Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1951
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Anfechtung im Glauben
von Karl Bernhard Ritter

LeerEs ist ein wunderliches Buch, von dem ich berichten will, und eigentlich ist es sehr viel mehr und etwas ganz anderes als ein Buch*, denn in diesen „Tagebuchblättern der Anfechtung” hat der alte, kranke und das furchtbare Schicksal seiner geliebten schlesischen Heimat bis zum bitteren Ende mitleidende Joseph Wittig in einer rücksichtslosen; fast erschreckenden Ehrlichkeit niedergeschrieben, was ihn in diesen letzten Jahren seines Lebens überfallen hat an innerster Not, an Zweifeln und Fragen, mit denen er nicht fertig werden konnte. Und da es ein von Herzen frommer Mann war, der ohne Gott keinen Atemzug lang leben konnte, so ist dies, sein religiöses Testament, zu einer erschütternden Beichte geworden und zu einem sehr evangelischen Buch eines ganz und gar im römischen Katholizismus beheimateten Mannes. Wer dies Buch liest, hat es also eigentlich nicht mit dem Schriftsteller, dem Theologen oder dem Dichter Joseph Wittig zu tun, sondern in einer zuweilen fast befremdenden und belastenden Unmittelbarkeit mit dem Menschen Joseph Wittig selbst und der „Geschichte und dem Ausgang seiner unglücklichen Liebe zu dem, was man Gott nennt”.

LeerWer die Schriften Martin Luthers kennt, der weiß etwas davon, wie seine religiöse Erfahrung und sein ganzes Denken bestimmt ist durch den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem verborgenen Gott, dem
deus absconditus, dem preisgegeben zu sein ihm zuweilen zu so grauenhafter Anfechtung wurde, daß er die Säue im Vorgarten des Nachbarhauses um ihre glückliche Ahnungslosigkeit beneidete. Und der sich darum mit aller heißen Inbrunst seines Glaubens an den deus revelatus, den in Christus offenbaren Gott, klammert. Christus läßt uns in das Herz Gottes schauen, und dies Herz heißt Liebe. Aber während Martin Luther nie einen Zweifel gehegt hat, daß der Vater Jesu Christi auf eine, uns freilich gänzlich undurchschaubare Weise identisch ist mit dem Gott und Herrn aller Welt und Schöpfer Himmels und der Erde, fällt Joseph Wittig der allmächtige Gott und der in Jesus Christus offenbare liebende Vater auseinander in zwei Größen bis zu dem Grade, daß er sich weigert, den Gottesnamen auf den himmlischen Vater anzuwenden.

LeerUm das zu verstehen muß man zu ermessen versuchen, was es für den treuen Sohn der römischen Kirche bedeuten mußte, daß er um der Treue willen zu seiner ihn im Gewissen bindenden Erkenntnis der evangelischen Wahrheit und um der Unantastbarkeit seiner Ehe willen mit der Frau, die als einziger Mensch den Mut aufbrachte, ihm in die Verbannung . zu folgen, von den Gnadenmitteln der Kirche, vom Gebrauch der Sakramente ausgeschlossen wurde und daß alle Versuche wohlmeinender Freunde, eine Aussöhnung zustande zu bringen, an der starren Kälte der Institution scheiterten, die aus Prestigegründen recht behalten will. Ist nicht der Gott, den die Theologen dieser Kirche lehren, dem diese Kirchenpolitiker dienen, ein grauenhafter Götze, ein böser Herrscher der Welt, dem sie um der Macht willen verfallen sind, die er seinen Anhängern verleiht? Ist nicht dieser Gott der theologischen Systeme völlig anderen Ursprungs als der Vater, dem wir im Evangelium begegnen, ist er vielleicht : mit dem Satan identisch, dem grausamen Herrn dieser Welt? Irgendwie steigt in diesen Tagebuchblättern etwas auf von dem Erlebnis, dem Martin Luther Ausdruck gegeben hat, wenn er von den Antichristen in Rom spricht.

LeerUnd dazu kommt nun das namenlose Elend, dem Joseph Wittig mit seiner Familie verfällt, als der große Zusammenbruch die schlesische Heimat dem räuberischen Gesindel ; preisgibt und er zuletzt alles lassen muß, was ihm, dem so tief verwurzelten Mann, den Boden seiner ganzen menschlichen Existenz bedeutet hat. Ach, der Vater Jesu Christi, er ist der schwache, der ohnmächtige, ein zarter Hauch liebender Nähe, flüchtig wie ein tröstlicher Augenblick. Wo finden wir ihn anders, als im kleinen, geringen, im Kindlein in der Krippe und im Stücklein Brots, das uns im Sakrament gereicht wird? In der verborgenen, kaum zu fassenden und gar nicht festzuhaltenden Regung des Herzens, im tiefsten Geheimnis der Liebe, da und da allein ist der himmlische Vater zu finden. Die Welt gehört dem Satan, dem grausamen Herrn, der uns für jedes kleine Glück, das er uns läßt, schwer und bitter zahlen läßt.

LeerIn der Kelter seiner Leiden und Anfechtungen, in die Joseph Wittig geworfen wird, rettet er sich in eine wunderbare und innige Liebesmystik. Da wird ihm das „Hohelied der Liebe” zum köstlichsten Buch der Offenbarung. An der bräutlichen Liebe des himmlischen Vaters Anteil gewinnen, das ist nichts geringeres als in das innere Leben der heiligen Dreifaltigkeit selbst aufgenommen werden. Der Glaube wird ihm - und er nimmt damit, ohne es auszusprechen, die große Erkenntnis des Apostels Paulus auf - zu einer Modification der Liebe. Und von daher dringt der Angefochtene und Leidende zu einer tiefsten Erkenntnis des Kreuzes Christi vor: „Ich sehe jetzt ein, daß der Vater im Himmel das Höchste gibt an Verherrlichung, indem er Dornenkrone und Kreuz gibt, denn diese sind die Mitte seines Wesens und sind seine Gestalt, in der er dem Menschen bräutlich begegnet”. Die Dornenkrone ist die Brautkrone Gottes.

LeerAls sich Joseph Wittig zu diesem letzten, beseligenden, liebenden Ja zu seinen Leiden durchgerungen hat, in den Tagen, da er sich zur Evakuierung aus der Heimat entschließen muß, erfolgt gänzlich unerwartet, ohne jede Bedingung seitens der Kirche und ohne jedes Ansuchen Wittigs, die Rekonziliation. Und Joseph Wittig nimmt sie an: „Ich sah in ihr einen Sieg des himmlischen Vaters über den heidnischen Gott in der Kirche. War der Vater aber doch vielleicht gleichzusetzen mit dem verlästerten Gott? Dann war der Fall eingetreten, daß die Lästerung und Leugnung die stärkste und wirksamste Form des Bittgebetes und Hilferufes ist, der kein Himmel zu widerstehen vermag. Ich begann zu sagen: Soweit der Name Gott ein höchster Ehrenname ist, will ich ihn dem „Vater im Himmel” nicht versagen.”

Leer„Wichtiger als die Erklärung des Ereignisses war das Ereignis selbst. Jesus Christus in der Gestalt von Brot und Wein trat in unser Haus, die Hostie, das hauchdünne Blättlein Weizenbrot, von dem ich schon in der Kindheit gewußt und gesagt habe: das ist unser lieber Heiland, unser Herr und Gott! vom Winde fortzuwehen, so schwach und ohnmächtig, und doch unser Gott und Herr! der Gott, „der meine Jugend erfreut” hat!”

LeerDanach werden die Tagebuchblätter zu einem kurzen Bericht über die letzten Jahre dieses Lebens, zu einem versöhnenden Ausklang und Lobpreis. In einem Nachwort wird bezeugt, daß Joseph Wittig in diesen letzten Fahren in der Stille der Lüneburger Heide „wie ein Heiliger” unter den Menschen war, von dem „nahezu ununterbrochen ein Licht ausging”, ein „Knecht und Schreiber Gottes”, dem es gegeben wurde, „reine Erfahrung rein auszusprechen”.

*: Joseph Wittig, Roman mit Gott, Tagebuchblätter der Anfechtung, VI und 232 Seiten mit vier Bildtafeln. Ganzleinen DM 8.S0, broschiert DM 6.80. E. Klotz Verlag, Stuttgart.

Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 71-73

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 15-11-24
Haftungsausschluss
TOP