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von Karl Bernhard Ritter |
Wer die Berichte über den diesjährigen Katholikentag in Passau gelesen hat, der gewinnt einen starken Eindruck davon, welche umfassende Bedeutung die marianische Idee für unsere katholischen Brüder und Schwestern hat. Sie ist „das Zeichen der Verinnerlichung”, der „Hingabe an Gott” für ein Geschlecht, das „mit allen seinen pädagogischen und seelsorgerlichen Bemühungen am Ende ist” - Maria ist die „Pforte zu den Geheimnissen der Gnade”. „Die Botschaft Mariens heißt Metanoia, Verinnerlichung und Buße”. So Professor Dr. Graber, Eichstätt, der in seinem Vortrag auch unter großer Bewegung der Versammlung von der Madonna von Stalingrad des in der russischen Gefangenschaft verstorbenen Michaelsbruders Kurt Reuber erzählte und mit dem Gedanken schloß, es scheine, daß unsere marianische Zeit das johanneische Zeitalter der Kirche einleite, „jene Periode, in der die Kirche auf alle irdischen und machtpolitischen Welteroberungsmittel verzichtet hat und sich nur mehr der Liebe bedient als des einzigen Mittels, um die Welt für Christus zu gewinnen”. Besonders beachten werden wir als evangelische Christen, wie in einer Messe des Katholikentags „für die Wiedervereinigung im Glauben” der Erzbischof von Paderborn, Lorenz Jäger, über „Maria und die Glaubensgesinnung” gepredigt und sich m dieser Predigt bemüht hat, die Einwände gegen die Marienverehrung, die von evangelischer Seite erhoben werden, zu entkräften: „Der einzige Gedanke Mariens und der Marienverehrung ist der, uns zu Christus hinzuführen. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Evangelium und der Marienverehrung. Christus allein? Das war ja der Sinn ihres Wortes „Mir geschehe, wie du gesagt hast”. Dadurch wurde das Wort Fleisch. Das paulinische Wort „Christus lebt in mir” bezeichnet den tiefsten Sinn ihres Lebens. Das „gerecht durch den Glauben” (Röm, 3, 28) findet in Maria seine Bestätigung, denn ihre Niedrigkeit, ihren demütigen Glaubensgehorsam hat Gott angenommen. „Seid gesinnt wie Jesus Christus... der sich erniedrigte bis zum Tode am Kreuz” (Phil. 2, 5): Marias Leben wurde unter dem Kreuz Ganzopfer. „Es ist nur ein Mittler” (1. Tim. 2, 5). Das ist auch unser, der katholischen Christen Glaube. Aber dieser Mittler ist nicht eine Idee, sondern „vom Weibe geboren”. Es geht bei der Verehrung der Mutter Gottes lediglich um das Ernstnehmen des „et incarnatus est”. „Wir Christen sollten nicht immer sprechen von der sola gratia, sondern von der tota gratia, in die dann auch eingebettet ist das von der Gnade getragene, aber dennoch freie Jawort, das Maria zur Menschwerdung sprach und jeden Augenblick in der Gefolgschaft ihres Sohnes gesprochen hat. Warum will man sich der ganz unschriftgemäßen Alleinwirksamkeit Gottes verschreiben, die Gottes nicht würdig ist, weil er keine Sklaven, sondern freie Diener haben will?” Der Prediger schloß mit der Bitte und dem Gebet, daß wir bei Maria und den Aposteln (Apostelg. 1, 14) zusammenfinden möchten. Soviel dürfte schon aus diesem kurzen Bericht hervorgehen, daß eine Unterhaltung zwischen evangelischen und katholischen Christen über Maria nicht so einfach zu führen ist, wie sich das der landläufige Protestantismus vorstellt. In der protestantischen Presse sind in diesem Jahr mancherlei Berichte, Äußerungen kirchlicher Führer, theologische Aufsätze erschienen, in denen zum Ausdruck kommt, daß die Dogmatisierung der Lehre von der leiblichen Himmelfahrt der Maria am Allerheiligenfeste dieses Jahres ein „völlig unbegreiflicher”, ein „überaus beklagenswerter” Schritt des Papstes sei, durch den die Kluft zwischen den Konfessionen tiefer als je aufgerissen würde, und daß durch ihn das Gespräch über die Konfessionsgrenzen hinüber zur Aussichtslosigkeit verurteilt sei. Es ist darum überaus dankenswert, daß Hans Asmussen den Versuch gemacht hat, dies Gespräch in einer kleinen Schrift* aufzunehmen, die gerade eben erschienen ist und gleich mit dem Bekenntnis zu Maria als der Mutter Gottes anhebt: „Ist Maria nicht die Mutter Gottes, dann hat die Kirche aller Zeiten sich geirrt - oder aber wir, die wir der Maria diese Bezeichnung verweigern, haben uns von der allgemeinen christlichen Kirche getrennt”. Asmussens Gedankengang stellt den Versuch dar, die - bisher fehlenden - grundlegenden Sätze einer evangelischen Mariologie aufzufinden. Was kritisch gegenüber der römisch- katholischen Dogmenbildung zu sagen ist, ergibt sich dann von selbst nicht aus einer Negation, sondern aus einer biblisch begründeten Position unseres Glaubens. Seine erste Frage: Ist Jesus Christus der Zufällige, oder ist er der, der die ganze Geschichte von Adam bis zu Maria krönt und zusammenfaßt, der in dem Augenblick erscheint, als hie Zeit erfüllt war, der also Mitte und einziger, wahrer Sinn der Menschheitsgeschichte ist? Er Ist der Unsere. Er gehört zur Menschheit. Und Maria garantiert diesen seinen Zusammenhang mit uns allen. Sie garantiert, daß er in die wirkliche Geschichte der Menschheit und nicht bloß in eine Ideengeschichte gehört. .So ist denn in der Tat Maria Exponent der erlösungsbedürftigen Erde und besonders der erlösungsbedürftigen Menschheit. Nach dem Sieg ihres Sohnes aber wird sie Exponent der erlösten Menschheit und der auf die endgültige Erlösung harrenden Erde sein” (Luther, Psalmvorlesung von 1516). Denn Maria ist eben das Bindeglied, welches den Herrn Christus mit der Menschheit verbindet. „Die wahre Kirche bekennt die Geburt Jesu aus der Jungfrau”. Das Verständnis für dies Bekenntnis ist da verbaut, wo Maria als bloßes Individuum genommen wird und nicht als Exponentin des ganzen Menschengeschlechts. Was zwischen Gott und Maria geschieht, ist Menschheitsereignis. „So wie sich Gott zur Maria verhielt, so verhält er sich zur Menschheit”. An Maria wird ein grundlegendes Gesetz des Reiches Gottes und der Kirche angeschaut, das Gesetz der Empfängnis. Es ist darum ein völlig an der sachlichen, dogmatischen Frage vorbeigehender Versuch, die Frage der Jungfrauengeburt auf literarkritischem Wege entscheiden zu wollen. Selbst wenn die ersten Kapitel bei Matthäus und Lukas nicht „echt” wären, das ganze Neue Testament, ja die ganze Schrift „atmet die Luft der Jungfrauengeburt”. Sie ist notwendiges Glied in der Kette der heilsgeschichtlichen Ereignisse. Und wenn darauf hingewiesen wird, daß das Motiv der Geburt eines Heilandes aus der Jungfrau auch sonst in der Religionsgeschichte vorkomme, so ist damit nichts anderes bewiesen, als daß auch anderswo „Menschen richtige oder halbrichtige Fragen gehabt haben”. Die kurzen, sehr fragmentarischen Ausführungen, die Asmussen in seiner Schrift zur Frage der Jungfrauengeburt macht, scheinen mir trotzdem die fruchtbarsten Ansätze zu einet theologischen Entfaltung dieses so stiefmütterlich behandelten Satzes in den Bekenntnissen der Kirche zu enthalten. Sie sind ein genialer Wurf. Führt schon in diesen Kapiteln Asmussen überzeugend aus, daß wir an der Maria das Geheimnis unserer eigenen Heilsgeschichte erkennen dürfen, so wird das noch deutlicher in den folgenden Kapiteln, wo wir evangelischen Christen zunächst gefragt werden, ob wir nicht sehr ernst nehmen wollen, was in Lukas 1 berichtet wird, so daß wir uns dazu auffordern lassen, Maria „selig zu preisen” und in Maria eine selig gewordene, eine erlöste Menschheit. Maria ist „die Repräsentantin des Fleisches, in welches der Sohn Gottes eingegangen ist und welches er über alle Kreaturen erhoben hat”. Alle Furcht, Maria in einem unberechtigten Symbolismus zu verflüchtigen, darf uns nicht abhalten, in ihr die erlöste Menschheit wieder zu finden. Nur so wird die Szene unter dem Kreuz verständlich, da dem Apostel diese Mutter gegeben wird, nur so auch der tiefere Sinn der Erzählung von der Hochzeit zu Kana. In diesen Geschichten steht Maria schon für die Mutter Kirche. Und an ihrer Gestalt wird es erkennbar, was für das ganze Evangelium gilt, daß in ihm unser aller Geschichte abgehandelt wird. Da ist zunächst zu sagen, daß wir evangelischen Christen es als eine schwere Gefährdung des christlichen Glaubens ansehen müssen, wenn Maria, wie es durch das Dogma von der unbefleckten Empfängnis geschieht, aus der Reihe derer herausgelöst wird, die von Adam herkommen. Denn daran hängt ja gerade unser Heil, daß wir von ihr nicht getrennt sind, daß der Herr Christus wirklich unser Fleisch und Blut angenommen hat, als er aus Maria geboren wurde. Und ebenso ist es uns unverständlich, daß unsere katholischen Brüder nicht mit uns empfinden, daß Maria gerade um ihrer einzigartigen Bedeutung willen auf unserer, der Menschheit Seite bleiben muß, auch nach ihrem Tode. Aber vielleicht müssen wir zugeben, daß auch hier unsere Formel zu einfach ist: Gott ist Gott und Mensch ist Mensch. Ist es nicht gerade die Botschaft des Neuen Testaments, daß diese Scheidung nicht absolut gesetzt werden darf? Bekennt die Kirche nicht gerade die Mittlerschaft Jesu, in der Er an unserer Menschheit, wir an Seiner Gottheit teilnehmen? Spricht der Apostel nicht davon, daß wir „teilhaftig werden der göttlichen Natur”? (2. Petr. 1, 4). Die Stellen ließen sich häufen. Vielleicht ist die stärkste Aussage bei Johannes (Joh. 17, 22) zu finden: „Ich habe ihnen gegeben die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast”. Werden die Christen da nicht auf die Seite Gottes gestellt? Die gleiche Beobachtung müssen wir dort machen, wo das Neue Testament von dem Weg der Gnade redet, die ihren Ursprung in Gott hat, zuletzt aber von Menschen priesterlich verwaltet wird (Luk. 10, 16!). Hier gilt das Wort: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch”. Es ist also unzweifelhaft von einer Gliederung, einer Hierarchie zu reden, die durch die Tatsache der Erlösung geschaffen wird. Maria gehört ganz gewiß zu uns Menschen, sie ist aus unserem Holz geschnitzt. Aber sie gehört auch mit allen Heiligen auf dir Seite Gottes gegenüber der Welt. Maria hat ihren bestimmten Ort in dem Organismus, den der Kosmos des Heils bildet. Hier drängen sich unabweislich Fragen auf, die nur mehr angedeutet werden können, auf hie auch Asmussen noch keine befriedigende Antwort zu haben bekennt. Was bedeutet das Wort vom königlichen Priestertum der Gemeinde für das priesterliche Wirken auch der Vollendeten und Seligen in der Kirche? Worte wie das von der Wolke von Zeugen (Hebt. 12, 1), die wir um uns haben, vor allem aber die Aussagen des letzten Buches der Bibel machen deutlich, daß für die Zeugen des Neuen Testaments die Abgeschiedenen durchaus nicht bloße Objekte unseres Nachdenkens, sondern wirksame Subjekte sind. Steht nicht ferner jeder priesterlich Wirkende in der Nachfolge Jesu, des Mittlers, vertritt er nicht in seinem priesterlichen Dienst Gott vor den Menschen und den Menschen vor Gott? Und so darf also auch gefragt werden: ist Maria nicht ein „vornehmes Glied der priester- lichen Schar”? Die Frage ist nur, so stellt Asmussen mit Recht fest, ob es sich um eine Mittlerschaft in Christus oder neben Christus handelt? Daran hängt alles! Denn eine Mittlerschaft des Christen in Christus besagt doch offenbar dies, daß Christi Werk nicht vergeblich und fruchtlos geblieben ist, es sagt genau das, was im Gleichnis vom göttlichen Weinstock (Joh. 15) ausgeführt ist. Die Frage der Heiligenverehrung und auch die der Verehrung der Maria hat eine Seite, die nur gelöst wird, wenn Klarheit darüber besteht, daß wir uns binden lassen nicht nur an das eine historische Faktum, welches Jesus Christus heißt, sondern um dieses Faktums willen an eine Reihe anderer historischer Tatsachen. Dazu gehört in allererster Linie die Gestalt der Maria. Nun sind wir in der glücklichen Lage, daß wir im Neuen Testament einen Vorgang haben der uns vorbildlich deutlich macht, was es mit einem solchen Preise Gottes auf sich hat, der zugleich ein Preis der Kinder Gottes ist. Und dieser eine Vorgang betrifft die Maria. Als Maria zu Elisabeth ins Haus kommt, bricht diese in das Lob aus: „Gebenedeit bist du unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes”. Das Benedeien und Segnen ist es. worauf es ankommt. Wenn Gott das segnende Wort über uns spricht, dann kann es nicht anders sein, als daß wir dieses Wort Ihm zurückgeben und es auch auf diejenigen anwenden, an denen sich sein Geheimnis vollzieht. Mögen wir Evangelischen voller Bedenken sein gegen die katholische Marienverehrung, wir sollten lernen, ehe wir solche Bedenken aussprechen, was denn evangelische Marienverehrung ist. Sie kann nichts anderes sein als das Echo des Segens, den Gott über die Mutter des Herrn ausgesprochen hat. Ob wir diesen Segen wirklich gehört haben und selber unter diesem Segen stehen, das ist nun freilich keine Randfrage, über die man so oder anders denken kann, sie rührt an das Zentrum der evangelischen Verkündigung. Solange die Verehrung, welche wir dem Herrn Christus angedeihen lassen, ohne das Echo des Segens ist, mit welchem Gott die Mutter Jesu Christi segnete, müssen wir uns den Verdacht gefallen lassen, daß wir gar nicht den einen Mittler Jesus Christus meinen, sondern nur eine zeitlose Idee, der wir den Namen Jesus Christus beilegen. Unsere Lehre übet die Maria mag noch so sauber sein - solange unsere Gebete an ihr vorbeigehen, ist uns die Herrlichkeit ihres Sohnes noch nicht im Vollsinn aufgegangen.” * Hans Asmussen: Maria, die Mutter Gottes. Evg. Verlagswerk Stuttgart 1950. Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 22-26 |
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