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Tue das, so wirst du leben!
von Walter Lotz

LeerWer sich um die rechte Form des christlichen Gottesdienstes bemüht, steht immer in der Gefahr, die Form über die Sache zu stellen und diese dadurch zu verdecken. Ebenso wie umgekehrt die Vernachlässigung der Form die Gefahr heraufbeschwört, daß man auch der Sache nicht mehr gerecht wird. Der liturgische Fachmann kann nicht davon entbunden werden, nach den Formen zu fragen, die der Sache, um die es geht, am besten gerecht werden. Er wird dabei erkennen, daß gewachsene und bewährte Formen meist den Vorzug vor neuen Einfällen verdienen. Aber er wird sich vor der Meinung hüten, als sei die Wiedergewinnung einer form- und sachgerechten, klassischen Liturgie das Einzige, was not ist.

LeerAls Jesus von einem jüdischen Theologen gefragt wurde, was man tun müsse, um in das ewige Leben einzugehen, zeigte er ihm keineswegs einen ganz neuen Weg zum Heil. Er stellte vielmehr die Gegenfrage, was denn nach seiner theologischen Meinung der Weg zum Heil wäre. Der Schriftgelehrte nannte das Doppelgebot der Liebe als die Summe des Gesetzes, und Jesus antwortete: „Tue das, so wirst du leben!” (Luk. 10, 28). Diese Antwort war gewiß nicht ironisch oder sophistisch gemeint, etwa mit dem Unterton: Du kannst es ja nicht tun. Jesus wollte vielmehr damit sagen: Du weißt einen guten Weg, du mußt ihn nur gehen! Er kam nicht als Revolutionär um aufzulösen, radikal abzubrechen und neu anzufangen, er kam als Vollender um zu erfüllen. Es ist nicht so wichtig, daß jemand in der Nachfolge Jesu eine ganz neue Erkenntnis gewinne, oder einen ganz neuen Weg gehe. Wichtiger ist, daß ihm die Augen aufgehen über dem, was er schon weiß, und daß er den Weg wirklich geht, den er schon kennt. „Tue das, so wirst du leben!”

LeerLuther hat wohl kaum etwas gelehrt, was nicht auch schon vor ihm in der katholischen Kirche gelehrt worden wäre. Er hat auch keine neuen gottesdienstlichen Formen geschaffen. Aber er hat Erstarrtes zu neuem Leben erweckt, unter dem Geröll vielfältiger Nebendinge Verschüttetes wieder hervorgeholt und es einfältig in die Mitte gestellt. Er hat keinen neuen Weg zum Heil verkündigt, sondern das Wesentliche des alten Weges wieder freigelegt und unermüdlich dafür gekämpft, daß man mit dem Einen, was not tut, wirklich Ernst mache.

LeerDie christliche Erneuerungsbewegung, die von Frank Buchman ausging und heute in der ganzen Welt eine große Bedeutung gewinnt, verzichtet ganz bewußt darauf, irgend etwas Neues zu bringen. Sie hat ein positives Verhältnis zu allen bisher schon begangenen christlichen Wegen, und Christen aller Konfessionen finden sich durch diese Bewegung erweckt und befruchtet. Niemand soll aus seiner Konfession herausgeführt und auf einen neuen Weg gestellt werden. Vielmehr wird ein jeder aufgerufen, den Weg, auf dem er steht, wirklich zu gehen, sich dabei von Gott führen zu lassen und die innere Stimme der göttlichen Führung an den vier christlichen Grundforderungen der absoluten Ehrlichkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit und Liebe zu prüfen. Tue das, so wirst du leben!

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LeerAmerikanische Religionspsychologen haben sich viel Mühe gemacht mit Experimenten, um hinter die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der verschiedenen Typen des christlichen Gottesdienstes zu kommen. So z. B. hat Alvin T. Maberry (Psychology of Religious Symbolism, 1939) zwei verschiedene Gottesdienstordnungen, eine mit liturgischen Formen und eine ohne liturgische Formen, 28 mal mit sieben verschiedenen Jugendgemeinden erprobt. Am Ende dieser Experimente war er von dem hohen Wert der Sinnbilder und liturgischen Formen im Gottesdienst fest überzeugt. Er schildert, wie regelmäßig schon vor dem Gottesdienst der Unterschied deutlich war: Bei dem formlosen Predigtgottesdienst war am Anfang stets Lärm und Verwirrung, Sprechen, Stuhlrücken und Unruhe. Wenn dagegen der Gottesdienst vor einem Altar mit Kreuz und Leuchtern stattfand, so wurden die Eintretenden schon dadurch sofort ruhig, jede Unterhaltung unterblieb und die innere Sammlung war schon hergestellt, bevor der Gottesdienst begann. Aufmerksamkeit und Teilnahme waren in den liturgischen Gottesdiensten dreimal so groß wie in den formlosen Gottesdiensten. Eine genaue Einzelbefragung wertete diese Versuche aus, die uns geschmacklos vorkommen mögen, die aber immerhin einen vorher skeptisch eingestellten Amerikaner von dem hohen Wert äußerer Formen und liturgischer Sinnbilder für die Erziehung zu Sammlung und Andacht überzeugten. Die liturgielosen unter den amerikanischen Kirchen sind seit langem darüber besorgt, daß ihre eigenen Mitgliederzahlen gleichbleiben oder sinken, während die liturgisch geprägten Kirchen von einem guten Wachstum berichten können. Das wirkt sich so aus, daß an vielen Orten, an denen eine ausgesprochene „Konkurrenz” verschiedener Konfessionen besteht, auch Kirchen mit einem grundsätzlich formlosen Gottesdienst dazu übergegangen sind, in ihren Kirchen einen Altar zu errichten und einen Altardienst einzuführen, um sozusagen konkurrenzfähig bleiben zu können. Man merkt, daß die Leute es so haben wollen, und man gibt diesem Verlangen nach, ohne aber von der sachlichen Richtigkeit und Wichtigkeit der Liturgie überzeugt zu sein. D. h. man nimmt die Liturgie als eine bloße Form, die um ihrer Wirkung auf die Gemeinde willen unter Umständen wichtig werden kann. Man nimmt sie aber nicht ernst als ein wirkliches, nach beiden Seiten hin wirkendes Geschehen zwischen Gott und der Gemeinde. Eine solche Haltung muß sich natürlich rächen, und ein solcher Mißbrauch des Altars ist nicht weniger schlimm als ein entsprechender Mißbrauch der Kanzel. Paul E. Johnsen weist in seiner „Psychology of Religion” (Seite 155) auf die auflösenden Wirkungen hm, die diese Subjektivität im protestantischen Gottesdienst habe. Die protestantische Kirche habe die Kanzel in den Mittelpunkt gerückt und benutze sowohl die Predigt wie die liturgischen Lesungen und Gesänge dazu, eine Wirkung auf die Gemeinde herbeizuführen. Sobald aber der Kirchgänger merke, daß die gottesdienstlichen Formen nur dazu bestimmt seien, auf ihn einen Eindruck zu machen, wirke sich das so aus, daß er keineswegs beeindruckt sei. Er möge unterhalten und erbaut werden, aber er bleibe immer ein passiver Zuschauer und komme nicht zur wirklichen Teilnahme. Schließlich werde er die Ernsthaftigkeit der ganzen Veranstaltung, die um seinetwillen so oder so geformt sei, bezweifeln. Wenn nicht wirklich und ganz real etwas im Gottesdienst geschehe, im Blick auf Gott hin, bleibe die Teilnahme eine Sache der Gewohnheit, der Stimmung oder des subjektiven Impulses. Die Ursache aller Gleichgültigkeit gegenüber dem Gottesdienst der Kirche sei der Mangel an Realismus, d. h. aber letztlich der Mangel an Ernstnahme der Realpräsenz.

LeerEs ist daraus nicht der Schluß zu ziehen, daß jede Bemühung um eine liturgische Erneuerung sinnlos sei. Es kann ja auch aus der schlichtesten Formlosigkeit eine Form werden, die der Sache nicht dient, sondern ihr hinderlich ist. Es wird aber immer wieder notwendig sein, sich daran zu erinnern, daß es nicht so sehr darauf ankommt, welche Formen man gebraucht, sondern daß es entscheidend darauf ankommt, wie man sie gebraucht. Was hülfe es uns, wenn wir den ganzen Reichtum einer klassischen Liturgie wiedergewönnen, und nähmen doch Schaden an unserer Seele? Statt uns in die liturgische Vielgeschäftigkeit, in die Flucht und Sucht nach stets neuen Formen zu verlieren, sollten wir lieber das radikal ernst nehmen, was uns im Augenblick geschenkt ist. Keine gottesdienstliche Form ist so schlicht oder einfältig, daß sie uns nicht, wenn wir sie ernst nehmen, helfen könnte, ehrfürchtig in der Gegenwart Gottes zu stehen, Ihn zu hören und an uns wirken zu lassen und für Ihn und vor Ihm etwas zu tun und zu sagen. Diese ehrliche Sachlichkeit ist das Entscheidende auch in der liturgischen Erneuerungsbewegung. Tue das, so wirst du leben!

Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 68-70

© Joachim Januschek
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