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Laientum und Ordensstand
Reinhold Schneider

LeerDie vom Herbst 1947 datierte Schrift des Basler Theologen Urs von Balthasar über die Möglichkeit, geistliche Berufung im weltlichen Stand zu begründen und zu sichern, ist zugleich beunruhigende Frage und Entwurf (Der Laie und der Ordensstand, Verlag Herder Freiburg). Sie sucht innerhalb der katholischen Kirche nach einer neuen Form. Die Stelle, von der aus die neue Ordensgestalt gesucht wird, ist die Apostolische Konstitution „Provida Mater” vom Jahre 1947, in der Papst Pius XII. die „Weltlichen Institute” in das kanonische Recht eingliederte; diese Konstitution bedeutet wieder eine Fortführung des Werkes, das Leo XIII. mit der Aufnahme der Kongregationen mit einfachem Gelübde unter die Orden im strengen Sinne begonnen hat. Die weltlichen Institute verlangen keine eigentliche Ordensprofeß, sondern „Gelübde, deren Erfüllung als Privatsache gilt, die aber nicht öffentlich im Namen der Kirche von einem Obern entgegengenommen werden”. Ein auf der strengen Befolgung der drei apostolischen Räte, also der Verpflichtung zu Armut, Keuschheit und Gehorsam gegründetes Leben der Vollkommenheit soll ermöglicht werden in Fällen, in denen ein kanonisches Ordensleben unmöglich ist; dieses Leben der Vollkommenheit soll erneuernd wirken in der Familie, in der bürgerlichen Gesellschaft, kraft des Entschlusses zur Heiligung und der Verpflichtung zu ihr; das Leben und Wohnen unter dem gleichen Dach ist nicht mehr geboten. Wesentlich ist, daß das gesamte Leben der Mitglieder weltlicher Institute als durch das Bekenntnis zur Vollkommenheit gottgeweihtes Leben zum Apostolat wird.

LeerDie Institute bedürfen der Billigung eines Bischofs, ihre Mitglieder sind durch ein unlösbares Band miteinander verbunden.

LeerAlle christliche Erneuerung geht aus von der Berufung zur Nachfolge, zum Vollzug des evangelischen Worts, zum Leben nach der Bergpredigt: es ist der Auftrag im Christentum, von dem die Verkündigung getragen wird. Auf der Nachfolge ruht das Apostolat. Ein solches Leben ist in die Welt gesendet; und doch ist sein Ort brennendes Problem. Denn wer die Nachfolge will, hat keinen Ort in der Welt. Er ist angewiesen auf Gnade, die möglich macht, was nicht sein kann. Wie kann der Laie, auf den dieser Auftrag gefallen ist, in seinem Stande die Gnade des Ordensstandes empfangen? Das ist die Frage Balthasars. Die weltlichen Institute leisten schon einen christlichen Verzicht im Sinne des christlichen Standes. Wäre es möglich, alles Übernatürliche zu behaupten und doch in der Welt zu sein?

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LeerDie Konstitution „Provida Mater” steht in innerem Zusammenhang mit dem Aufruf zu katholischer Aktion, gewissermaßen als dessen Ergänzung. Der Aktion sind, nach ihrem Wesen, feste Grenzen gezogen; sie wurde ausgelöst von der Erkenntnis, daß „der Klerus leider den Notwendigkeiten und Bedürfnissen unserer Zeit nicht mehr genügt, sei es, weil er an manchen Orten zahlenmäßig zu gering ist, sei es, weil er an ganze Gruppen von Menschen, die sich bewußt seinem Einfluß entziehen, mit seiner Stimme und seinen Ermahnungen gar nicht herankommt. Deshalb ist es notwendig, daß alle Apostel werden.” Aber dies muß geschehen „in enger Verbindung mit der kirchlichen Hierarchie und ihrer Weisungen gewärtig”. Die Aktion hat also zwei Aufgaben: die Kluft zwischen dem Klerus und der säkularisierten Welt zu überbrücken und Klerus und Laien in apostolischem Wirken wieder zusammenzuschließen. So wird sie „ausführendes Organ”, eine Art „Verlängerung” des hierarchischen Amtes. Die Frage ist, ob damit alle Forderungen des Apostolats schon erfüllt sind, erfüllt werden können. Wie kein Priester ist ohne Weihe und Amt, so bedarf es, um im eigentlichen Sinn Apostel zu werden, „der Berufung zur Nachfolge im Sinn des apostolischen Alles-Verlassens” (Balthasar). Ist also in der gegenwärtigen Aera das Apostolat der Laien die Losung; und verlangt das Apostolat als „Vollbrandopfer” die Lebensform der Räte, dann geht, wie Balthasar folgert, „die Forderung der Stunde konkret dahin, die Synthese zwischen Laientum und Ordensstand ins Auge zu fassen”.

LeerDer Ordensstand allein gewährt die Einheit von Aktion und Kontemplation, die das Apostolat fordert; sie wird schwer im Priesterstande, gar nicht im Berufsleben vollzogen werden können. Vorbild sind die ersten christlichen Jahrhunderte. Das Apostolat im paulinischen Geiste ist Ungeteiltheit, vollkommene Freiheit mitten in Welt und Beruf. Die evangelischen Räte „sind an alle gesprochen”. So ist das Trachten nach dem Leben der Vollkommenheit von Anfang eine Laienbewegung; das ganze Mönchstum vor Benedikt, die Klosterwelt Ägyptens, Syriens, Palästinas war eine „Laienwelt”, die sich entschieden von der klerikalen Welt trennte. Wir brauchen nur an Martin von Tours zu erinnern, der das im Orient vollendete Mönchstum in den Westen trägt, an seine Kämpfe mit den Bischöfen, die in Trier den Thronräuber Magnus Maximus umschmeichelten und umwarben; an die Erklärung seines Biographen Sulpicius, daß „fast nur Bischöfe” die Feinde des Heiligen gewesen seien. So ist auch Benedikt wahrscheinlich noch Laie gewesen; den Laien öffnet er sein Kloster; er ist „vorsichtig, fast mißtrauisch in der Aufnahme von Priestern”. Noch im beginnenden 9. Jahrhundert stellen die Priester ein schwaches Viertel der Mönche dar. Langsam setzt sich eine Klerikalisierung durch, begünstigt durch die Eingliederung der Diener, Knechte, Landarbeiter, die feierlich Profeß ablegen, aber als Laienbrüder nicht Priester werden können. Auch die Stiftung des heiligen Franz von Assisi ist durchaus eine Laienbewegung; der Konflikt zwischen Laien und Priestern führt nach dem Tode des Heiligen zu schweren Erschütterungen, die in abgewandelter Form immer wieder im Ordensleben sich anzeigen. Ein ähnlicher Vorgang spielt sich in der Theologie ab; sie wurde „primär durch Laien begründet”. Balthasar verweist auf Justin, Tertullian, Klemens, Origines, der spät und wider seinen Willen geweiht wurde.

LeerAn der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit steht Ignatius von Loyola; er hat als Ritter begonnen und wollte, nach seiner Wende, das Rittertum ins Geistige übertragen; auch nachdem er seine Studien aufgenommen hatte, dachte er noch nicht an das Priestertum, zu dem er sich erst in den Zusammenstößen mit der Inquisition berufen fühlte. Aber „ohne Kloster und Chorgebet” stellte er seine Jünger „mitten ins Gewühl der Welt”. Denn die primäre Berufung zielt nicht zuerst auf das Priestertum, sondern auf die Nachfolge, auf das „Alles-Verlassen”.

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LeerSo kommt Balthasar zur entscheidenden Frage:

Leer„Um so mehr erstaunt der unvoreingenommene Betrachter der Ordensgeschichte darüber, daß heute für den gebildeten Laien innerhalb des Standes der Vollkommenheit kein Raum ist. Die tatsächliche Verfassung des Ordensstandes ist noch immer beherrscht durch die historischen und soziologischen Gesetze des Mittelalters und der Renaissance: das Ordensapostolat des Gebildeten ist heute nicht anders möglich als in der Form des Klerikats. Will heute ein Student der Medizin, der Jurisprudenz, der Natur- oder Geisteswissenschaften, der Technik oder der Architektur die vollkommene Nachfolge Christi in seinem Leben verwirklichen, so bleibt ihm nichts anderes übrig, als seinen Beruf aufzugeben und ein anderes Fach, nämlich Theologie, zu studieren. Diese Forderung ist nur auf Grund einer historisch gewordenen, keineswegs durch das Evangelium selbst begründeten Situation verständlich.”

LeerDie Klerikalisierung von Theologie und Mönchstum war gegen die Säkularisierung der Bildungszweige gerichtet. Inzwischen sind die Gefahren furchtbar angeschwollen: wie soll die Kirche in den überrannten Ländern den Anprall überstehen; wie in den Ländern, die vielleicht morgen überrannt werden? Wie können sich Priester und Laie „ebenbürtig begegnen”, ohne sich als lehrende und hörende Kirche gegenüberzustehen? Wir wissen, daß die Kirche nicht untergeht; aber wir wissen auch, daß sie Heimsuchungen unterworfen ist bis zum Ende und daß gerade diese neue Gestaltung des ihr überantworteten Auftrags hervorrufen.

LeerDie Verbindung von Laie und Ordensstand erscheint als der gebotene Weg, „die Heiligkeit in die Kreise und in die Berufe der Laien zu tragen”. Aber nur der radikale Vollzug der Gelübde, die „Gnade des Verzichtes” und die „Gnade der Kontemplation” können Hoffnung haben, den weltlichen Raum zurückzugewinnen, zu durchgluten. Es ist der Verzicht auf „Eigenbesitz, Familie und Selbstbestimmung”. Gemeint ist der Laie als reiner Ordensmann, der „in voller Indifferenz seine Sendung von Gott durch den Obern” empfängt. Das gilt für Vertreter aller Berufe, für den Akademiker wie für den Arbeiter; besonders wird des eigentlich Berufenen, des Künstlers, gedacht, der ja, je unbedingter er seinem Auftrag gehorcht, um so weniger einen Stand in der Welt haben kann und mit Person und Werk der Tragik des Irdischen ausgeliefert ist; Balthasar erinnert an Pascal, Baudelaire, Kierkegaard, er verweist auf die Bedeutung, die der Stand der Vollkommenheit als Lebensform für Person und Aussage hätte haben müssen. Es ist damit eines der schwersten Probleme des Geistes wie der Geschichte aufgeworfen, vielleicht ein unlösbares Problem; denn der Künstler ist ja als solcher schon radikalem Gehorsam unterworfen. Wie wird er noch einem Obern Gehorsam leisten können, ohne gänzlich zu zerbrechen? Und doch haben wir das Beispiel der großen spanischen Dichter, die im geistlichen Stand ihr Werk vollendeten; in ihm ihren Ort, ihre sichtbare Würde hatten.

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LeerDie Form wäre: Verknüpfung des profanen Berufs mit der „größten apostolischen Freizügigkeit”, aber innerhalb unzerreißbarer Gemeinschaft; so könnte ein Bollwerk entstehen „wie Rhodos und Malta gegen die Türken”. Es müßte ein Leben ohne Brotsorgen sein, gegründet auf strengste Auswahl, herangebildet in „hartem, eisern konsequentem Noviziat”; die individuellen Studiengänge werden im Hause des Instituts weitergeführt; die sehr lange Prüfungszeit schließt eine hinreichende Bewährungsfrist im praktischen Berufe ein. Das Ordenswesen ist, wie ein jeder Stand in der Kirche, etwas Sichtbares, bestände diese Sichtbarkeit auch wie die Ordenstracht des Pere de Foucauld im ärmsten Arbeitergewand mit dem aufgenähten Kreuz. Ein Ordensmann kann mit den priesterlichen Funktionen ausgestattet werden; aber das muß nicht geschehen, sondern nur jedesmal dann, „wenn es seinem Apostolat förderlich ist”. Vielleicht opfern sich die französischen Arbeiterpriester auf dem schwersten Wege hin, ohne die Wirkung zu erreichen, die auf dem umgekehrten Wege zu liegen scheint: „Wie etwa, wenn man, statt die Kleriker zu Arbeitern zu machen, den Arbeitern, die dazu geeignet sind, die Funktionen des Priesters verliehe?” Aber dann müßte die Ausbildung des Priesters genau dem Milieu entsprechen, in das er gesandt ist. Es bedürfte also einer Theologie, die sich auf das Wesentliche der Offenbarung und ihrer Auslegung beschränkt und den Stoff ausrichtet „auf die Bedürfnisse des spezifischen Laienapostolats”.

LeerFür die Frauen werden die Gründungen des Holländers van Ginneken herangezogen: Aussendung aus dem Mutterhaus ohne Ordenskleid in die Berufe, mit der Möglichkeit, sie zurückzurufen, und mit der Pflicht, in regelmäßigen Abständen zurückzukehren. Auch hier ist das Ziel „weltlicher Beruf als Ausdruck geistlichen Gehorsams, Durchchristlichung des weltlichen Raums mit der vollen Form des Standes der Vollkommenheit”.

LeerNiemand weiß besser als Urs von Balthasar, daß Orden „nicht auf dem Papier gegründet werden”. Ein Orden fällt vielmehr „in den Garten der Kirche hinein wie ein Aerolyth”. Heute ist nichts wichtiger als die Einsicht in die „soziale Funktion der christlichen Heiligkeit”. Noch Simeon Stylites war „das Fanal für die Bekehrung der Massen”. Und doch ist keine Frage, daß der Akzent verschoben ist. Schon die Gegner der großen Teresa hatten in einem gewissen Grade recht, wenn sie darauf hinwiesen, daß die Väter des Karmeliterordens, die Einsiedler auf dem Berge des Elias, vor allem den Vollzug der Gelübde, die persönliche Heiligung in der Einsamkeit, und die Einsamkeit ihrer Gemeinschaft erstrebten. Hier aber wird eine Antwort an die Geschichte gesucht, die das frühe Mönchstum vielleicht nicht suchte, wohl aber gesucht und gefunden ward von Franz von Assisi, von Ignatius von Loyola und Teresa von Avila, vom Pere de Foucauld. Ist diese Fortbildung nicht Apostolat, eben der Auftrag, allen alles zu sein? Ist sie nicht Forderung der Stunde?

LeerMan kann ein Aerolyth nicht herabzwingen. Aber Einbrüche der Überwelt geschehen doch nicht, ohne daß die Menschen darauf vorbereitet werden, den Lichtschein zu sehen, den Einschlag zu deuten. So erscheint die kühne, gedankenreiche Schrift Balthasars wie ein prophetisches Zeichen; an der Stelle, auf die sie weist, könnte sich die Gnade ereignen, könnte die rettende Form erscheinen. Ein Orden ist zunächst einfach die Lebensform des Gründers; mit der Erscheinung des Gesendeten ist er entschieden, - mit ihr allein.

Quatember 1953, S. 158-161

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 12-10-17
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