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von Karl Bernhard Ritter |
„Vom Heiligendienst wird von den Unsern also gelehret, daß man der Heiligen gedenken soll, auf daß wir unseren Glauben stärken, so wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren, auch wie ihnen durch Glauben geholfen ist; dazu, daß man Exempel nehme von ihren guten Werken”. So lesen wir in Artikel XXI der Konfessio Augustana. Wenn man es ernst nimmt, was da geschrieben steht, dann müßte das Gedächtnis der Heiligen unter uns sehr lebendig sein: man soll der Heiligen gedenken! Und zugleich ist der tiefste Grund und Sinn solches Gedächtnisses angedeutet: wir erkennen an den Heiligen, was die Gnade vermag und „wie ihnen durch Glauben geholfen ist.” Wir erkennen an ihnen die Macht und Kraft Christi, der sich seine Jünger zubildet, an ihnen arbeitet und sie umgestaltet, so daß er selbst an ihnen erscheint, seines Wesens Fülle sich in ihnen entfaltet und offenbart- Der Apostel hat dafür ein sehr anmutiges Bild gebraucht: „Gott sei gedankt, der uns allezeit Sieg gibt in Christo und offenbart den Geruch seiner Erkenntnis durch uns an allen Orten. Denn wir sind Gott ein guter Geruch Christi” (Anm. 1). So wie eine Blume oder eine köstliche Narde ihren Duft verströmt, so sind die Heiligen der „Geruch des Lebens” Christi. Christus verschenkt sich in ihnen an die Welt. Christus bleibt nicht allein, sein Leben teilt sich aus und teilt sich mit durch seine Heiligen. Aber nun ist am Tage und leider unbestreitbar, daß das Gedächtnis der Heiligen unter uns nicht lebendig ist. Allenfalls wird der evangelische Christ im Glaubensbekenntnis daran erinnert, daß es eine „Gemeinschaft der Heiligen” gibt, aber diese Erinnerung bleibt abstrakt und wird zu keiner konkreten Vorstellung. Das Fest „Allerheiligen” wird nicht mehr gefeiert. Kaum noch wird hier und da an die Aposteltage gedacht, geschweige, daß darüber hinaus das Gedächtnis der Märtyrer oder anderer Väter und Bekenner, glorreicher Zeugen des Glaubens begangen würde. Woran liegt das? -Offenbar vor allem daran, daß sich bei uns einseitig der Protest gegen den wohl von keiner Seite ernsthaft zu bestreitenden, ungeheuerlichen Mißbrauch durchgesetzt hat, der zur Zeit Luthers mit der Heiligenverehrung getrieben wurde. Es genügt ja, an den „Schatz der überflüssigen (!) guten Werke” der Heiligen zu erinnern, den die Kirche zu verwalten vorgab, um deutlich zu machen, wie unerläßlich der Einspruch der Reformatoren in dieser Sache war. Ganz gewiß kann man auch darauf hinweisen, wie lax in diesem Punkte die römische Kirche gegenüber ihrer Volksfrömmigkeit trotz der Bemühungen des Tridentinums, die Grenze zwischen Christus und den Heiligen scharf und deutlich zu ziehen, geblieben ist, einer Frömmigkeit gegenüber, die oft genug an die Verehrung von Halbgöttern im Heidentum erinnert. Die konkrete Verbindung dieser Volksfrömmigkeit mit dem Heidentum nachzuweisen, dürfte nicht allzu schwer fallen. Zeigt schließlich nicht die neueste Entwicklung der Mariologie in der römischen Kirche, wie nahe diese ganze Entwicklung ihrer Frömmigkeit einer populären Deisizierung der Gottesmutter kommt? Aber: „Abusus non tollit usum”, der Mißbrauch sollte und dürfte den rechten Gebrauch, die rechte, dem Evangelium gemäße Verehrung der Heiligen nicht hindern. Die bloße Negation ist keine hilfreiche Überwindung des Mißbrauchs. Die Folgen dieses unseres Mangels sind nicht zu übersehen. Was christlicher Glaube eigentlich ist und wirkt - „wie ihnen durch Glauben geholfen ist” - ,das wird für den evangelischen Christen nicht mehr anschaulich. Wo es keine Heiligen mehr gibt, wo durch ihre großen und überzeugenden Gestalten das Bild - oft genug Zerrbild! - christlichen Glaubens und Lebens nicht mehr heilsam berichtigt wird, das die Durchschnittsgemeinde bietet, wo der christliche Heroismus großen Stils, das Bild eines außerordentlichen und überschwenglichen Lebens aus dem Glauben den Blicken entschwindet, da gehen die rechten Maßstäbe verloren, da vollzieht sich unweigerlich die Einebnung auf diesen „gewöhnlichen” Durchschnitt, da triumphiert das verbürgerlichte und ach so kümmerliche Bild des Christen, das einen Nietzsche zu seiner Raserei gegen das Christentum überhaupt reizte und das Urteil über das Christentum bei unendlich vielen Hochstrebenden so verhängnisvoll verfälscht hat. Ohne das Bild der Heiligen, an denen die Wunder der Gnade abzusehen sind, wird der „besoffene Pope” und der theologisch geschulte Religionsbeamte die Gestalt, an die man sich hält, wenn danach gefragt wird, was schließlich „bei alledem herausgekommen sei”. Es bedurfte in unseren Tagen des schönen Buches von Walter Nigg „Große Heilige”, um eine erstaunte Leserwelt ganz neu darauf hinzuweisen, was das eigentlich heißt, daß Menschen „Gnade widerfährt”. „Eine unbekannte Welt tut sich auf, wenn man den Heiligen begegnet. Neue Dimensionen setzen einen in maßloses Erstaunen. Der menschlichen Sprache fehlen die Worte, um deren Größe zu umschreiben.” (Anm. 2) Was ist von alledem in die Frömmigkeit des evangelischen Christen eingegangen? Seien wir ehrlich, so gut wie gar nichts. Statt dessen haben wir die Heiligen in Gestalten der bloßen Kirchengeschichte verwandelt. Der alles verschlingende Historismus hat sich ihrer bemächtigt, und die „vollendeten Gerechten”, deren wirksamer Gemeinschaft wir uns getrösten und erfreuen sollen, werden zu bloßen Größen der Vergangenheit. Sie verschwinden aus der Andacht, dem vergegenwärtigenden Gedenken, dein Gebet der Kirche bis auf den „einzigen Heiligen” der lutherischen Kirche, die seinen Namen in der Liturgie des Reformationsfestes nennt. Es ist nur allzu deutlich, daß diese lebendige, im Gebet und in der Feier des Sakramentes vollzogene Vergegenwärtigung der Heiligen als der Nothelfer unseres geistlichen Lebens, die uns in aller Anfechtung Beistand leisten, keinesfalls durch eine bloße kirchengeschichtliche Erinnerung ersetzt werden kann. Dieser völlige Mangel einer solchen Vergegenwärtigung der Gemeinschaft der Heiligen hat ja doch zur Folge, daß in der evangelischen Kirche das lebendige Bewußtsein dafür fehlt, daß wir in der Kirche das Evangelium nur durch die ständige Tradition, die wirksame Überlieferung des Zeugnisses von einer Generation zur anderen haben. Es fehlt die „apostolische Sukzession” der Botschaft. Nach dem Abschluß des neutestamentlichen Kanons kommt für den Protestanten die große Lücke. Der Heilige Geist setzt sozusagen in seiner Tätigkeit aus, bis er dann plötzlich und gänzlich unvermittelt wieder in den Tagen der Reformation in die Geschichte eingreift. So fehlt unserem Bild von der Kirche im Grunde die geschichtliche Dimension, der Zusammenhang durch die Jahrhunderte hindurch. Es entsteht die schwierige Frage, wie wir eigentlich mit dem Dokument einer fernen Vergangenheit, mit dem Neuen Testament, gleichzeitig zu werden vermöchten. Aller Biblizismus denkt im Grunde genommen am dritten Artikel unseres Glaubensbekenntnisses vorbei. Die Geschichte, um die es hier geht, ist ja etwas durchaus anderes, als das, was das 19. Jahrhundert unter Historie verstand. Es geht gerade nicht um eine bloße Erinnerung an vergangene Ereignisse, Tatsachen und Menschen. Es geht vielmehr um die doppelte, einander ergänzende Einsicht, daß Gottes Handeln mit uns wirklich in die Geschichte eingeht, in den Ablauf der Zeit, und wir in keiner Weise, auch nicht durch den Sprung des Glaubens aus diesem geschichtlichen Zusammenhang herausspringen können, und andererseits um die Glaubensgewißheit, daß diese Vergangenheit der Kirche in der Kraft der Auferstehung Christi keine bloße Vergangenheit, sondern mächtig wirksame Gegenwart ist. Nun wird man zwar sagen müssen, daß Rom durch seinen Kultus der Heiligen diesen Zusammenhang mit der Geschichte gewahrt hat, aber es hat ihn nach unserem Urteil zu teuer erkauft. Mt Recht fragt Hans Asmussen „Haben wir wirklich keinen besseren Weg, müssen wir mit dem Kult der Heiligen die Heiligen selbst aufgeben?” (Anm. 4) Luther geht also weit hinaus über den Satz des Augsburger Bekenntnisses, daß wir die Heiligen zum „Exempel” nehmen sollen. Denn er hat eine lebendige Anschauung von der Gemeinschaft der Heiligen, in der Himmel und Erde zusammengeschlossen sind zu einer wirkenden, hilfreichen, unser Heil schaffenden und verbürgenden Einheit und Ganzheit in Christus. Das „Entweder Christus oder die Heiligen”, das in dem Kampf der Reformatoren gegen die verdienstliche Gemeinschaftsleistung von Gott und Mensch auf römischer Seite eine solche Rolle spielt, greift also zu kurz gegenüber einem Tatbestand, wie ihn Luther selbst gesehen hat und wie er im Neuen Testament erkennbar ist. Warum kommt es zu dieser Verkürzung? Ist es nur die Sorge, den Satz von der Rechtfertigung allein aus dem Glauben nicht zu gefährden? Läßt diese Sorge nicht das Verständnis für den Ernst des Heiligungsstrebens verkümmern, für den Gehorsam gegen die evangelische Forderung „ihr sollt vollkommen sein, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist”, den die Heiligen so überzeugend vor Augen stellen? Oder ist hier nicht auch, wie H. Asmussen vermutet (Anm. 5), das damals aufkommende Weltbild wirksam geworden, für das die Gestorbenen ganz und gar entrückt sind in einen Raum, zu dem es für uns keine Verbindung mehr gibt? Für die nachfolgende Entwicklung dürfte jedenfalls nicht zu bestreiten sein, daß das Lebensgefühl unserer Gemeinden sich immer mehr auf den irdischen Raum einschränkt. Wie eng verbunden sind für das Neue Testament die Liturgie der Himmel und der Gottesdienst der irdischen Gemeinde, welche Rolle spielt in der Liturgie der Kirche die Teilnahme der Gemeinde am Lobgesang der Engel, und wie rückt das alles für den Protestanten an den Rand, wie sehr wird das alles zuletzt zu Mythos und Märlein! Fedor Stepun sprach mich vor Jahren einmal darauf an, wie unverständlich es ihm sei, daß man bei protestantischen Begräbnisfeiern das Gefühl nicht los werde, in einem nach oben abgeschlossenen Raum gefangen zu sein, während es doch für die Kirche gelte, daß sie den offenen Himmel über sich habe und aus dieser Gewißheit ihr die Kraft zu tröstlich- freudevollem Lobgesang gerade in solchen Stunden geschenkt werde. Die Heiligen sind leuchtende Symbole des lebendigen, in der Kirche wirksamen Evangeliums. Sie bezeugen, daß Christus unter uns immer aufs neue Gestalt gewinnen will. Die Heiligen lehren uns das „Denken des Herzens”, das Erkennen aus einer neuen, der Christusmitte. Sie besitzen das Herz, das die Wahrheit schaut. An ihnen wird sichtbar, daß das Evangelium nicht eine Lehre für den Kopf, sondern eine Kraft der Verwandlung des ganzen Menschen ist. Die Heiligen sind die unbedingten Menschen, die den ganzen, ungeteilten Einsatz, die volle Hingabe, das Opfer in der Nachfolge des Kreuzes Christi üben. So wirken sie aller Auflösung und Zersetzung entgegen. Sie zeugen für das wesentliche Leben gegen alle Skepsis und Zerstreuung. Die Heiligen sind die Zeugen dafür, daß Gott mitten in unserer Wirklichkeit da ist und nicht irgendwo in einer abstrakten Ferne. Die Heiligen stoßen die Türe auf zu dem Raum der wunderbaren Erfahrungen des Glaubens, sie gehen auf dem Wege, der zu immer neuen Einsichten führt. Sie bezeugen durch ihr ganzes Sein die unauslotbare Tiefe des Mysteriums Christi. Anmerkungen: 1: 2. Kor. 2, 14 -16. 2: W. Nigg, Große Heilige, S. 9. 3: Hebr. 12, 23. 4: Hans Asmussen, „Warum noch lutherische Kirche”, S. 243 5: H. Asmussen, a. a. S. 6: Zitiert bei W, Nigg a. a. S. Evangelische Jahresbriefe 1951, S. 192-198 |
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