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Bericht über einen ökumenischen Lehrgang in Woudschoten
von Johann Friedrich Moes

LeerEin wichtiges Organ des ökumenischen Rates der Kirchen ist das Institut Bossey (bei Genf), dessen Aufgabe es ist, in Lehrgängen für Angehörige verschiedener Berufsgruppen das Gespräch zwischen den Kirchen auch unter ihren einzelnen Gliedern zu fördern. Im August des vergangenen Jahres habe ich an einem solchen Lehrgang teilgenommen, der in dem schön gelegenen, geräumigen Freizeitheim Woudschoten bei Utrecht abgehalten wurde.

LeerDie 45 Theologiestudenten, die an diesem Lehrgang teilnahmen, kamen aus den verschiedensten Ländern und Konfessionen. In dem täglichen Beieinander und den vielen Gesprächen, zu denen wir alle freie Zeit benutzten, wurde uns ein großes Geschenk deutlich, das uns in der Bruderschaft unter den Gliedern des Leibes Christi gegeben ist: Hier hören die nationalen Gegensätze auf. Unter den Kursusteilnehmern waren ja nicht nur ehemalige Kriegsgegner, sondern auch solche, die von den anderen Unrecht gelitten hatten - aber das alles hatte seine Macht verloren. So hatte ich sehr enge Gemeinschaft mit einem Dänen, Mitglied des Theologischen Oratoriums, obwohl dieser während der deutschen Besetzung längere Zeit inhaftiert gewesen war. Auch bei den Holländern war kein Rest von Groll mehr zu spüren, obwohl einige von ihnen während der deutschen Besetzung Hartes zu leiden gehabt hatten. Aber das war ja sozusagen nur ein „Abfallprodukt” unseres Lehrganges; sein eigentliches Ziel war die theologische Erarbeitung der Lehre von der Kirche. Diese Arbeit begann täglich mit der Besprechung von Texten über die neutestamentliche Lehre von der Kirche. Dieses gemeinsame Mühen um das Verständnis des Einen Wortes war sicher der fruchtbarste Teil unserer Arbeit. Obwohl es auch hier an gelegentlichen scharfen Disputen nicht fehlte, konnten wir doch viel Gemeinsames feststellen.

LeerDas war in den Vorträgen und Aussprachen wesentlich anders, da hier die Lehre von der Kirche vom Standpunkt der verschiedenen Konfessionen her dargestellt und erörtert wurde. Hier wurde schon bald deutlich, wie sehr wir uns in den Jahrhunderten der Trennung auseinandergelebt haben und wie dringend nötig es ist, daß wir durch geduldiges Zuhören überhaupt erst einander verstehen lernen. In jeder Einzelfrage - wie etwa der Frage der Abendmahlsgemeinschaft, die wir besonders ausführlich behandelten - brachen immer wieder dieselben Unterschiede auf: Die Orthodoxen erkennen nur diejenigen Konfessionen als Kirche an, die außer der Heiligen Schrift auch die altkirchliche Tradition und das in ununterbrochener Folge von den Aposteln hergeleitete Bischofsamt annehmen. Dieses letztere erscheint auch den Anglikanern als notwendiger Bestandteil einer Kirche, während ihre Auffassung von der Tradition den Lutheranern, die ja auch ihre Bekenntnisschriften hoch schätzen, nicht allzu schwierig erscheint. Diese aber legen entscheidenden Wert auf die rechte Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben, von dem Unterschied zwischen Kirche und Welt und dem rechten Verhältnis von Natur und Gnade. Die Reformierten halten es für wesentlich, daß die Kirche ihre Aufgabe an der Welt erfüllt, während die Freikirchen darauf achten, daß die Früchte der Heiligung an ihren Gliedern auch erkennbar werden.

LeerAber trotz aller Meinungsverschiedenheiten konnte aus unserem oft hitzig geführten Gespräch nie ein liebloses Theologengezänk werden, denn der Tag war eingespannt in den tragenden Rahmen eines Stundengebetes. In der liturgischen Erscheinungen Flucht war der allabendliche anglikanische Evensong der ruhende Pol. So konnten wir uns in diese Form, eine Zusammenfassung von Vesper und Complet, recht gut hineinfinden. Da wir Lutheraner konfessionell die stärkste Gruppe waren, wurde jedoch der Evensong eine Woche lang durch die Vesper nach hannoverscher Ordnung ersetzt. Es mußte alles, was sich singen läßt, gesungen werden, weil man das für einen charakteristischen Zug lutherischer Gottesdienste hielt, und so mußten wir denn fleißig üben, um das zu lernen, was man als unsere Eigenart ansah. Als bezeichnend für den Lehrgang darf ich einmal die Reihenfolge derer nennen, die diese Vesper hielten: Am Montag ein Hamburger Student, am Dienstag ein Elsässer, am Mittwoch ein dänischer Professor, Mitglied des Theologischen Oratoriums, am Donnerstag ein Wiener, am Freitag eine unierte Westfälin; Kantor war die ganze Woche ein lippischer Jungbruder. Die Lesungen wurden von anderen Kursusteilnehmern abwechselnd auf Englisch und Französisch gehalten.

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LeerIn den Morgenandachten kamen neben anglikanischen Matins und lutherischer Mette, die einander stark ähneln, auch die freier gestalteten Formen der Reformierten und Freikirchler zu ihrem Recht.

LeerJeden Mittag fanden wir in der Kapelle eine kurze Zeit der Stille, bei der in freier, konkreter Fürbitte der Kirche und ihrer verschiedenen Aufgaben gedacht wurde. Fürbitten solcher Art sollten auch in unser Stundengebet Eingang finden.

LeerAls besonders erfreulich möchte ich noch erwähnen, mit welcher Freiheit jeder beim Beten die ihm gemäße oder seinem heimischen Brauch entsprechende Körperhaltung einnahm.

LeerAuch die sonntäglichen Gottesdienste entsprachen bestimmten Traditionen, da man in der -ökumenischen Bewegung zum Glück davon abgekommen zu sein scheint, von Fall zu Fall bunte liturgische Mischungen anzurichten. So hatten wir am ersten Sonntag Predigtgottesdienst nach der Ordnung der Reformierten Kirche Schottlands. Diese Ordnung mit ihren langen, kaum gegliederten Gebeten und den vielen Schriftlesungen war uns sehr schwer zugänglich. Am folgenden Sonntag feierten wir den Gottesdienst der orthodoxen Kirche nach der Liturgie des hl. Chrysostomus. Obwohl ich als Sänger des liturgischen Chores diese berühmte Liturgie genauer kennenlernte, genügte doch die einmalige Feier bei weitem nicht, in sie einzudringen. Zwar durften wir nicht mit am Abendmahl teilnehmen, doch wurden wir dadurch in die Gemeinschaft aufgenommen, daß wir alle das heilige „Antidot” empfingen, ein Stück Brot, das zwar in der Liturgie gebraucht, aber nicht geweiht ist. Kurz darauf wurde von P. Max Thurian von der Communauté de Taizé, dem reformierten Kloster in Burgund, ein reformierter Abendmahlsgottesdienst nach der neuen französischen Ordnung gehalten, den man eigentlich als „Reformierte Messe” bezeichnen müßte, wenn er auch hier und da von der Tradition abweicht.

LeerNach so vielem Reden war es wohltuend, daß das letzte Wochenende einer längeren Schweigezeit gewidmet war. Die beiden biblischen Meditationen waren zwar mäßig, aber dafür erlebten wir eine andere große Freude: Da kein anderer Gottesdienst gehalten werden konnte, wurden wir alle zur Teilnahme an der anglikanischen Abendmahlsfeier zugelassen, obwohl dies der Kirchenordnung widerspricht. Diese Tatsache zeigt deutlich das, was sich in dem ganzen Lehrgang ausdrückte: Die Einheit der Kirche  i s t  in Jesus Christus; wir können sie sichtbar nicht wieder herstellen. Die sichtbare Einheit der Kirche ist ein Geschenk des Tages der Wiederkunft unseres Herrn. Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht zum Gespräch und zur brüderlichen Zusammenarbeit. Und wir sollten das Gebet sehr ernst nehmen: „Es komme der Tag, da eine Herde und ein Hirte ist!”

Evangelische Jahresbriefe, S. 73-75

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-30
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