamen Lebensordnung zusammen, die, ihrer Jugend und den Jahren der Berufsvorbereitung angemessen, die Hilfen bietet, die dem Werden und Wachsen christlich geprägter, zu echtem geistlichem Kampf und wahrer Verantwortung fähiger Persönlichkeiten unentbehrlich erscheinen. In dem Kampf, der heute auf jeden verantwortungsbewußt lebenden Deutschen wartet, kann nur bestehen, wer innerlich tief genug verwurzelt ist, wer darum in der Gemeinschaft des Gebetes Anteil gewinnt an dem Leben, das Christus seiner Kirche schenkt.

LeerStrenge Arbeit an uns selbst, geistliche Zucht und Übung, willige Eingliederung in eine geordnete Gemeinschaft, brüderliche Verbundenheit und Hilfe sind der Weg zu einem freien, freudigen, von der Macht der Wahrheit und der Liebe erfüllten Leben. Im Streben nach Reinheit und Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Hilfsbereitschaft, Ehrfurcht und Tapferkeit will die Jungbruderschaft zu christlicher Ritterschaft erziehen. Tapfere Lebensbejahung, Weltoffenheit, höchste Verantwortung gegenüber dem großen Erbe der europäischen Kultur, heiße Liebe zum eigenen Volk in Verbindung mit dem entschlossenen Willen, dies Volk in eine echte Gemeinschaft der christlichen Völker des Abendlandes zurückzuführen, verbindet die Jungbrüder mit den Männern der Evangelischen Michaelsbruderschaft.

Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 92-95

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-05-02
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