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Hermann Schneller |
Mit der Arbeit des ehemaligen „Syrischen Waisenhauses” im „Heiligen Land” sind wir durch die Person seines Leiters, unseres Freundes P. Hermann Schneller. in besonderer Weise verbunden. Vor 15 Jahren traf ich in der Schweiz einen jungen Araber, der mir beglückt von den arabischen Übersetzungen unserer gottesdienstlichen Ordnungen, besonders des damaligen „Gebets der Tageszeiten” erzählte; das sei endlich eine Form christlicher Gebete, in der sie als arabische Christen heimisch werden könnten. Doch ist diese besondere Verbindung nicht der einzige Grund, warum wir diese deutsche Arbeit im „nahen Osten” mit besonderer Anteilnahme begleiten. Durch den Waffenstillstand, den die arabischen Länder 1948 mit dem Staate Israel schlössen, wurde das Land in zwei Teile zerrissen. Der Staat Israel bekam die Küstenebene, das Südland von Berseba bis Akaba, den Westabhang des Gebirges und ganz Galiläa, während den Arabern nur das samaritanische und judäische Bergland mit den wüstenhaften Ostabhängen und die Jordansenke von Besan bis zum Toten Meer verblieb. Jerusalem wurde so geteilt, daß der Westen, die Neustadt, an Israel fiel, während die Altstadt und der Nordosten der Neustadt arabisch blieben. Der Ölberg wurde neutralisiert und untersteht besonderen Bestimmungen. Der arabisch gebliebene Rest des Westjordanlandes wurde voriges Jahr mit Transjordanien vereinigt, das sich seither Jordanien nennt und das auch den Schutz der heiligen Stätten übernommen hat. Diese Teilung des Landes betraf auch die christlichen Kirchen. Während vorher alle Kirchen Gemeinden in Palästina und Transjordanien gehabt hatten, die sie von einem Mittelpunkt aus, meistens von Jerusalem aus, verwaltet hatten, lagen nun Gemeinden diesseits und jenseits der neuen Grenze. Da beide Teile streng gegeneinander abgeriegelt sind, so ist nun eine gemeinsame Leitung der in Israel und der in Jordanien liegenden Gemeinden nicht mehr möglich. Außerdem hat sich eine erhebliche Umschichtung der Bevölkerung vollzogen. Während des arabisch-israelischen Krieges flohen große Teile der arabischen Bevölkerung vor den vorrückenden israelischen Armeen nach Osten und Norden. Sie lebten zuerst unter den erschreckendsten Umständen unter Bäumen und in Felshöhlen oder auch einfach im Freien, bis sie in Lagern untergebracht und von dem Internationalen Roten Kreuz mit Lebensmitteln, Kleidern und Arzneimitteln versorgt wurden. Später übernahm dann die Flüchtlingsorganisation der Vereinigten Nationen diese Lager und versuchte auch sonst, das Los der Flüchtlinge zu erleichtern. Allerdings sitzen trotz all dieser Bemühungen die Flüchtlinge noch zu Zehntausenden in den Lagern, meistens in elenden Zelten, ohne Hoffnung auf eine baldige Besserung ihrer Lage, oft auch ohne den Willen, sich wieder eine Existenz aufzubauen, erfüllt nur von dem einen Wunsch, wieder in ihre alten Wohnsitze zurückzukehren. Und dieser Wunsch ist nicht erfüllbar. Andere Kirchen haben eine eigene Synode eingesetzt, die die Restgemeinden in Israel leitet. Selten genug können sie Besuch von den Hauptkirchenleitungen in der Altstadt Jerusalems bekommen, da die Grenze nur wenigen Bevorzugten geöffnet wird, und doch sollten gerade diese Gemeinden den Rat und die Hilfe der Kirchenleitung haben. Die meisten Kirchen in Palästina, besonders die altansässigen, hatten einen umfangreichen Grundbesitz, ein Kirchengut, von dessen Einkünften die Gemeinden und ihre Pfarrer unterhalten wurden. Ein großer Teil dieses Besitzes liegt in Israel, so daß die Einkünfte nicht mehr an die Kirchenleitungen gelangen. Vielmehr wird dieses Kirchengut wie auch aller andere Besitz, dessen Herren außerhalb der Grenzen Israels sind, von einem Treuhänder verwaltet, der zur Zeit an die Eigentümer nichts ausbezahlt. Erst wenn zwischen Israel und den arabischen Staaten ein Friedensschluß zustandekommt, wird sich zeigen, ob dieses Kirchengut wieder für die Gemeinden verfügbar wird oder nicht. Dadurch sind alle Gemeinden verarmt und können ihren Restgemeinden in Israel sowie ihren Flüchtlingen in Jordanien nicht die Hilfe zuteil werden lassen, die sie jetzt brauchen würden. Denn allen Kirchen sind durch die Flüchtlinge neue, große Aufgaben zugewachsen. Viele Gemeinden in Jordanien haben sich durch den Zustrom von Gemeindegliedern aus dem israelischen Territorium stark vergrößert. Durch die finanzielle Notlage konnten all diese Aufgaben nur zu einem kleinen Teil gelöst werden. So blieben manche Schwierigkeiten ungelöst, ganz besonders war die Erziehung und Schulung der Flüchtlingskinder nach wie vor ein Problem. Die verarmten Flüchtlinge konnten das Schulgeld für die meisten Schulen nicht aufbringen, in die islamischen Regierungsschulen mochten sie sie nicht schicken. Die wenigen Freiplätze in den Missionsschulen fielen kaum ins Gewicht. Da war es nicht zu verwundern, daß in den christlichen Gemeinden der Wunsch erwachte und mir und dem Vorstand des früheren Syrischen Waisenhauses nachdrücklich zur Kenntnis gegeben wurde: Wir möchten, daß auch in Jordanien wieder ein Zweig des Syrischen Waisenhauses aufgemacht wird! Laßt uns jetzt nicht im Stich. Wir brauchen euch heute nötiger denn je. Schon früher war ja das Syrische Waisenhaus die Zuflucht vieler verwaister und armer Kinder in Palästina gewesen und hatte ihnen gegen geringes Schulgeld oder ganz umsonst eine gründliche Ausbildung in einem Handwerk oder im Lehrerberuf gegeben. Verließen diese Kinder nach Abschluß ihrer Ausbildung die Anstalt, so traten sie an ihren Arbeitsplätzen den evangelischen Ortsgemeinden bei, die sehr häufig der bischöflichen Kirche angehörten. Sie waren ein sehr willkommener Zuwachs für diese Gemeinden und brachten meistens Lust und Liebe zum kirchlichen Leben mit. Ihre Kenntnisse stellten sie in den Dienst ihrer neuen Gemeinden und wirkten im Kirchenchor, als Organisten, als Küster, ja zuweilen als Lektoren und selbst als Hilfsprediger in den Gottesdiensten mit. Das ergab auch eine sehr herzliche Beziehung zwischen der Anstalt und den christlichen Gemeinden im Lande, ganz besonders den bischöflichen, die so manche Förderung durch die früheren Zöglinge der Anstalt erfuhren. Zugleich gewann die Arbeit der Anstalt einen fast ökumenischen Charakter, und wenn heute in manchen Kreisen der evangelischen Gemeinden die Frage erwogen wird, ob sich nicht alle evangelischen Gemeinden des Nahen Ostens zu einer einheitlichen Kirche zusammenschließen sollen, so ist das zum Teil auch eine Wirkung der Arbeit des Syrischen Waisenhauses. Wenn es auch noch lange dauern wird, bis es so weit kommt, da die Unterschiede zwischen den Gemeinden in Syrien und im Libanon und denen in Jordanien doch ziemlich erheblich sind, so werden doch, wenn diese Frage einmal ernsthaft erörtert wird, die früheren Schüler des Syrischen Waisenhauses wegen ihrer biblischen und liturgischen Schulung ein gewichtiges Wort mitzusprechen haben. Die abendländische Christenheit aber sollte trotz ihrer eigenen Nöte die arabischen Gemeinden im Nahen Osten nicht vergessen, sondern ihnen mit brüderlicher Hilfe nahe sein. Denn sie sind der Vorposten der christlichen Kirche in der immer selbstbewußter erwachenden islamischen Welt, die vielleicht einmal die Träger der Mission und Zeugen Jesu Christi unter ihren mohammedanischen Landsleuten werden sollen. Quatember 1953, S. 44-47 [Geschichte des Syrischen Waisenhauses] |
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