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Der Weg zum „Quatember”
Eine Zeitschrift sucht ihren Namen
von Erich Müller-Gangloff

LeerJeder des Schreibens einigermaßen Kundige weiß, welche Not die Suche nach einem guten und sinnkräftigen Titel schon bei einem einfachen Aufsatz bereiten kann. Wer je Bücher geschrieben hat, wird bestätigen, daß sich diese Not mit dem Umfang des Gegenstandes nur noch zu vergrößern pflegt; schon mancher gute Buchtitel, der dann ein Stück Literatur-und Geistesgeschichte geworden ist, wurde erst längst nach Abschluß des Werkes - hin und wieder von einem aufgeweckten Verleger - formuliert. Zweifellos am schwierigsten aber ist die Aufgabe, einen anziehenden, brauchbaren und wirkungskräftigen Titel für eine Zeitschrift zu finden. Und am allerschwierigsten ist es endlich, eine schon bestehende Zeitschrift umzubenennen, weil hier ganze Scharen bisheriger Leser als Kritiker bereitstehen, ein vernichtendes Votum abzugeben.

LeerVor dieser schwierigsten aller Benennungsaufgaben standen zu Beginn dieses Jahres diejenigen, die sich für die Leitung der „Evangelischen Jahresbriefe” besonders verantwortlich wissen. Es war von mancher Seite, vor allem vom Verlag, Kritik an der bisherigen Gestalt der Zeitschrift laut geworden. Es fehlte nicht an sehr gewichtigen Stimmen aus der Evangelischen Michaelsbruderschaft, die ernstlich erwogen, ob die Zeitschrift fortgeführt werden sollte. Im Hin und Her der Meinungen kam es zu dem Entschluß, die Jahresbriefe zwar weiterzuführen, aber innerlich und äußerlich so umzugestalten, daß sie zum Träger eines unanfechtbaren und unaufgebbaren Auftrages würden. Zu diesem Zweck sollte neben vielen anderen vorgesehenen Änderungen auch ein neuer Titel gefunden werden.

LeerEbendies, was zunächst am wenigsten problematisch erschienen sein mochte, erwies sich zuletzt als die schwierigste, schien zeitweise sogar eine unlösbare Aufgabe. Eine neue, weitergreifende Programmatik wurde bald gefunden, die erstrebte Ausweitung des Mitarbeiterkreises hatte erfreuliche Erfolge, auch ein neuer Schriftleiter konnte ausfindig gemacht werden, aber die Namengebung erwies sich je länger als um so schwieriger. Titel um Titel wurde vorgeschlagen, erwogen, diskutiert, oft lange und heftig umstritten, um schließlich doch aus zwingenden Gründen verworfen zu werden.

LeerEin Dutzend und mehr Namen wurden in dieser Weise ernsthaft bedacht und debattiert, und da eigentlich in jedem dieser Namen etwas von dem mit anklang, was in der neuen Gestalt der „Jahresbriefe” zum Ausdruck kommen soll, ist es vielleicht nicht ohne Reiz, diese Namensreihe vor dem rückschauenden Auge Revue passieren zu lassen. Vermutlich wird jeder dieser Namen bei unseren Lesern eine gewisse Anhängerzahl, jeder aber auch eine wahrscheinlich noch größere Zahl überzeugter Gegner finden. Auf die Gefahr hin, ein Tohuwabohu widerstrebender Meinungen zu entfesseln, seien hier die wichtigsten Stadien unserer Namenssuche verzeichnet.

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LeerWilhelm Stählins erster Vorschlag war: Symbolon in Anlehnung an einen früheren Plan, eine Zeitschrift mit dem Titel „Symbol” zu begründen. Die griechische Namensform hat den Vorzug, das in diesem Wort ausgesagte Zusammenführen im Gegensatz zum Tun des Diabolos aufs deutlichste auszusprechen. Doch wurde von den meisten ein so gelehrter Titel als dem Leserpublikum nicht zumutbar empfunden. Man entschied sich daher für Trinitas, weil die Beziehung auf die Trinität in einem Worte gesammelt die Fülle einer gar nicht ausschöpfbaren Programmatik enthält. Es galt viele Wochen lang als ausgemacht, daß die neue Zeitschrift so heißen werde, bis sich immer wachsende Bedenken meldeten, ob man mit einer solchen Titelwahl nicht eine Inflation der Werte treibe: wenn die Trinität in beliebig viel Exemplaren beim nächsten Buchhändler gekauft werden kann, dann hat man Gold zur Scheidemünze gemacht - das durften gerade wir nicht tun. Nun aber war guter Rat erst richtig teuer geworden. Es begann ein emsiges und lebhaftes Suchen - schließlich mußte das, was wir wollen, doch in einem einigermaßen angängigen Titel aussprechbar sein.

LeerEs fehlte auch nicht an guten und bis zu einem gewissen Grade überzeugenden Vorschlägen. So fand der Name Schola einige Zustimmung, weil er mehrere sinnvolle Deutungen erlaubt und auf die Grundbedeutung Muße zurückweist. Dem Verlag war auch dieser Titel noch zu gelehrt. Dann wurde als deutscher Titel Die Stille vorgeschlagen, aber dagegen gesagt, daß man von Stille besser nicht reden, sondern sie realisieren solle. Der Name Meditation, der aus vielen Gründen nahelag, wurde abgelehnt, weil dieses Wort heute noch zu vielen Fehldeutungen unterliegt, zudem auch die Aufgabe der Zeitschrift zu sehr eingeengt hätte. Das gleiche gilt wohl für Die Mitte, weil es einiger Überzeugungskraft bedarf, um einem Fernerstehenden zu bedeuten, daß mit der Mitte Christus gemeint sei. Auch der Vorschlag Persona fand leider wenig Gegenliebe, obwohl wir mit diesem Titel am nächsten an Trinitas herangekommen wären, ohne die Gefahr einer Wertinflation. Auch Das Ebenbild wurde nicht akzeptiert, weil dieser Titel, obwohl deutscher Sprache, zu viel theologisches Vorausdenken fordere. Ähnlich erging es dem Vorschlag Laos, bei dem an das Gottesvolk alten und neuen Testamentes gedacht war; Wilhelm Stählin meinte, darunter würden sich manche Leser am ehesten einen sagenhaften griechischen König vorstellen.

LeerMit jedem neu auftauchenden Namen wurde die Aufgabe der Namenswahl eher noch schwieriger. Nicht nur, weil sich mit dem Wählen schon im Sprichwort quälen reimt, sondern weil schlechthin keiner der vorgeschlagenen Namen durchschlagende Überzeugungskraft hatte. Am ehesten hätte das noch für Ordo gelten können, aber gerade dieser Name war nicht mehr frei, weil er einem volkswirtschaftlichen Jahrbuch als Obertitel dient. Man hätte ersatzweise an Communio denken können, zumal sich in Frankreich unter der Bezeichnung communauté eine ganze Bewegung entfaltet hat, aber das hätte wiederum zu gelehrt geklungen. Das deutsche Wort Bruderschaft aber als Titel programmatisch in den Mittelpunkt zu rücken, verbot sich aus vielerlei Gründen.

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LeerSo waren wir nach Monaten emsigen Suchens auf einer Tagung in Assenheim im Mai so weit, beschämt zuzugestehen, daß wir keinen genügend überzeugenden Titel gefunden hätten, um ihn vorzuschlagen. Wir kehrten resigniert zum alten Namen zurück und fragten uns nur mit einiger Skepsis, ob es uns wohl gelingen werde, unser neues Planen unter jenem alten Namen auch genügend sinnfällig zu machen. Wir brauchten uns des alten Namens gewiß nicht zu schämen, aber wenn es denn eine neue Sache sein sollte, mit der wir beginnen wollten, dann wäre ein Name, dessen waren wir uns voll bewußt, schon eine gewichtige Hilfe gewesen.

LeerDie Entscheidung war längst in dieser negativen Richtung gefallen, Rat und Kapitel der Bruderschaft hatten sich auf sie festgelegt, Herausgeber und Schriftleiter hatten weitere Titelbemühungen als aussichtslos aufgegeben, als wider alles Erwarten bei einer abschließenden Besprechung zwischen Herausgeber, Schriftleiter und den beiden Verlegerbrüdern, die ganz anderen Gegenständen gewidmet war, doch noch ein neuer Titel sich aus dem Gespräch entfaltete. Es erhob sich die Frage, ob der vorgesehene neue Erscheinungstermin der Jahresbriefe - je ein Heft zu Weihnachten, Ostern, Johannis und Michaelis - nicht den Titel QUATEMBER rechtfertigte. Denn diese Erscheinungsdaten sind genau die quatuor tempora des Kirchenjahres. Sie kennzeichnen die Jahreszeiten des Kirchenjahres und waren daher in Zeiten, wo das bürgerliche Jahr noch vom Kirchenjahr her bestimmt war, auch Termine für viele weltliche Geschäfte wie Entrichtung von Steuern, Zahlung von Rechnungen u. ä. Auch waren alte kirchliche Bußtage mit diesen Quatemberterminen verbunden, was sich in der römischen Kirche zum Teil noch im Brauch des Quatemberfastens, auch Weihfasten oder Fronfasten genannt, erhalten hat.

LeerEs ließe sich noch vieles Interessante über Quatember sagen, und wir werden wahrscheinlich in einem der nächsten Hefte eine gründliche Betrachtung über die quattuor tempora bringen. Hier interessiert uns zunächst nur die Frage, wieso das nun in der Tat der so lange vergeblich gesuchte einleuchtende und überzeugungskräftige Name für eine neue Zeitschrift ist.

LeerWir wissen, es läßt sich gar vieles dawider sagen, und sind auch keineswegs der Meinung, daß dieser Titel nun wie eine Bombe einschlagen und landauf, landab zum Tagesgespräch werden müßte. Wir sind keine Illusionisten. Das, was wir zu sagen haben, ist ohnehin nicht von der Art, daß es mit dem Einschlagen von Bomben zu tun haben möchte. Wir hoffen-vielmehr auf besinnliche, nachdenkensfähige und -bereite Menschen, auf Menschen, die noch fragen können und die von einem Titel wie Quatember zum Fragen veranlaßt werden, was das nun wohl sei, und die dann vielleicht entdecken möchten, daß es etwas für sie Geschriebenes ist, was sich hinter diesem merkwürdigen Titel verbirgt.

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LeerEs mag wohl einige geben, denen dieser Titel zu „katholisch” klingt. Das will uns aber kein gar so großer Schade scheinen, weil es wahrscheinlich ein probates Abschreckungsmittel für all jene ist, die noch mit dem protestantischen Katholikenkomplex von gestern behaftet sind und die wir uns offen gestanden nicht extra als Leser wünschen.

LeerUnd wer gar meint, ein Titel müsse doch unbedingt etwas über das aussagen, was die Zeitschrift erstrebt und verficht, den möchten wir fragen: was heißt denn genau genommen Kunstwart, was heißt Deutsche oder Neue Rundschau, was heißt Merkur, was Hochland oder Stimmen der Zeit? Sind das nicht alles im Grunde ganz nichtssagende Namen und bezeichnen doch Zeitschriften, mit denen jeder Gebildete einen Begriff der Wertschätzung verbindet oder verband? Es kommt eben offensichtlich nicht entscheidend auf den Namen an, sondern auf die Sache, die mit ihm zum Ausdruck gebracht wird. Der Name einer Zeitschrift ist wie ein Gefäß, das erst durch seinen Inhalt seinen Wert erhält.

LeerDas Wort Quatember aber ist ja gar nicht so nichtssagend wie die meisten der eben aufgeführten Namen. Es hat sogar einen sehr feinen Hintersinn, den wir den bloß neugierigen Fragern gerade nicht verraten werden. Mögen sie sich ruhig die Köpfe zerbrechen. Die meisten eines souveränen Urteils fähigen Frager aber haben bisher in einer merkwürdigen, ja beinahe kuriosen Gleichförmigkeit auf den Vorschlag, die Zeitschrift Quatember zu nennen, reagiert: zuerst verblüfft und teilweise zur entrüsteten Ablehnung geneigt, wurden sie bald nachdenklich, und je weiter sie nachdachten, um so kräftiger wurde ihre Überzeugung, daß damit unter allen bedachten Möglichkeiten die beste Titelwahl getroffen worden sei.

LeerAn denen aber, die für diese Zeitschrift verantwortlich sind, wird es nun liegen, dieses Wort Quatember, das an sich nur wenig und vielen gar nichts sagt, mit einem Inhalt zu füllen, daß es zu einer ganz unverwechselbaren Sache wird. Das können wir nicht versprechen, aber wir werden alles dazu tun, was in unsern Kräften steht.

Quatember 1953, S. 62-64

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-02-05
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