Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1952
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Verwandlung
Rudolf Stählin

LeerEine Verwandlung ist von bloßer Veränderung dadurch unterschieden, daß sie eine tiefgreifende Veränderung der Substanz, also eine radikale Umformung bedeutet, die die vorige Gestalt nicht mehr erkennen läßt. Von solchen Verwandlungen ist in der Welt der Religionen viel die Rede. Dort ist die Vorstellung lebendig, daß die Verschiedenheit, die zwischen Götter- und Menschenwelt und zwischen den einzelnen Geschöpfen besteht, in wunderbarer Weise aufgehoben werden könne. Es wird davon berichtet, daß sich Götter in Menschen- oder Tierwesen verwandeln, daß Menschen ein übermenschliches Sein annehmen und daß irgendwelche Wesen durch göttliche Einwirkung in andere verwandelt werden (vergl. die Verwandlungs-Motive in den Märchen!). Die Mysterienfrömmigkeit der hellenistischen Zeit beruht auf dem Glauben, daß der Mensch durch wiederholte Einweihungen in ein gottgleiches Wesen verwandelt werden kann. In der jüdischen Apokalyptik erwartet man am Ende der Zeiten eine wunderbare Verwandlung der Frommen (vergl. Dan. 12, 3), wobei eine Verwandlung zum Heil und eine des Gerichtes zum Verderben unterschieden wird.

LeerWährend in der außerbiblischen Welt die Sehnsucht der Menschen nach Verwandlung seines ganzen Wesens durch mystische und magische Künste erfüllt werden soll, weiß die heilige Schrift, daß das nur durch das Eingreifen Gottes, nicht aber durch irgend eine natürliche Entwicklung möglich ist. Die einzige Verwandlung, die der Mensch selber herbeizuführen vermag, ist die Verfälschung des Göttlichen zu etwas Irdischem (Ps. 106, 20; Röm. 1, 23-25). Dadurch wird aber auch die natürliche Ordnung des Lebens in eine perverse verwandelt (Röm. 1, 26).

LeerWenn das  A l t e  T e s t a m e n t  von verwandelnden Eingriffen Gottes in das natürliche Weltgeschehen berichtet, dann weiß es von verschiedenen Wirkungen: Gott kann über den Ungehorsam des Menschen das Gericht bringen ( so wird zum Beispiel in Ägypten Wasser in Blut verwandelt, 2. Mos. 7,17), und Er kann dem Menschen Heil schaffen (etwa indem er das Meer ins Trockene verwandelt, damit das Volk Israel hindurchziehen kann, Ps. 66, 6). Vor allem weiß das Alte Testament von er großen Verwandlung zu berichten, die am Ende der tage der bisherigen Gestalt der Welt ein ende setzt und sie durch eine andere, schlechthin unvorstellbare ablöst. Gott wird alles, Erde und Himmel verwandeln, und nur Er selbst wird bleiben wie Er ist (Ps. 102, 27; Hebr. 1, 12; vergl. 2. Petr. 3, 10). Das an sich unvorstellbare Geheimnis dieser totalen Verwandlung schaut der Prophet Joel in dem kühnen Bilde, daß die Sonne in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt wird (Joel 3, 4). Wenn in Amos 8, 9 f. ein ähnliches Wort über den Tag Jahwes mit der Ankündigung verbunden ist, daß Gott die Feiertage in Trauern und die Lieder in Wehklagen verwandeln wolle, so liegt hier nicht weniger als in den übernatürlichen Wirkungen ein machtvolles Eingreifen Gottes vor, das sich bis in das religiöse Bewußtsein und in die Gestalt des Gottesdienstes hinein auswirkt.

Linie

LeerSolche Eingriffe Gottes, die eine scheinbar heile Lebensgestalt in eine unheilvolle verwandeln, sind nicht allein erst am Ende der Tage zu erwarten. Hiob klagt darüber, daß Gott ihm verwandelt ist in einen Grausamen, der sich Verderben bringend gegen ihn wendet (Hiob 30, 21). Vom Zusammenhang des ganzen Hiob-Buches aus wird man diese scheinbare Selbstverwandlung Gottes begreifen als Gottes Weise, den Menschen dahin zu bringen, daß er ihn um seiner selbst willen liebt und lobt. Bei allen Verwandlungen, die Gott wirkt, gilt, daß sie die göttliche Majestät und Herrschermacht erweisen und den Menschen dazu führen wollen, Gott zu ehren und zu loben (vergl. das „auf daß ...” in Ps. 30, 12-13).

LeerAuch das  N e u e  T e s t a m e n t  richtet, im Anschluß an die jüdisch-apokalyptische Erwartung, den Blick auf die endzeitliche Vollendung der Geschichte und auf eine dann geschehende Verwandlung aller Kreatur. Durch die herrliche Freiheit der Kinder Gottes soll dann auch alle übrige Kreatur erlöst werden aus dem Bann der Vergänglichkeit (Röm. 8, 21). Paulus erwartet den Einbruch des Endes in naher Zukunft und hofft, die große Verwandlung noch als Lebender zu erfahren. Diese endgültige Verwandlung, die Lebenden und Toten widerfahren soll, nennt er ein Mysterium (1. Kor. 15, 51 f.), das er mit dem Bilde des Anziehens der Unverweslichkeit und Unsterblichkeit beschreibt (1. Kor. 15, 54; vergl. auch 2. Kor. 5, 1 ff.). bzw. mit dem Bilde von Saat und Ernte (Vers 44). Daß Paulus hier von der Verwandlung des natürlichen Leibes in einen pneumatischen Leib spricht, zeigt, daß die Heilserwartung sich durchaus nicht allein auf die Seele richtet, sondern auch dem Leib die Verheißung gibt, durch die Verwandlung hindurch erneuert zu werden. Diese Erwartung gilt übrigens allen Christen, nicht nur, wie in den Mysterien, einigen besonders Eingeweihten.

LeerDas eigentlich Charakteristische der neutestamentlichen Lehre von der Verwandlung des Menschen liegt nun freilich nicht in der Zukunftserwartung, sondern in dem Zeugnis, daß durch Jesus Christus die große Verwandlung schon begonnen hat und schön jetzt die an Ihn Glaubenden ergreifen will. Das Urbild dieser Verwandlung innerhalb der Zeit des alten Äon ist die Verklärung Jesu. Sie wird im Bericht des Markus (9,2) und des Matthäus (17,2) mit einem Wort beschrieben, das die Zürcher Bibel und Menge mit Recht mit „verwandeln” wiedergeben (die Vulg. sagt transfiguratus). Hier bricht die wunderbare Verwandlung, die in der Endzeit erwartet wird, sichtbar schon in der Zeit an Dem auf, der den neuen Äon bringt und mit dessen Erscheinen „die Zeit erfüllet” ist. Bevor Er zum Kreuzesleiden geht, leuchtet an Ihm (Gesicht und Gewand!) der Zustand auf, den Sein Heilsweg herbeiführen soll. Noch ausführlicher als in der Verklärungsgeschichte versucht der Seher in der Offenbarung St. Johannis, die verwandelte Gestalt Christi, die er geschaut hat, zu beschreiben (Offenb. 1, 14). Mit der Geschichte von der Verklärung verwandt ist die von der Hochzeit zu Kana (Joh. 2), wo der Herr die Herrlichkeit des neuen Äons aufleuchten läßt in der wunderbaren Verwandlung des Wassers in Wein.

Linie

LeerDer Vorgang, daß die irdische Gestalt in himmlisches Wesen verwandelt wird, will sich nun an denen wiederholen, die an Christus glauben und dadurch teilhaben an Seinem Leben. Nicht nur, daß der niedrige Leib einmal dahin verwandelt werden soll, daß er Seinem herrlichen Leib gleichgestaltet ist (Phil. 3, 21; vergl. auch Röm. 8, 29. wo von den Christen gesagt wird, daß sie dem Bilde des Sohnes Gottes gleichgestaltet werden sollen). Vielmehr spricht Paulus an zwei bedeutenden Stellen auch davon, daß sich diese Verwandlung schon jetzt an den Christen vollziehen soll und tatsächlich vollzieht. In Röm. 12, 2 richtet er die kühne Aufforderung an seine Leser, sic h umwandeln zu lassen (Luther: verändert euch; Menge: verändert euer Wesen; Zürcher Bibel: wandelt euch um). die sprachliche Form des Imperativs des Passivs weist darauf hin, daß es um einen Vorgang von Gott her geht, den der Mensch an sich geschehen lassen, den er aber nicht selbst herbeiführen kann. Die Stelle wäre etwa so zu umschreiben: Lebt und handelt so, daß sich das neue Leben, das euch durch Christus geschenkt ist, darin auswirken kann; bewährt das neue Sein, das euch verliehen ist!

LeerIn indikativischer Form spricht Paulus von der gegenwärtig geschehenden Verwandlung in 2. Kor. 3, 18: Im Anschauen des Bildes Christi werden wir selber in dieses Bild verwandelt (so Zürcher Bibel; Menge: „umgestaltet”; Luther: „verklärt”). Unser Wesen ändert sich in der Tiefe, wenn es das Bild Christi, Seine Wesenheit, Seine Gestalt in sich aufnimmt. Das ist nach Paulus ein Vorgang, der sich beständig vollzieht und der dabei immer tieferin die Welt der göttlichen Doxa (Klarheit) hineinführt. Den Zugang zu diesem geheimnisvollen Geschehenerschließt allein der Heilige Geist, der uns die Kräfte des neuen Äons zuträgt und uns an das Leben des verklärten himmlischen Herrn anschließt.

LeerDurch Christus wird der alte Mensch in eine neue Kreatur verwandelt, die der Vergänglichkeit und dem Tode nicht mehr unterworfen ist (2. Kor. 5, 17). Was verwandelt wird, ist weder die reine Innerlichkeit oder die Gesinnung des Menschen allein, noch sind es wesentlich äußere Merkmale, die den Menschen „anders” werden lassen, sondern verwandelt wird vor allem sein Wesen, sein ganzes Sein, so daß er nicht nur „anders”, sondern in der Tiefe zu etwas anderem wird. Dieses „andere” aber ist bestimmt und erfüllt von dem Leben des gestorbenen und auferstandenen Herrn, das sich in vollkommener Liebe Gott und Menschen hingibt. So gehört zur christlichen Verwandlung des Menschen vor allem anderen die Wandlung des Verhältnisses zu Gott - das Neue Testament nennt sie „Versöhnung” - und die Wandlung des Verhältnisses zu den Mitmenschen - das neutestamentliche Wort agape bedeutet die hingebende, nicht rechnende Liebe. Indem wir dies erkennen, wird auch deutlich, daß das neue, pneumatisch verwandelte Sein des Menschen psychologisch und empirisch nicht ableitbar, vielleicht nicht einmal wahrnehmbar ist. Die Verwandlung gilt allein in Christus, nicht aber als eine Möglichkeit oder Leistung des alten Menschen, der ja durch sie gerade sterben soll. So gibt es auch keine Möglichkeit zu irgendeinem menschlichen Stolz auf die Verwandlung. Erst in der Vollendung wird die Verborgenheit, in der sie jetzt noch geschieht, aufgehoben werden. Erst dann wird sie aller Kreatur offenbar sein. Damit hängt es auch zusammen, daß die philosophische Lehre von der Verwandlung der Substanzen von Brot und Wein im heiligen Abendmahl, die in der römischen Volksfrömmigkeit dazu geführt hat, das zentrale Stück der Messe „Wandlung” zu nennen, dem Geheimnis der Gegenwart Christi im Sakrament nicht gerecht zu werden vermag.

Ev. Jahresbriefe 1952, S. 152-155

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-29
Haftungsausschluss
TOP