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Christus und die Kreatur
von Wilhelm Stählin

LeerDie evangelische Akademie in Tutzing hatte für die Tage vom 20. bis 22. März d. J. eingeladen zu einer Disputation über „Analogia entis”. Mit diesem aus der platonisch-aristotelischen Philosophie stammenden Begriff hat die scholastische Theologie des Mittelalters (Thomas von Aquin und andere) die ursprüngliche, im Sein begründete „Entsprechung” zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen, zwischen dem Ewigen also und dem Zeitlichen, auszudrücken versucht. Der Begriff der Analogia entis gehört also durchaus zu jener aristotelisch-philosophischen Spekulation innerhalb der Theologie, auf die sich Luthers besonderer Zorn gerichtet hat, und Karl Barth hat, freilich in einem früheren Stadium seiner Theologie, gesagt, diesen Begriff müsse der Teufel erfunden haben, und er sei es eigentlich, der uns hindere, katholisch zu werden.

LeerSolche schroffen Verdammungsurteile haben ihre Nahrung in der Sorge, daß durch die Behauptung einer solchen vorgegebenen Entsprechung die unüberbrückbare seinsmäßige Verschiedenheit des Geschöpfs von seinem Schöpfer verwischt und durch die Behauptung, daß eine solche Entsprechung für die natürliche Vernunft erkennbar sei, Christus als die alleinige Quelle aller Gotteserkenntnis verleugnet werde. Es ist aber zu fragen, ob nicht in dieser scholastischen Begriffsbildung der notwendige Versuch gemacht wird, etwas über die Beziehung zwischen der Erlösung und der geschaffenen Welt auszusagen, und ob nicht mit der entschiedenen Leugnung einer solchen analogia entis und ihrer Erkennbarkeit zugleich jene Beziehung selber geleugnet, und in ihrer alleinigen und aus allen kosmischen Bezügen gelösten Lehre von Christus und dem Heil die Möglichkeit verloren wird, als Christ ein unbefangenes und in seinem Glauben begründetes Verhältnis zur „Welt” und zu allen „natürlichen” Dingen zu bewahren oder vielmehr zu gewinnen.

LeerNiemand konnte erwarten, daß in einem kaum zweitägigen Gespräch eines naturgemäß kleinen Kreises diese weitschichtigen und schon in ihrer terminologischen Sprache schwierigen Probleme gelöst oder auch wesentlich gefördert werden konnten. Es ist auch nicht möglich, in einem kurzen Bericht wiederzugeben, was in dieser Disputation (die im wesentlichen geführt wurde zwischen einem katholischen Dogmatiker, einem Schweizer, der die neue Lehre von Karl Barth, welcher den Begriff der analogia entis durch den Begriff einer analogia fidei ersetzen will, vertrat, und einem Mathematiker) im einzelnen gesagt wurde. Aber es scheint mir in mehr als einem Betracht ein bemerkenswertes Symptom unserer inneren Lage zu sein, daß der Leiter einer evangelischen Akademie (derselbe Pfarrer Hildmann, der uns im vorigen Heft von „Quatember” seine Gedanken über die Aufgaben einer solchen Akademie vorgetragen hat) es zu diesen Aufgaben rechnet, neben anderen heißen Eisen gegenwärtiger Nöte auch dieses sehr heiße Eisen einer alten theologisch-philosophischen Kontroverse wieder einmal anzufassen.

LeerDarin nämlich kommt zum Ausdruck, daß bestimmte Fragen die Menschheit und also auch die Christenheit auf dem Weg durch die Jahrhunderte begleiten und zwar nicht von jeder Generation, aber immer wieder einmal von einer Generation neu aufgegriffen und durchdacht werden müssen; zu diesen Problemen, an die wir heute mit einer neuen Dringlichkeit hingeführt werden, gehört sehr wesentlich die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Welt des Glaubens und der sichtbaren Welt irdischer Dinge und Beziehungen, genauer gesagt: zwischen der Erlösung und der vordergründigen Wirklichkeit, in der zu leben wir berufen sind, oder noch konkreter ausgedrückt: zwischen Christus und dem Kosmos.

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LeerWelche Tragweite bis in ganz praktische Fragen und Aufgaben der Lebenshaltung und Weltgestaltung hinein dieses Problem hat, davon ist in diesen Heften wiederholt mit aller Deutlichkeit gesprochen worden.

LeerEs ist in der Tutzinger Disputation mit großem Nachdruck darauf hingewiesen worden, wie sehr die Denkformen der scholastischen Ontologie (Lehre vom Sein), aus denen der Begriff der analogia entis stammt, durch die neue Entwicklung der Naturwissenschaft erschüttert worden sind, weil diese letztere kein von den Funktionen unterscheidbares Sein mehr anerkennt, und wie sehr es also eine Aufgabe unserer gegenwärtigen Generation ist, die unentbehrlichen Aussagen des christlichen Glaubens und der christlichen Erkenntnis in einer unserer Zeit gemäßen Denkform auszusprechen. Und das nicht etwa nur, weil der christliche Glaube und die christliche Theologie sich nicht für immer an eine der wechselnden Denkformen und Begriffssysteme der menschlichen Geistesgeschichte binden kann, um nicht den Baum der christlichen Erkenntnis selbst durch die Vergänglichkeit der rasch modernden Begriffe-Spaliere zu gefährden, an die er sich einmal angelehnt hat.

LeerAuch nicht nur darum, weil jedes solcher Begriffssysteme ein unheimliches Eigengewicht gewinnt und es geradezu hindert, daß man überhaupt noch um die Wirklichkeit weiß, die ein früheres Geschlecht in dieser bestimmten Begriffssprache ausgedrückt hat. Sondern weil der christliche Glaube immer wieder ohne die Sauls-Rüstung intellektueller Begriffsbildung, in der Einfalt seines von dem Geist Gottes erleuchteten Herzens in den Kampf mit dem Riesen ziehen muß, in der einfältigen Hingabe an die Heilige Schrift, die das letzte Wissen um Gott und Welt in einer vorrationalen oder vielmehr überrationalen Bildersprache ausdrückt.

LeerEs ist deswegen kein Zufall, daß durch unsere Tutzinger Disputation mit wachsender Deutlichkeit der Wunsch und Vorsatz hindurchklang, man möchte sich einmal ein paar Tage zusammensetzen, um in voller Unbefangenheit miteinander, evangelische und katholische Theologen, Naturwissenschaftler und Nationalökonomen, zu lesen, was in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes über die ganze Welt der Kreatur, über die Selbstbezeugung Gottes in den Werken der Schöpfung, über die Beziehung zwischen Christus und dem Kosmos, über Gnade und „Natur” gesagt ist, um dann zu prüfen, inwieweit die scholastische Lehre von der analogia entis oder deren reformatorische Bestreitung den Wirklichkeiten und Sachverhalten gerecht werden kann, die dort vor unserem inneren Auge sichtbar werden.

LeerDaß dieses erste Gespräch nur bescheidene Vorarbeit leisten konnte, in allen Aussagen sehr vorläufig und unbefriedigend geblieben ist und sehr wesentliche Begriffe wie die analogia relationis (das heißt nicht zwischen dem Seienden, sondern zwischen ihren Beziehungen bestehende Entsprechung) nur eben gestreift werden konnten, kann niemand wundern, der um die ungewöhnlichen sachlichen und sprachlichen Schwierigkeiten dieses ganzen Fragenkreises weiß, und kann also das Verdienst nicht schmälern, das sich die Tutzinger Akademie mit diesem kühnen Unternehmen erworben hat.

Quatember 19853, S. 164-165

© Joachim Januschek
Letzte Änderung: 13-04-05
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