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von Hans Dombois |
Wenn man über den Sinn evangelischer -Orden sprechen will, muß man wenigstens in gewissem Umfang auch die Bedeutung des Ordenswesens für die Kirchengeschichte überhaupt würdigen. Damit aber stößt man bereits auf die erste Schwierigkeit. Die Reformation hat für ihren Bereich das Ordenswesen vollständig beseitigt. Das Verhältnis des Protestantismus zur vorreformatorischen Kirchengeschichte jedoch ist ungeklärt. Er ist zwar um nichts weniger traditionsgebunden als andere christliche Kirchen, aber er vertritt eine andere Tradition. Als legitim gilt alles, was sich von den Reformatoren herleitet, dazu alles, was mehr oder minder scharf abgegrenzt als urchristlich gelten kann. (Einige Kirchenväter wie Augustin und Athanasius erhalten noch eine leidlich gute Bewertung; die übrigen müssen die Reinheit ihrer Lehre erst noch nachweisen. Häufig wird für die ersten fünf Jahrhunderte ein Lehrconsensus angenommen. Aber eine Klarheit besteht nicht. Wir müssen diese Dinge deshalb zurückstellen und versuchen, das Ordenswesen in seiner Art zutreffend zu erfassen. I. Das früh in der Kirche entstandene Mönchtum hat in dem Augenblick kirchengeschichtliche Bedeutung erlangt, in dem es der festen Regel eines gemeinschaftlichen Lebens, einer Ordnung unterworfen wurde, in dem es ordo wurde. Dann aber hat es in immer neuen Ansätzen große, über die ganze -Ökumene verbreitete Ordensbildungen erzeugt. Diese Ansätze entsprachen den Epochen der Kirchengeschichte in dem Sinne, daß jeweils bestimmte Aufgaben vorlagen, die von der bischöflichen Gemeindekirche nicht erfüllt werden konnten. Diese Aufgaben nahmen die Orden auf und bewältigten sie sozusagen mit außerordentlichen Mitteln. Dies gilt für die Benediktiner wie für die Orden des Hochmittelalters, sodann für die Lehr- und Predigtorden der Dominikaner und Franziskaner, und schließlich für die Jesuiten. Mit dieser letzten großen und gerade theologisch fragwürdigsten Ordensbildung aber hat sich die ordensbildende Kraft der alten Kirche erschöpft. Mit den großen Orden, nicht zuletzt mit den Jesuiten, hat sich die gesamte Christenheit in Für und Wider auseinandersetzen müssen. Die nachfolgenden kleinen Orden der Salesianer und Theatiner usw. sind interne Privatangelegenheiten der römischen Kirche ohne geschichtlichen Rang. Nichts zeigt klarer als dies, daß die römische Kirche mit der Vollendung ihres Dogmas im Tridentinum gegen alle formalen Rechtsansprüche zur Konfession geworden ist. Eine vergleichbare Tatsache liegt darin, daß mit dem Abschluß des calvinistischen Dogmas aus den Synoden von Dordrecht und Westminster im 17. Jahrhundert die dogmenbildende Kraft der Gesamtkirche sich offensichtlich erschöpft hat. Hinterher kamen nur noch geschichtslose Mennoniten, Pietisten und Quäker. Nur eine bekenntnisbildende Kirche lebt geschichtlich. Mit dem Ende der christlichen Ordensbildung ging das Ordensprinzip jedoch auf weltliche Bewegungen über. Die große umfassende Bewegung des Freimaurertums brachte die Orden der allgemeinen, leiblosen, unsichtbaren Kirche der Aufklärung hervor. Ausdehnung und Macht dieser Orden hat erst in der Gegenwart durch den Zusammenbruch des bürgerlichen Rationalismus einen wesentlichen Rückgang genommen. Die außerordentliche geschichtliche Wirksamkeit dieser beiden letzten Orden, der Jesuiten und der Freimaurer, hat die populär-soziologische Meinung erzeugt, man müsse nur einen Orden gründen, um mit der Stoßkraft dieses Prinzips den gewünschten politisch-weltanschaulichen Erfolg zu erzielen. Aus dem Gefühl einer dämonischen Bedrohung durch jene beiden gegnerischen Gruppen war ein gewisser nicht kleiner Teil des deutschen Protestantismus bereit, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben, und in Gestalt der NSDAP ganz unevangelische, „katholisierende” Gemeinschaftsformen anzunehmen, einen unfehlbaren Führer, einen herrschsüchtigen Partei klerus, das kanonische Fastengebot und vieles andere. Dieser feiste Parteiklerus wäre jedoch bald einer vernichtenden Verachtung anheimgefallen, wenn nicht hinter ihm mit der rigorosen kämpferischen Härte eines Erwählungsglaubens in Gestalt der SS ein Orden von unheimlicher Durchschlagskraft entstanden wäre. Auch die Weltanschauung des Naturalismus hat also ihre sehr bewußte Ordensbildung besessen. Wir würden es leichter haben, diesen Sachverhalt zu erkennen, wenn die dringend notwendige Religionssoziologie und Konfessionskunde des Säkularismus schon zur Verfügung stände. So hoch man auch die unausgeschöpften Erkenntnismöglichkeiten der Religionssoziologie einschätzen mag, muß doch zum Ordenswesen nicht auf der soziologischen, sondern aus der geistlichen Ebene Stellung genommen werden. Unter der Armut ist vielmehr zu verstehen die geistliche Armut im Sinne der Bergpredigt, der vollkommene Verzicht auf das eigene geistliche und geistige Vermögen und die daraus fließende Macht über Menschen und Dinge; es ist die Haltung des vollkommen Empfangenden, die hier vorgezeichnet wird. Das Gelübde der Keuschheit meint auch die Unbeflecktheit des Gemütes, das keiner anderen Liebe Raum gibt, als derjenigen zu Jesus Christus. Hierher gehört alles das, was in der Heiligen Schrift und im Kirchenlied in dem Bilde der Braut und des Bräutigams gesagt wird. Armut und Keuschheit entsprechen Glauben und Liebe in ihrer eigentümlichen spannungsreichen Bezüglichkeit. Die Forderung des Gehorsams bedeutet ihrem Kern nach ein Verbleiben an der von Gott gewiesenen Stelle, aber auch ein Bleiben, eine Einordnung in den Consensus, in das Gesamtleben der Kirche. Es ist eine höchst bemerkenswerte Erscheinung, daß die Orden nirgends auch nur den Ansatz oder die Neigung zur Sektenbildung gezeigt haben. Obwohl sie häufig genug und teilweise bis heute eine erheblich von der Lehre der Gesamtkirche abweichende und heftig bestrittene eigene Theologie vertraten, obwohl sie häufig in schwere Spannungen zu der päpstlichen und bischöflichen Gewalt gerieten, sind sie doch nirgends aus der Kirche herausgetreten. Keine äußere Disziplin könnte einen solchen Vorgang erklären und hätte eine Absplitterung verhindern können. Vielmehr ist das Wesen des Ordens überhaupt mit dem der Sekte unvereinbar. Orden und Sekte sind kontradiktorische, einander unbedingt ausschließende Gegensätze. In der Geschichte interessieren auch die Dinge, die nicht geschehen sind, obwohl sie hätten geschehen können. Ein Orden, der sektenhafte Neigungen zeigt, sich zur eigenen Denomination entwickelt, ist in eben dem Maße kein Orden mehr. Ein Orden kann auch niemals mit Willen eine kirchenpolitische Größe sein, wenn er seinen Sinn nicht verfehlen will. Er steht genau in der Mitte zwischen Gesamtkirche und Sekte. Der Verzicht aus eine eigene Machtbildung ist ihm durch sein eigenes Wesensgesetz geboten. Die Evangelische Michaelsbruderschaft kann es für sich in Anspruch nehmen, diesen Grundsatz nach beiden Richtungen gegen alle Versuchungen streng bewahrt zu haben. Jene Haltung des vollkommen Empfangenden ist der radikalste Ausdruck des Prinzips der sola gratia. Das ist in seinem vollen Sinn nicht zu verstehen ohne eine Deutung des Gedankens der militia Christi. Das Mönchtum hat die Tradition des römischen Soldatentums bewußt übernommen. Wenn wir die Stundengebete beten, so hallt darin noch immer der Wachruf der römischen Legionssoldaten wider, die sich von vier zu vier Stunden ablösten wie noch heute auf See. Jedes Kloster ist ein Kastell, ein Heerlager, aber nicht wider den äußeren Feind, sondern wider die listigen Anläufe des Teufels. Aber auch hier ist nicht allein die äußere zweckhafte Disziplinierung des militärischen Dienstes gemeint. Der Soldat und der Mönch leben in der Bereitschaft des Todes, angesichts der letzten Dinge; sie haben keine bleibende Statt, sie haben immer ihr Sterbekleid an. Was dieses Leben angesichts des Todes bedeutet, vermag vielleicht nur der zu begreifen, der jahrelang hinter seinem Maschinengewehr oder Scherenfernrohr am Rande der gleichsam saugenden Leere des Niemandslandes gelebt hat, wo der nächste Schritt schon in den Tod führt. Diese tiefe Wirklichkeit des Todes ist es, die zusammen mit der Inanspruchnahme des ganzen Menschen die bannende Kraft des Soldatentums ausmacht. Die Gegenüberstellung mit dieser tiefen Wirklichkeit hat zu allen Zeiten die Menschen aus der Belanglosigkeit des Alltags herausgelöst und viele von ihnen zum Glauben geführt. Die Frömmigkeit des Soldatentums und genau so der Seeleute stammt aus dieser Quelle, und zu den ersten in der Heiligen Schrift genannten Heidenchristen gehören römische Offiziere. Aber noch ein zweiter Einwand besteht gegen das Mönchtum: wer so ganz als Empfangender leben will, kann die Regel des Apostels nicht erfüllen, allezeit zu haben, als habe man nicht. Wer überhaupt nicht hat, kann lebensmäßig in Wirklichkeit nicht verstehen, wie es ist, wenn man hat, genau wie umgekehrt. Darum verfällt der Arme entgegen der populären Theorie genau so leicht der Dämonie der Macht und des Besitzes, und oft leichter. Die Kirche hat oft zur Abwehr ihrer eigenen Verweltlichung Mönche auf hohe Kirchenämter berufen, ist aber gerade aus jenem Grunde häufig wenn auch nicht immer damit gescheitert. Weder milde Jreniker noch eifernde Zeloten huben sich der Verantwortung der geistlichen Macht gewachsen gezeigt. Das führt auf die Funktion der Orden in der Kirche. Ich sagte eingangs, daß die großen Ordensbildungen mit Epochen der Kirchengeschichte zusammenfallen und zur Bewältigung solcher Aufgaben dienten, denen die Gemeindekirche nicht gewachsen war. Aber mit dieser großen-von Kulturhistorikern gern mit geistlichem Mißverstehen gepriesenen Leistung erschöpft sich nicht ihre Bedeutung. In einer langen schrittweisen Entwicklung ist das Mönchtum für die Bildung auch der Weltgeistlichkeit form und richtunggebend geworden, auf welche mindestens das zweite und dritte Gelübde übertragen wurde. Aber auch der andere Stand des besonderen Dienstes an der Welt, der ordo des Rittertums ist von daher aufs tiefste und wirksamste beeinflußt worden. Wenn im alten Indien ein Maharadscha in feierlicher Staatsprozession auf einem weißen Elefanten einherreitet, so läuft ihm ein Herold voran, der die Macht und Herrlichkeit dieses Königs der Könige verkündet. Hinter ihm aber kommt ein Derwisch in Sack und Asche und ruft dreimal: Dieser großmächtige Herrscher muß sterben! Auch in der christlichen Kirche repräsentiert das Mönchtum das eschatologische Moment. Mit seinem Lebensprinzip der Demut und Selbsterniedrigung verhält es sich zur Gesamtkirche wie diese sich als Ganzes zur weltlichen Macht des Staates. Jene anderen ordines des Priestertums und des Rittertums nun dienen der durch die Gnade verliehenen geistlichen oder weltlichen Gewalt: ihre eigentliche Rechtfertigung liegt in diesem Dienst und hier treffen sie mit dem ordo des Mönchtums sachlich zusammen. Ordo heißt dienende Form. Aus diesem Grunde hat das allgemeine Priestertum nur eine sehr begrenzte Formkraft und Auswirkung, vorzugsweise in der patriarchalischen Hausgemeinde besessen. Kraft jenes eigentümlichen Gefälles von den letzten Dingen her, das schon in der alten Kirche das Mönchtum ohne äußere Macht zur formenden Kraft für die übrigen Ordines werden ließ, wurden die protestantischen Konfessionen zu solchen des a l l g e m e i n e n M ö n c h t u m s, wurden sie unter dem Prinzip der innerweltlichen Askese vom Geiste des Mönchtums durchdrungen. Wie die Flutwelle nach dem Dammbruch einer Talsperre haben tiefste aufgestaute Kräfte die abendländische Welt von da ab umgewandelt, neue Lebensformen geschaffen, Kontinente besiedelt und die konfessionellen Weltkriege des 17. und 18. Jahrhunderts durchgestanden. Die berühmten Arbeiten Max Webers in ihrer einseitigen Ausrichtung auf die Wirtschaftethik des Calvinismus und die Untersuchungen Troeltschs, der mit dem Luthertum eigentlich nichts anzufangen wußte, haben diesen Tatbestand fast mehr verdunkelt als aufgehellt. Die zwischen Luthertum und Calvinismus völlig gegensätzliche Wirtschaftsethik ist nur ein und nicht einmal der bedeutendste Ausschnitt der Gesamtbewegung, die sich ebenso auf kirchliche, staatliche und allgemein geistige Bereiche erstreckte. Die religionssoziologische Seite der preußischen Staatsbildung scheint mir beispielsweise darin zu liegen, daß zwei bedeutende Fürsten, der Große Kurfürst und Friedrich Wilhelm I., es vermocht haben, einen Teil dieser großen Flutwelle wieder in eine Turbinenanlage, in eine geschlossene Form einzusaugen und zur Antriebskraft werden zu lassen. Wenn heute noch der letzte Schrankenwärter der Bundesbahn seinen Dienst nicht als „job”, sondern als Dienst auffaßt, so ist das die späte Auswirkung einer innerweltlichen Askese, die dem Menschen in sehr allgemein verständlicher Form, aber mit großer ethischer Strenge Bändigung des Erwerbstriebs, saubere Lebensführung und gehorsame Hingabe an die Sache als Ideal vorzeichnete, also die drei Gelübde in eine weltliche Form übersetzte. Aber wie jede Flutwelle, ist auch diese in der Gefahr, sich zu verlaufen, nachdem sie mit ihrer Kraft der Welt gedient hat, statt sich immer wieder zu erneuern. Diese Dinge beruhen auf tiefen theologischen Hintergründen. Die Reformation ist aus einem geradezu ungeheuerlichen Entsetzen über die Verweltlichung und den Machtmißbrauch der römischen Kirche entstanden. Die inbrünstigste glaubende Hingabe sah sich kühl mißbraucht. Seither verstanden sich beide evangelische Konfessionen in hervorragendem Maße als Kirchen der Buße. Dies ist bis heute der Quellpunkt ihres Seins, auf den jeder gläubige Protestant gleichviel welcher Kirchenzugehörigkeit anspricht. Der Buß- und Bettag ist der einzige gebotene kirchliche Feiertag, den der Protestantismus dem Kirchenkalender hinzugefügt hat. Die harte alttestamentarische Gesetzes- und Bußpredigt des Calvinismus verhärtete sich zuweilen bis zur Lebensfeindschaft. Der lutherische Katechismus fordert vom Christen ein Leben in täglicher Buße, ein tägliches Hineinkriechen in die Taufe - Taufe und Buße sind theologisch unmittelbar bezügliche Dinge. So bekam das Luthertum ein besonderes Verhältnis zu Johannes dem Täufer. Auf seinen Namen, der demütig sagt: „Er muß zunehmen, ich aber muß abnehmen", und der als Vorläufer aus der Heilsgeschichte verschwindet, haben viele Generationen des 17. und 18. Jahrhunderts ihre zahlreichen Söhne vor ihren sonstigen Namen getauft; Bach und Goethe sind Belege dafür. Diese Härte der Buße hat dem Protestantismus seine Nüchternheit, die gesetzliche Sauberkeit der Lebensführung, die intellektuelle Redlichkeit des Denkens und die Treue des Handelns gegeben, aber zugleich einen Rigorismus erzeugt, der gern und leicht aus falschverstandener bürgerlicher Wohlanständigkeit den Nächsten fallen läßt und den Menschen tief vereinzelt. Denn jeder stirbt den Tod seiner Buße allein, aber gewinnt das Leben in der Gemeinschaft. Dieser Bußgedanke ist bis in die Gegenwart bestimmend und zuweilen bis au die Grenze einer ungeistlichen öffentlichen Selbstpreisgabe getrieben worden. Ein römisch-katholischer Dogmatiker, dem die reformatorischen Bekenntnisschriften durch ihre strenge Bezogenheit auf Christus tiefen Eindruck machten, vermißte in ihnen nur eins: die Agape. Was bedeutet nun die Entstehung solcher Gemeinschaften auf dem Boden des Protestantismus? Nach der sachlich zutreffenden Unterscheidung des kanonischen Rechts handelt es sich bei einzelnen von ihnen um Orden, bei den meisten um Bruderschaften. Beides aber liegt in der gleichen grundsätzlichen Richtung. Ohne den geringsten Hauch der Sektenbildung sind hier auf Grund persönlicher Berufung und konkreter Bindung Gemeinschaften des geistlichen Lebens entstanden. Der Gemeinde- begriff in der negativen Ausschließlichkeit, daß nur die Ortsgemeinde oder die ihr einsprechende Anstaltsgemeinde Gemeinde sei, ist durchbrochen. (Ein junger Theologiestudent sagte nach einem ersten Besuch im Ordenshause Assenheim, er habe zum erstenmal eine Gemeinde erlebt!) Jener eigentümliche Gemeindebegriff hat wesentlich zur Entstehung des landes- und nationalkirchlichen Kirchentums beigetragen, welches den Blick auf die Einheit der Kirche verlor und der römischen Kirche den Titel der Katholizität einfach überließ. Er hat auf der anderen Seite ebensosehr jede lebendige Besonderung vernichtet. In keiner Richtung ist der Protestantismus so empfindlich, ja unduldsam wie in dieser. Diese Durchbrechung eines falsch verstandenen und verabsolutierten Gemeindebegriffs war nur möglich, weil Einzelne aus der Not der Kirche eine echte Berufung empfanden. Nur wer die größere Last dieses Berufs auf seinen Schultern weiß, kann diesen Weg beschreiten. Deswegen ist er notwendig der einer aktiven Minderheit, die sich zum Gesetz der kleinen Zahl bekennt. Nach dem Gesetz der Ordensbildung kann der Auftrag dieser Gemeinschaft nur aus der Lage der Gesamtkirche verstanden werden. Gegenüber einer Kirche, die ihren Auftrag immer ausschließlicher in der Wendung ad hominem als Verkündigung auffaßte und dabei das allmächtige lebenschaffende Wort Gottes zur menschlichen Rede verengte, wagte man es wieder, die ebenso notwendige Wendung ad deum zu vollziehen - grundsätzlich und liturgisch. Beides zusammen erst macht das Leben der Kirche aus. Durch diese Wendung ad deum und zum objektiven Handeln der Kirche eröffnete sich ein Erfahrungsbereich, aus dem sich die reformatorischen Kirchen in zunehmendem Maße selbst ausgeschlossen hatten. Sie stehen damit heute auch bei formaler Orthodoxie in einem verborgenen Gegensatz zu den Reformatoren, denen die betende und sakramental handelnde Kirche in ganz anderer Weise selbstverständlich war. Diese Revolution fällt zusammen mit einer grundsätzlichen Veränderung der Stellung der Kirche in der Welt und zur Welt. Die Zeit des konstantinischen Bundes ist sichtbar am Ende. Die vorbehaltlose und selbstverständliche Hingabe des Christen an die Welt im Sinne der innerweltlichen Askese beginnt einem komplementären Verständnis des Verhältnisses von Kirche und Welt zu weichen; die Wirklichkeit der Kirche ist wieder entdeckt worden. Aber weder geschichtliche noch soziologische Deutungen erschöpfen den Vorgang. Wir bekennen uns zu der Auffassung, daß solche Erscheinungen aus einem nicht voll deutbaren Kairos entstehen, daß die Kirche immer neue Ansätze ohne Preisgabe und Verachtung ihrer Tradition erlebt. Die relative Ablösung der Kirche von der Welt in der Gegenwart ist ohne unser Zutun geschehen. Es heißt heute, trotz vieler tastender und unzulänglicher Versuche zur Umschreibung der Stellung des Christen in der Welt, wieder sichtbar etwas, ein Christ zu sein. Infolgedessen ist es aber auch wieder möglich geworden, in einer geistlichen Lebensgemeinschaft einem sehr bestimmt geprägten Bilde geistigen Lebens nachzuleben und dies zugleich vorzuleben. „Es hat nicht nur historischen Wert, wenn wir uns daran erinnern, daß der Begriff Sakrament (als Übersetzung von mysterium) ursprünglich in einem umfassenderen Sinn als später die der Menschheit in der Kirche dargebotenen Glaubensgeheimnisse als solche bezeichnet”. Aber allerdings werden- die Dinge, um die es geht, in besonderem Maße in der liturgischen Besinnung sichtbar. Hierbei wird immer wieder das Buch von Paul Graff über den Zerfall des protestantischen Gottesdienstes zitiert und dieser Zerfall als Erscheinung des Säkularismus gedeutet. Indessen meine ich, daß dieser allein nicht im Stande gewesen wäre, den jetzigen Zustand herbeizuführen, wenn nicht auch aktive theologische Antriebe mitgewirkt hätten. Das geistliche Haus des Gottesdienstes zerfiel, weil man es nicht mehr bewohnte. Warum zog man aus ihm aus? Der christliche Gottesdienst ist eine Darstellung des Heilsweges, des Lebensweges Christi von der Taufe zum Abendmahl, ist Sinnbild und Anleitung zur Nachfolge. Im Laufe der Geschichte hat jener Bußgedanke ein solches Übergewicht bekommen, daß die Gemeinde vom Altar zurückgewichen und jenen liturgischen Weg gewissermaßen zurückgegangen ist. Im Puritanismus ging man in der Heilsgeschichte bis in die Prophetie des Judentums, hart bis an den Rand des Rückfalls in dieses, bis zur physischen Gleichsetzung mit dem auserwählten Volk. Bei den Zwinglianern haben sich die Dinge dahin verkehrt, daß an der Stelle der weggeräumten Altäre der Taufstein steht, der Anfang zum Ende gemacht ist. Diese Kirchen sind also nicht ohne Sakrament, aber sie besitzen eigentlich nur noch eins von ihnen. Das Luthertum mit der geschilderten Bezüglichkeit zu Johannes dem Täufer bleibt mit seinem Schwerpunkt im Vorraum der Kirche, in der Buß- und Taufkapelle, und dringt mit dem Predigtgottesdienst kaum noch bis zum Altare vor. Man möge die Pressung des Bildes verzeihen; was gemeint ist, ist sicherlich verständlich. Wird nun mit einer Einbeziehung des Altarsakraments in den Gottesdienst als Zentrum der reformatorische Ansatz preisgegeben? Bischof Stählin hat sich in einem viel beachteten Vortrag schon vor Jahren mit dem Vorwurf der katholisierenden Tendenzen auseinandergesetzt und weit verbreitete populäre und zum Teil sehr abwegige Einwände abgewehrt. Dennoch müssen wir diese Dinge noch einmal mit großem Ernst aufnehmen. Wir sind es uns selbst ebenso wie den ernsthast um die Einheit der Kirche betenden Katholiken schuldig, einmal in aller Liebe, aber mit letzter Offenheit den Gründen dieser unausrottbaren Verdächtigungen nachzugehen. Nach Abzug aller gegenseitigen Unkenntnis, die sich aus der Verschiedenheit der Frömmigkeitsformen ergibt, nach Ausscheidung alles dessen, was Ressentiment und Dummheit zwischen die Kirchen legt, bleibt doch ein bis heute sich immer wieder neu entzündender Protest. Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Was liegt jener leidenschaftlichen Abwehr zu Grunde, was ist der Grund für das landläufige Urteil, daß - einmal grob gesagt - der Katholik unzuverlässig, unwahrhaftig und machtgierig sei!? Was läßt jeden Schein des Katholizismus sofort ablehnen, wie falsch er auch immer verstanden sein möge? Diese Dinge gehen auf etwas ganz Zentrales zurück. Handelte es sich nur um die natürlichen menschlichen Unzulänglichkeiten und Organisationsgegensätze, so würde bald kein Mensch mehr davon reden. Die bindende Kraft des im Zentrum des katholischen Lebens stehenden Sakramentsgottesdienstes ist so groß, daß er alles andere überschattet und das Verhältnis des von ihm einmal erlebnismäßig ergriffenen Menschen zur Welt völlig umgestaltet. Damit wird die Zugehörigkeit zu dieser sakramentalen Gemeinschaft und damit zur Kirche als solcher schlechterdings entscheidend. Das hat zur Folge, daß der Lehre der Kirche zum Trotz alle übrigen Momente des christlichen Lebens, insbesondere Gesetz und Buße, f a k t i s c h mehr oder minder entwertet werden. 3m Protestantismus wird das Abendmahl so sehr in den Bußgedanken hineingezogen, daß es fast mit ihm verschmilzt und seine Freudigkeit verliert, zu einem Gegenstand der Scheu und schließlich ganz fremd wird. In der römischen Kirche sind die Sakramente der Buße und des Altars völlig getrennt. Aber ihre Bezüglichkeit besteht und beide zusammen üben sehr sichtbare psychologische und soziologische Wirkungen aus. Von daher genießt auch der moderne katholische Laie einen Rest von Ausnahmestellung, der Exemtion vom weltlichen Gesetz, welche ehedem der Klerus formalrechtlich genoß. Die Gemeinschaft des Altars gleicht einem Kreise, in den man scheinbar von jeder Seite eintreten kann. In Wahrheit gibt es jedoch als legitimen Zugang zu ihr nur einen Weg, nur den Weg der Erniedrigung und des Todes in der Buße, in der Nachfolge. In die Gemeinschaft des erhöhten Herrn tritt man allein durch die Gemeinschaft des erniedrigten ein. Weil und soweit dies mißachtet und der tödlichen Schärfe des Gesetzes, der Buße die Spitze abgebrochen wird, tritt jene eigentümliche Verschiefung des Verhältnisses zur Wirklichkeit ein. Aus der Liebe zum Herrn und zu seiner Kirche wird dann die sublimierteste Eigenliebe, deren Erscheinungsformen und Auswirkungen sich in nichts von einem integralen Nationalismus unterscheiden. Diese Dinge fallen dem evangelischen Christen am römischen Wesen auf und stoßen ihn ab. Mangels sakramentaler Erfahrung vermag er aber ihren echten Grund nicht zu verstehen. Infolgedessen versucht er diese Dinge dann in unzulänglicher Weise mit äußeren sekundären Gründen zu erklären. Keine der beiden Glaubensformen hat die volle Spannung zwischen jenen beiden Polen zu ertragen und aufrechtzuerhalten vermocht. Aus der gegensätzlichen Haltung zum gleichen Problem erklärt sich die ebenso gegensätzliche Entwicklung des Frömmigkeitstypus und der innerweltlichen Haltung. Es scheint in der Christenheit nur noch Buße ohne die freudig ergriffene und wirkliche Gemeinschaft bringende Gnade, oder die verdächtige Berufung auf eine sakramentale Gnade ohne den vollen Ernst der Buße zu geben, ohne daß sich der Mensch der vollen Wirklichkeit zuvor stellt. Deswegen ist es für uns so erschreckend, wie leicht und selbstverständlich der Katholizismus von jeher eine synkretistische Verbindung mit dem Humanismus eingegangen ist. Deswegen führen auch alle lebhafte Kritik an der eigenen Kirche, alle Bußbekenntnisse und Selbstbeschuldigungen den Protestantismus nur immer tiefer in seine Vereinseitigung hinein. In meist ganz primitiven Reaktionen wehrt man sich gegen Liturgie und Sakrament, weil man fürchtet, auf die eigenen unverstandenen Fehler noch die der römischen Kirche zu häufen. Der Blick auf das Ganze christlicher Existenz wird nicht gewonnen. Aus jener Verkürzung der Wahrheit des Gesetzes und der Buße ist die Unfähigkeit der römischen Kirche entstanden, ihre zugestandenen schweren Mißbräuche ohne die schwerste und absolute Bedrohung ihrer Existenz zu überwinden. Man verkürzt die entscheidende Bedeutung der Reformation für die römische Kirche, den harten Zwang zur Umkehr, wenn man heute noch sich selbst und dem gutgläubigen Kirchenvolke vormacht, mit etwas Kirchenreform auf der einen und etwas weniger deutscher Grundsätzlichkeit auf der anderen Seite wäre die unheilvolle Spaltung zu vermeiden gewesen. Im Gegenteil: Es ist unvorstellbar, was dann aus der Kirche geworden wäre. Weder konfessionelle Vorurteile, die wir ungern mit unseren Feststellungen bestärkt sehen möchten, noch religionssoziologische Erkenntnisse sollten dem Ernst des Gesagten auch nur das Geringste abbrechen. Dieser Ernst gilt für beide Teile. Er darf am allerwenigsten durch längst überholte negative theologische Frontstellungen zerredet werden. Schon 1937 sprach Karl Barth aus: „Es wird vielleicht eine von den dem Protestantismus gestellten Entscheidungsfragen der nächsten Zukunft sein, ob es gelingt, den evangelischen Gottesdienst seiner von Luther wie von Calvin intendierten Ganzheit entgegenzuführen, das heißt die unsinnige Trennung von Predigt und Sakrament aufzuheben und ihre natürliche Zusammenordnung wieder herzustellen.” (Dogmatik I, 2, S. 853) Er führt diesen Gedanken folgendermaßen weiter: „Darum muß man allen Ernstes sagen, daß das Sakrament ein unentbehrliches „Gnadenmittel” ist. (Man muß in diesem Begriff nur das Wort „Gnade" betonen, um es recht zu verstehen!) Und man wird sich dann durch die Klage über „römischen Sakramentalismus” den Satz nicht verwehren lassen: Die Kirche ist nach ihrer objektiven Seite sakramental, das heißt nach Analogie von Taufe und Abendmahl zu verstehen. Sakramentaler Raum will sagen: der Raum, in welchem sich der Mensch zu verstehen hat, als aus dem Weg von der ihm schon gespendeten Taufe zu dem ihm zu spendenden Abendmahl. Und eben in diesem Raum hat auch die Theologie ihren Anfang und ihr Ziel zu suchen und nach seinem Gesetz hat sich ihre Methode zu richten.” (Ebenda S. 253 verkürzt.) Die Erkenntnis, daß beide großen Kirchen sich in einer eigentümlichen komplementären Gegensätzlichkeit der Verkürzung entwickelt haben, sollte jede der beiden aufrufen, dem Vollmaß der rechten Ganzheit nachzustreben. Es ist wohl klar geworden, daß die Folgerungen aus den beschriebenen Gefahren nicht in einer neuen Sakramentsangst, nicht in einem neuen Zurückweichen vom Altare bestehen dürfen. Gleichwie mit einem Eide sind wir gehalten, der ganzen christlichen Wahrheit, der Wahrheit von Taufe u n d Abendmahl nichts Menschliches hinzuzusetzen, aber auch nichts abzubrechen, nichts zu verschweigen. Beides macht unsere Aussage zu einem Meineid, verfehlt unser Leben. Am Ende einer Bewegung des kritischen christlichen Existenzialismus, der mit seinen Verneinungen so vielen alten Denkgewohnheiten entgegenkam, ist es uns nun aufgegeben, die christliche Existenz p o s i t i v zu leben. Das ist nicht Katholisierung im Sinne der römischen Kirche, aber materiell-inhaltliche Katholizität aus dem Ganzen der Heiligen Schrift, im Sinne des Dritten Artikels und in nichts wider die Reformation. Dies ist eine realere Aufgabe als Grenzüberschreitungen und Grenzverwischungen; auch die Einheit geht aus dem Leben der Kirche hervor und nicht umgekehrt. Der Sinn evangelischer -Orden ist der Dienst an den Kirchen, in denen sie entstanden sind. Dieser Dienst zielt überall auf die Ganzheit der Kirche, und zwar in drei Richtungen: 1. Ganzheit des Gottesdienstes, des Raumes der Kirche zwischen Taufe und Abendmahl. Das trinitarische Selbstzeugnis des Herrn in Johannes 14, 6 enthält zugleich die entscheidende Aussage über die Kirche der Nachfolge: auf dem Wege der Taufe, der Buße, der Erniedrigung wird der Mensch in die Wahrheit, in die Gemeinschaft des Lebens mit dem Blick auf die Zukunft des Herrn geführt. Hier liegt gleichermaßen der Grundriß des Gottesdienstes und des Kirchbaus. 2. Ganzheit der Lehre als einer durchgängig trinitarischen, im Sinne jenes zuerst zitierten Satzes von Karl Barth. 3. Ganzheit der Kirchenordnung aus einer neuen Erfassung ihrer geistlichen Notwendigkeit, in der Verbindung von Kontinuität und Diskontinuität. Worum es geht, ist keine Frage der Taktik oder eines zweckhaften Bemühens. Wir können an der Kirche nur bauen, wenn wir selber Kirche sind. Auch wir würden einer falschen Katholisierung verfallen, wenn wir aus der überwältigenden Freude einer neuen sakramentalen Gemeinschaft sagen würden: „Es ist ganz leicht, sich dem hinzugeben.” Es ist nicht leicht, es ist aber auch nicht schwer: es ist ohne die Gnade des Heiligen Geistes überhaupt unmöglich. Die Spaltung der Kirche offenbart ein Un- vermögen des menschlichen Bemühens, das man tragisch nennen könnte, wenn dieses Wort im Raum der Kirche Platz haben dürfte. Aber das vor unseren staunenden Augen wieder sichtbar gewordene Ziel hat die Verheißung dieser Gnade: 1: Über die Gestalt eines evangelischen Ordens ist das Wesentlichste und Bleibende bereits in den bisherigen Schriften der Evangelischen Michaelsbruderschaft gesagt. Hier geht es nicht um die Gestalt, sondern um die Funktion der Orden in der Kirche. 2: Weitere Schriften des Verfassers: Menschenrechte und moderner Staat. - Origo-Verlag Zürich und Paul Lembeck-Verlag Frankfurt a. M. (Heft 1 der Schriftenreihe der Evangelischen Akademie Hessen und Nassau.) Krise des Strafrechts - Krise des Richteramts. - Im Sammelband „Gerechte Ordnung” (Bd. 26 der Schriftenreihe der Evangelischen Akademie Bad Boll, Furche-Verlag, Tübingen). Politische Gerichtsbarkeit. - Der Irrweg der Entnazifizierung und die Frage des Verfassungsschutzes, mit einem Nachwort von Dr. H. Ehlers, Bundestagspräsident. (Verlag Kirche und Mann, Gütersloh.) Demnächst erscheinen ferner: Strukturelle Staatslehre. - (Mit einem Anhang „Weimar und Bonn”). - Naturrecht und christliche Existenz. - Das System der großen Konfessionen - religionssoziologische Betrachtungen zum Europaproblem Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 133-146 |
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