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von Karl Bernhard Ritter |
Lieber Freund! Voller Enthusiasmus schreibst Du mir: „Diese neueste Dogmatisierung, in der ich geradezu ein Herzstück des Glaubens sehe, treibt mich fast unwiderstehlich dem Katholizismus in die Arme. Mit dem Jubel der ungezählten Millionen über diese Dogmatisierung verbindet sich bei mir das über alles Verstehen hinaus aus dem tiefsten Herzen kommende Ja. Ich werde das Gefühl nicht los, daß das protestantische Nein aus der Ratio und das katholische Ja aus dem Herzen und einem tieferen Ahnungsvermögen kommt. Und wenn das katholische Ja der Volksfrömmigkeit nachgibt, nun, um so besser. In solchen Dingen ist, wie ich ernstlich glaube, des Volkes Stimme Gottes Stimme. Weil sie nämlich aus einem tiefen Ahnungsvermögen kommt.” Ja, in Deinem zweiten Brief lese ich den Satz: „Eine innere Stimme raunt mir zu, daß, wenn wir irgend auf eine echte Erneuerung der Kirche hoffen dürfen, diese von der Mutter herkommen wird, weil denn der mütterliche Schoß im Himmel und auf Erden der Ort der Wiedergeburt und Erneuerung ist.” Und weil Du mit Recht vermutest, daß ich dieses neue Dogma als einen Irrweg der römischen Kirche ansehen muß, baust Du vor: „Wenn das neue Dogma eine Ketzerei der römischen Kirche ist, so stellt sich unabweisbar die tieferregende Frage, welche Abgründe religiösen Mangelempfindens, religiöser Verhungerung diese Ketzerei veranlaßt haben.” Ich weiß auch sehr gut, daß Du mit Deinem Enthusiasmus nicht allein stehst. So lese ich in dem Buch eines jungen amerikanischen Intellektuellen, der zum römischen Katholizismus übergetreten ist, den erstaunlichen Satz. „Die Menschen begreifen die gewaltige Macht der heiligen Jungfrau nicht. Sie wissen nicht, daß alle Gnaden durch ihre Hände gehen, weil Gott wollte, daß sie auf diese Weise am Heilsplan für die Menschheit mitwirke.” Du erwartest eine Antwort von mir. Und es ist Dir natürlich nicht damit gedient, daß ich der katholischen Entscheidung die Dir sicherlich nicht unbekannte evangelische Entscheidung entgegenhalte, wie sie in der bekannten Erklärung der lutherischen Bischöfe oder der sehr sorgfältig formulierten Heidelberger Denkschrift evangelischer Theologen klar zum Ausdruck kommt. Ich muß versuchen zu verstehen, warum dies Dogma solche Begeisterung bei Dir auslöst und ob nicht in ihm auf einen Bereich des religiösen und christlichen Lebens hingewiesen wird, der mit Recht Geltung beansprucht. 1. Die Einwände gegen das römische Dogma drängen sich freilich auf. Darin war sich die Christenheit bisher einig, daß alle kirchliche Lehrbildung nichts anderes sein kann als Auslegung des im Neuen Testament aufbewahrten Zeugnisses der Apostel, der von Christus selbst berufenen Zeugen seiner Worte und Taten, seines Leidens und vor allem seiner Auferstehung. „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.” Er ist die Selbstbezeugung Gottes in der Geschichte schlechthin. Auf die Frage: „ist die leibliche Auferstehung und Himmelfahrt der Maria Inhalt apostolischer Lehre?” kann nur mit einem klaren und völlig eindeutigen Nein geantwortet werden. Das Neue Testament, aber auch die kirchliche Überlieferung der ersten Jahrhunderte enthält keine Aussage, die sich in dieser Richtung deuten ließe. Ich verzichte darauf, die vielen gelehrten Stimmen anzuführen, die diesen Tatbestand feststellen. Mir scheint durchschlagend, daß der Wortlaut der Bulle, die das neue Dogma definiert, keinerlei Schriftbeweis enthält. Du mußt mir zugeben, daß der Papst es bestimmt nicht unterlassen hätte, auf eine solche Quelle seiner Lehre hinzuweisen. Aber es findet sich nichts dergleichen. Im Gegenteil, die Aussagen der Apostel lassen keinen Raum für diese Lehre, da sie in ganz eindeutiger Weise die leibliche Auferstehung der Gläubigen der endgültigen Wiederkunft des Herrn zuordnen. Das völlige Fehlen der apostolischen Bezeugung der Assumptio läßt sich auch durch keine theologischen Gedankenschlüsse ersetzen. In der Bulle ist solch ein Gedankengang versucht. Der Herr Christus habe als sündloser Sohn Gottes das Gesetz vollkommen erfüllt. Im Gesetz aber sei geboten, daß der Mensch seinen Vater und seine Mutter ehren solle. Es sei nun nicht zu bezweifeln, daß der Herr auch seine Mutter in vollkommener Weise geehrt habe, und da er dazu kraft seiner göttlichen Macht imstande gewesen sei, müßte man auch annehmen und glauben, daß er ihr die Ehre angetan habe, ihren Leib vor der Verwesung zu schützen! Nun spricht freilich auch die Bulle des Papstes diese gemein-christliche Erkenntnis aus: „Die volle Auswirkung des Sieges Christi will Gott den Gerechten nach einem allgemein geltenden Gesetz erst dann zuteil werden lassen, wenn einmal das Ende der Zeiten gekommen ist. Darum fallen die Leiber der Gerechten nach ihrem Tode der Verwesung anheim und erst am jüngsten Tage wird der Leib eines jeden mit seiner verherrlichten Seele vereinigt werden. ” Aber nun kommt das große Aber: „Von diesem allgemein gültigen Gesetz wollte Gott die allerseligste Jungfrau Maria ausgenommen wissen. Sie hat durch ein besonderes Gnadenprivileg, durch ihre unbefleckte Empfängnis die Sünde besiegt, war deshalb dem Gesetz, in der Verwesung des Grabes zu bleiben, nicht unterworfen und brauchte auf die Erlösung ihres Leibes nicht bis zum Ende der Zeiten zu warten.” Die beiden Dogmen von der unbefleckten Empfängnis und von der leiblichen Himmelfahrt der Maria hängen also unlöslich zusammen. Im Journal des Moskauer Patriarchats vom September 1949 betrachtet der Bischof von Reval, Isidor, die römische Lehrentwicklung: „Nach der römisch-katholischen Lehre, welche Maria frei von der Sünde geboren sein läßt, fällt die Gottesmutter aus der Nachkommenschaft Adams heraus, erscheint als irgendein neues Wesen, höher als der Mensch, als wäre sie eine neue Schöpfung Gottes, eigens dazu geschaffen, daß sie die Mutter des sich verfleischlichenden Gottessohnes werde.” Folgende Gedankenreihen werden u.a. dem gegenübergestellt: „Wir erinnern uns der Worte des Apostels Paulus: wie durch einen Menschen die Sünde gekommen ist in die Welt und durch die Sünde der Tod, so ist der Tod zu allen Menschen gekommen (Röm. 5, 12). Der Tod steht also nach der Meinung des Apostels in unmittelbarem ursächlichen Zusammenhang mit der Sünde und erscheint als deren notwendige Folge, ein Anzeichen für das Vorhandensein von Sünde in dem gegebenen Menschen. Nun aber ist die Gottesmutter wie alle Menschen gestorben. Ihr Tod also bezeugte das Vorhandensein von Sünde in ihr, zumindest der Erbsünde. Gewiß, auch Christus starb, obwohl in ihm keine Sünde war. Aber er starb nicht für seine eigenen Sünden, sondern für die Sünden der Menschen.” Nach röm.-katholischer Lehre ist für die Jungfrau Maria eine Ausnahme aus dem allgemeinen Gesetz gemacht: Sie empfängt die „Unbeflecktheit”, die Befreiung von der Erbsünde zwar durch den Verdienst ihres göttlichen Sohnes, aber als eine Eigenschaft ihrer Natur, nicht als eine Wirkung der Gnade, die eine Beteiligung ihres freien Willens in einer sittlichen Heldentat von ihrer Seite voraussetzt. Wenn Unbeflecktheit empfangen werden kann ohne Beteiligung ihres Willens, gleichsam mechanisch, dann fragt sich, warum man diese Ausnahme nicht auch für die ganze Nachkommenschaft Adams verallgemeinern und das ganze Menschengeschlecht von seiner Sünde auf dem gleichen mechanischen Wege befreien kann. Aber dann kann die unbedingte Notwendigkeit unserer Erlösung durch die Menschwerdung des Wortes Gottes und die Leiden des Erlösers bezweifelt werden. Die orthodoxe Lehre sieht die geistliche Großtat der Gottesmutter in einer Linie mit dem geistlichen Mühen der ihr vorausgegangenen Menschheit. „Schon im Paradies wies der Herr nach dem Sündenfall auf den weiteren Gang des ganzen menschlichen Lebens auf der Erde als auf einen Kampf zwischen dem Samen des Teufels und dem Samen des Weibes, welcher mit der Niederlage des ersten durch die Kraft des zweiten, des Erlösers, der aus der Gottesmutter geboren ist, enden wird. . . Folglich bereitete sich schon in Eva als der Mutter aller Lebendigen die ganze Menschheit zum Kampf wider das Böse, und zum Siege darüber in der Kraft Christi mußte aus dem Menschengeschlecht seiner Mutter hervorgehen.” Der evangelische Christ würde bei den letzten Gedankengängen wohl die Barmherzigkeit Gottes mehr hervorheben als die „sittliche Heldentat” der Maria, aber in der Anerkennung der freien Entscheidung des Glaubens im „fiat mihi” der Jungfrau dem orthodoxen Urteil zustimmen müssen. Jedenfalls wird hier die verhängnisvolle Konsequenz der römischen Dogmenbildung sichtbar. Aber, so wirst Du mich fragen, bedient sich denn nicht auch die heilige Schrift einer mythologischen Ausdrucksweise und ist also im Mariendogma nicht von einem biblisch legitimen Mittel Gebrauch gemacht, um eine Heilserkenntnis auszudrücken? Dazu ist zu sagen: die unbezweifelbare mythologische Redeweise der Hl. Schrift hebt die Geschichtlichkeit des Offenbarungsereignisses keineswegs auf. Sie macht vielmehr die Transparenz, die Offenbarungsqualität des geschichtlichen Ereignisses sichtbar, sie erhöht das Zeugnis der Apostel über einen bloß historischen Bericht. Das christliche Zeugnis steht jenseits der Alternative Mythos oder Historie. 2. Damit könnte ich schließen, weil ich Dir erklärt habe, warum ich Dir widersprechen muß. Aber damit ist wirklich nur die negative Seite meiner Antwort auf Deine Frage ausgesprochen. Ich zögere nicht, Dir ausdrücklich zuzugestehen, daß Du meinen Widerspruch als unfruchtbar empfinden kannst, wenn er nicht seine Ergänzung findet durch eine ernsthafte, positive Inangriffnahme einer evangelischen Mariologie. Du wirst freilich nicht erwarten, daß ich dieser Aufgabe in diesem Brief gerecht werde. Es liegt sicher an den besonderen geschichtlichen Bedingtheiten der evangelischen Theologie und ihrer verhängnisvollen Neigung, die Religion zu intellektualisieren, daß in ihr diese Aufgabe so völlig liegengeblieben ist. Aber ist da nicht überhaupt eine wesentliche Seite des christlichen Glaubenslebens in der theologischen Besinnung ohne ausreichende Entfaltung geblieben, obwohl sich dafür in der Hl. Schrift überall die Ansätze aufzeigen lassen? Und dürfen wir uns über die Irrwege der römischen Dogmenbildung beklagen, wenn von uns aus nichts geschehen ist, um den rechten Weg zu bahnen? Ich kann freilich nur Fragen aufwerfen, um dadurch anzudeuten, in welcher Richtung dieser Weg zu bahnen wäre. Ist die Jungfrauengeburt legitimer Inhalt des christlichen Bekenntnisses, dann ist die Frage unerläßlich, was damit für das Verhältnis von Gott und Mensch grundsätzlich ausgesprochen ist. Denn die Jungfrau-Mutter Maria steht ja nicht als zufällige Privatperson im Credo, sie steht dort für uns alle. Maria bildet die Brücke von uns zu Jesus, dem Christus Gottes. Damit wird die Frage dringlich, welche dem Menschen vom Schöpfer eingestifteten Kräfte in diese Begegnung zwischen Gott und dem Menschen in Anspruch genommen werden? An dem, was Maria für uns alle erfährt, wird erkennbar, daß Gott zwar ein deutliches Nein zu unserer Sündhaftigkeit spricht, aber durchaus nicht zu unserer Geschöpflichkeit. Im Gegenteil, diese Geschöpflichkeit wird in wunderbarer Weise bejaht. Nur wenn wir Menschen in das Verhalten der Maria mit eintreten, wenn wir dem Anruf Gottes mit eben der Hingabe antworten wie Maria, nur dann kann, was wir zu Weihnachten preisen und loben, für uns selbst wirksam und heilsam werden. Die Jungfrau in uns muß dem Anruf Gottes antworten. Die tiefsten Liebeskräfte der Seele sollen im Gottesverhältnis ihre wahre Bindung und Ausrichtung erfahren. Der Glaube ist eine Modifikation der Liebe: „Wenn ich Glaube hätte, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts” (1. Kor. 13). Im Brief an die Kolosser trägt der Apostel den überaus wichtigen Gedanken vor, daß „durch Christus alles geschaffen ist, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das Unsichtbare, es seien Throne oder Fürstentümer oder Obrigkeiten, es ist alles durch Ihn und zu Ihm geschaffen”. Diese Throne usw. sind keine politischen Gewalten, es sind Natur- und Geistmächte, die unsichtbar, aber ungemein wirksam Natur und Geschichte des Menschen beherrschen und gestalten. Zu diesen Mächten gehört auch die Polarität der Geschlechter und also auch die dem Menschen eingestiftete Kraft der Liebe, der Hingabe, des Eros. Wenn Paulus ferner davon spricht, daß diese Mächte sich im heidnischen Raum zu selbständigen Herren gemacht und sich so zwischen Gott und den Menschen gestellt haben, daß sie aber von Christus aus dieser ihrer angemaßten Stellung entfernt worden sind, daß er sie „ausgezogen und im Triumphzug mit sich geführt hat” und sich als ihr Herr und Haupt erwiesen hat, ist damit nicht gesagt, daß nun diese Mächte in Christus ihren rechten Ort zugewiesen erhalten und also in seinem Reiche sichtbar werden muß, was diese Mächte „in Wahrheit” sind? Daß also auch die Kräfte des Geschlechts, des Eros in Ihm zu ihrem wahren Sinn und Dienst befreit werden, daß sie nicht außerhalb des christlichen Kosmos verbannt bleiben, sondern in Christus zu ihrer wahren und ursprünglichen Bestimmung heimgeholt werden sollen? Damit wird aber alles Verhältnis der Menschen untereinander, auch das von Mann und Frau, erst in seine wahre Ordnung gestellt. Jeder christliche Mensch trägt das Sigel des Hl. Geistes an sich und darum auch das Wesen der Geistesbrautschaft. Und nur der Hl. Geist hat ein letztes Recht auf ihn, und kein Mensch kann den anderen Menschen sich zu eigen und zum Besitz machen. Was Ehe im christlichen Verstand ist, kann eigentlich nur von hierher recht begriffen werden, daß da zwei Menschen nicht einander binden und besitzen, sondern in der wahren Freiheit der Kinder Gottes einander anvertraut sind, und daß das, was ihre Liebe im tiefsten meint, die Gottesliebe ist. Darum kann Paulus sagen: „Ihr Männer, liebet eure Weiber, gleichwie Christus auch geliebt hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie gegeben” und „Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem Herrn Christus”. Das sind ungeheure Aussagen, über die wir heute, wo wir vor dem trostlosen Zerfall und dem Chaos völliger Entweihung der Ehe stehen, gar nicht genug nachdenken können. Doch ich darf nur noch in thesenartigen Sätzen sprechen, wenn sich mein Brief nicht zu einer Broschüre auswachsen soll. Maria ist das Bindeglied, das Christus mit der Menschheit verbindet. Ich zitiere Luther: „So ist denn in der Tat Maria Exponent der erlösungsbedürftigen Erde und besonders der erlösungsbedürftigen Menschheit. Nach dem Sieg aber ihres Sohnes wird sie Exponent der erlösten Menschheit und der auf die endgültige Erlösung harrenden Erde sein” (Psalmenvorlesung von 1516). Damit stehen wir vor der Frage, ob mit der protestantischen Formel von der „Alleinwirksamkeit der Gnade” schon alles gesagt ist? Kann die Gnade nicht nur in solchen Menschen wirken, die mitwirken? Begegnet Gott dem Menschen nicht im Raume seiner Freiheit? Die Gnade wirkt doch nicht mechanisch? Und welcher Art ist diese Mitwirkung? Das Zeichen für dies Geheimnis der Wirksamkeit Gottes im Raume der Freiheit ist Maria. Ihre „Mitwirkung” ist die Entscheidung für die reine Hingabe an die erlösende Gnade. Darum ist sie das Urbild für den Gehorsam des Glaubens, also für die Gott gegenüber allein angemessene und mögliche Haltung des Menschen. Mit ihrem „fiat mihi” bestätigt sie gerade das „allein durch die Gnade, allein durch den Glauben”. In Maria kulminiert die „Mitwirkung” aller Geschlechter seit Adam. Für den religiösen Individualismus ist der Gedanke, daß in Maria für das ganze Menschheitsgeschlecht eine Entscheidung fällt, freilich unglaubwürdig und unzugänglich wie die universale Wirkung aller anderen Heilstatsachen. Aber wie sich Gott zu Maria verhält, so verhält er sich zur ganzen Menschheit. Ich zitiere wieder Luther aus dem „Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi” von 1519. Luther schreibt da von der Gemeinschaft der Heiligen, für die uns das Sakrament ein Unterpfand ist: „In ihm nehme ich ein Zeichen von Gott, daß Christi Gerechtigkeit, sein Leben und Leiden für mich steht mit allen heiligen Engeln und Seligen im Himmel und frommen Menschen auf Erden. Soll ich sterben, so bin ich nicht allein im Tode, leide ich, sie leiden mit mir. Es ist all mein Unfall Christo und den Heiligen gemein geworden, darum daß ich ihrer Liebe gegen mich ein gewiß Zeichen habe” und weiter: „Christus im Himmel und die Engel mit den Heiligen haben keinen Unfall denn allein, so der Wahrheit und Gottes Wort Nachteil geschieht. Ja es trifft sie alles Leid und Lieb aller Heiligen auf Erden.” Da hat Luther also eine ganz lebendige Anschauung von der Himmel und Erde umschließenden Gemeinschaft des Leibes Christi, und jeder priesterlich Wirkende und Liebende steht in der Nachfolge Christi, des Mittlers, und vertritt die Gemeinde in seinem priesterlichen Dienst vor Gott und vertritt Gott vor den Menschen. Und so darf wohl auch gefragt werden: ist Maria nicht ein vornehmes Glied der priesterlichen Schar? Die theologische Frage ist nur die: handelt es sich um eine Mittlerschaft in Christus oder neben Christus? Daran hängt alles! Ich brauche nicht mehr zu sagen, warum! Aber wenn es sich um ein Leben und Wirken in dem Leibe Christi und durch die Kraft Gottes handelt, dann besagt eine „Mittlerschaft des Christen” doch offenbar dies, daß Christi Werk nicht vergeblich und fruchtlos geblieben ist. Sie hat zum Inhalt genau das, was im Gleichnis vom göttlichen Weinstock von den Reben ausgeführt wird, die Frucht bringen, die bleibt. Ich breche ab. Es muß mir genügen, wenn Dir erkennbar wird, in welcher Richtung sich meine Überlegungen vorwärts tasten. Und wenn die Verkündigung des neuen Mariendogmas durch den Papst für uns evangelische Christen und für die ganze Christenheit ein Anstoß sein sollte, der Frage mit ganzem Ernst nachzugehen, was die Gestalt der Maria für die Tiefe und Weite und innerste Lebendigkeit unseres Glaubens und für das Verständnis des Geheimnisses der Kirche Gottes bedeuten möchte, so dürfen wir dafür trotz allem notwendigen Widerspruch auch dankbar sein. Es grüßt Dich von Herzen Dein Karl Bernhard Ritter Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 8-16 |
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