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Ein „evangelischer” Katholikentag
von Erich Müller-Gangloff

LeerEine ökumenische Bewegung, die die Kirche von Rom völlig aus dem Blickfeld ließe, wäre eine illusorische Sache und in der Gefahr, in einer innerprotestantischen Betriebsamkeit zu enden. Daher darf, so harthörig sich die römische Kirche immer wieder gegenüber unserem Fragen verhält, doch unser Bemühen um sie nie zu Ende kommen. Und hie und da geschieht es dann doch wider alles Erwarten, daß auch einmal eine Brücke vom anderen Ufer zu uns herüber gebaut wird und in ganz vagen Umrissen so etwas wie eine endzeitliche Una Sancta, ein einiges Volk Gottes, sichtbar wird.

LeerDer diesjährige Katholikentag in Berlin war eines jener merkwürdigen Zeichen auf dem Wege, den Gott mit seinem Volk geht, das in allen seinen vielen Stämmen nicht weniger störrisch und widerspenstig als voreinst das Gottesvolk des Alten Bundes ist. Dieser Katholikentag war schon an sich ein bedeutendes Ereignis, vielleicht noch bedeutender als der Berliner Evangelische Kirchentag im Jahr zuvor. Denn die annähernd hunderttausend Katholiken, die zu dieser Begegnung aus dem ganzen deutschen Osten zusammenströmten, konnten nicht wie die Teilnehmer unseres Kirchentages Sonderzüge benutzen, sondern kamen mühselig genug auf den sehr unzulänglichen normalen Fahrgelegenheiten, teilweise auch mit dem Fahrrad oder zu Fuß nach Berlin. Und sie kamen auch aus dem Westen in einer Zahl, die die des Evangelischen Kirchentages von Berlin weit übertraf.

LeerDiese rein äußeren Fakten sind beachtlich genug; was dem Berliner Katholikentag aber seine besondere Prägung und einmalige Bedeutung gab, war etwas, was man kaum anders bezeichnen kann denn als einen gewissen „evangelischen” Grundzug. Auch dafür kann man zunächst äußere Fakten anführen. So wie im vergangenen Jahr von den katholischen Kanzeln herab die Aufforderung ergangen war. Quartiere für die Kirchentagsgäste bereitzustellen, so wurde jetzt umgekehrt die großzügigste Gastfreundschaft gewährt. Als die Behörden den Katholiken die großen Ostberliner Versammlungsstätten verweigerten, stellte ihnen Bischof Dibelius die Marienkirche, die zur Zeit größte evangelische Kirche Berlins, zur Verfügung. Und das riesenhafte Kreuz, unter dem drei katholische Großveranstaltungen im Olympia-Stadion gehalten wurden, war das gleiche, das im vergangenen Jahr die Schlußkundgebung des Evangelischen Kirchentages überragt hatte. Vor allem aber waren viele Tausende evangelischer Christen aus der Ostzone, denen es verwehrt war, nach Stuttgart zu fahren, stattdessen zum Berliner Katholikentag gekommen.

LeerDas ergab von vornherein eine ganz ungewöhnliche Atmosphäre konfessioneller Versöhnlichkeit, die jedes ungute Wort und schon gar alle Taktlosigkeit ausschloß. Aber dabei blieb es nicht. Schon bei der Eröffnungsfeier des ersten Tages fand das Wort der Begrüßung, das der Magdeburger Präses Kreyssig als Vizepräsident des Evangelischen Kirchentages sprach, einen Beifall von ganz unerwarteter, ja geradezu ungestümer Herzlichkeit. Als dann tags darauf Robert Grosche in der Arbeitsgruppe, die die Frage der kirchlichen Einheit behandelte, die Anregung gab, der Katholikentag möge ein Grußwort an die in Lund versammelte Ökumenische Konferenz evangelischer Kirchen richten, fand er damit ebenfalls derart begeisterte und spontane Zustimmung, daß hernach in der Tat ein solches Grußwort erging. Ganz offenbar war der Wille zur Gemeinsamkeit mit den getrennten Brüdern bei der großen Überzahl der Versammelten so stark, daß er auch die innerlich Widerstrebenden mit fortriß.

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LeerAber nicht allein das katholische Kirchenvolk bekannte sich mit solcher Spontaneität zur umfassenden Gemeinschaft des Gottesvolkes, auch von hoher und höchster kirchlicher Instanz wurden in Berlin Worte von einer erstaunlichen Offenheit und Brüderlichkeit gesprochen. Vor allem machte sich Wilhelm Weskamm, der neue Bischof von Berlin, der zuvor als Weihbischof in Magdeburg in einer nahen brüderlichen Beziehung zu Präses Kreyssig stand, immer von neuem zum Sprecher solchen versöhnlichen Wollens. Bei der abschließenden Kundgebung im Olympia-Stadion wagte er Formulierungen von solcher Kühnheit, wie sie uns bisher kaum je von katholischer Seite und schon gar von einem Glied der römischen Hierarchie bekannt geworden sind: „Die Kirche ist eine, durch einen Herrn und durch eine Taufe. Was uns trennt, ist von dieser Welt. Was uns eint, ist der Herr, der Glaube an seine Verheißung und seine Kraft.” Die Katholiken hätten, fuhr er fort, in diesen Tagen so viel Liebe, Brüderlichkeit und Herzlichkeit von evangelischer Seite erfahren, daß sie des Glaubens seien, das Reich Christi sei hier in Berlin gewachsen: „Wenn zwischen uns seit Jahrhunderten Gräben aufgeworfen wurden, dann muß man Brücken bauen. Das Kreuz ist eine solche Brücke. Wenn wir den Herrn ehrlich suchen, dann werden wir den Herrn, aber auch den Bruder finden.”

LeerIn einem Punkte allerdings ergab sich ein ausgesprochen zwiespältiger Eindruck: es war für einen evangelischen Christen als Teilnehmer schlechthin unerträglich, an den gesungenen Liedern erkennen zu müssen, wie tief der deutsche Katholizismus noch dem kirchlichen Kitschstil des vergangenen Jahrhunderts verhaftet ist. Es ist kaum verständlich, daß die gleiche Kirche, aus der ein so begnadeter Dichter wie Paul Claudel hervorgegangen ist, ein auch musikalisch so unmögliches Lied wie „Ein Haus voll Glorie” nicht nur duldet, sondern bei jeder nur möglichen Gelegenheit singen läßt. Hier hätte ein wenig mehr „Evangelizität” nicht geschadet, obwohl zuzugeben ist, daß es im Liederheft des Berliner Katholikentages an gutem evangelischem Liedgut durchaus nicht gefehlt hat.

LeerMan darf solche merkwürdigen Zeichen, wie sie auf diesem Katholikentag gegeben wurden, gewiß nicht überschätzen, aber man sollte sie noch viel weniger bagatellisieren. Auf jeden Fall wäre es unwürdig, zu meinen, es ginge den Katholiken um nichts anderes als eine taktische Bundesgenossenschaft angesichts eines als bedrohlich empfundenen gemeinsamen Gegners. Gewiß ist es zu einem wesentlichen Teil die gemeinsame Not, die die widerstrebenden Glieder am Leibe Christi zueinander bringt. Aber warum sollte nicht auch diese Not ihre Verheißung haben, indem sie die Katholiken neu zum Evangelium führt und zugleich die evangelischen Christen lehrt, daß katholisch zwar gewiß mehr als römisch heißt, daß aber die allgemeine, die katholische Kirche, zu der sie sich in ihrem Credo bekennen, auch die Glieder der Kirche von Rom notwendig mit einbegreift.

Quatember 1953, S. 38-40

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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