Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1952
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Von der Lutherischen Weltbundtagung
in Hannover (25. 7.-3. 8. 1952)

von Werner Dicke

LeerWährend einer der vielen Arbeitsbesprechungen innerhalb der Weltbundtagung wurde christlichen Frauen aus Amerika ein von evangelischen Frauen in Dresden gearbeitetes Velum (1) überreicht. In tiefer Dankbarkeit nahm die Vertreterin der amerikanischen Frauen diese fein gearbeitete, schlichte Gabe entgegen und fügte ihrem Dank die schöne Deutung hinzu, daß sie in diesem Velum ein Stück des Teppichs sähe, an dem alle christlichen Frauen der ganzen Welt weben. Es sei der unvergängliche Teppich des Glaubens, der bis in die Ewigkeit reiche und sich heute schon schützend über die Herzen der Gläubigen breite. Dieses ganz am Rande der großen Weltbundtagung in Hannover sich ereignende Geschehen verdeutlicht in sinnfälliger Weise das eigentliche Anliegen dieser Tagung mit ihren Vorträgen, Besprechungen und auch das Anliegen all der Teilnehmer, die in unerwartet großer Zahl aus sämtlichen fünf Erdteilen nach Hannover geeilt waren. Es sollte durch diese Tage des Zusammenseins eine Stärkung des Glaubens und eine Neuausrichtung des christlichen Tuns innerhalb der lutherischen Kirchen der Welt erstrebt werden.

LeerEs war eine zahlenmäßig große und auch äußerlich prächtige Prozession, die am 25. Juli in die soeben wieder hergestellte und schöner denn vorher erstandene Marktkirche zu Hannover feierlich einzog. Jedoch wies Landesbischof D. Dr. Lilje in seiner Predigt sogleich auf den großen Ernst in der ganzen Welt hin, der fast über allen lutherischen Kirchen liege. Darum ließ er die Teilnehmer sich von ihren Plätzen erheben zum Gedenken an alle durch die politischen Ereignisse ferngehaltenen Brüder und Schwestern. Ausdrücklich betonte der Bischof: .Wir können ja trotz allem äußeren Glanz nicht vergessen, was Martin Luther so ausgedrückt hat: Latet ecclesia latent sancti - „Verborgen ist die Kirche, verborgen vor der Welt sind die Heiligen Gottes.” Denn wo immer sich die Kirche allein aus Wort und Sakrament stärken läßt, wird sie äußerlich in Not, aber innerlich doch stark fein. Um diese innere Kraft ging es zuerst und zuletzt in Hannover. Darum wurden auch in keiner Weise konfessionelle Unterschiede herausgestellt, vielmehr wurde bezeugt, welche Erfahrungen die lutherischen Christen in aller Welt in heutiger Zeit mit dem Sohne Gottes machen. Darum grüßte Landesbischof D. Dr. Lilje ausdrücklich auch alle diejenigen Christen „in den Kirchen und Gemeinden der ganzen Welt, die den Herrn Christus lieb haben.” Wie sehr es den Teilnehmern in Hannover um die innere Kraft des christlichen Glaubens ging, wurde besonders sichtbar an dem erstaunlich guten Besuch der gottesdienstlichen Veranstaltungen, der Metten, Vespern und Abendandachten, der Abendmahlsfeiern und der Gedenkstunden für die Flüchtlinge und Kriegsopfer der ganzen Welt.

Linie

LeerEin ausgezeichnetes, eigens für diese Tagung gedrucktes dreisprachiges Gesangbuch und die ebenfalls mehrsprachigen Gottesdienstordnungen ließen alle Besucher mitbeten und mitsingen. Es war ein unvergeßliches Erlebnis, in der würdig zu einer Gottesdienststätte hergerichteten Niedersachsenhalle an einer dieser Feiern teilzunehmen. Am Altar amtierte der Geistliche, unterstützt von Diakonen und einem in weiße Gewänder gekleideten Chor. Viele tausend Andächtige stimmten in das Singen und Beten ein; ohne Schwierigkeiten psalmodierte die große Gemeinde und respondierte auch in den Kirchengebeten.

LeerSo hat sich in Hannover eindeutig erwiesen, daß große evangelische Gemeinden wohl nur auf solche Weise gemeinsam ihren Lobgesang und ihren Bittruf zu Gott emporsenden können. Die vielen tausend Teilnehmer wollten sich aus Wort und Sakrament die Hilfe Gottes vergegenwärtigen. Darum drängte sich eine nicht minder große Anzahl Menschen zu den Bibelarbeiten des Prof. Dr. Rendtorff-Kiel.

LeerAber auch der tiefgründige Vortrag über „Staat und Kirche heute in lutherischer Sicht” des norwegischen Bischofs Eivind Berggrav vor der Vollversammlung wurde zu einem der größten Höhepunkte. Der Bischof legte dar: „Die Kirche kann nie zu einer Erbauungsanstalt gemacht werden, wo einen nichts Gefährliches erreichen kann.” Das an Christus gebundene Gewissen ist jederzeit zu höchster Verantwortung und Entscheidung gerufen. Berggrav malte in ganz klaren Strichen das Bild des heutigen Staates, der sich zum Wohlfahrtsstaat entwickeln wolle. „Diese neue Staats-Hybris, auch in demokratischem Gewande, ist gotteslästerlich und muß als Gefahr und Feind angesehen werden.” „Unsere Hauptfrage ist diese: Wie können wir mitwirken? nicht vorerst: Wie können wir Widerstand leisten?” Besonders in den Sektionen „Äußere und Innere Mission”, „Haushalterschaft” und „Frauenfragen” wurden diese heute brennenden Themen eifrig durchdacht. Zwar hätte man diesen Besprechungen manchmal eine stärkere praktische Wendung gewünscht.

LeerIndes, es war notwendig, daß die Lutheraner aller fünf Erdteile, die aus so völlig andersartigen Verhältnissen kamen, erst einmal grundsätzlich in Glaubensfragen einig wurden. Und wie schwer ist das heute! Denke man doch nur daran, wie in vielen Ländern einerseits Menschen sind, die in den letzten Jahrzehnten verschont blieben von Not und Leiden, während andererseits unmittelbar neben ihnen das Heer der Flüchtlinge ist, deren mitgebrachte Substanz in jeder Beziehung im Schwinden begriffen ist. Prof. Girgensohn sagte einmal: „Die Flüchtlinge (auch die christlichen) sind damit eine potentielle Armee für alle Ideologien, die in dieses Vakuum einzuströmen bereit sind. ” Was haben die Kirchen und lutherischen Gemeinden dieser Gefahr entgegenzusetzen? Darum war es schon ein großer Augenblick, als am Ende der Tagung in der Vollversammlung die Resolution der Frauen-Sektion verlesen wurde, in der es in Anbetracht der Bedrohung aller Lebensordnungen u. a. heißt: „Weil wir aber unter der Rechtfertigung stehen, brauchen wir nicht zu kapitulieren, wir dürfen vielmehr in der krisenhaften Situation des heutigen Lebens das Angebot Gottes für unsere Ehe und Familie sehen.”

Linie

LeerEs war überhaupt der besonders schöne Ertrag dieser Tagung, daß hier Christenmenschen aus aller Welt freudig ihre großen Erfahrungen mit dem Evangelium von Jesus Christus inmitten schwerer Lebensgefahren und Nöte bezeugten. Es war ergreifend, wenn die Vertreter der jungen Kirchen aus Indien, Japan, Madagaskar, Australien, Tanganjika, Abessinien usf. in den großen Kundgebungen vor der Jugend, vor den Frauen und Männern oder in der Schlußkundgebung vor 70 000 Menschen ganz schlicht ihre Erfahrungen mit dem lebendigen Wort Gottes bezeugten. Manchesmal glaubte man sich in die Zeit der Pfingstgemeinde versetzt, „denn wir hörten sie mit unseren Zungen die großen Taten Gottes reden” (Akta 2, 11).

Leer„Das lebendige Wort treibt die Christen in die verantwortliche Kirche” war das Thema dieser Tage. Es klang in allen großen Kund gebungen an. Die Leitung der Weltbundtagung hatte außerdem in vielen Veranstaltungen, Konzerten, Film- und Laienspiel- Vorführungen, in Dichterlesungen (M. Hausmann und Holthusen), in drei großen Ausstellungen („Das christliche Buch”, „Die christliche Kunst”, „Luther-Erinnerungen”) in breit angelegter Weise die mannigfaltige christliche Verantwortung auf nahezu allen Gebieten kulturellen Lebens darzustellen versucht. Das ist ihr hervorragend gelungen. Wir dürfen uns alle von Herzen darüber freuen, daß auch Künstler von sehr hohem Rang als Zeugen des evangelischen Glaubens sich gedrängt fühlen, davon je nach ihrer Weise ein sichtbares Zeugnis abzulegen. Sicherlich mag manches Dargebotene problematisch sein, indes wird sich zweifellos vieles von dem, was dort gezeigt und vorgetragen wurde, in den christlichen Gemeinden der ganzen Welt durchsetzen und befruchtend weiterwirken.

LeerDenn letzten Endes ist allen Teilnehmern dieser so außerordentlich reich erfüllten Tage deutlich zum Bewußtsein gekommen, daß das Leben des Christen erst dann sinnvoll wird, wenn es ein Dienen an Gottes Sache, also ein Gottesdienst wird, So war, jedenfalls für den Berichterstatter, eine der beglückendsten Stunden, als Prof. Peter Brunner-Heidelberg seinen unvergleichlich schönen Vortrag über „Das Wesen des kirchlichen Gottesdienstes” vor der Vollversammlung hielt, Solch weitsichtige Gedanken und Erkenntnisse konnte man vor etwa 25 Jahren an deutschen Universitäten nur erst ganz wenig vernehmen. Darum war es uns eine besonders herzliche Freude, zu sehen und mitzuerleben, wie die Erkenntnisse, die auch in diesen Jahresbriefen seit Jahren dargestellt werden, von anderer Seite bestätigt und als richtig erfahren werden.

Linie

LeerIn diesem Vortrag wurde nun vor allen lutherischen Kirchen der ganzen Welt in sauberer wissenschaftlicher Forschungsarbeit, aber auch aus gläubigem Herzen dargetan und von der Vollversammlung mit außerordentlich herzlichem Beifall entgegengenommen: „Im Gottesdienst beginnen die letzten Dinge.” Er wird „vollzogen in einem dreifachen Interim: Zwischen Himmelfahrt und Wiederkunft Jesu hat er seinen heilsökonomischen Ort, zwischen Tauftod und leiblichem Tod des Menschen hat er seinen anthropologischen Ort, zwischen den übermenschlichen himmlischen Kreaturen und den außermenschlichen irdischen Kreaturen hat er seinen kosmologischen Ort.” „Evangelium, Taufe und Abendmahl sind gleichsam die Arme, mit denen Jesu Kreuz und Jesu Sieg nach uns greift und sich uns mitteilt.” „Durch das verkündigte Evangelium steht das, was Jesus für uns getan hat, real gegenwärtig vor uns wie Speise und Trank auf dem gedeckten Tisch zum Greifen und Fassen und Essen.” „Durch die Wortverkündigung wird der Gottesdienst zu dem Ort, an dem die letzte Entscheidung über Heil und Unheil fällt, die unmittelbar in das Jüngste Gericht hineinragt.” Weil unser „Gottesdienst neuer Gehorsam ist, steht er nicht unter einem gesetzlichen Zwang, er geschieht in jener Spontaneität, die allein der Heilige Geist bewirkt.” „Das Bittgebet wird zur Danksagung, zur Eucharistia, zur dankbaren Anamnese der großen rettenden Taten Gottes.” „Zum Gebet tritt das Bekenntnis.” „Die Begegnung mit dem lebendigen Gott zwingt uns tn die Knie.” „Gebet und Bekenntnis münden ein in die Verherrlichung des dreieinigen Gottes.” „Dort, wo die Träger der Staatsmacht nach der Glorie Gottes greifen und sich mit Gottes Ansehen schmücken wollen, wird der Gottesdienst der Kirche schon durch seinen liturgischen Vollzug zu einer politischen Kampfhandlung.”

LeerÜber diesen Vortrag wird sicherlich noch manches gesagt werden müssen. Das wurde schon an der sich anschließenden lebhaften Diskussion erkennbar. Denn gerade die letzten Sätze zeigen, wie folgenschwer der Dienst des Christen an Gottes Sache auch heute ist. Immer deutlicher wird in dieser Welt die Wahrheit des Herrnwortes „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich.”

LeerUnd als die Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit Landesbischof D. Dr. Lilje zum Präsidenten der Lutherischen Kirchen wählte, wurde jedem deutlich, daß ihm ein außergewöhnliches Maß an Verantwortung auf die Schultern gelegt wurde. Auf der großen Schlußkundgebung sagte der neue Präsident die geradezu befreienden und wegweisenden Worte: „Wer das Geheimnis der Weltgeschichte, ihre Rätsel und ihr Grauen von jenem verborgenen Mittelpunkt aller Geschichte aus sieht, der das Kreuz Christi ist, der weiß, daß unsere Träume über den Menschen nur unglücklich machen, daß aber der Sohn Gottes, der die Macht des Bösen gebrochen und die Furcht des Todes von uns genommen hat, uns helfen kann, in dieser Welt wieder Gottes Welt zu erkennen und unter den Menschen recht zu leben. Diese Wahrheit wird uns frei machen.”

LeerVoraussichtlich werden die lutherischen Kirchen der ganzen Welt erst in fünf Jahren wieder zu einer Vollversammlung zusammenkommen. Wie wird dann die Weltgeschichte aussehen? Wird dann noch Frieden sein? Durch alle Gottesdienste und Gedenkstunden klang die innige Bitte zu Gott um Erhaltung des Friedens. Als an einem Abend dieser Tagung Bachs h-moll-Messe in der ehrwürdigen Marktkirche zu Hannover dargeboten wurde, klang ganz zum Schluß über die hohen Gewölbe hinauf in den Himmel Gottes als flehentlicher und doch dankbarer Bittruf der große Chorgesang „Dona nobis pacem” - Gib uns Deinen Frieden Herr! - Bekanntlich hat Bach in dieser gewaltigen Schlußbitte die Melodie des großen Dankliedes dieser Messe „Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam” (Wir danken Dir um Deiner großen Ehre willen) noch einmal aufklingen lassen, denn Bitte und Dank gehören zusammen. Das haben uns diese Tage in Hannover gezeigt: Wer sich ganz der Gnade Gottes in Jesus Christus anvertraut, der darf, wie Bischof Meiser sagte, das Haupt im Himmel, die beiden Füße auf der Erde haben und also des Friedens Gottes dankbar gewiß sein und immer mehr werden, mag auch kommen, was kommen mag!

Anm. 1: Tuch zur Verhüllung der Altargeräte

Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 218-221

Wikipedia

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-30
Haftungsausschluss
TOP