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In memoriam Hans Ording
von Wilhelm Stählin

LeerDurch überaus merkwürdige Fügungen und Führungen war die Evangelische Michaelsbruderschaft mit einer norwegischen Bruderschaft in Berührung gekommen, welche den Namen Ordo Crucis trägt. Eine Einladung nach Norwegen im Jahre 1938 schloß in sich die Möglichkeit, an einer Freizeit dieser Gemeinschaft teilzunehmen; dort lernte ich den Leiter des Ordo Crucis Hans Ording kennen, damals noch Pfarrer in einer Gemeinde in Oslo, war oft Gast in seinem Hause und gewann ihn von Herzen lieb als einen Freund und Bruder. Wer konnte damals ahnen, welche Rolle Gott diesem Mann in den Kriegs- und Nachkriegsjahren zugedacht hatte? Hans Ording, seit 1939 Professor der Dogmatik an der Universität Oslo, war einer der Freunde und engsten Mitarbeiter des Bischofs Eivind Berggrav; furchtlos verteidigte er die norwegische Kirche gegen die bösartigen Angriffe der deutschen Besatzungsbehörde und der norwegischen Staatspolizei. Seine lautere, gütige und wahrhaft priesterliche Persönlichkeit wagte niemand anzutasten. Er wagte es, mit den von seinem Volk gehaßten und verfemten Deutschen, sofern sie sich als wirkliche Christen erwiesen, trotz der überaus gespannten Situation brüderliche Gemeinschaft zu pflegen. Einmal schickte ich einen meiner Freunde, der als Mitglied der deutschen Feldpolizei nach Oslo versetzt worden war, zu Hans Ording; sein Erscheinen rief zunächst die größte Bestürzung im Hause Ording hervor, aber als er dann meine Grüße bestellte und sich als Glied unserer Bruderschaft vorstellte, wurde er wie ein seit langem vertrauter Freund, ja wie ein Sohn ausgenommen.

LeerDann kamen die Nachkriegsjahre, in denen der lange zurückgestaute Haß sich in grausamer Vergeltung und erbarmungsloser Willkür austobte. In der Festung Akershus bei Oslo waren Generale und Mannschaften, Regierungsbeamte und Stabshelferinnen den übelsten Schikanen und Mißhandlungen durch die „Heimatfront” ausgeliefert; die Berufenen und Verantwortlichen sahen zu oder beteiligten sich selbst an der Erniedrigung des Menschen. In diese Hölle des wehrlosen Leidens kam Hans Ording als der vom Bischof Berggrav für diese schwere Ausgabe berufene Seelsorger. Bald war die hohe Gestalt mit dem weißen Haar, mit dem schwarzen Rock und dem kühn geschwungenen schwarzen Binder im ganzen Gefängnis bekannt, gefürchtet von den Wachmannschaften, gegen deren Übergriffe und Mißhandlungen er sich mit einer zähen Energie zur Wehr setzte, als ein Bote der Güte und des Friedens begrüßt und geliebt von den Gefangenen. Es ist am besten, wenn ich einiges wiedergebe aus einem Brief, den mir einee der damaligen Gefangenen jetzt, nach dem Tode Hans Ordings, geschrieben hat:

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Leer„Hans Ording ging von Zelle zu Zelle. Die Wachmannschaften drängten sich mit in die Zellen, um die Gespräche mit anzuhören, die der Professor mit den deutschen ‚Kriegsverbrechern’ führte. O. kam zu mir. Den schwer bewaffneten Posten schickte er mit einem Zucken seiner hohen Stirn hinaus. Das genügte. Gepriesen sei die Zelle, die durch seine Gegenwart zur Beichtkammer wurde. So hatte seit Jahren niemand mit mir gesprochen. Kein Wort von Politik und Vergangenheit. ‚Was mit euch geschieht, ist nicht norwegisch. ’ Meine Antwort: ‚Was mit euch in Sachsenhausen geschehen ist, ist nicht deutsch. ’' Gemeinsames Bekenntnis: . ‚Hinter jeder bösen Tat steht der diabolos’. Der Norweger Ording wurde der Beichtvater vieler deutscher Nationalsozialisten und spendete die Absolution. Beichte und Absolution wurden aus dem Anhang des Katechismus herausgeholt und zu Helfern eines neuen Anfangs.”

Leer„Mit Ordings Erscheinen in Akerhus war der Bann gebrochen. Er drohte, in die Öffentlichkeit zu gehen, wenn die Mißhandlungen der Gefangenen nicht aufhörten, und wenn man uns vorsätzlich hungern ließ. Vieler Einzelfälle nahm er sich persönlich an, wo immer er von Unrecht und Willkür erfuhr. Unvergessen sind allen Deutschen die Gottesdienste in der Gefängniskirche. Wie ein Prophet stand er auf der Kanzel. Bisherige Nicht-Christen nahmen ihm das Wort vom Munde und erfuhren seine Hilfe im seelsorgerlichen Gespräch in der kleinen Sakristei . . . Unvergessen ist seine Predigt über den verlorenen Sohn: Die Front vom Verloren-sein und vorn Heimkehren-dürfen verläuft nicht entlang nationaler Grenzen, sondern durch alle menschlichen Daseinsformen hindurch.”

Leer„Noch heute höre ich die Schlüssel des Postens, wenn die Tür geöffnet wurde. Kam Ording, so tat sie sich weit auf, und laut, daß man es draußen hören mußte, begrüßte er mich ‚lieber Bruder’! - Hans Ording, Du hast den Geist wahrer Ökumene in die graue Verlassenheit des Zuchthauses gebracht! Ich lernte das Wesen und die Bedeutung der Ökumene nicht auf Tagungen kennen, sondern erlebte sie leibhaft in Hans Ording. Noch spüre ich seine segnende Hand bei der Absolution und beim Abschied. Durch ihn waren Zuchthauszellen gewandelt in Kammern der Besinnung und der Einkehr. Ich möchte am liebsten wallfahren nach Akershus, um dort Gott zu danken für Seine Gnade, die Er an mir getan hat, und dann würde ich verweilen am Altar der Gefängniskirche. Weil Gott Seine Hand auf diesen Mann gelegt hatte, darum konnte er anderen die Hand auflegen und sie ihnen reichen für einen neuen Anfang. Er lebte der ehemaligen deutschen Führerschaft den neuen Anfang vor. Es wird kein Sonntag vergehen, wo nicht seine Freunde seiner gedenken, wenn die Kirche uns aufruft, Gott zu loben ‚mit allen Seligen und Vollendeten’.”

LeerSein Tod macht uns um eine große christliche Persönlichkeit, um einen frommen Bruder und Vater, um einen treuen Freund ärmer. Zum letzten Mal habe ich ihn gesehen während der Berliner Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland; sein altes Herzleiden hatte ihn ins Krankenhaus gezwungen, dort besuchte ich ihn, und wir erneuerten und bekräftigten unsere herzliche Freundschaft. Die Pläne für ein längeres Zusammensein in dem kommenden Sommer hat nun sein früher Tod zunichte gemacht. Aber wir werden nicht aufhören, Gott dafür zu danken, daß es in der Kirche Jesu Christi Männer gibt wie Hans Ording, der nicht nur der Seelsorger vieler Pfarrer seiner Heimatkirche, der Seelsorger seiner Brüder im Ordo Crucis gewesen ist, sondern auch der Tröster, Freund und Helfer vieler Deutschen, die durch ihn die entscheidende Wende ihres Lebens erfahren haben. Requiescat in pace.

Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 216-217

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-30
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