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Die Ikone der Christgeburt
von Ludwig Schneyer

Ikone Geburt Christi Leer

In sich versunken, gelöst auf einem purpurfarbenen Lager ausgestreckt, bindet die Gestalt der Gottesgebärerin auf der russischen Ikone des ausgehenden XIV. Jahrhunderts das Auge des betend Schauenden an sich.

Ihr eigener Blick aber gilt sinnend dem Kinde, um das sich zwei Frauen helfend mühen. Die hymnische Strophe
Leer„Man kann es nicht in Worte kleiden,
Leerauf welche Weise Du geboren”
ersteht so, um dann die Freude der Mutter zu verkünden:

„.Ja, du bist meine Frucht, du bist mein Leben,
Da ich nun weiß, daß ich noch das bin, was ich war,
So mußt mein Gott du sein ...
Darum künde ich dich als den Logos, der
- ohne sich zu wandeln - Fleisch annahm.”
LeerVon diesem in die Besinnung und zum Bekennen führenden Ausruf ausgehend, leitet die Ikone selbst, die Liturgie der eucharistischen Feier in ihrem gegliederten Aufbau immer wieder ausdeutend, den vor ihr Betenden, der sie gebeugt zwischen seinen erhobenen Händen schaut; erschließt ihm bildhaft die frohe Botschaft von der Geburt des Erlösers. Darum entsprechen zunächst den zu einem Halbkreis vereinten Gestalten der beiden Frauen unter den Augen der Gottesmutter zwei männliche: Joseph, „von einem Sturm im Innern bewegt”, wie ihn eine andere Ikone kennzeichnet, und ein ihm gegenüberstehender Hirte, der Versucher, der ihm angesichts des Wunders der Geburt die Seelenqual aufzwingt:

„Wer ist's, der mich hintergangen hat?”

LeerNebeneinander stehen so zu Beginn des Bewegungszuges der Ikone zu unterst, im irdischen Bereich, dienendes Bekenntnis und menschlicher Zweifel als eindringlich mahnende Frage an den Schauenden, die dann aber durch den von sich aus weiterführenden Aufbau selbst Antwort und Ausrichtung findet. Die Spannung zwischen diesen beiden Männern wird von dem klaren Schwung des Lagers der Gottesmutter ausgleichend aufgenommen und in der Schräge nach oben - aber auch gleichzeitig in die Tiefe des Bildes hinein - zu der Engelgruppe über den sich gähnend öffnenden Abgrund einer dunklen Höhle geleitet. Einer dieser Gottesboten nun neigt sich zwei staunend aufblickenden Hirten zu, mit der Kunde: „Siehe ich verkünde euch die große Freude des Evangeliums, die aller Welt zuteil werden soll, denn euch ist heute der Heiland geboren.” Die beiden anderen Engel hingegen, dem im Lichte des Sternes aufleuchtenden Berggipfel zugewandt, singen ihr „Ehre sei Gott in den Höhen und auf Erden Friede, unter den Menschen ein Wohlgefallen.” Der hingebenden Schau wird durch diese Engel und ihre Botschaft Himmel und Erde vereint, menschlicher Zweifel gelöst, dadurch aber im Letzten zu einer ausblickenden Hingabe gerufen.

Leer„Wie einen Mund den Stern benutzend”, so heißt es in der Liturgie, werden die aus der Ferne heranreitenden drei Magier in das Bild hineingerufen - durch ihre roten phrygischen Mützen sind sie als Perser gekennzeichnet. Fröhlich aufblickend streben sie in lebhaft bewegter Gruppe den Strahlen des Sternes der Christgeburt zu, prägen so auf der Ikone, wohl über der Gestalt des Joseph heranreitend, aber auch mit ihm der gleichen Raumschicht zugehörig, das Troparion ins Herz: „Verkünde, o Joseph, dem David, dem Gottahnen, die Wunder; die Jungfrau sahst du niederkommen, mit den Hirten rühmest du, mit den Magiern betest du an, von den Engeln verständigt. Bitte Christum, den Sohn, zu erlösen unsere Seelen.”

LeerVon dieser Bitte her allein erschließt sich die weitere, nunmehr vertiefende Verkündigung unserer Ikone: Hinter der Gottesgebärerin trifft der Blick noch einmal, vom Strahl des Sternes geführt, das gleiche Kind, um das sich vor ihr die beiden Hebammen sorgen. Jetzt aber liegt es in einer Krippe, von zwei Tieren bewacht, inmitten einer Höhle. Deren Tiefschwarz, das Zeichen der Hölle und des Todes, hebt sich scharf von dem Purpurrot der Mandorla der Gottesmutter ab, die wiederum selbst in ein Gewand gehüllt ist, in dem sich Ocker und Purpur - die Farben der Erde und des Sieges - mischen. Diese Farbflächen fügen sich zu einer Umrahmung der kleinen Gruppe um das Gotteskind, dieser gleichzeitig eine eigene, selbständige Ebene im Gefüge des Bildes zuweisend. Darüber hinaus wird die Gestalt der Maria durch die Dynamik dieser Farben aus dem Bilde herausgehoben, dem Schauenden wie eine Mittlerin näher gerückt. Verständlich wird durch diesen Zusammenklang von Bildaufbau und Farbgebung die Bezeichnung der Gottesgebärerin im Malerbuch vom Heiligen Berge Athos als „die von der großen Grotte”. Dieser Beiname enthält letztlich den Hinweis auf die selbst ihren Augen verborgene Verkündigung der Ikone. Bedeutet doch die Wendung des Blickes auf die Gruppe in der Höhle, den die Gestalt der Mutter selbst bewirkt, nicht wie bisher ein Weiterführen des Auges, sondern ist nunmehr ein Hinabstoßen zur Tiefe, erfordert so, der Schau einen letzten Sinn zu erschließen.

LeerIn einer Grabkiste liegt das Kind, eingebunden einem Toten gleichend, genau so, wie andere Ikonen Lazarus darstellen. Höhle aber und Krippe als die Stätten der Geburt und des Versteckes des Heilandes sind - wie schon die Gestalt des auf Joseph einredenden Versuchers - den Schilderungen der apokryphen Evangelien entnommen, die wiederum durch den Kirchenvater Gregor von Nyssa dem Christen des -Ostens in dem Satz ausgelegt werden, daß „die Geburt in der Höhle die Bedeutung Christi für die in dem Schatten des Todes hinlebende Menschheit versinnbildlicht”. Diese Bedeutung stellen auf der Ikone die beiden Tiere um den Krippensarg vor Augen. Die „rötliche Kuh” ist im Alten Bunde das Sühnetier des Priesters Eleasar (4. Mose 19, 2-9) und zeigt den Erlösertod Christi für die Menschheit an. Diesen bestätigt der Neue Bund im Hebräerbrief (9, 13 -14): „Wie viel mehr wird das Blut Christi, der durch ewigen Geist sich selbst ohne allen Fehl Gott dargebracht hat, unser Gewissen reinigen, zu dienen dem lebendigen Gotte.”

LeerIn dieser gleichen Auslegung der Heiligen Schrift weist auch der Esel an der Krippe gleichsam voraus auf das Opfer des Menschensohnes. Er trägt dieses Kind auf der Flucht nach Ägypten und ist sein Reittier aus dem Zuge zum erlösenden Opfer. In ihm kündet sich mitten im Bilde der Weihnacht die Liturgie des Palmsonntags an „der als Gott auf den Schultern der Cherubim thront, läßt nieder sich auf einem Füllen; aus Liebe zu uns kommt willig er, sich opfern zu lassen.” Geburt und Tod des Erlösers stehen inmitten der Ikone in einem menschlich unlösbaren Gegensatz als Mysterium und doch wieder verheißend vor Augen. Schaubar wird im Engelchor zur Linken der dunklen Grotte der marianische Hymnus
„Gegrüßet seist du Gipfel, menschlichem Forschen unerreichbar,
Gegrüßet seist du Abgrund, den sogar Engelaugen nicht ergründen.”
LeerDiese drei Engel, hintereinandergestaffelt gemeinsam zu dem Kind im Krippensarg und den Gleichnistieren seiner Leiden herabblickend, binden, der ihnen gegenüber angeordneten Gruppe entsprechend, im feinen Bogen die Bewegungszüge des Bildgefüges wieder zu einer neuen, innerlich faßbaren Einheit zusammen, „die Elemente zweier Welten in sich tragend”. Das Gegeneinander des Linienspiels in der Darstellung Josephs noch einmal aufnehmend, führen sie in ihrer Geschlossenheit am Höhlenrand entlang wiederum aufwärts, und doch räumlich in das Bild hinein zu dem im Lichte des Sternes glänzenden Gipfel. In den unter ihm sich öffnenden Abgrund, in das Dunkel des Todesrachens, auf das Geheimnis um das Kind in der Krippe aber, strahlt aus der Höhe, „unerreichbar menschlichem Forschen”, das Zeichen seiner göttlichen Geburt. „Vor dem Morgenstern habe ich dich gezeugt”, erklingt es immer erneut in der Göttlichen Liturgie. Uber den sich öffnenden drei Strahlen dieses unsichtbaren Sternes schwebt auf goldenem Rund wie in einem Siegel zu Häupten des Christus eine weiße Taube, die Zeichen seiner unbefleckten Empfängnis und des Heiligen Geistes, göttliche Geburt und Taufe vereinend, jedoch - wie vom Bilde selbst gedeutet - der Taufe in den Tod. Nun fragt und bekennt die Ikone mit den Worten des Apostels: „Wisset ihr nicht, daß so viele wie auf Jesum Christum getauft sind, die sind auf seinen Tod getauft”. In Stern und Taube verbunden mit dem erlösenden Kind leuchtet das Mysterium der Dreieinigkeit Gottes auf, wird das Sakrament der Taufe in den Tod, und in ihm für den Christen des Ostens der Hinweis auf das eucharistische Opfer, sichtbar. Deshalb erschließt sich der Sinn dieser russischen Ikone von der Geburt unseres Erlösers nur in betender Schau, gebunden an das heilige Sakrament. Gerade darum aber jubelt bildhaft auf ihr die ganze Schöpfung in ihren Menschen, Tieren und Bäumen den Hymnus der Maria aufnehmend
„Drum jauchzt mit mir die ganze Schöpfung,
Sie ruft mir zu: Gegrüßet seist du, voll der Gnaden.”
LeerJetzt erst dürfen wir, gleichsam vom Bilde freigegeben, für uns festhalten: Diese Ikone der Christgeburt ersteht dem Frommen aus dem Ineinanderfügen von Einzelbildern des neutestamentlichen Berichtes mit Weissagungen des Alten Bundes und Erzählungen der apokryphen Evangelien im Verein mit legendarischem Gut in ihrer gemeinsamen Verbindung durch Teile der Göttlichen Liturgie und Verse der marianischen Hymnen. Bei aller hierdurch gekennzeichneten Weite ihrer inneren Begründung eignet dieser Ikone in ihrem klaren, flächenhaften Ausbau doch auch eine besondere raumhafte Bewegung, die den Betenden gewissermaßen in das Bild hineinnimmt und ihm dieses in gleicher Weise näher bringt. In dieser Gestaltung führt die Ikone wohl das Geschehen der Christgeburt vor Augen, verkündet aber auch gleichzeitig in ihm das Geheimnis des Sakraments, wie sie selbst einem Worte des Kirchenvaters Johannes von Damaskus zufolge den Christen des Ostens „ein Mysterion” ist, das sie ebenso „wie ein Sakrament als Träger göttlicher Kraft und Gnade” ansehen. Bei all ihrer inneren und äußeren Geschlossenheit, ihrer klaren sakramentalen Ausrichtung, ist diese Ikone - und das muß abschließend klar betont werden - nicht aus sich allein verständlich, sondern nur als Glied der Einheit des Gotteshauses, der Ordnung des Ikonostas zugehörig. Hinter diesem wird auf dem Altar bei der Feier der Eucharistie „der Herr geschlachtet Tag um Tag”.

LeerVon hier aus wird nunmehr faßbar, daß unsere russische Ikone um dieser Bezogenheit willen von allen Darstellungen der Weihnachtsgeschichte in der kirchlichen Kunst des Westens geschieden sein muß. Wohl gestalten diese alle den gleichen biblischen Bericht, führen aber den Betrachter - nicht den betend Schauenden -, und das ist der wesenhafte Unterschied, zu einem mitfühlenden, menschlichen Verstehen dieses Geschehens. Deshalb verbindet sie letztlich ein Zug zur pastoralen Idylle, nicht aber der Anruf zum gemeinsamen freudigen Lobpreis. In dieser Erkenntnis kann und darf uns gerade heute die alte heilige Ikone des -Ostens, auch wenn uns ihr letzter Gehalt verborgen bleiben muß und unsere Frömmigkeit anders geprägt ist, in ihrem sakramentalen Ernst zu einer wegweisenden Hilfe werden. Über alles Trennende hinweg gilt uns im Glauben an Eine heilige christliche Kirche gemeinsam die Botschaft der Weihnacht,

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit”.


Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 6-9

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 15-11-23
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