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Die Anbetung der Trinität im Vaterunser
Otto von Harling

LeerWie auf den Gemälden alter Meister in den unsichtbaren Linien und Maßen des „gerechten Grundes” tiefe Geheimnisse dargestellt und zugleich ehrfürchtig verhüllt werden, so weist uns das Gebet des Herrn auf die göttliche Trinität hin, ohne ihr Geheimnis anzutasten. Und wie es das richtige Verständnis eines alten Gemäldes erleichtern kann, mit Zirkel und Lineal den „gerechten Grund” nachzukonstruieren, ohne der lebendigen Fülle des vollendeten Gemäldes Abbruch zu tun, so kann es sich als hilfreich erweisen, die trinitarischen Linien im Vaterunser nachzuzeichnen, ohne dabei zu vergessen, daß am Ende doch nur das Gebet die angemessene Weise ist, dem göttlichen Geheimnis gegenüberzutreten. -

Leer„Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name!” Die erste Bitte schließt sich unmittelbar an die Anrede an und meint ganz eindeutig Gott, den Vater und Schöpfer, dessen Macht und Ehre die ganze Schöpfung verkündigt und preist, der in den Geboten zu uns spricht, der seinen Namen geoffenbart hat: „Ich bin, der ich bin”, und der im Himmel, also allgegenwärtig ist.

Leer„Dein Reich komme” - es ist ja bereits zu uns gekommen als das Saatkorn, das in die Erde gelegt wird, in der Person des fleischgewordenen Wortes Jesus Christus, und das Kommen des Gottesreiches wird vollendet werden mit der Wiederkunft des Herrn und Weltenrichters und mit der Aufrichtung der ewigen Königsherrschaft des Lammes.

Leer„Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.” Daß diese Bitte erfüllt werde, ist das Werk des Heiligen Geistes, der in uns wirkt das Wollen und das Vollbringen nach dem Willen Gottes.

LeerSo stehen wir schon in den ersten drei Bitten vor der ganzen Dreifaltigkeit. Allen drei Bitten aber ist das gemeinsam, daß es hier allemal um die Ehre Gottes geht. Der Schwerpunkt liegt darum hier auf der ersten Bitte, die in der zweiten und dritten nach den besonderen Wirkungsweisen des Sohnes und des Heiligen Geistes hin entfaltet wird. -

Leer„Unser täglich Brot gib uns heute.” Hier geht es um die Notdurft und Nahrung des Leibes, um die gnädige Erhaltung der geschöpflichen Existenz, die unter dem Wort ihres Schöpfers steht: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen”, aber auch unter der Verheißung: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte.”

Leer„Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.” Dies können wir nur darum bitten. weil Jesus als unser Hohepriester uns durch sein Sühnopfer die Vergebung unserer Sünden bereits ein -für allemal erwirkt und uns mit Gott versöhnt hat.

Leer„Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel.” Diese beiden Bitten stehen in engem Zusammenhang und sind auf die Wandlung gerichtet, die nur der Heilige Geist in uns bewirken kann. Denn in uns selbst haben wir ja die Versuchung und den Ursprung des Übels zu suchen, von dem wir befreit zu werden wünschen. Die Möglichkeit hierzu danken wir der Gnade des Vaters durch das Sühnopfer Jesu Christi: der Heilige Geist aber läßt uns im Glauben der Sühne und der Gnade teilhaftig und die dargebotene Möglichkeit in unserem persönlichen Dasein zur Wirklichkeit werden.

Linie

LeerAlles, was wir in den letzten vier Bitten vor Gott bringen, steht und fällt also mit der Vergebung der Sünden, die uns Christus erwirkt, und von der die fünfte Bitte handelt. Denn welchen Wert hätte unsere geschöpfliche Existenz, und wie sollte der Heilige Geist uns erneuern und verwandeln, wenn wir nicht durch den Sohn mit dem Vater versöhnt wären? -

Leer„Denn Dein  i s t  das Reich ...” - hier ist von dem Reich des Vaters die Rede, zu dem der Sohn alles Geschaffene zurückführt;

Leer„... und die Kraft...”, die in der Auferstehung des Herrn den vollkommenen Sieg über die Finsternis errungen hat und bei Seiner Wiederkunft die Schöpfung erneuern wird;

Leer„... und die Herrlichkeit in Ewigkeit”, das ist die Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben, also die Herrlichkeit, die nach dem dritten Artikel unseres Glaubensbekenntnisses der dritten „Seinsweise” Gottes zugeordnet ist.

LeerDie Doxologie ist bekanntlich ein späterer Zusatz zum Vaterunser. Sie stellt also schon ihrer Herkunft nach den Beitrag der gläubigen Gemeinde zum Gebet ihres Herrn dar. Sie ist, ähnlich wie das „Ehre sei dem Vater ...” beim Psalmengebet, gleichsam das trinitarische Sigel des neuen Bundes, durch das die vom Heiligen Geist begnadete Gemeinde sich zu dem Wort Gottes bekennt und es sich zu eigen macht, indem sie sich in der Anbetung des dreieinigen Gottes darunter beugt. Erst hierdurch wird das Gebet des Sohnes zum Vater zu dem Gebet der Christenheit. Darum ist die Doxologie gerade in ihrer Eigenschaft als nachträglicher Zusatz ein notwendiger und wesentlicher Bestandteil des Ganzen. Aber nicht nur durch ihre historische Entstehung, sondern auch durch ihren hymnischen Klang erweist sich die Doxologie als Siegesruf der im Ruhm und in der Anbetung des dreieinigen Gottes triumphierenden Kirche, zu der wir uns in dritten Artikel bekennen. -

LeerSo sind die Bitten und anbetenden Aussagen des Vaterunsers in drei Gruppen zusammengefügt, die je einer der drei „Personen” Gottes zugeordnet sind, aber jede in sich die ganze Trinität ansprechen und zur Geltung bringen. Hierin wird die vollkommene Durchdringung der drei „Seinsweisen” Gottes offenbar, die Einheit in der Dreiheit ebenso wie die Dreiheit in der Einheit. Denn wir können nicht zu oder von einer der drei Personen Gottes sprechen, ohne zugleich immer auch die beiden anderen zu meinen. Und wir können niemals den wahren einigen Gott anrufen, ohne des Geheimnisses Seiner Dreifaltigkeit eingedenk zu sein.

LeerWenn das nicht der Fall ist, wird unser Beten zu Götzendienst und Schwärmerei oder zu einem fruchtlosen Selbstgespräch ohne Verheißung. Vielleicht ist das der Grund, weshalb das Beten der Christen oft so matt erscheint, und weshalb immer wieder versucht wird, dem Gebet durch gefühlsmäßige Emotion einen unnatürlichen und krampfhaften Aufschwung zu geben.

LeerDer Heiland aber lehrt uns im Vaterunser, wie und zu wem wir beten müssen, um gehört und erhört zu werden. Das ist vielleicht noch wichtiger als die Unterweisung darüber,  w a s  wir beten sollen; denn darin hilft und vertritt uns der Heilige Geist, so daß auch das unbeholfenste Stammeln zu Gottes Thron gelangt - wenn es nur im rechten Glauben geschieht, d. h. im Glauben an den dreieinigen Gott.

Ev. Jahresbriefe 1952. S. 140-142

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-29
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