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von Karl Bernhard Ritter |
Es ist höchst bemerkenswert und ein untrügliches Kennzeichen dafür, daß der Mensch sich heute unter sehr hohem Atmosphärendruck behaupten muß, wenn sich in Tagebüchern und Zustandsschilderungen anderer Art immer wieder Bemerkungen finden, in denen die innere Glut der Wahrheit wie mit Stichflammen aus dem Boden hervorschießt. Wir leben auf vulkanischem Boden. In den feurigen Katastrophen der Zeit werden alle bloß überkommenen Gestalten umgeschmolzen. Wir erfahren wieder etwas von der Wahrheit des Wortes, daß wir in der „letzten Zeit” leben und die „Zukunft des Herrn” erwarten. In dem Buche Gerhard Nebels „Unter Partisanen und Kreuzfahrern” (Anm. 1), in dem der Dichter seine Erlebnisse aus dem letzten Kriegsjahr in Italien mit seltener sprachlicher Gewalt und mit rücksichtsloser, fast erschreckender Offenheit niedergelegt hat, wirkt dieser Durchstoß zu den letzten Gründen innerer Gewißheit um so überzeugender, als er nie auf einer Ebene der bloßen Reflexion, sondern stets aus der unmittelbar gelebten Erfahrung heraus erfolgt. Die folgenden Auszüge belegen das mit seltsamer Eindringlichkeit und seien als „Zeugnisse unserer Zeit” von besonderer Prägnanz mitgeteilt. „ . . . Und nun meinte ich mit einem Male zu spüren, wie die Balken des Kosmos knisterten, wie seine eingerissenen Bänder knirschten, wie die Geschöpfe seufzten. Auch hier war Verrat und Tod, und es täuschte sich, wer glaubte, Natura sei noch nicht aus dem Paradies vertrieben . . . Es waren nicht die Zerstörungen, die der Mensch in der Natur angerichtet hatte - von ihnen konnte ich absehen, durch sie hindurchgreifen sondern es war eine tiefere Qual, eine gleichsam transzendente Geißel, die dort geschwungen wurde, ein letzter Ekel, die Unzufriedenheit eines rastlosen Treibens. Nicht, daß in der Natur getötet, unterdrückt, verdrängt wird, bewegt mich - ich weiß ja, daß das Heil dieser Geschöpfe zum Unterschied vom Menschen nicht im Exemplar, sondern allein in der Art walten könnte -, sondern daß in diesem Gemetzel, aus dem schließlich auch die Schönheit einer Landschaft besteht, sich ein Hintergrund der Verzweiflung offenbart, schiebt mich von der Natur weg. Auch die Arten sind ja nicht ewig, auch sie werden und vergehen und bezeugen damit die Verstoßenheit des Kosmos...” „Er berichtete, zwischen Genugtuung und Entrüstung geschickt eine neutrale Mitte haltend, daß die angelsächsische Presse die Fallschirmjäger wegen ihrer Tarn-Kombination „grüne Teufel” genannt habe und daß der General seitdem beschlossen habe, das alte Divisionsabzeichen, das Eiserne Kreuz, abzuschaffen und als neues Symbol einen grünen, auf einem Blitz reitenden Teufel einzuführen. So etwas können natürlich nur Geister erfinden und billigen, die nichts mehr vom Teufel wissen und denen darum eines Tages eine außerordentliche Überraschung bevorstehen wird.” „In Catignano Gespräch mit dem Divisionspfarrer, der von allen Anwesenden in der Beurteilung Hitlers, des Krieges, der metaphysischen Lage, am naivsten war oder tat. Weder das eine noch das andere gehörte sich für ihn als Geistlichen, er durfte uns Laien weder an Verschlagenheit noch an theologischer Dummheit übertreffen. Wahrscheinlich war er mit dem zweiten Fehler gestraft - er redete von Vaterland, Kriegsherrn, Obrigkeit, Heldentod und Opfer, als ständen wir in den Freiheitskriegen. Wir waren in größerer Gesellschaft, in der es auch an bürgerlich lauen Atheisten nicht fehlte - aber niemand unter uns schien dem Kirchenkampf, dem Martyrium, dem Urgegensatz zwischen Weltgeist und Christus, zwischen Aufklärung und Bibel, zwischen Blut und Heiligem Geist, zwischen Leviathan und Taube so wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben wie dieser Pastor. Dem entspricht auch wohl, daß er den Eindruck macht, als reiche der von ihm gespendete Trost nicht einmal für ein Zahnziehen aus - ein Wort des herrlichen Hamann, der wußte, daß ein Pfarrer sich zu allererst auf den Tod verstehen muß. Gestalten wie dieser Geistliche sind für die Kirche verderblicher als Voltaire oder Marx, sie sind auch nur in der dünnen Luft des Protestantismus möglich. Man fragt sich, welche Motive sie zu diesem Beruf brachten und was sie denn unter dem Vorwand des theologischen Studiums betrieben. Von ihnen gehen Anfechtungen aus, sie wirken als Argumente des Satans - ähnlich wie mein Verhältnis zu Hellas sich verwirrt, sobald ich an gewisse Altphilologen denke, die in jahrzehntelangem Umgang mit den Griechen zu geistigen Pygmäen zusammenschrumpften. Ich sage mir aber, daß in diesem Fall so wenig von „Umgang” gesprochen werden darf wie in jenem von „Kirche”.” „Ich erstaune immer wieder über die Dialektik, die die Idee der Kirche ständig zersprengt, die jede Beruhigung verhindert - die „Kirche” vernichtet sich selbst, um sich Neu zu gebären. Gesetzt, man hält den Leib Christi für existent, so fragt es sich, wie er sich zu den klerikalen Massenbürokratien verhält, die mit dem Anspruch, das Wort Gottes auszulegen, die Sakramente zu verwalten, auftreten. Es ist mir und meinem scharfen, nicht leichtfertigen, sondern eher schwerfälligen Begriff von Wirklichkeit nicht möglich, hier eine Identität anzunehmen. Im Leib Christi sind die „wenigen Auserwählten”, die „seltenen Vögel” Luthers verbunden. Aber schon wie ich dies niederschreibe, weiche ich zurück. Denn natürlich rechne ich mich zu den seltenen Vögeln, und gerade indem ich dies tue, indem ich mich in den Stolz der Gewißheit, der Heilsaristokratie verliere, schließe ich mich aus. Die Demut verlangt wieder von mir, nicht zu streng zwischen corpus mysticum und Organisation zu unterscheiden - aber diese Verwischung wird doch nun auch wieder als solche empfunden und beseitigt, womit der Prozeß von neuem beginnt.” „Schon jetzt sehe ich in Optimisten der Technik, wie den beiden Ingenieuren, ein Mißtrauen erwachen - sie ahnen jetzt, auf welches Ziel der menschliche Titanismus sich seit der Renaissance zubewegt. Von der Art der Atombombe ist wohl auch die Geistesverfassung der Männer, die sie - noch dazu in einem schon entschiedenen Krieg, also nur des Experimentes wegen - zu werfen befahlen. Es bestätigt sich erneut mein Verdacht, daß Despotie und Demokratie heute nur Masken desselben Leviathan sind:” „Die evangelischen Gottesdienste besuche ich regelmäßig. Es macht die Stärke, aber auch die Schwäche unseres Kultus aus, daß er nicht auf dem Sakrament, sondern auf der Auslegung des göttlichen Wortes basiert. Es kann das Höchste sein, was durch Christus überhaupt geschieht, es kann aber auch unerträglich werden, da es nicht so sehr auf das Amt, als auf die Person des Pfarrers ankommt. Im Katholizismus ist durch den character indelebilis des Priestertums das Pneumatische vom Intellektuellen und Psychologischen getrennt, bei uns muß sich jenes in diesem behaupten. Deshalb ist es für den Protestanten unter Umständen heilsamer, wenn er den Kirchgang meidet. Ich begrüße es, daß die Amerikaner die Kulte mit allen Mitteln fördern - nur wer einmal in der Massensituation des Kriegsgefangenenlagers war, die wegen ihrer Enge die des Landsers noch übertrifft, kann begreifen, welche wunderbare Wandlung vor sich geht, wenn die Gnade Gottes in Jesu Christo verkündet wird.” Anmerkung: 1: Nebel, Unter Partisanen und Kreuzfahrern. 38 l S., DM 11.50. Emst Klett Verlag, Stuttgart. Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 115-118 |
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