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Die Alba in der Mark Brandenburg
von Winfried Wendland

LeerIn der evangelischen Kirche Deutschlands ist es fast selbstverständlich, wenn der Pfarrer am Altar nur den Talar trägt. Es ist nicht immer so gewesen. Was man gar nicht vermuten sollte: gerade die Mark Brandenburg hat hierin lange Zeit eine Ausnahme gemacht. Als der Kurfürst Joachim II. 1539 den Übertritt zum Luthertum vollzog, ging er sehr vorsichtig, ja zaghaft vor, und beließ fast alle alten kirchlichen Gebräuche, die „Ceremonien”, in der herkömmlichen Form. Bekannt, ja berühmt ist Luthers Brief an den Kurfürsten, der ihn hierüber um seinen Rat gebeten hatte, in dem er in gütig-humorvoller Weise alles „gestattet” - wenn nur das lautere Evangelium selbst seinen Weg in die Herzen der Gemeinden finden kann.

LeerSo blieben Meßgewänder, Salböl und Weihrauch noch lange in den brandenburgischen Gemeinden in Gebrauch. Langsamer als anderswo kamen sie zum Schwinden. Aber schließlich kam auch hier der neue Geist zum Siege, der nichts mehr vom Mysterium weiß, von dem Geheimnis des fleischgewordenen Gottes, das sich im Altarsakrament immer wieder erneuert und nicht nur Brot und Wein ergreift, sondern im Ganzen der Liturgie, in Wort und Ton, Gewand und Raum und Gebärde sich ausspricht. Die ganze Tragik des Zweifrontenkampfes Luthers, die uns aus seinen späteren Schriften, besonders aus den gewaltigen Abendmahlsschriften so erschütternd ans Herz greift, daß er einerseits die dämonisch-maskenhafte Erstarrung des liturgischen Unwesens der spätmittelalterlichen Kirche hinwegfegen mußte, daß er damit aber andererseits Geister rief, die er nie gewollt hatte, die nämlich früher oder später das ganze Geheimnis der Inkarnation, der Fleischwerdung des „Wortes” in dem Menschen Jesus und in dem „Leibe Christi”, der Kirche, und besonders in dem Grundmysterium der Kirche, dem Abendmahl, verwerfen sollten, zeichnet sich auch in der Geschichte der gottesdienstlichen Gebräuche in der Mark Brandenburg ab.

LeerGanz verschiedene, aber innerlich verwandte Kräfte reichen sich zu diesem großen Abbau die Hand: das aus dem werdenden preußischen Staate seine Kräfte beziehende Staatskirchentum, stark durchsetzt von den reformierten Einflüssen, die durch das zum Calvinismus konvertierte Herrscherhaus einströmen, der anwachsende Rationalismus und der allem Leiblichen abholde, mehr im Seelischen lebende Pietismus und die eigentümliche religiöse Unbewegtheit der Märker. Es scheint, als ob die Märker sich von jeher die religiösen Entscheidungen zu leicht gemacht hätten. Mit ihren wendischen Fürsten nahmen sie im ganzen - anders als die Pommern oder Preußen - friedlich und willig das Christentum an, folgten Joachim II. in die Reformation und dann seinen Enkeln und Urenkeln ebenso friedlich und willig in den Rationalismus und die Union.

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LeerMärtyrer gibt es in der Mark Brandenburg nicht. Aber immerhin: erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist hier die Alba im Schwinden. Noch der Großvater des Schreibers dieser Zeilen hat sie am Ende des Jahrhunderts als Landpfarrer im Kreise Teltow südlich von Berlin getragen, wenn auch nur noch kurze Zeit. Heute verwendet man sie noch in der St. Marienkirche in Berlin und einzelnen Tochterkirchen, wie der Sophien- und der Immanuelkirche in Berlin. Vor dem Kriege war sie auch in der schönen alten St. Nikolaikirche, die heute zerstört ist, und in der Spandauer Nikolaikirche üblich. Im Lande Brandenburg wird sie meines Wissens nur noch in der Marienkirche in Gransee, nördlich von Berlin, getragen.

LeerEs ist rührend zu sehen, mit welcher Energie sich die Gemeindekirchenräte manchen Versuchen, den letzten alten Brauch verschwinden zu lassen, widersetzen. Denn ein wirkliches eindringendes Verständnis dafür, warum in der Schrift dort, wo der Seher die Wirklichkeit der Neuen Welt Christi schaut, von „weißen Kleidern” die Rede ist, ist ja auch bei den gutmeinenden Verfechtern ehrwürdiger Traditionen nicht vorhanden. Und die „Alba”, die sie verteidigen, ist meist nicht einmal mehr eine Alba, sondern nur ein weißes Superpellizium. (Die Alba ist ein langes, weißes, langärmeliges geschlossenes Grundgewand, aus der antiken Tunika hervorgegangen, während das Superpellizium meist ärmellos oder doch kurzärmelig ist, mit weitem Ausschnitt und an den Seiten oft mehr oder weniger aufgeschlitzt, damit es bequem über den Talar gezogen werden kann.)

LeerAber immerhin: noch ist ein „weißes Kleid” da! Und der Diener Christi erscheint nicht in der Farbe des Todes und der Finsternis. Freilich: um solche „Traditionen” zu „beleben”, wird mehr nötig sein, als daß man, ohne ihren Ursprung zu kennen, sie aufrecht erhält oder wieder einführt. Es ist ein „Umsinnen” (Metanoein) nötig. Man kann, wenn man Christus dienen will, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, die äußere Gestaltung, Raum, Sprache, Ton, Gebärde und Gewand nicht außerhalb der Einflußsphäre Christi belassen. Von der Lebensführung erkennt man das wenigstens theoretisch an; ein Christ muß auch „danach leben”. Aber bei der Gestaltung des Gottesdienstes meint man immer noch, das Wie sei unerheblich, wenn nur das „Wort” in theologisch richtigen Formulierungen erklingt.

LeerDoch das ist ein Rückzug in eine ohnmächtige Gedankenabstraktion. Wie das Leben in der Nachfolge ein Leben „wie im Himmel” ist, so muß auch das Handeln im Gottesdienst „wie im Himmel” geschehen „also auch auf Erden”. Und die äußere Sinnenwelt, in der wir hier leben, ist dem Menschen dazu anvertraut, daß er sie heilige, ihr den Stempel des „Himmelreiches” und das heißt Christi selbst aufpräge. Weil Christus uns die einst im Sündenfall erloschene Lichtherriichkeit Gottes im Menschen wiedergebracht hat, stehen die Heiligen vor dem Lamme in „weißen Kleidern” - im Himmel wie auf Erden. Daß wir uns in diese Zusammenhänge wieder hineintasten dürfen, gerade in dem Augenblicke, wo nur noch an einzelnen Stellen Reste einer alten Überlieferung sich hinschleppen, bis das neue Leben erstarkt im Gottesdienst der Kirche wieder zu strömen beginnt, ist uns ein tröstliches Zeichen dafür, daß Gott Seine Kirche noch nicht aufgegeben hat.

Quatember 1953, S. 93-94

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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