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von Arthur Graf |
Calvin hatte auf dem Todbett sich dahin ausgesprochen, daß ihm nicht gelungen sei, der von ihm erneuerten Kirche das an Lebensformen zu vermitteln, was sie haben sollte. Die Reformierten Kirchen Frankreichs und der Schweiz sind dann auch in die tatsächliche Sakramentslosigkeit geraten, die anläßlich der neuesten Bemühungen um eine neue Gestalt des Gottesdienstes in der Eglise réformée de France offen zugegeben worden ist. Calvin sprach damals zugleich die Erwartung aus, es möchte einer nach ihm kommen, der dieses Defizit überwinden könnte. Es ist, soweit ich sehe, bis in das 18. Jahrhundert beim von Calvin bedauerten Zustand geblieben. Damals ist in der Kirche von Neuchátel in in Jean Frédéric Osterwald, den Karl Barth einen Theologen von großem Format genannt hat, so etwas wie ein Reformator aufgestanden, dem es daran lag, das gottesdienstliche Leben seiner Kirche zu heben. Er hat sich dabei an das Vorbild der anglikanischen Kirche gehalten. Aber die Reform Osterwalds hat sich nicht auf die Dauer durchgesetzt. Im 19. Jahrhundert vrsuchte Eugène Bersier in Paris eine Erneuerung der gottesdienstlichen Gestalt. Die „Liturgie Bersier” fand dankbare Aufnahme, konnte aber nicht zur allgemein anrkannten und gebrauchten Ordnung werden. Im Anfang unseres Jahrhundert hat in Lausanne Jules Amiguet, ein Pfarrer der Waadtländischen Landeskirche, die besten Jahre seines Lebens in den Dienst der liturgischen Forschung gestellt und seiner Kirche nach dem ersten Weltkrieg ein Abendmahlsformular geschenkt, das deutlich verrät, in welchem Umfang der Verfasser sich in die altchristlichen, klassischen Vorbilder hineingebetet hatte. Er liebte es, so sehr er ein treuer Diener seiner Landeskirche gewesen ist, sich doch als „vieux-catholique” zu bezeichnen, dies aber nicht im „konfessionellen” Sinn gemeint, sondern im Sinn einer freudigen Gemeinschaft mit der Alten Kirche. Er las als Privat-Dozent an der Lausanner Fakultät über Liturgiegeschichte und Liturgik und vermochte es, eine Zeitlang wenigstens, auf den akademischen Nachwuchs ansehnlichen Einfluß auszuüben. Es kam zu einer freien Arbeitsgemeinschaft „Eglise et Liturgie”, die eine Anzahl theologischer Arbeiten veröffentlichte und auch Vorschläge ausarbeitete, welche in der Folge bei den Liturgierevisionen in der Waadt und in Genf einigermaßen berücksichtigt wurden. Als Mann von ökumenischer Weite verkörperten er und einige seiner Schüler den Geist der „Conférence de Lausanne” (i 927, Faith and Order) Man hat deutlich erkannt, daß die wohl brennendste Zeitfrage die nach e c h t e r Gemeinschaft ist, daß aber echte Gemeinschaft nur durch Christus und in Christus möglich ist. Die Kirche ist corpus Christi. Aus der Kirche muß es zur Berufung kommen, welche zur Bruderschaft führt. Der Raum gestattet nicht eine ausführliche Besprechung der genannten Schrift. Wir begnügen uns mit einigen Hinweisen: Analog den klassischen Orden will diese Bruderschaft nicht nur ein reguliertes Leben führen, sondern die Forderung der evangelischen Armut mit in ihre Regel aufnehmen. Ihre Glieder sind weitgehend „Brüder vom gemeinsamen Leben”, einige unter ihnen wählen den freiwilligen Coelibat. Oberstes Gesetz ist der Satz: „Ora et labora ut regnet Christus”. Man weiß um den Wert der Meditation, der inneren Stille. Man will evangelische Freiheit und diszipliniertes Leben zur Einheit bringen. Freude, Schlichtheit, Barmherzigkeit bilden den Akkord, indem das Buch ausklingt. Man spürt neben dem Einfluß der „Gruppe” wohl auch den von Wilfred Monod, der s. Zt. den Orden der „Veilleurs” gestiftet hatte. Die reformierte Grundhaltung ist unverkennbar. Aus dem gleichen Arbeitskreis, dessen Verbindungen zu „Verbum caro”, einer theologischen Vierteljahresschrift offenbar sind, stammt das sehr schöne Buch von Max Thurian, „Joie du Ciel sur la Terre”. Dieser Titel erinnert an das Wort Sergius Bulgakoffs, die Liturgie sei „der Himmel auf Erden”. Max Thurian gab dem Buch den Untertitel Introduction à la vie liturgique. Wir finden darin so ziemlich alle Erkenntnisse ausgesprochen, die uns im Laufe der Jahre durch die Arbeit der Evangelischen Michaelsbruderschaft vermittelt worden sind. Es stehen erstaunliche Dinge darin, „La légitimité du crucifix n'est pas discutable”. Höchst interessant ist auch der Hinweis darauf, daß das Gespräch mit Rom erleichtert werden könnte, wenn man römischerseits die auf Aristoteles gegründete Transubstantationstheorie aufgeben könnte, da schließlich die Physik des Stagiriten nicht mehr die Physik des heutigen Menschen ist. Die Schrift ist also ausgesprochen ökumenisch orientiert. In der allemannischen Schweiz ist bisher derartiges noch nicht verwirklicht, wenn schon Ansätze dazu vorhanden sind. Es wird aber auch in unsern deutschschweizerischen Kirchen nie zu einer fruchtbaren liturgischen Erneuerung kommen, wenn nicht durch eine verhältnismäßig kleine, aber geordnete - regulierte - Gemeinschaft die liturgische Ordnung als Lebensordnung gelebt wird. Berneuchen bzw. die Michaelsbruderschaft hat wohl in dieser Hinsicht eine Aufgabe. Evangelische Jahresbriefe 1950, S. 36-39 |
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