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Reflexionen über das Thema Quatember
von Eugen Rosenstock-Huessy

LeerDer Schriftleiter hat im letzten Heft erzählt, wie dieser Zeitschrift statt der geplanten „Trinitas” der Name „Quatember” gegeben worden ist. Diese Wandlung schien ihm eine weitere Ausführung zu verdienen, die er von mir erbat, weil mein „Kreuz der Wirklichkeit” unsere Befangenheiten in Drei und Vier ausführlich darlegt.

LeerIn die Kürze eines Aufsatzes gehört mindestens das Eine aus der Fülle dieser Aspekte: Der Übergang von Drei auf Vier ist das formale Merkmal unseres Gehorsams gegen das Zweite Gebot.

LeerKein Gebot wird heute so gering geachtet. So muß es uns ganz neu ergreifen. Es sagt, wir dürften den Dreieinigen Gottesnamen nicht auf den Wahn, das heißt auf die Dinge des Alls, auftragen. Anders müssen wir also von Gott, anders von den Dingen sprechen. Baron von Hügel hat verlangt, die der Gottesschau süchtig werdende Seele müsse sich mit einem Ruck von ihm ab den Dingen zuwenden. Und nun steckt das formale Element in dieser Forderung, zwischen Dreitakt und Viertakt rechtzeitig abzuwechseln.

LeerGetrost, wir sind keine Kabbalisten. Hier herrscht keine Zahlenmystik, lieber Akademiker. Aber sieh bloß, wie Hegel nicht vom Dreitakt hat lassen wollen und so Weltvergottung getrieben hat. Quatember statt Trinitas ist in der Tat Gehorsam gegen das Zweite Gebot. Denn Sieben ist nicht etwa unwillkürlich die heilige Zahl, sondern sie umfaßt Drei und Vier. Drei und Vier aber sind zwingende Denkformen und keine Additionsexempel.

LeerDie Zeit ist da, unsere Nötigung zu beiden nüchtern zu begreifen. Handeln wir erst vom Gottesanruf, den ich schon im „Alter der Kirche” (I, 1927) erläutert habe, dann von unseren Aussagen über die Welt, die meine Soziologie I darstellt.

LeerDa der Mensch sich selbst als ein Individuum mißversteht, so setzt er sich naiv in die Einzahl. Das Apostolicum legt ihm daher beim Anruf seines Herrn die Dreifaltigkeit auf. Denn dieser Anruf erheischt zeitliche Abwandlungen des Beters selber. Umringt ihn doch Gott von drei Richtungen, vom Anfang her, vom Ende her und in der Mitten. Drei Richtungen müssen wir uns zugewendet haben, ehe unser ganzes Vermögen ihn erwartet hat. Die Trinität versetzt uns also auf drei Warten. Erwarten wir Gott nicht von allen Dreien her, so kann er nicht gegenwärtig werden. Erst im Verlaufe dreier Anrufe haben wir den Allüberleber anerkannt.

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LeerEr also entsteht in uns, aus Eins plus Eins plus Eins. Aber er besteht als ein Einziger, Einer. So viel über die Dreifaltigkeit. Hingegen bei der Vier der Welt kommt es zu keinem Anruf. Der Anruf wäre vorbiblische Magie, Götzendienst der Welt, und die Hexen im „Macbeth” rufen allerdings dreimal drei. Nein, Gottes Welt wird besprochen. Wer von ihr spricht, tut das Gegenteil vom Anrufen; er tut die Welt unter sich, Gott aber über sich. Von der Welt muß nämlich unausgesetzt im Indikativ geredet werden, weil sie sich halb aus Totem und halb aus Lebendigem mengt. Gefallene Geister, sterbliche Kulturen, irdische Naturen müssen auf ihr Totes und Lebendiges unterschieden werden!

LeerDie Sprache bewegt sich von jeher auf zwei verschiedenen Ebenen, um mit Göttern und von Dingen zu sprechen. Unsere Schulgrammatik weiß nicht von diesen zwei Ebenen. Eben deshalb ist sie platt und ist heut, wie ich im „Atem des Geistes” dargetan habe, ein Schrittmacher des Atheismus.

LeerAuf der Glaubensebene und auf der Unglaubensebene herrschen verschiedene Formen. Für den Umgang mit oben zeugt der Vokativ, den es der Welt gegenüber nicht gibt. Für den Umgang mit unten sind das Neutrum und Passiv geschaffen. Das Neutrum ist ein bloßer Akkusativ, das heißt der reine Objektsfall. Weder Vokativ noch sogar Nominativ gehen in die Bildung eines Neutrums wie ferrum, Eisen, ein. Sein Akkusativ ersetzt den Nominativ! In den zwei Ebenen jeder Sprache steckt also ihr jeweiliges Glaubensbekenntnis über die anzurufenden Götter und über die zu besprechenden Dinge: „Jahve” darf nicht Objekt, „agitur” kann nicht Vokativ werden! Deshalb dient „igitur” der Kausalität der toten Dinge; Juppiter aber steht immer im Vokativ.

LeerAber die Schulphilologen haben die Sprachen nicht als Glaubensbekenntnis verstanden. Das Neutrum wurde ihnen zum bloßen Dritten neben männlich und weiblich. Die angeblichen „drei” Geschlechter maskulin, feminin, neutrum, rutschten so auf eine und dieselbe Ebene. An dieser Plattheit sterben heut die Sprachen und die Gedanken. Das Neutrum muß also wieder ein Stockwerk tiefer gerückt werden da, wo es in den betenden Sprachen entstand als das Nicht-Angerufene!

LeerDenn zu lange schon leugnet die Aufklärung unsere Aufgehängtheit zwischen Geheißen Gottes an uns und unserem Heißen der Dinge. Die heiligen Zahlen Sieben, Drei und Vier stehen zwar in der „Religion in Geschichte und Gegenwart” und anderen Lexicis. Aber der Monist ist längst über diese Spannung hinaus. Sein Positivismus stützt .sich ja auf den eigenen Standpunkt oder Verstand, außerhalb der Spannung, die den normalen Menschen ins Leben ruft und dem Leben erhält, zwischen Gott und Welt. Die Trinität wird also nicht mehr eingesehen. Denn Gott hat aufgehört, als Vokativ zu herrschen. Er dient den Argumenten der Scholastik oder Akademik zum Gegenstand. Gegenstände aber stehen im Akkusativ, Plural und Neutrum.

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LeerTheologen übertreten das Zweite Gebot, denn sie machen den platonischen Idealismus mit, wo aus Göttern „das Göttliche” wird. Dies begriffene Göttliche hat mit der „Individua Trinitas” nichts mehr gemein. Denn diese wird angerufen und ist gegenwärtig auch und gerade, wenn man im Hörsaal „Gott” abhandelt. Umgekehrt: Die unlogische Vierfalt der Welt wird vergöttert. Daher wird das All auf kahle Gegensatzpaare reduziert. Aus Stoff und Kraft, Kapital und Arbeit, Geist und Materie, Wellen und Elektronen; aus diesen armseligen Gliedern einer Antithese soll Gottes Schöpfung bestehen. Die verarmte Welt entspricht dem versachlichten Gott. Beide sind das, was bei einer platten Grammatik herauskommt. Die Trinität fordert eine hierarchische Grammatik.

LeerDie wirkliche Welt ist unlogisch, nämlich dort tot und hier lebendig. Hegel und Marx vergöttern sie, weil sie ihr den Tod aus ihrer Mitte wegnehmen wollen. Denn die klassenlose Gesellschaft und Hegels vernünftiges Sein wollen eine todesfreie Welt, in der wir also nicht mehr auf Gottes Geheiß die Lebenden von den Toten zu scheiden brauchten.

LeerDieser Monismus vermengt Gott und Welt, Gott wird zeitloser Begriff, die Welt aber wird Trinität. Den Höhepunkt erreicht diese Konfusion bei der Heiligen Familie. Ihre Mißhandlung bei Ludwig Feuerbach, aber auch bei den Frommen, ist das tollste Beispiel dafür, wie das Vergessen des Gegensatzes von Drei und Vier ins Bodenlose führt.

LeerWeil Maria, Joseph und das Jesuskind die Heilige Familie bilden, schloß Feuerbach angleichend, dieses Ich, Du, Es seien „einfach” Vater, Mutter und Kind der irdischen Familie. Der Nährvater Joseph ist ja nun weiß Gott kein irdischer Vater. Aber viele Moraltheologen normalisieren auch diese ganze abnorme Heilige Familie!

LeerNein, die irdische Familie besteht aus vier unableitbaren Qualitäten. Sogar die 45-Quadratmeter-Wohnraum-Architekten und das Zweikinder-System respektieren diese weltliche Vierfalt. Denn weil wir alt und jung, zwei Generationen, und Männlein und Fräulein, zwei Geschlechter, sein sollen, müssen wir zu Vieren Gottes Ebenbild verkörpern. Zur irdischen Familie gehören Tochter, Sohn, Vater, Mutter.

LeerWeil die gesamte Aufklärung Heilige und Irdische Familie in Eines zog, wurde am Ende Jesus von Nazareth zu einem mythischen Überschuß. Auf Segantinis Bilde: Mutter und Kind auf der Alpenwiese ist aus dem Madonnenbild das Ideal der Monisten geworden: Gott und Welt sind da zusammengefallen. Vergessen ist die Spannung zwischen dem Herrn der Welt, dem dreieinigen Todeslosen, und der vierfältigen, todesverfallenen Welt: Jedes Kind und seine Mutter stehen nun für das All und für Gott in Einem. Fin de siècle. Die Tochter der irdischen Eltern hat nun in Goethe einen Anwalt gefunden. Immer wieder hat der Dichter die Lücke im Bilde der irdischen Familie auszufüllen begonnen. Des Orestes Schwester Iphigenie und vor allem „Die natürliche Tochter” und „Pandora” zielen in diese tief notwendige Richtung.

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LeerGoethe blieb ungehört. Statt der irdischen heilen Familie aus Eltern, Söhnen und Töchtern ist die monistische Welt mehr und mehr auf das Inzestphantom, auf die Wälsungen und die Geschwisterehe losgegangen. Richard Wagner und Thomas Mann und Siegmund Freud sind Etappen auf diesem Wege in den Wahnsinn der nicht mehr viergliedrigen Familie.

LeerAber auch die Völker im ganzen sind derart wahnsinnig geworden. Sie haben nicht die Tochter der Mutter ebenso entgegengesetzt wie den Sohn dem Vater. Das zeigt sich im Kult der Muttersprache. Der Nationalismus hat das schöne Gleichgewicht zwischen Muttersprache und Tochtersprache verkannt. Gewiß gibt es Mutter-Sprache. Aber so wie Sprache Matrix ist, so ist sie auch Väterliches, töchterlich und söhnlich. Das stellt meine Soziologie „Das Kreuz der Wirklichkeit I” dar.

LeerDie von dem großartigen Neuen Wörterbuch zum Neuen Testament eingefangene Sprache ist eine bräutliche Neugeburt. Wieder steht es bei Goethe:

Leer„Sei das Wort die Braut genannt, Bräutigam der Geist.”

LeerAus der Muttersprache ist Gottes Wort herausgetreten in die Welt. Wie eine Tochter aus dem Elternhause geht, nicht als Rebellin wie Absalom gegen seinen Vater, sondern als die Umwandlerin und Erneuerin der Familie, so ist die Sprache der Bibel als Braut allen Geistern der alten Welt vermählt worden zu Tochtersprachen. Als Tochtersprache Muttersprache überwand, wurde die Welt erlösbar.

LeerDer Tag ist nicht ferne, wo auch Rom seine berechtigte Abwehr des Muttersprachenkultes der Nationalisten nicht allein mit Hilfe des Muttergotteskultes wird führen können. Nein, dazu muß die Tochter neben dem Sohn und statt Maria aufgeboten werden. Jesus hat ja Vollmacht gehabt, die eigene Mutter aus Israel in die Kirche zu überpflanzen. Als er sie am Kreuz wie seine Tochter ihrem neuen Sohne Johannes zuführte, da hat er das Geheimnis der Welt und des töchterlichen Verwandlungslebens angedeutet. Johannes ist sein Geschwister aus natürlicher Zuneigung geworden. Marias Adoption ist ein großartiges Zeichen, weil sich da der dreigliedrige Kreis der Heiligen Familie dem Tode gegenüber als zu klein erweist. Adoption erweitert ihn am Karfreitag zur irdischen Viergliedrigkeit. Denn auf Erden muß dem Tode begegnet, muß der Tod überlebt werden. Eben diese geschwisterliche und irdisch liebende Tat vollbringt der Lieblingsjünger. So erst ist die Heilige Familie selber, die von Feuerbach so falsch zitierte, ganz in den von Christus begonnenen Aeon hinübergetreten. Sogar hier also bewährt sich die Vierzahl; in Mariens Adoption zur Mutter des Lieblingsjüngers vollendet sich die der Heiligen Familie um der Sendung Christi willen bis dahin versagte irdische Ganzheit. Gott und Mensch treten auseinander. Maria wird nun die Mutter des Menschen Johannes.

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LeerNun sind wir gerüstet, das Besondere im Namen Quatember zu würdigen. Er gehört nämlich zu den erlösenden, die Trennung von Drei und Vier auflösenden Namen des Neuen Bundes.

LeerDie Vier der Welt hatte sich als die vier Richtungen Ost, West, Nord, Süd die Reiche dieser Welt Untertan gemacht. Pythagoras hat diese Tetraktys tiefsinnig behandelt. Demgegenüber erlaubte die Bibel, das antimagische Bollwerk, der Vier nur Zutritt bei den Cherubim und den Vier Strömen des Paradieses. In beiden Vierfalten war das Götzenhafte der heidnischen Quaternionen, Quadrate, Quadrilaterade usw. abgewehrt. Aber noch waren es doch vier Elemente im Raume; Adler, Vogel, Löwe, Bulle beim Cherub, Ströme-im Garten Eden, also gleichzeitige Weltteile.

LeerNoch also fehlte die Aussöhnung von Weltvier und Gottdrei. Der Neue Bund hat die Vier der Drei dienstbar gemacht. Die vier Evangelisten treten an die Stelle des vierfältigen Cherubs und der vier Ströme. Die Väter sagen uns das einstimmig. Wie denn? Nun, diese vier Stimmen werden nacheinander laut. Nicht im Raum wie Sirius-Isis, in die Zeit steigt Christus als der Morgenstern. Und nicht nebeneinander lies Du die Evangelien, denn nacheinander haben sie sich der Gemeinde entrungen. Gott tritt nun in die Geschichte ein. Die vier Evangelien befreien seinen Geist vom Buchstaben. Jede Evangelienharmonie ist schon ein Mißverständnis. Erst recht sind das die „Leben Jesu”.

LeerDie Torheit der Bibelkritik liegt nicht so sehr in ihrem Hochmut, „höhere” Kritik zu sein, als in ihrer Unkenntnis des Heilsvorgangs. Ihr müßt es vierfältig sagen, soll Gott, der ewig Lebende, in die zeitlich vergehende Welt eingehen. Die Aufklärer leugnen, daß Gott Zeit braucht, um die Welt, um sie, die Aufklärer zu erlösen. Sie denken ja abstrakt, und das heißt zeitlos, unwirklich.

LeerAber der Dreieinige Gott nimmt sich die Zeit, in die vierfältige Welt zu inkarnieren. Er gibt uns Zeit. Deshalb rufen wir ihn an: „qui temporam das tempora”, „der Gezeiten gibst den Zeiten”. Weil an die Stationen seines Kommens die Quatuor tempora gemahnen, deshalb ist Quatember ein gläubiger, ein ausgesöhnter Titel, unter dem die Welt Gott dient. Denn nun wähnen wir nicht länger, Gott im Nu ganz zu besitzen, zu kennen, zu behexen wie die Zauberer und die Hexen, die Gott und die Welt verwechselt haben. Alles Weltliche dürfen wir immer wissen; Gott aber kommt nur zu seiner Zeit. Dem Vater ist die Stunde vorbehalten.

Leer„Quatember” unterstellt also unseren Weltverstand dem angenehmen Jahre des Herrn über Tod und Leben, denn damit erkennt sich unser eigener Verstand als auch ein Stück Welt, dem die Fülle der Zeiten zu Hilfe kommen muß, ehe es heil wird. Die Jahreszeiten in Gottes Bund mit Noah und das moderne Zeitschriftenwesen werden wenige vergleichen wollen. Wie, wenn sie miteinander zu tun hätten?

Quatember 1953, S. 122-125

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-03-29
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