Symbol   Quatember

Startseite
Inhalt
Inhalt 1952
Jahrgänge
Autoren
Suchen


Zu den Olympischen Spielen
von Walter Uhsadel

LeerNicht weil die Olympischen Spiele mit ihrem Feuerritus noch einen Anflug heidnischer Religiosität zeigen, haben wir Veranlassung, auch in unserer Zeitschrift ein Wort zu ihnen zu sagen. Es gibt einen andern und wichtigeren Grund, uns ernsthafter mit ihnen zu beschäftigen, als es in dieser kurzen Notiz möglich ist.

LeerAuf diesen weist uns ein Vortrag, den Prof. Dr. phil. Dr. med. Johannes Sippel, Kassel, schon vor längerer Zeit - also ohne Zusammenhang mit den Olympischen Spielen - auf einer Tagung von Sportärzten gehalten hat, hin. Das Thema lautete „Leid und Krankheit - Sport und Askese”. Der Vortrag geht von dem Buche Hiob aus und versucht von dort aus den positiven Sinn von Leid und Not, Krankheit und Entbehrung zu erfassen. „Auch nach einer Krankheit sind wir reicher als zuvor. Es gibt keine restitutio ad integrum nach einer Krankheit! Wir sind andere Menschen geworden, neue Kräfte sind uns gegeben...” „Lebt nicht im Menschen urgründig diese Einsicht, daß Leid und Krankheit unabdingbar für die Erfülltheit des Lebens sind, daß Leid und Krankheit Gelegenheiten sind, die uns größer machen, Geburtsstunden, die einen neuen Menschen gebären?” Von hier aus versteht Sippel die Askese und - den Sport. „Wir lernten auf der Schule, daß die Griechen zu Ehren der Götter die sportlichen Spiele veranstalteten, den Dromos und das Pentathlon und das Boxen, alles freiwillig gewählte Kraftproben, die nicht ohne Leid und Mühsal, nicht ohne Qual, ja häufig nicht ohne Bedrohung des Lebens abliefen; denn es war ja so, daß alles geschah unter den Pfeilen des Phoibos, jenes Gottes, der die Angst in den Menschen schleudert, die phobia, und damit die Seele des Wettkämpfers aufscheucht und aufrüttelt zur Weckung der letzten Kräfte.

LeerUnd dieses ist der Sinn, der hier aufleuchtet: Wenn wir alle Kräfte durch Mühsal, Anstrengung, Schmerz, und Leid aufrufen, sie bis zum äußersten, bis zur Höchstleistung antreiben, dann geschieht es zur Ehre Gottes...” „Sport ist nichts anderes als freiwillig gesuchte Last und Qual. ... Unter der Oberfläche des billig Rationalen liegt das Irrationale. Sonst müßten wir ja darüber lachen, daß Menschen im Rund des Sportplatzes mit höchster Schnelligkeit, mit allen Kräften laufen, um schließlich am Ziel da zu sein, wo sie begannen.”

LeerDer Vortrag bleibt jedoch nicht bei dieser Bewertung der leiblichen Leistung stehen. Die Askese reicht sehr viel weiter. Sir bewährt sich auch darin, daß der Verlierende „freudig als erster zum Sieger” gebt, um ihn zu beglückwünschen, und daß in den Olympischen Spielen der Lohn nicht nur dem einzelnen zufällt, sondern seinem Volke. Der Kampf reicht über das persönliche Sein hinaus.

Linie

Leer„Was ist nun aus unserer Schau der Sport? Glauben wir wirklich, ihn in der Formel fangen zu können, daß er gesund und stark macht? Ist denn nicht gerade das Gegenteil der Fall? Setzen wir nicht bei jedem wahren Sport in jedem Augenblick Leben und Gesundheit aufs Spiel? Bedrohen den Reiter nicht Knochenbrüche und Schlimmeres; drohen nicht dem Schwimmer Erkältung und rheumatischer Schmerz; dem Springer nicht Riß der Muskeln und Zerrung der Bänder: dem Boxer nicht Entstellung und lebenslänglicher Schaden? Machen wir die Probe aufs Exempel, und fragen wir den Fußballer im Kampfgewühl vor dem Tor: Denkst du auch an deine Gesundheit? Oder uns selbst, wenn wir im Kampf um den Berg angeseilt über dem Abgrund hängen. Ich glaube, daß es dem Wesen des Sports und dem Wesen des wahren Sportarztes nicht entspricht, immer behutsam zu sein, immer zu warnen: Das darfst du nicht! Damit schadest du deiner Lunge, deinem Herzen! Du mußt gesund werden! - Damit bringen wir keinen Jungen auf den Sportplatz, ebensowenig wie die Mutter aus ihrem Jungen einen Mann macht, wenn sie ihm verbietet, über den Graben zu springen, weil die Kleider schmutzig werden; über den Zaun zu klettern, weil die Hose zerreißen kann. Der große Erzieher Salzmann hat im tiefsten recht, wenn er fordert, daß Knaben gewagt sein müssen, damit sie Männer werden.”

LeerWie schwer die sportliche Askese ist, hat sich auf den Olympischen Spielen darin gezeigt, daß wir von rauflustigen, tobenden, aber auch tief niedergeschlagenen und weinenden Verlierern hörten. Was uns aber angesichts dieser modernen Form der Askese bewegt, ist die Frage, in welchem Verhältnis sie zur christlichen steht. Hat die Askese im geistlichen Leben des evangelischen Christen etwa keinen Raum mehr, so daß sie sich als eine notwendige Lebensäußerung, ohne die es nicht nur kein Mannwerden, sondern auch kein Menschwerden gibt, verlagerte? Hat die evangelische Christenheit etwas dazu zu sagen?

LeerIm Schlußwort des Lutherischen Weltkonventes grüßte Bischof Lilje die Christen auch der andern Konfessionen. Daß das mit jener Selbstverständlichkeit geschah, in der er es tat, war ein erfreuliches Zeichen. Aber wie wäre es gewesen, wenn er auch ein Wort nach Helsinki hinüber gesprochen hätte, wo man zur gleichen Stunde die gemeinsamen Tage beendete? Gewiß, es wäre überraschend gewesen. Aber hätte man es als abwegig empfinden müssen? Ich vermute, er hat nur nicht daran gedacht. Er hätte sicher das rechte Wort gefunden. Schade! Aber die Aufgabe bleibt.

Es war mein Wunsch, das Referat von Prof. Sippel in diesem Michaelisbrief zu veröffentlichen. Da es angesichts des bescheidenen Raumes unserer Hefte zu umfangreich war, mußte ich meine Absicht fahren lassen. Aber ich hoffe, daß die Leser doch auch aus dem Hinweis entnehmen, daß hier eine der wichtigsten Aufgaben evangelischer Seelsorge sichtbar wird.

Evangelische Jahresbriefe 1952, S. 220-222

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-09-30
Haftungsausschluss
TOP