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von Friedrich Heyer |
Eau vive Communauté de Grandchamps Die französisch sprechende Welt ist dem Entstehen von Gemeinschaften bruderschaftlichen Lebens nicht gerade günstig. Die reformierte Kirche hat ihre Glieder zu einem Typus geprägt, der seine Vocation in Familie und Beruf erfüllt. Das Leben in liturgischen Ordnungen ist unbekannt. Dennoch stehen wir plötzlich vor dem Entstehen einer reformierten Bruderschaft und Schwesternschaft, bei denen wir trotz ihrer zahlenmäßigen Kleinheit empfinden, daß hier für den großen Bereich der Reformationskirchen die Antwort auf die Frage errungen wird, ob, wo jede verdienstliche Absicht des monastischen Lebens gelöscht ist, die Verwirklichung der Bruderschaft in Christus ein Recht habe. Auch im katholischen Frankreich handelt es sich, wo man sich zum brüderlichen Leben vereinigt, um Neugründungen. Die historischen Orden, am 13. Februar 1790 von der assemblée nationale aufgelöst, fanden in jenem napoleonischen Konkordate von 1801, welches die Beziehungen von Staat und Kirche bis zum Trennungsgesetz von 1905 regelte, keine Erwähnung. Das gab ihnen, wo sie sich in der Restauration wieder begründet hatten, die unsichere Stellung als „nichtautorisierte” Orden, bis 1902 der antiklerikale spiritualistische Häretiker auf dem französischen Ministerpräsidentenstuhl, Emile Combes, diese Lage dazu ausnutzte, die Orden aus der laisierten dritten Republik auszuschließen und die letzten Reste des Mönchstums ins Ausland zu treiben. Die Wirkungen jedes der beiden Weltkriege förderten jedoch ein neues Ordenswesen in Frankreich, und es verdient unser Aufmerken, daß sich dabei nicht nur die historischen Formen des katholischen Ordenslebens wiederholen und die kontemplativen Gemeinschaften den größeren Zustrom finden, sondern daß auch ganz neue Formen bruderschaftlichen Lebens entstehen. Nun zu Eau vive: In Etiolles und im benachbarten Soisy-sur-Seine haben sich eine Anzahl wichtiger katholischer Stiftungen angesiedelt, denen Dominikaner vorstehen: das Theologiestudium des Ordens, Le Saulchoir, wurde während des zweiten Weltkrieges aus Belgien ins Schloß der Pompadour verpflanzt und hat einen interessanten Neubau erhalten. Die Dominikanerinnen von Epiphanie nutzen die damit gebotenen Studienmöglichkeiten aus und lassen sich zur Gebildetenmission rüsten, die sie in einem Retraitenhaus praktizieren. Meditative Dominikanerinnen haben ihr Kloster gebaut, um mit dem Gebet diese Werke zu tragen. 1945 begann hier in einem kleinen Adelsschlößchen auch die Stiftung Eau vive - école de spiritualité et de sagesse. Vier Studenten, die in Saulchoir studieren wollten, machten den Anfang und richteten sich eine geniale Behausung ein. Pater Philipp, der von seiner Professur in Rom Erfahrungen mit den jungen Menschen der verschiedensten Völker mitbrachte, faßte den Gedanken, diesen Ansatz zu einem katholischen internationalen Lebenszentrum auszubauen. Mitten in der Krise der Bildungsschichten, in der nur Marxismus und Existenzialismus eine Parole anzubieten hatten, sollte der christliche Glaube über Grenzen von Nationen und Konfessionen eine verbindende Kraft gewinnen und in Eau vive einen Gnadenort finden. Jacques Maritain verband sich mit diesem Unternehmen und ließ sich, sofern er nicht zu Vorlesungen in USA weilte, in Eau vive nieder. So entstand ein Durchgangsort, in den vornehmlich die studentische Jugend aus 33 Nationen einflutet, wo man eine unvergleichliche Atmosphäre der Begegnung und im Einzelgespräch mit geistlich reichen Persönlichkeiten oder in Vortragszyklen eine gewisse Beglückung findet. Im weiten Park sind kleine Einsiedeleien zum Studieren und Meditieren angelegt. Jeder, der kommt, reiht sich selbstverständlich in eine Arbeitsgemeinschaft ein. Jeder dient dem andern und die gelehrtesten Patres sieht man stundenweise mit der Handkarre keuchen. Die Formel von Eau vive läßt das Verständnis zu, daß es sich hier um einen Vorhof für Konfessionen handle, zugleich aber auch, daß die Gemeinschaft, die im Menschlichen oder zwischen Christen getrennter Konfessionen in ihrem Herrn möglich ist, ernst genommen werden soll. Die Communauté von Grandchamp stellt dazu eine Art evangelisches Gegenbild dar. Im 18. Jahrhundert hatten die Gebäude der Fabrikation von Textilien à l'Indienne gedient. Im Neufchateller Museum sieht man davon noch Proben. Die Zollpolitik der Nachbarn hatte die aufblühende Fertigung bald abgewürgt. Im Besitz der Familie Bovet hatten die alten Häuser schon der christlichen Liebestätigkeit gedient. Ein Hospital und ein Waisenhaus waren eingerichtet worden. So war Grandchamp schon ein christlich vorbezeichneter Ort, als 1931 ein Kreis von christlichen Frauen Personen, die es nötig zu haben schienen, dorthin zu einer Freizeit lud. Es zeigte sich, wie sehr es einem Verlangen des modernen Menschen entspricht, einmal in die Stille einzukehren, um ganz für Gott da-zu-sein. 1935 wurde eines der Gebäude als Retraitenhaus eingerichtet, 1949 ein zweites Haus dafür erworben, 1952 der alte Trockenschuppen der Textilfabrik mit kleinen Zellen für die Freizeitgäste ausgebaut: Schlichtheit und Schönheit sind dabei verbunden, und manches alte Bildwerk kirchlicher Kunst überrascht das Auge vor einer modernen weißen Wand. Bis zu 40 Retraiten werden im Jahre gehalten, meist mit 30 Personen berufsgruppenmäßig ausgewählt wie in der Praxis unserer Evangelischen Akademien, Mitarbeiter der Kirche; Lehrerinnen, Pfarrer, Schwestern . . . Die vier großen Festzeiten der Kirche sind in Grandchamp besonders der Anbetung gewidmet. Der Berufsgedanke soll die Wirklichkeit der Kirche nicht überwuchern. Nicht gerechnet die Reisetage, dauert eine Freizeit 3 Tage, und der Ablauf ist sehr merkwürdig abgestimmt: Der erste Tag soll den Gästen eine Entspannung und Ablösung von der Welt bringen, der zweite Tag die inneren Kämpfe, der dritte Tag den geistlichen Gewinn. Die Mahlzeiten werden schweigend unter Lesungen eingenommen, nur sonntagabends nicht. Verschiedene mit Grandchamp verbundene Pastoren kommen als Leiter der Freizeiten. Wenn allgemeine Bibelkurse von acht Tagen gehalten werden, so wird der Unterricht in den Rahmen der Stundengottesdienste gestellt. Jetzt ist der schwesterliche Zusammenschluß nicht mehr zweckhaft für das Retraitenwerk gedacht. Die Akzente haben sich verschoben. Im November 1951 hat man die Retraiten für vier Wochen unterbrochen, um sich auf den inneren Ausbau der Gemeinschaft zu konzentrieren. Die 6 ersten Schwestern werden ihre definitiven Verpflichtungen ablegen. Die Schwesternschaft ist im Wachsen. Zwei Novizen und zwei Postulantinnen mitgerechnet, ist heute ihre Zahl 14. Auch junge Mädchen sind jetzt darunter. Für das Retraitenwerk von Grandchamp wird man nicht mehr als 10 Schwestern benötigen. Für die anderen faßt man neuartige Aufgaben ins Auge. Wenn die neue schwesterliche Gemeinschaft in Christus geeint sein sollte, dann mußte notwendig der Abendmahlsgottesdienst in die Mitte treten und das tägliche Stundengebet alle vereinigen. Was das Officium anlangt, so wurden zuerst Kompositionen von Gottesworten, meditativen Betrachtungen und Gebeten, die man gleichsam in eine Anbetungsstille tropfen ließ, geschaffen. Diese Art von Andacht hat Grandchamp heute noch nicht ganz aufgegeben, auch mit Rücksicht auf die Einfacheren unter den Retraitengästen. Aber man empfand es als ein Geschenk, daß sich in dieser Zeit in der Kirche des Kantons Vaud ein Pastorenzirkel „Eglise et Liturgie” bildete, der das alte liturgische Gut aller Konfessionen untersuchte und liturgische Ordnungen unter dem Titel: „Office divin de l'Eglise universelle” herausgab. Hier empfing die Gemeinschaft von Grandchamp Ordnungen, in denen sie leben konnte. Die Psalmen werden seit einigen Jahren wechselweise gesprochen, jetzt psalmodiert nach anglikanischen Melodien. Das Heilige Abendmahl wird jeden Sonntag, während der Retraiten täglich gefeiert. Der Kommunionstisch ist in der Kapelle in der Mitte, die Kanzel aber an der Seite angebracht, eine Anordnung, die sich in der reformierten Kirche unter dem Einfluß der liturgischen Bewegung ausbreitet. Wegen dieses in der liturgischen Übung erkennbaren Erstarkens des Sakramentsverständnisses bei gleichzeitiger Vorsicht im Gebrauch kirchentrennender Formulierungen der Sakramentslehre hat sich eine Lutheranerin aus Paris entschließen können, als Postulantin in Grandchamp einzutreten und mitzukommunizieren. Noch ist Grandchamp nichts anderes als ein privates Unternehmen. Die Geldmittel zum Hauserwerb und Ausbau sind aus Spenden der Retraitengäste geflossen. Erst die Widerlegung ungenauer Presseberichte vor zwei Jahren hat die Gemeinschaft genötigt, aus der Stille herauszutreten und ihr Anliegen öffentlich zu vertreten. Aber unter den einfachen Gemeindegliedern der reformierten Schweiz und bei den kirchlichen Autoritäten wächst die Liebe und Achtung zu den Schwestern. Als die Anlage eines Flugplatzes in der Nähe der Niederlassung drohte, hat sich der Sydonalrat des Kantons Neuchâtel und dann der Rat des schweizerischen Kirchenbundes an den Neuenburger Staatsrat gewandt, weil sie sich für das stille Wirken der Schwestern verantwortlich wußten. Das ist der erste Schritt in der Richtung auf eine kirchliche Anerkennung, die, wie man hofft, eines Tages kommen wird. Für die evangelische Kirche Deutschlands ist es unabweisbar, diese Entwicklungen zu beachten. Gewiß, Grandchamp besitzt seine eigene intime Bezogenheit zu typischen Praktiken der reformierten Schweiz, etwa zu dem besonderen Mangel an liturgischem Leben bei den reformierten Diakonissen, denen deshalb die nötige geistliche Speisung für den schweren Dienst fehlt. Darüber darf aber nicht verkannt werden, daß in Grandchamp Formen von allgemeiner Bedeutung gewonnen werden. Grandchamp und Eau vive stehen beide nach ihrer entschiedenen Absicht innerhalb ihrer Konfessionskirche. Dennoch scheint bei beiden durch die Konfessionsmauern hindurch der gleiche Antrieb wirksam zu werden. So läßt sich am besten erklären, daß so viele verwandte Züge entstehen. In beiden Stiftungen ein Tasten nach neuen Formen, ein Bewußtsein, die endgültige Gestalt noch nicht gefunden zu haben. Hier und dort will man auf einem Boden außerhalb der Welt stehen, aber ist ganz dazu da, die in sich selbst unglückliche Welt aufzunehmen als an einem heilenden Ort. Von daher auch die ökumenische Weite und die voraussetzungslose Bereitschaft für den andern, die sowohl Eau vive wie Granddiamp den Stempel eines kirchlichen Experimentes aufdrücken. Hier wie dort eine Empfindlichkeit für das Atmosphärische, denn man muß ja den andern in einer reinen Atmosphäre empfangen und das Störende matt setzen. Quatember 1953, S. 107-110 Communauté de Grandchamp |
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