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Noch einmal: Abendmahlsgemeinschaft
von Karl Bernhard Ritter

LeerNach meiner Erinnerung ist die Frage der interkonfessionellen Abendmahlsgemeinschaft in unserem Kreis praktisch niemals aufgetaucht. Es war uns immer selbstverständlich, alle getauften Christen, die an unseren Tagungen und geistlichen Wochen teilnahmen, auch zur Teilnahme am Tisch des Herrn einzuladen. eine andere Haltung wäre uns sicherlich als eine unerträgliche Verleugnung der uns geschenkten geistlichen Erfahrung erschienen, der Erfahrung nämlich von der wirklichen und wirksamen Gegenwart des auferstandenen Herrn in unserer Mitte, einer gegenwärtigen Wirklichkeit, über die nicht wir zu verfügen haben, sondern durch die Er über uns und unseren Dienst verfügte. Der Grund für die selbstverständlich gewährte Abendmahlsgemeinschaft war also in unserem Falle niemals Gleichgültigkeit gegenüber dem Geheimnis der realpräsenz Christi, eine verflachte, abgeblaßte, undeutliche und verschwommene Auffassung des Sakraments, sondern ganz im Gegenteil eine so überzeugende Erfahrung von der Wirklichkeit des sakramentalen Geschehens, daß demgegenüber unser theologisches Verständnis dieses Geschehens von sekundärer Bedeutung erscheinen mußte.

LeerEs ist doch wohl bemerkenswert gegenüber den Bedenken, die gegen die überkonfessionelle Abendmahlsgemeinschaft im Luthertum vorgebracht werden, daß es eine Begründung der Abendmahlsgemeinschaft gibt, die mit den aus gutem Grund verworfenen „unionistischen” und das heißt ja wohl liberalistischen und spiritualistischen Tendenzen nicht das mindeste zu tun hat. Ist es nicht ein Verhängnis, das mit der notwendigen Sicherung der neu geschenkten Erkenntnisse im Reformationszeitalter zusammenhängt, daß schon im Ansatz für die evangelische Christenheit die Lehre vom Sakrament wichtiger wurde als die Sache selbst. Was u. a. deutlich daraus abzulesen ist, daß aus der Beichte im Zeitalter der Orthodoxie ein Glaubensexamen wurde und dieses höchst fragwürdige Glaubensexamen, praktisch ein Abhören des Katechismus, als die Voraussetzung für eine würdigen Empfang des Sakraments angesehen wurde!

LeerDie Frage der interkonfessionellen Abendmahlsgemeinschaft wird, wie mir scheint, immer aufs neue dadurch verwirrt und der einzig möglichen, sachgemäßen und dem Geiste Christi entsprechenden Beantwortung entzogen, daß man im Geiste hinter ihr die ganze Fülle der kirchenpolitischen Kontroversen aufmarschieren läßt und in der Forderung dieser Gemeinschaft die Absicht argwöhnt, die Bekenntnisfrage zu umgehen. Aber ist damit nicht die Frage auf eine unzulässige und durchaus unangemessene Ebene projiziert? Machen wir uns damit nicht zu Herren des Mysteriums, dem zu dienen wir berufen sind? Die Gemeinschaft, die der Herr der Kirche den Seinen im hl. Abendmahl gewährt und so auch unter ihnen stiftet, ist ja nicht die Gemeinschaft von Gesinnungsverwandten, sondern die von Ihm wunderbar geschaffene Einheit Seines Leibes. Erkennen wir die Taufe des Mitchristen und damit seine Zugehörigkeit zum Leibe Christi an, so ist schwer einzusehen, woher wir das Recht nehmen wollen, ihm die Gabe zu verweigern, die Christus selbst darreicht. Die Abendmahlsgemeinschaft hat ihren Grund doch nicht in unserer Erkenntnis des Abendmahls, sondern in der Gnade dessen, der sich selbst als das Brot des Lebens austeilt.

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LeerIn seinem Buch „Die Kirche und das Amt” hat Hans Asmussen sich über unsere Frage folgendermaßen ausgesprochen: Die evangelische Christenheit sei so sehr gewöhnt, das Verständnis von einer Sache über die Sache selbst zu setzen, daß ihr der Blick für die Wirklichkeit offenbar verdeckt sei durch die Frage nach den Aussagen über diese Wirklichkeit. „Wir wissen mehr, als wir haben, und wollen erst wissen und dann haben.” Das heißt nun offenbar, das rechte Verhältnis umkehren. Diese „Diktatur des reflektierenden Bewußtseins” zerstört die Ordnung der Kirche und macht aus dem vertrauenden Empfang der Gabe Gottes ein Wissen und Besitzen von Gedanken über diese Gabe ... Das Sakrament ist stets die Quelle des Kirchenrechts gewesen und das nicht zufällig. Denn hier tritt der objektive Grund zutage, auf dem die Kirche steht, aus dem sie erwächst. „Das Sakrament aber unterscheidet sich vom Wort. Es ist der deutlichste Ausdruck dafür, daß Gott die Glieder der Gemeinde in Gnadenhaft nimmt, ehe diese verstehen, was mit ihnen geschehen ist, und ohne daß sie die rechte Vorstellung von der Tragweite des Geschehens haben. Im Sakrament durchkreuzt Gott unsere versuchlichen Gedanken, welche aus der Gemeinde, dem Leibe Christi, eine Gesinnungsgemeinschaft machen möchten. Gegen solche Versuchung bringt Gott zur Geltung, daß nicht unsere Gesinnung, sondern Gottes Offenbarung und Gegenwart die Kirche konstituiert”.

LeerMit alledem ist natürlich gar nichts dagegen gesagt, daß eine Kirche die ihr anvertraute Erkenntnis, nämlich das in ihr bezeugte Verständnis des Sakraments nicht nur bewahrt und aufrecht erhält, sondern auch die volle Verantwortung dafür übernimmt, daß in ihrem Bereich das Sakrament solcher Erkenntnis gemäß verwaltet wird. Würde nur solche Verantwortung überall nicht nur formell, sondern in lebendiger geistlicher Führung und Erziehung aller Diener des Altars wahrgenommen!

LeerWährend bei uns in Deutschland (gemeint ist: zwischen den reformatorischen Kirchen) eigentlich nur die Frage nach dem richtigen theologischen Verständnis des Sakraments die gemeinsame Feier verhindert, geht es in der Ökumene um die ganz andere Frage, ob in Kirchen, deren Amt ohne die apostolische Sukzession ist, d. i. ohne die Ordination der Priester durch Bischöfe, die selbst in ununterbrochenem Zusammenhang der Überlieferung ihr Amt überkommen haben, überhaupt die Vollmacht zur Verwaltung des Sakraments besteht. Man kann volles Verständnis haben für die Bedeutung, die hier der bischöflichen Ordination beigelegt ist, kommt in ihr doch zum deutlichen Ausdruck, daß der Auftrag, in dem das kirchliche Amt handelt, von Christus und nicht von der Gemeinde her kommt. Zudem ziemt allen, die eine solche Ordination nicht kennen, doch wohl mangels eigener geistlicher Erfahrung die größte Zurückhaltung in ihrem Urteil darüber, welche reale sakramentale Wirkung die Amtsweihe haben mag.

LeerAber es ist zu fragen, warum denn eine Kirche, die in der apostolischen Sukzession ihrer Ämter lebt, darum Christen, die ihr nicht angehören, aber von ihnen aufgrund ihrer Taufe als Christen anerkannt werden, von der Tischgemeinschaft ausschließen muß? Stammt eine solche Regel nicht aus der Zeit, in der die Exkommunikation als Machtmittel und Kampfmittel von einer Kirche mißbraucht wurde, der in ihrem Selbstverständnis die rechtlich verfaßte Institution und die geistliche Lebensgemeinschaft in Christus spannungslos und selbstverständlich zusammenfielen.

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LeerVor allem: kann das gnädige Handeln Christi an den ihm gläubig zugewandten Gliedern seiner Kirche wirklich in dieser Weise von einer wenn auch noch so sinnvollen und sachgemäßen Ordnung abhängig gemacht werden? In der Unterhaltung mit einem bedeutenden und anerkannten Lehrer der römisch-katholischen Kirche gestand er mir zu, daß die Christen, die gläubig an der Abendmahlsfeier in meiner Universitätskirche zu Marburg teilnehmen, genau die gleichen Gnaden empfangen wie die frommen Katholiken, die sich von ihm die heilige Speise reichen lassen, „die gleichen Gnaden, aber nicht das Sakrament”. Weil nämlich die kirchenrechtliche Definition es verbietet, die Sache im ersteren Falle ein Sakrament zu nennen. Nun, wenn der Inhalt der gleiche ist, so mag man über die Form verschiedener Meinung sein. So werden wohl auch die Anglikaner und die Orthodoxen zugestehen, daß fromme Lutheraner eine wahre, rechte Eucharistie feiern, sie werden aber vielleicht hinzufügen: sie tun es de facto, aber nicht de jure, sie tun es der Sache nach, aber ohne dazu berechtigt zu sein.

LeerDabei erinnern wir uns daran, wie offen in der Apologie der Augustana beklagt wird, daß es durch das Versagen der Bischöfe für die Evangelischen unmöglich geworden ist, sich an das kanonische Recht zu halten. Mit anderen Worten, die Väter haben selbst empfunden, wie mißlich es ist für eine Kirche, revolutionär verfahren zu müssen. Ist nicht für eine Kirche die Legitimität ihres Tuns von entscheidender Bedeutung und kann diese Legitimität ersetzt werden durch die „reine Lehre”? Für den Spiritualisten besteht hier keinerlei Schwierigkeit, aber für den, der um einen sakramentalen Lebenszusammenhang der Kirche als des Leibes Christi weiß, sieht die Sache eben anders aus. Ist in diesem Mangel, der an dieser Stelle zugestandenermaßen besteht, vielleicht der eigentliche Grund dafür zu suchen, daß das sakramentale Leben bei uns weithin so verfallen, so zum „Anhängsel” geworden ist?

LeerAber alle diese Fragen, wie ernst man sie auch nehmen mag, begründen keineswegs das Versagen der interkonfessionellen Gemeinschaft am Altar. Und es kann nur als das Zeichen eines tieferen, wahrhaft geistlichen Verständnisses von Kirche verstanden werden, wenn in der Christenheit die Tatsache der fehlenden Abendmahlsgemeinschaft als eine brennende Wunde am Leibe Christi, ja als eine unerträgliche Schmach empfunden wird, mit der man sich auf gar keinen Fall abzufinden gewillt ist. Denn man kann sich nicht zu Christus als dem gemeinsamen Herrn bekennen und ihm zugleich in den Arm fallen, mit dem er die Seinen nähren und segnen will.

Evangelische Jahresbriefe 1950, S. 26-29

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-16
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