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von Wilhelm Stählin |
Herausgeber und Verleger und etliche andere Freunde waren der Meinung, ich sollte den „Brief” weiter schreiben, mit dem ich in allen unseren Jahresbriefen seit dem Jahr 1935 die Freunde angeredet habe. So will ich es denn versuchen, obwohl es nicht ganz leicht ist, ein solches briefliches Gespräch wieder aufzunehmen, nachdem es durch sechs Jahre verstummt war, und obwohl beide, der Schreiber und die Leser des Briefes, nicht mehr die gleichen sind wie damals. Für diesmal freilich hat der Brief noch geringe Fracht. Ich muß bitten, meinen Beitrag über Symbole der Zeit in seinen lose aneinandergereihten Bildern als ein Stück dieses Briefes aufzunehmen; für den, der die sehr persönlichen Hintergründe zwischen den Zeilen zu lesen vermag, ist es wirklich ein Brief. Die Gleichsetzung der christlichen Liebe mit bestimmten „sozialen” oder „sozialistischen” Ideen ist eine heute besonders verbreitete und besonders verführerische Form dieser Verwechslungen. Die christliche Liebe hat ihr Urbild in der Liebe Gottes zu der Welt, und sie ist nichts anderes als die Ausstrahlung dieser in Christus erschienenen Weltliebe Gottes in den Bereich des menschlichen Zusammenlebens; eben um dieses ihres Ursprungs willen aber ist die christliche Liebe immer voll freudiger Bereitschaft, die Spannung mit dem Anderen, die wesenhafte Ungleichheit, nicht nur zu ertragen, sondern innerlich zu bejahen, und sie fühlt sich darum von jeder Tendenz, die Spannung durch Gleichheit zu ersetzen, im Kern verkannt und bedroht. Wo es an dieser christlichen Liebe mangelt, da tritt an ihre Stelle entweder der Versuch, das Andere anzugleichen, damit wir nicht durch seine Gegenwart gestört werden, oder aber die haßerfüllte Abwehr gegen das Andere als solches; beides aber sind die komplementären Formen der Lieblosigkeit, und wir haben allen dringlichen Grund, die christliche Liebe, so viel an uns liegt, vor solcher tödlichen Verwechslung zu bewahren. Es will mir aber scheinen, daß sich in dieser Hilflosigkeit eine Entartung unseres Verhältnisses zu Gott ausdrücke und abbilde. Wir reden ja auch über Gott, aber wir versäumen es, mit Gott zu reden. Die „religiös Interessierten” führen gern Diskussionen über Gott und andere religiöse Themen; aber da sie nicht beten, wird in ihrem Mund alles zum Gegenstand, den man betrachten und über den man reden, aber dem man nicht sich hingeben und sich anvertrauen kann. Besteht hier vielleicht ein tiefer und sehr unheimlicher Zusammenhang? Wenn es wahr ist, daß die menschliche Sprache aus dem Worte Gottes entstanden ist, das der Mensch vernommen hat, muß dann nicht notwendigerweise auch die menschliche Sprache versagen, wenn der Mensch aufgehört hat, den göttlichen Anruf zu hören und ihm zu antworten? So notwendig es ist, sich daran zu erinnern, daß der Geist Gottes als Sturmwind und Feuer gekommen ist - und beides. Wind und Feuer, sind ja wirklich nicht Gegenstände, sondern reine Bewegung - so wenig ist damit doch die ganze Wahrheit über die Kirche ausgesprochen. Denn der Geist Gottes baut in dieser Welt auch ein Haus und bildet einen Leib, und beides, Leib und Haus, sind nicht bloß die Kette von Ereignissen, sondern eine lebendige Gestalt, die sich aus dem ihr innewohnenden Baugesetz erneuert. Die Aufforderung, sich in das geistliche Haus einbauen zu lassen (1. Petr. 2 5), unterscheidet sich gerade darin von dem, was man so gemeinhin unter Erbauung versteht, daß diese sogenannte Erbauung, auch wenn sie ganz echt ist, ein augenblickliches und oft sehr vorübergehendes Geschehen ist, während der eingebaute Stein nun in einem dauernden Gefüge verbleibt. Die Kirche ist nicht nur Ereignis, sie hat auch Dauer, und die Lehre, daß alles in der Kirche nur pneumatisches Ereignis sei, wird vor allem von denen willig und dankbar angenommen werden, die geneigt sind, die Kirche in eine Vielzahl unabhängiger Gemeinden und losgelöster Einzelerfahrungen aufzulösen und dadurch ihre geschichtliche Kontinuität zu verleugnen. Da sind Bilder der Verkündigung, die mit den technischen Mitteln der Malerei das Mysterium dieser Begegnung mit dem Engel verkündigen, den Einbruch einer anderen Dimension in den verschlossenen Raum dieser Welt und die Jungfrau Maria als das menschliche Gefäß, das sich staunend, zitternd und beseligt diesem Geheimnis erschließt - und fast zu gleicher Zeit Bilder, mit hohem technischem Können gemalt, schwelgend in den neu gewonnenen Gesetzen der Perspektive in dem Reichtum der Farben und der Komposition, aber sie haben eigentlich keinen Inhalt, weil sie die „Heilige Geschickte” nur als Vorwand gebrauchen, aber gar nicht zu verstehen scheinen, was sie da malen. Wie nahe waren sich in jenen schicksalsschwangeren Jahren und Jahrzehnten die einander feindseligen Zeitalter, und vielleicht haben die Menschen jener Zeit nicht einmal geahnt, wie sehr der große Bruch mitten durch ihre Reihen hindurchging! Ein geistreicher „Rückblick auf die Schaffhausener Ausstellung” (von Oskar Kokoschka) mit sehr schönen Abbildungen ist im Dezemberheft (Nr. 12) 1947 der Zeitschrift „Atlantis” erschienen, und es erfüllt uns freilich mit Trauer, daß dieses Heft für die meisten von uns ebenso unzugänglich ist wie jene Ausstellung aus dem Erbe unserer Heimat. Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung darf ich den Freunden mitteilen daß noch in diesem Jahr im „Christlichen Zeitschriften-Verlag” in Berlin ein Marien-Büchlein erscheinen wird, in dem ich versucht habe, die Verkündigungsgeschichte aus dem 1. Kapitel des Lukas-Evangeliums in Betrachtungen auszulegen, die den biblischen Bericht von Wort zu Wort begleiten. Die Schrift wird den Titel tragen „Freu dich, Begnadete!” Evangelische Jahresbriefe 1948, S. 97-99 |
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